Liebeswahn - Ian McEwan

  • Liebeswahn - Ian McEwan


    Kurzbeschreibung:


    "Clarissa und Joe sind glücklich verheiratet, haben es geschafft, ihren Beruf - sie ist Literaturforscherin, er Wissenschaftsjournalist - mit einem Privatleben zu vereinen, das liebevoll und nicht ohne Leidenschaft ist. Der Tag, an dem diese Idylle ihr Ende findet, läßt sich genau bestimmen: Sie veranstalten ein Picknick im Grünen, als in ihrer Nähe ein Ballon abstürzt und Joe zur Hilfe eilt. Seine guten Absichten ändern nichts an dem tödlichen Ausgang des Unfalls, schlimmer noch - er ist daran zum Teil mit schuld. Wie auch Jed Parry, der zu helfen versucht hatte und ebenfalls gescheitert war. Nach dem Unfall sind es nicht allein Schuldgefühle, die Joe plagen, sondern jener Jed Parry, der sich an ihn heftet und immer mehr in sein Leben eindringt. Parry ist der festen Überzeugung, Joe zu lieben, mehr als jeder andere Mensch - er hat einen Liebeswahn entwickelt. Meisterhaft und spannen schildert Ian McEwan, wie ein Psychopath eine Ehe zu zerstören droht."


    Eigene Meinung:


    Ich habe mir dieses Buch gekauft, weil ich von McEwan "Zementgarten" gelesen hatte und dies einfach klasse fand. Also wollte ich ein weiteres von ihm lesen. Zwar war die Geschichte am Anfang sehr spannend - mitunter liest man nur noch kopfschültend weiter, wie wahnsinnig doch dieser Jed Parry ist -, es wiederholt sich jedoch die gleiche Struktur und der gleiche Inhalt nach einer Zeit. Wo ich am Anfang noch fasziniert war von der Tatsache, dass es so einen Wahnsinnigen überhaupt geben kann, und das ganze sich sehr spannend las, dachte ich mir ab Mitte des Buches...."ok, wir wissen nun, dass der Kerl verrückt ist und wie das zum Ausdruck kommt. Was passiert nun?" Für meinen Geschmack zog sich am Ende das ganze zu sehr in die Länge mit ähnlichen Passagen, in denen immer wieder in den verschiedensten Varianten die Psychopathie dieses Mannes zum Ausdruck kommt...die letzten Seiten habe ich nur noch überflogen, um endlich zum Ende zu kommen.

  • Ich fande bei dem Roman sehr interessant, was aufgrund des Stalkings von Jed Parry sich zwischen Joe und Clarissa abspielt und wie sich ihre Beziehung verändert.
    Ian McEwan ist nicht der Autor der einfache Antworten auf seine komplexen, pychologischen Bücher gibt, vieles bleibt wie hinter einem Schleier versteckt geheimnisvoll.

  • Inhalt


    Die Literaturwissenschafterin Clarissa und der Wissenschaftsjournalist Joe führen eine sehr glückliche, harmonische Beziehung bis zu jenem Tag, an dem sie während eines Picknicks Zeugen eines Ballonabsturzes werden. Joe eilt zur Hilfe, dennoch verunglückt ein Insasse tödlich und Joe fühlt sich mitschuldig. Indes macht er Bekanntschaft mit einem anderen Helfer, Jed Parry, der von nun an Joes Leben völlig umkrempelt.
    Jed Parry leidet an dem „Clérambault-Syndrom“ (heutzutage besser als „Stalking“ bekannt). Er behauptet – begleitet von Anfällen religiösen Wahns – in Joe verliebt zu sein, ihn bekehren zu müssen und verfolgt ihn auf Schritt und Tritt. Er richtet sich einen Dauerbeobachtungsposten vor Joes Wohnung ein, bombadiert ihn mit Hunderten von Briefen und terrorisiert ihn mit Telefonanrufen. Joes Zurückweisungen werden von ihm ignoriert, ihm Gegenteil, er findet sogar in dieser Form der (negativen) Aufmerksamkeit eine Bestätigung und setzt seinen Terror fort.
    Joe macht dieser Terror zu schaffen, von seiner Freundin Clarissa, die eher vermeint, er bilde sich dies alles nur ein, bekommt er nicht die Unterstützung, die er sich erhofft, auch die Polizei ist machtlos, da Joes Leben ja nicht bedroht ist und keine Gewalt angewendet wird. Jed Parry beherrscht das Leben des Joe Rose und wirft es völlig durcheinander, auch ein erster Bruch in der sonst so glücklichen Beziehung zwischen Joe und Clarissa beginnt sich abzuzeichnen.


    Meine Meinung


    Auf sprachlich höchstem Niveau beschreibt Ian McEwan, wie der Psychopath das Leben des Joe Rose in ein Chaos stürzt. Werden Jed Parrys – vorerst zurückhaltenden Auftritte – anfangs als Lächerlichkeit abgetan, so erkennt Joe bald, wie bedrohlich die Situation wird und dass selbst seine Beziehung an einem seidenen Faden hängt. Nach und nach gerät er völlig in den Bann seines Verfolgers und sieht ihn bald an jeder Straßenecke lauern.


    Der Leser wird absolut mitgerissen. Die Spannung steigt kontinuierlich, Joe Roses Anspannung spitzt sich ebenso zu, bald sieht er seinen Gegner schon wie einen Schatten und man kann kaum mehr unterscheiden, ob es Realität ist oder Einbildung. Parallel dazu schlittert die Beziehung in eine Krise, Misstrauen und Vorwürfe bringen Joe und Clarissa in eine ernsthafte Krise. Das Buch entwickelt sich zu einem absoluten Psychothriller.


    Mich beeindruckt auch bei diesem Buch – wie schon bei „Saturday“ , wie fundiert und gewissenhaft Ian McEwan recherchiert und welche Fachkenntnisse er sich aneignet. Das Krankheitsbild des „Clérambault-Syndroms“ wird hier anhand des Jed Parry mit all seinen Symptomen sehr fundiert und genau dargestellt. Eine im Anhang angeführte Ausführung über dieses Krankheitsbild, inkl. Fallbeispiel, wissenschaftliche Arbeiten und Quellenverzeichnisse etc. runden das Buch ab.

  • Es sollte ein Wiedersehensfest werden - der Wissenschaftsjournalist Joe Rose hat seine Freundin Clarissa, ihrerseits Literaturwissenschaftlerin und Keats-Begeisterte, soeben nach siebenwöchiger Trennung vom Flughafen abgeholt und führt sie zum Picknick in die Hügel irgendwo außerhalb Londons. Doch gerade als es sich die beiden an einer windgeschützten Stelle bequem gemacht haben, hören sie Hilferufe. Ein Mann versucht, seinen Fesselballon zu landen, und kämpft vergeblich gegen die starken Böen. Vier Männer eilen herbei, um dem Ballonfahrer zu helfen, einer davon ist Joe Rose. Der Rettungsversuch wird ein Todesopfer fordern. Joe Rose wird anschließend von einem der anderen Helfer ersucht, angesichts der Situation gemeinsam zu beten. Verstört lehnt der atheistische Journalist ab. Aber so leicht lässt sich Jed Parry nicht abschütteln.
    Ganz im Gegenteil. Aus der dramatischen Zufallsbegegnung entwickelt sich eine ständig bedrohlicher werdende Krise. Bereits in der Nacht nach dem Unglück ruft Jed Parry bei Joe Rose an, offenbart ihm seine Liebe und drängt ihn, sich seinerseits die Liebe zu Parry einzugestehen. In der Folge entwickelt sich der religiös verblendete und pausenlos von Gottes Liebe plappernde Mensch zu einem immer aufdringlicheren Stalker, während niemand außer Joe Rose selbst die Gefahr zu erkennen oder richtig einzuschätzen scheint. Clarissa und er entfremden sich, die Polizei verlacht Rose, und so wird aus einer vermeintlich lächerlichen Verblendung eine Kette von desaströsen Ereignissen. Dies geschieht, wie immer bei McEwan, auf leise, schleichende Art; der Protagonist zweifelt nicht selten an sich selbst, sucht Auswege, trifft auch Fehlentscheidungen, aber es scheint sowieso nichts geeignet, das Unausweichliche zu vermeiden. Rose steht der Situation alleine gegenüber, weil niemand dazu bereit ist, ihm zu glauben. Parry hingegen entwickelt immer mehr Cleverness und Selbstsicherheit. Diese zuwiderlaufenden Entwicklungen sind Kern der Handlung; Roses Weltbild wird nachhaltig erschüttert, während alles auf einen ebenso nachhaltigen Triumph des gottesfürchtigen Stalkers hindeutet.


    Das Buch erzählt also von der verblendeten Liebe eines Mannes für einen anderen, davon, wie Zeichen gedeutet werden, die keine sind und nie als solche gedacht waren, wie alleine der Glauben an eine Sache diese zur Wirklichkeit werden lässt, zu singularen, persönlichen Wirklichkeit, die nichtsdestotrotz Basis des Handelns wird und sich aller störenden Faktoren notfalls auch gewaltsam entledigt. Es ist deshalb auch nur vordergründig ein Buch über die als De-Clérambault-Syndrom bekannte Erotomanie, die heutzutage "Stalking" genannt wird, sondern vor allem eines über den Widerstreit zwischen naturalistischer und religiöser Weltsicht, wobei McEwan zwar eindeutig Partei ergreift, aber auch die Position zu relativieren bereit ist, für die er offenbar eintritt. Diese Position übernimmt Roses Freundin Clarissa, die den nüchtern-analytischen Journalisten immer wieder dazu drängt, eine ganzheitlichere Sicht auf die Phänomene zuzulassen, über die er schreibt.


    Anfangs etwas spröde, gewinnt das Buch rasch an Intensität, Dramatik und Spannung. McEwan gehört fraglos zu den größten Romanciers unserer Zeit, und mit "Liebeswahn" ist ihm eine subtile und zwingende Erzählung von enormer Dichte gelungen.

  • Hallo


    Zuerst geht es um ein Ballonunglück,
    später um Stalking, das die Beziehung auf eine harte Probe stellt


    und Ian McEwan ist ein Meister der langsam aber stetig steigenden
    Spannung, er macht auch gerne mal einen kleinen Umweg, damit
    die Spannung steigt.


    Seitdem ich von ihm Abbitte gelesen habe,
    ist es mein Lieblingsautor
    obwohl ich durchaus seine im Interview der "Zeit" geäusserten Ansichten
    nicht alle teile, trotzdem er überzeugt durch grosses literarisches Können.


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  • Ich habe das Buch gerade beendet und kann mich der Begeisterung an dem Buch anschließen. :-)
    Ian McEwan ist wirklich ein begnadeter Autor.

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Ich hatte beim Lesen, es war mein ersten Buch des Autors, zunächst etwas Mühe mit dem sehr präzisen Sprachstil von McEwan. Er erzeugt dadurch auch Distanz zur Handlung.


    Aber dann hat mich das Buch doch sehr gefesselt und in seinen Bann gezogen. Sehr spannend, vor allem wie H.Palomar schrieb, die Entwicklung der Beziehung von Clarissa und Joe unter der Belastung.