London Bridge (ernst gemeint)

  • Hi ihr Eulen,


    eigentlich hatte ich diese Geschichte für den "Hitze"-Schreibwettbewerb geschrieben, aber ich wollte die sechs kleinen Wörterchen, die zu viel waren, nicht rauskürzen ;-)


    Konstruktive Kritik ist erwünscht, Ironie-Modus bitte ausschalten und ja, mein Text ist durchaus ernst gemeint :rolleyes


    Viele Grüße
    Angelcurse


    London Bridge


    Cassie stieg in den Bus. Obwohl es schon lange dunkel war, hatte sich die Hitze des Tages noch nicht verflüchtigt. Verdammter Mist, dachte Cassie, hier scheint die Klima-Anlage ausgefallen zu sein. Mürrisch setzte sie sich auf den hintersten Platz. Als sie sah, dass sich ein kleines, schmales Fenster mit Griff rechts von ihr befand, überlegte sie nicht lange und versuchte ihr Glück. Das darf doch nicht wahr sein, ärgerte sie sich leise, denn es ließ sich nicht öffnen. Dann fuhr auch noch der Bus scharf an, der auf weitere Fahrgäste gewartet hatte und sie wurde unsanft an die Rückenlehne des Sitzes gedrückt.


    Ihr nun schmerzendes Steißbein reibend, betrachtete Cassie ihr Spiegelbild in den Fensterscheiben. Ihr Gesicht war vor Wut verzerrt, ihre Lippen zu einem Schmollmund verzogen. Warum ging heute nur alles schief? Zuerst hatte ihr Chef über den von ihr verfassten Werbetext für die neue Kampagne gelacht („Das kann doch wohl nicht ihr Ernst sein, Miss Brooks!“) und dann war der geplante Abend mit ihrer besten Freundin Lucy ins Wasser gefallen, weil Lucys Blinddate von letzter Woche angerufen hatte und unbedingt sofort mit ihr auf ein Konzert gehen wollte. Was tut man nicht alles für seine beste Freundin… Natürlich hatte Cassie Lucy versichert, es wäre kein Problem, sie solle ruhig gehen und sich mit ihrem potenziellen neuen Lover einen netten Abend machen. Und nun fuhr sie nach Hause, allein in einem Bus, in dem die Klimaanlage ausgefallen war. Konnte es noch schlimmer kommen? Naja, immerhin hatte ihre Masseuse sie heute für ihre sportliche Figur gelobt, ihre festen Brüste bewundert und betont, wie toll sie ihre geschwungenen Lippen fand. All diese Komplimente zauberten ein Lächeln auf Cassies Lippen und schon sah sie entspannter aus.


    Der Bus hielt an der nächsten Haltestelle, ein Fahrgast stieg ein. Cassie stockte der Atem. Gleichzeitig schämte sie sich – schließlich war sie nicht lesbisch oder so – aber soeben war die schönste Frau zugestiegen, die sie je gesehen hatte! Ihre Proportionen waren perfekt! Schwarze, kleine Löckchen fielen ihr bis zum Po, ihre blassrosa Lippen waren schmal und in ihren schwarzen Augen hätte man ertrinken können wie in einem Meer aus Samt! Ihr leicht entrückter, trauriger Blick wie aus einer anderen Welt entzückte Cassie. Sie spürte ein heftiges Kribbeln zwischen den Beinen und kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrem Gesicht. Durfte das sein? Durfte sie eine Frau so erotisch finden?


    Fast mechanisch stand Cassie auf und stellte sich unmittelbar hinter die Frau, plötzlich keinen Gedanken mehr verschwendend an die Schuldgefühle ob ihrer Vorstellungen, was sie mit ihr am liebsten tun würde… sie musste dichter heran! Cassie roch den Hauch eines herben Parfüms, vermischt mit einem leichten Schweißgeruch und bemerkte, wie sich im Nacken dieser Göttin die Härchen aufstellten, als würde sie die beinahe knisternde Spannung am eigenen Leib spüren.


    „Nächster Halt: London Bridge“, hallte es aus den Lautsprechern des Busses. Schneller, als Cassie es begreifen konnte, war die wunderschöne Unbekannte verschwunden – aber nicht, ohne sich noch einmal zu Cassie umzudrehen und ihr ein schüchternes Lächeln zu schenken…


    ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~


    42 Hits bisher und noch keine Äußerung. Ist die Geschichte so schlecht?

  • Sicher nicht...


    Aber ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum du die "6 Wörtchen" nicht gestrichen hast... das wäre an mehreren Stellen locker möglich gewesen...


    :wave

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • Hallo Angelcurse,


    nein, die Geschichte ist nicht "schlecht".
    Aber ich finde sie auch nicht "gut".


    Orthographisch habe ich nichts auszusetzen.


    Stilistisch ist es mir manchmal ein wenig zu dick aufgetragen. Bsp.: (...in ihren schwarzen Augen konnte man ertrinken wie in einem Meer aus Samt) Ich kann mir nicht vorstellen, wie das Ertrinken in einem samtenen Meer aussieht. Vielleicht fehlt mir die Phantasie. :gruebel


    "London Brigde" als Titelgeber verstehe ich nicht. Es hätte auch jede andere Haltestelle sein können. Oder soll damit etwas symbolisiert werden, was sich mir gerade nicht erschließt?


    Ich vermisse zudem die Aussage.


    Um was geht es genau?


    Immer als ich das Gefühl hatte, jetzt kommt die Geschichte, fängst Du mit einem neuen Thema an.


    Wenn das Thema die Überraschung über die erotische Empfindung für eine Frau sein sollte, kommt das zu spät. Die Geschichte ist da schon zur Hälfte erzählt.


    Die Geschichte ist so etwas wie eine Momentaufnahme. So sollte m. E. eine Kurzgeschichte auch sein. Aber Dein Erzählmoment ist mir zu zerpflückt. Der rote Faden der Busfahrt wird durch die Vielzahl der der Protagonistin in den Sinn kommenden Gedanken mehrmals zerrissen.


    Meine Kritik ist auch ernstgemeint. ;-)
    Aber ich übe noch das Kritisieren. Vielleicht liege ich auch völlig falsch.
    Das sind alles meine persönlichen Eindrücke, andere mögen es komplett anders sehen.


    :wave

  • Zitat

    Original von churchill
    Sicher nicht...


    Aber ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum du die "6 Wörtchen" nicht gestrichen hast... das wäre an mehreren Stellen locker möglich gewesen...


    :wave


    Habe ich mir dann hinterher auch gedacht, nachdem eine Freundin es auch schon gesagt hatte. Tja, aber ich war so ungeduldig und hatte sie dann schon hier eingestellt... :-)

  • Zitat

    Original von Angelcurse


    ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~


    42 Hits bisher und noch keine Äußerung. Ist die Geschichte so schlecht?



    Vielleicht hat es den LeserInnen die Sprache verschlagen!?


    Angelcurse,


    der alte Fehler. Du hast Dir den Kern der Geschichte nicht richtig klargemacht. Der Schwerpunkt liegt ganz falsch, alles kippelt. Du hast Dich wieder in Beschreibungen verstrickt. Das ist ein KURZtext, jedenfalls lautet so die Bedingung. In dem Fall muß man ganz, ganz sorgfältig arbeiten.
    Außerdem sollte alles, was in Titel, äußeren Bedingungen und Personen(beschreibungen) gebracht wird, aufeinander abgestimmt sein. Für Zufall ist da kein Platz.
    Du müßtest alle Faktoren, die Du nennst, aufeinander beziehen, so weitgehend wie möglich, sonst wird das nichts. Ganz enge Maschen stricken, die Fäden fest spannen, sonst lappt's.
    Tatsächlich verschenkst Du das Titelthema 'Hitze'. Du übersiehst Themen wie 'Brücke', 'Dunkelheit' (unklare Gefühle). Die hätten dem Ganzen Stabilität gegeben.


    Also:
    was haben London, Busfahren, die Haltestelle London Bridge, Cassie, ein schwüler Abend, Gefühle der Langeweile und des Zurückgesetztseins oder der Eifersucht sowie eine schöne Unbekannte gefolgt von vagen Schuldgefühlen angesichts eines vagen Unwohlseins bezüglich einer vagen lesbischen Gefühlssituation miteinander zu tun?


    In Deiner Darstellung irgendwie alles. Und damit nichts.
    Damit meine ich, daß Du auch noch das Abendessen des Busfahrers oder eine Parlamentsdebatte hättest einführen können. Oder die Geschichte mit Lucy und der Klimaanlage weglassen. Oder...


    Es wird nicht wirklich Spannnung aufgebaut. Es wird nicht dargestellt, nur... geschrieben


    Kurztexte sind nicht leicht, ich weiß. :-)


    Sprachlich-stilistisch:
    Füllwörter: 'unbedingt sofort', 'scheint...ausgefallen' etc.
    Stereotypen: '...Schmollmund verzogen', 'versuchte ihr Glück' 'knisternde Spannung' 'Komplimente zauberten ein Lächeln...' 'Blick aus einer anderen Welt'
    No go.


    Fazit:
    gefühlt, in die Tasten gehauen, aber nicht darüber nachgedacht.


    Ergo:
    Merke Dir das Gefühl und die Idee.
    Streiche 506 Wörter.


    Dann probiere es von Neuem.
    Vielleicht sind Kurztexte auch wirklich nicht Deine Sache?


    :wave

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Hallo, Angelcurse.


    Magali hat fast alles gesagt, das zu dieser Geschichte zu sagen ist. Mich ihr also weitestgehend anschließend ergänze ich: Die Story wirkt in der Hauptsache zusammenhangslos, und deshalb hinterläßt sie nichts. Carrie steigt in den Bus, ärgert sich über dies und das, hat dann eine Begegnung der besonderen Art, der Ärger verfliegt - vorübergehend? - und das ist es dann auch. Du verhedderst Dich in Details und überzogenen Selbstbetrachtungen, verlierst aber gleichzeitig den Blick dafür, Personal und Szene anschaulich zu transportieren. Es wirkt aufgereiht, ergo unsauber komponiert. Carrie bleibt zudem gesichtslos. Die Story geht vorbei wie ein lauer Abend, aber ein ganz schön lauer.

  • Hallo,


    danke für eure ausführlichen Kommentare.


    Kurztexte sind in der Tat schwer und mir fiel beim Schreiben bereits auf, dass ich noch viel mehr über Cassies Leben, ihre Ärgernisse und Freuden schreiben könnte, als mit 500 Wörtern möglich ist.


    Vielleicht habt ihr recht und ich sollte von vorne beginnen. Ich glaube mir liegen mehr Geschichten, die nicht unbedingt eine "Moral" haben, oder einen "Sinn", sondern eben Unterhaltungsliteratur.


    Mal schauen was ich daraus machen kann...!


    Liebe Grüße
    Angelcurse

  • Zitat

    Original von Angelcurse


    Ich glaube mir liegen mehr Geschichten, die nicht unbedingt eine "Moral" haben, oder einen "Sinn", sondern eben Unterhaltungsliteratur.


    Angelcurse



    Woraus ich jetzt schließen darf, daß 'Unterhaltungsliteratur' keinen 'Sinn' hat?


    Angelcurse, it's a privilege to know you!
    :knuddel1


    you made may day


    :lache :lache :lache

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von Angelcurse
    Ich glaube mir liegen mehr Geschichten, die nicht unbedingt eine "Moral" haben, oder einen "Sinn", sondern eben Unterhaltungsliteratur.


    War es denn nicht der Sinn den Leser mit dieser Geschichte zu unterhalten? Hatte ich zumindest angenommen.
    Warum selbst dieser relativ einfache Anspruch an eine Geschichte bei "London Bridge" nicht funktioniert, haben magali und Tom schon ausführlich erläutert.


    Was mir noch an Deinen Antworten aufgefallen ist: Du schreibst, dass Du so ungeduldig warst, dass selbst das Streichen von ein paar wenigen Worten nicht mehr machbar war, um am Wettbewerb damit teilnehmen zu können.
    Das zeigt eigentlich das Kernproblem, dass mir beim Lesen sofort in den Sinn gekommen ist: Der Text ist schlichtweg nicht überarbeitet worden. Wenn Du das Ding einfach mal ein paar Tage liegen gelassen hättest, wären Dir sicherlich viele der Unzulänglichkeiten auch selbst aufgefallen.


    Gruss,


    Doc

  • Zitat

    Original von Doc HollywoodDer Text ist schlichtweg nicht überarbeitet worden. Wenn Du das Ding einfach mal ein paar Tage liegen gelassen hättest, wären Dir sicherlich viele der Unzulänglichkeiten auch selbst aufgefallen.


    Du hast Recht, danke.
    Wider besseren Wissens hab ich nicht überarbeitet. Werde ich beim nächten Mal tun :)

  • Zitat

    Original von magaliWoraus ich jetzt schließen darf, daß 'Unterhaltungsliteratur' keinen 'Sinn' hat?


    Magali,


    ich meinte damit, dass Unterhaltungsliteratur - wie der Name schon sagt - nur den Zweck der Unterhaltung hat. Kurzgeschichten aber sollen nicht nur unterhalten, sondern eine tiefere Aussage haben. In meinen Augen hat Unterhaltungsliteratur selten einen tiefen Kern.


    Angelcurse

  • Zitat

    Original von Angelcurse
    ich meinte damit, dass Unterhaltungsliteratur - wie der Name schon sagt - nur den Zweck der Unterhaltung hat. Kurzgeschichten aber sollen nicht nur unterhalten, sondern eine tiefere Aussage haben.


    Das U/E-Gespenst ist einfach nicht totzukriegen!


    :-) Bartlebooth