Ljod. Das Eis – Vladimir Sorokin

  • Kurzbeschreibung von Amazon:
    Im Moskau von heute ist eine geheimnisvolle Sekte auf der Jagd nach Menschen, die ein “lebendiges Herz” besitzen. Nur diejenigen ihrer gekidnappten Opfer überleben, deren Herz zu “sprechen” beginnt, nachdem es mit einem Eishammer getroffen wurde. Nach dieser ekstatischen Erfahrung ist ein normales Leben unmöglich, da alle anderen Erfahrungen im Vergleich verblassen. Die so gebildete geheime Bruderschaft schöpft ihre spirituelle Kraft aus dem urzeitlichen Eis des sibirischen Tunguska-Meteoriten. Die Sekte zählte bereits in Hitlers SS und in Stalins Geheimgarde Mitglieder und verfolgt das Ziel, die - von Sex und Gewalt verdorbene - Erde auszulöschen und zur ewigen Existenz zurückzukehren.
    LJOD ist ein Roman über die menschliche Suche nach dem verlorenen Paradies. In seinen vier Teilen verbindet er meisterhaft die verschiedenen Genres der Action- und Fantasyliteratur und des modernen russischen Kriminalromans mit satirischen Elementen. Auf diese Weise entsteht ein kühner und zugleich atemberaubend spannender Text.



    Meine Meinung
    :
    Beim Kultautor Sorokin steht normalerweise das stilistische Experiment im Vordergrund.
    Der Science Fiction-Roman Ljod lässt sich aber über weite Strecken problemlos und realistisch lesen, wenn auch abstoßende, gewalttätige Szenen und drastische Sexeskapaden nicht ausgespart werden.
    Letztendlich ist Sorokin hier auch nicht so weit weg vom Cyber-Punk der härteren Gangart, die in der amerikanischen Science Fiction schon länger bekannt ist.


    Ein Stilelement Sorokins ist, dass seine Charaktere im ersten Teil immer anhand einer kurzen Beschreibung eingeführt werden, z.B. Nejlands (25), groß, hager, blond, blauäugig, markante Gesichtszüge, verwegener Ausdruck, brauner Mantel.
    So erzeugt Sorokin Typen, die thematisch und milieubedingt von ihm benötigt werden. Letztendlich sind alle neu erweckte Mitglieder blond und blauäugig.
    Durch die Fragmentisierung des Textes und der Vielzahl an Darstellern wird verhindert, dass man einen wirklich besser kennen lernt. Mit Ausnahme der jungen Russin im zweiten Teil!


    Das Aufklopfen der wahren Persönlichkeit durch den Eishammer als Metapher für das Aufbrechen gesellschaftlicher Barrieren will bei mir nicht verfangen. Zu fanatisch und fast schon esoterisch ist das Ergebnis, die Erlösungsfantasie der Sekte.
    Sicherlich gibt es noch weitere Lesemöglichkeiten des Romans, z.B. Bezüge zu Bulgakow und Dostojewski.


    Ein anderer Fall ist der lange zweite Teil, indem ein junges Mädchen, später Chram genannt, aus der Zeit der deutschen Besetzung und ihrer Verschleppung erzählt. An ihr wird im folgendem der Verlauf der Sekte während der politischen Umtriebe in den Jahrzehnten der UdSSR erzählt. Obwohl dieser Teil fast völlig aus dem restlichen Buch herausfällt, ist er für mich der erzählerische Höhepunkt.
    Der dritte Teil besteht aus einem beeindruckenden Spiel für Stimmen zur kommerziellen Verwendung von Ljod.
    Der dritte und der vierte Teil sind sehr kurz und sonst eigentlich wenig erwähnenswert.
    So ist der Roman weder richtig gelungen noch besonders schlecht. Schade, dass die originellen Ideen nicht immer entsprechend umgesetzt wurden. Und doch, Sorokin hämmert und hämmert. Sorokins radikaler Stil und seine eigene Stimme hat seine Daseinsberechtigung. Die Steigerung ab dem guten, zweiten Teil und einige ironische Brechungen reißen es für mich raus.



    In seinem Nachfolgeroman „Bro“ erzählt Sorokin die Vorgeschichte zu Ljod.
    Bro tauchte auch schon mal ganz kurz im zweiten Teil von Ljod auf.



    Der Autor über sein Buch

    Mit diesem Roman gehe ich weg von der Brutalität, vom Schockieren, zum Ideellen zum Betrachtenden hin. Das ist mein erstes Buch auf diesem Weg. Rein formell gesehen enthält dieses Buch kein Experiment, dieser Roman ist ziemlich traditionell geschrieben. Der Inhalt war mir zum ersten Mal wichtiger als die Form.


    Zum Autor:
    Vladimir Sorokin, 1955 in Moskau geboren, arbeitete nach einem Ingenieurstudium als Buchillustrator, bevor er Mitte der siebziger Jahre erste literarische Anerkennung erfuhr. Bekannt wurde er mit den Romanen "Die Schlange", oder "Der himmelblaue Speck". Sorokin lebt mit seiner Familie in Moskau.


    Putins Russland strebte 2002 aufgrund einer Kampagne der kremltreuen Jugendbewegung "Gemeinsamer Weg" gegen "traditionsfremde" russische Literatur einen Prozess wegen Verbreitung von Pornographie gegen Sorokin an. Das Gericht sprach Sorokin frei. Man könne von Metaphysik sprechen, aber auf keinen Fall von Pornografie, hieß es.
    Ein Sieg für die Literatur, aber immer wieder erschreckend, wie gewisse Gruppen versuchen, ungeliebte Autoren zu behindern. In diesem Fall war es wohl eher eine unfreiwillige Werbung für Sorokins Bücher, da der Skandal um den Prozess in den Medien um die Welt ging.


    Weitere Bücher des Autors:
    Bro, Der himmelblaue Speck, Der Obelisk, Ein Monat in Dachau, Marinas dreißigste Liebe, Die Schlange, Die Herzen der Vier, Dysmorphomania/Das Jubiläum, Norma, Dostojevskij-Trip.Krautsuppe tiefgefroren