Die Bruderschaft des Schmerzes - Norman Spinrad

  • Spinrad 'enfant terrible der amerikanischen SF' wurde 1940 in New York geboren und wurde ab '65 durch seine 'kompromisslosen' und 'emotionalen' SF-Geschichten berühmt. Seine bücher provozieren, und handeln zumeist von skrupelloser machtpolitik und unterdrückung.


    Worum gehts?
    Bart Fraden, zynischer machtmensch und gangster und selbsternannter Herrscher des solaren Asteroiden-Gürtels stellt fest, dass die feinde seine letzte bastion einnehmen, und setzt sich mit seiner geliebten Sophia und seinem treuen general Vanderling einem raumschiff voller drogen in ein anderes system ab. Er will unter der tarnung als revolutionsführer ein neues reich gründen, und seine wahl fällt auf den planeten Sangre, der von herren- und untermenschen bewohnt wird. Erstere nennen sich die 'Bruderschaft des Schmerzes', leicht an die SS-angelehnt, die sich die anderen unterjocht haben - als arbeits- und schlachtvieh für die kannibalische bruderschaft.
    Fraden und Vanderling gehen nach ihrem gewohnten schema F vor, um eine revolte loszutreten und sich an die spitze der nächsten regierung treiben zu lassen. Aber sie stellen fest, dass es nicht so leicht ist schlachtvieh zur rebellion zu bringen, als der aufstand endlich losbricht gerät alles ausser kontrolle, die entmenschlichten, kulturlosen opfer geraten in einen triebhaften macht- und blutrausch, metzeln und fressen die ehemaligen herren. Fraden, entsetzt über die von ihm losgetretene lawine des hirnlosen mob, der freund und feind nicht mehr kennt, gibt diskret fersengeld, und beschliesst, sich doch lieber als revolutionär auf der erde zu versuchen.


    Original heisst's: The Men in the Jungle, es wurde 1967 geschrieben und ist vom Vietnam-krieg beeinflusst. Ich hab selten so etwas brutales gelesen. Ich war davon grausig fasziniert. 'Unmenschlichkeit bis zur letzten Konsequenz' da können Herberts Harkonnen fast einpacken.

    DC :lesend


    Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens I


    ...Darum Wandrer zieh doch weiter, denn Verwesung stimmt nicht heiter.
    (Grabinschrift F. Sauter )

  • Ach, ich seh grad, es ist leider vergriffen, und wurde nicht mehr neu aufgelegt. Ich habs aus einer wühlkiste, es war vom Moewig-verlag, und erschien auf deutsch das erste - und wohl einzige mal 1982.

    DC :lesend


    Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens I


    ...Darum Wandrer zieh doch weiter, denn Verwesung stimmt nicht heiter.
    (Grabinschrift F. Sauter )

  • Die Bruderschaft des Schmerzes kenne ich zwar nicht, dafür aber Champion Jack Barron, das SF-Kultbuch von Norman Spinrad.
    Auch sehr provokativ, manchmal rüde, aber auch voller Sprachexperimente geschrieben. Ein New Wave Klassiker aus dem Jahre 1969.


    Mir kommt es vor, als hätte Spinrad hier Drogen, Intrigen und Machtpolitik vom Weltraum aus "Die Bruderschaft des Schmerzes" in das Showgeschäft verlagert. Aber weniger Brutal.


    Kurzbeschreibung (von Amazon kopiert)
    Einschaltquoten sind kein Problem für den zynisch-charmanten TV-Star Jack Barron. Millionen von Zuschauern zappen sich tagtäglich in seine interaktive Talkshow - eine politische Macht, die auch der skrupellose Konzernchef Benedict Howards gut gebrauchen kann.



    Über den Autor (laut Wikipedia)
    Norman Richard Spinrad (* 15. September 1940 in New York) zählt zu den bedeutendsten Autoren der modernen Science-Fiction. Spinrad gilt als einer der Mitbegründer der New-Wave-Strömung der Science Fiction in den 1960er Jahren in den USA.

  • Ich habe "Champion" und sein bisher letztes ? Buch "Die Transformation" gelesen. Das hat mir recht gut gefallen:


    Gleich einem seiner Protagonisten, dem SF-Autor Dexter Lampkin, begründet sich Spinrads Ruhm auf einem Frühwerk, "Champion Jack Barron", das in den Siebzigern entstand. Seither hat Spinrad nur mäßig erfolgreiche Romane vorgelegt, "Die Transformation" wird als sein "Opus Magnum" angepriesen.


    Könnte man sogar gelten lassen.


    Dexter Lampkin begann seine Karriere als Science-Fiction-Schriftsteller mit jener Sorte von Buch, die von einer Botschaft und dem Bedürfnis, die Welt zu verbessern, getragen sind. Die Helden seines Romans, ambitionierte und zukunftsskeptische Wissenschaftler, gaukeln der Weltbevölkerung vor, eine außerirdische Botschafterin entdeckt zu haben, die gesandt wurde, um die Erde vor dem drohenden Untergang durch Umweltzerstörung, völlige Ausschöpfung der Ressourcen und Verzicht auf innovative Konzepte zu bewahren. Eine junge Frau wird kurzerhand mehreren Gehirnwäschen unterzogen, chirurgischen Eingriffen, heftigen Trainingsprogrammen, bis sie selbst glaubt, von einer Planetenförderation zu kommen, die die Erde nur in ihre Reihen aufnehmen würde, wenn die "Transformation" gelänge: Die Veränderung der geltenden Konzepte hin zu einem, das ein Überleben in Wohlstand und Freiheit bei gleichzeitiger Bewahrung der Natur garantieren würde. Der Coup gelingt, und letztlich kommen dann wirklich ein paar Aliens angedackelt und gratulieren der Erde zum Schritt in die nächste Stufe der Zivilisation.


    Das Buch verkauft sich kaum, aber Lampkin gewinnt eine kleine, beharrliche Fangemeinde, die "Transformationalisten", deren Treffen er hin und wieder besucht. Nebenher hält er sich mit allen möglichen Schreibjobs über Wasser, klopft Treatments für SF-Comicserien zusammen, und läßt sich als Ehrengast auf den pausenlos stattfindenden SF-Cons aushalten, den Zusammenkünften des Fandoms, der eingeschworenen Gemeinde von fettleibigen, brillentragenden Trekkies und Wüstenplanet-Gläubigen, Star Wars-Anhängern und Fanzine-Herausgebern.


    Dann tritt Ralf auf den Plan. Jimmy Texas Balaban, ein zweitklassiger Komiker-Agent, entdeckt irgendwo in der "Borscht-Provinz" einen flippigen Typen, der von sich behauptet, wiederum von seinem Agenten in die Vergangenheit geschickt worden zu sein, weil sich sein Programm in der unwirtlichen Zukunft abgenutzt hat. Balaban, Lampkin und eine esoterische Dozentin namens Amanda entwickeln die Fernsehshow "Ralfs Welt", in der das wirre Energiebündel das "Affenvolk" beschimpft, vom "Totenschiff Erde" faselt - mit wachsendem Erfolg. Dexter setzt das Fandom auf die Show an, und Ralfs Ideen, akribisch verwurstet mit den Konzepten aus Lampkins erfolglosem Roman, ziehen weite Kreise. Währenddessen hadern alle Beteiligten pausenlos mit der Frage, ob der gurkennasige Typ mit der quälenden Stimme nicht vielleicht doch *echt* ist.


    Spinrad bewegt sich zwischen bösartiger Satire und harscher Gesellschaftskritik, macht sich einerseits auf wunderbare Weise über die SF-Fans und -Autoren lustig, laviert dabei dicht an der Nestbeschmutzung, während er andererseits alle zehn Finger in die Wunden der Welt legt, die tatsächlich so groß sind, daß selbst riesige Hände komplett darin verschwinden. Und das ist die Krux. Ist die Zukunft kausal oder optional, gibt es überhaupt noch die Chance, etwas zu ändern, gar zu retten, das "Sternenschiff Erde" zu kreieren, oder befinden wir uns wirklich schon lange auf einem Totenschiff, einem bei Flaute dahindümpelnden, miefigen Segler mit zerfetzter Takelage und dahinsiechender Mannschaft? Spielt es in diesem Zusammenhang überhaupt eine Rolle, ob der vermeintliche Botschafter aus der Zukunft die Wahrheit sagt?


    Gleichzeitig beleuchtet das - etwas zu lange - Buch auf sehr interessante, überaus amüsante Weise das Schmuddeldasein der SF-Autoren und ihrer Anhänger, aber nicht nur das. Wie so häufig innerhalb des Genres, das literarisch betrachtet weniger als kaum Ansehen genießt, wartet Spinrad mit Fakten, Ideen und Reflexionen auf, die einleuchtend, plausibel, gewitzt und wohlrecherchiert anmuten. Eine Parallelhandlung um die Crack-Absteigerin "Lotter-Lotti" beweist nachhaltig die erzählerische Wandlungsfähigkeit des Autors. So steht am Ende nicht nur die Erkenntnis, ein intelligentes und vor Kreativität übersprudelndes Buch gelesen zu haben, sondern auch jene, daß das literarische Schattendasein des Genres nicht nur seit Philip K. Dick und anderen eigentlich jeder Begründung entbehrt.

  • Sprachlich schlicht gehaltener, deutlich konstruiert wirkender Splatter-Comic mit dick aufgetragenen Thesen. Hat reichlich Staub angesetzt. Vermittelt, vom kannibalistischen Blutrausch abgesehen, deutlich die konventionelle SF-Jugendbuch-Atmosphäre, könnte glatt von Heinlein sein.
    Erinnert irgendwie an die italienischen Kannibalen-Filme der 70er - sowas schreibt, liest, filmt und guckt man heute nicht mehr.
    Champion Jack Barron ist der deutlich grössere Wurf.

    Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen, und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?
    Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799)

  • Ah, sowas tut man sich als splatter- und B-picture-freund dann doch gelegentlich an. Meinereiner liebt out of date unterhaltung als besondere abwechslung... ich finde sie noch immer besser als nackenbeisser a la 'Der Highlander meines Herzens' oder 'In den Armen des Wikingers' und 'In Leidenschaft entbrannt' :chen


    EDIT Obwohl ich ein Buch, das alle diese teiltitel als seinen titel und handlung hätte, wegen der alien perspective glatt lesen würde

    DC :lesend


    Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens I


    ...Darum Wandrer zieh doch weiter, denn Verwesung stimmt nicht heiter.
    (Grabinschrift F. Sauter )

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von MagnaMater ()

  • Nur kurz zur Erläuterung, warum "Die Bruderschaft des Schmerzes" in Deutschland nie wieder veröffentlicht wurde und so schwer antiquarisch zu bekommen ist: Das Buch steht seit 1983 auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Wer es auf eBay, Booklooker etc. anbietet, macht sich also strafbar.


    Allerdings steht es im November zur turnusmäßigen Neuprüfung an und dürfte dann voraussichtlich vom Index gestrichen werden. Zumindest antiquarisch sollte es dann besser verfügbar werden.


    Zitat

    Original von aadam
    Erinnert irgendwie an die italienischen Kannibalen-Filme der 70er - sowas schreibt, liest, filmt und guckt man heute nicht mehr.


    Naja, ich weiß nicht, wer "man" ist, aber klassischer Splatter erlebt im Film und auch (in geringerem Maße) in der Literatur seit ein paar Jahren eine enorme Renaissance. Eine Neuveröffentlichung würde da durchaus passen.

  • Zitat

    Original von Maell
    Nur kurz zur Erläuterung, warum "Die Bruderschaft des Schmerzes" in Deutschland nie wieder veröffentlicht wurde und so schwer antiquarisch zu bekommen ist: Das Buch steht seit 1983 auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien.


    :lacht :lacht :lacht :lacht :lacht :lacht :lacht :lacht


    :rolleyes

    DC :lesend


    Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens I


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  • Ja, da lachst du ganz zu recht. Ihr müßt euch mit solchem Unfug schließlich nicht herumplagen.


    Hierzulande gibt es hingegen lustige Abmahnanwälte, die gezielt die gängigen Gebrauchtbuchplattformen durchforsten, um arglose Anbieter solch alter Schinken mit saftigen Strafen zu überziehen. Nur weil dieser oder jener uralte Titel auf dieser obskuren Liste steht, die - nebenbei bemerkt - alles andere als leicht zugänglich ist.

  • Offiziell soll man die Liste für teuer Geld in Form der (bewahr-)pädagogischen Fachzeitschrift "BPjM aktuell" im Buchhandel erwerben. Eine inoffizielle Version steht auf bpjm.com. Der Zugang ist allerdings mit etwas Aufwand verbunden.


    Die meisten halbwegs interessanten Titel im Literaturbereich wurden zum Glück in letzter Zeit gelöscht (Dan Kavanagh, Mickey Spillane u.Ä.). Noch drauf sind z.B. "Mordlust" von Michael Slade, die meisten alten Ausgaben von John Normans "Gor"-Reihe und Artverwandtes, ansonsten jede Menge Erotikromane und Revisionistenquatsch.


    Edit: Titel ergänzt