Besondere Verantwortung? Mal wieder Handke...

  • Wir hatten das ja schon mal, doch aktuell hier eine kleine Passage aus dem mehrseitigen Interview der Zeit mit Günther Grass zum Thema Handke und der Heine-Preis (den Handke ja nicht mehr verliehen haben möchte).


    Es geht dabei u. a. mal wieder um die Frage, ob Schriftsteller eine besondere Verantwortung bzw. eine solche eben nicht haben, etc.


    ZEIT: Dann wäre Handke also in jeder Hinsicht ein würdiger Heine-Preisträger gewesen.


    Grass: Handke hat immer die Neigung gehabt, mit den unsinnigsten Argumenten eine Gegenposition einzunehmen. Was ich an der gegenwärtigen Diskussion ablehne, ist diese Relativierung. Als könne man Schriftstellern das Recht auf Irrtum als eine besondere Gnade zugestehen. Botho Strauß hat etwas in dieser Richtung gesagt. Das halte ich für eine einseitige Zählweise. Es ist eine Sache, den Stab zu brechen über Autoren, die in ihrem Urteil über Diktaturen danebenlagen oder gar mitgemacht haben. Heidegger, Benn, Brecht und andere. Aber es hat auch genug Autoren gegeben, die nicht mitgemacht haben, die ein genaues Urteil hatten. Und zwar nicht nur, was den Faschismus, sondern auch, was den Kommunismus betraf. Denken Sie an Orwells Buch Mein Katalonien über den spanischen Bürgerkrieg: Er wurde später als linker Autor in England isoliert, weil er die Kommunisten innerhalb der republikanischen Front kritisiert hat wegen ihres Terrors hinter den eigenen Linien. Ich lebe ungern damit, dass man Schriftstellern eine Art Geniebonus zuspricht, der ihnen dann erlaubt, den größten und gemeingefährlichsten Unsinn mitzumachen.


    Das vollständige Interview gibt es hier bei der Zeit.


    Gruss,


    Doc

  • Geht es hier wirklich um die Frage einer besonderen Verantwortung von SchriftstellerInnen oder geht es hier um die Frage, wie man sich zum Jugoslawien-Konflikt stellt?
    In meinen Augen geht es im Fall Handke um Letzteres.
    Er hat nicht mehr getan, als darauf aufmerksam zu machen, daß die Parteinahme von Anfang an einseitig war.
    Er hat sich im Verlauf der Diskussion hin und wieder vergaloppiert.
    Er vertritt eine unpopuläre politische Meinung.


    Daran wird nun nicht nur seine Person, sondern sein Werk gemessen.


    Wird ein Werk nun 'schlecht', weil eine Autorin/ein Autor eine unpopuläre politische Meinung vertreten?
    Ist die Person das Werk?


    Ist jemand wie Ezra Pound ein schlechter Dichter, weil er zeitweise für Mussolini schwärmte?
    Was ist mit Ernst Jünger?
    Was ist mit Künstlern, die trinken, ihre Familien prügeln, ihre Frauen betrügen? 'Unanständig' sind? Ist Henry Miller ein frauenfeindlciher Chauvi oder ein Schriftsteller? Bukowski?
    Brett Ellis? Pornograph, Vertreter des Zeitgeistes oder 'Chronist'?
    Oder ist er einfach ein schlechter Schriftsteller?


    Ich finde, daß man trennen sollte zwischen Werk und Person.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Ich finde, daß man trennen sollte zwischen Werk und Person.


    eigentlich richtig, aber hier geht es um eine preisverleihung!


    Die Auszeichnung „wird an Persönlichkeiten verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, für die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt fördern, der Völkerverständigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehörigkeit aller Menschen verbreiten“


    da geht es um mehr als um sein werk! und seine positionen zum thema völkerverständigung sind mehr als einseitig, denke ich. wo bleibt da die verständigung oder die zusammengehörigkeit?


    bo

  • @bo


    wenn es denn unbedingt auf Jugoslawien rauslaufen soll, auch wenn die Ausgangsfrage eigentlich breiter war:


    Handke hat NIE gesagt: NUR Serbien, er sagte: AUCH die Serben müsen berücksichtigt werden.
    Die jedoch kamen in den politischen Rechnungen ab 1990 nicht vor.


    Sicher geht es um mehr als ein Werk, da wird einer abgestraft für eine politische nicht konforme Meinung in Zeiten unbedingter politischer Konformität.
    Warum erinnert mich das an Heine? :gruebel

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Wenn man Schriftsteller ist, der von mehr als 100 Leuten gelesen wird, zählt man dadurch irgendwie, warum auch immer, zu jener seltsamen und eigentlich eher abzulehnenden Clique, die sich "Prominenz" nennt. Das ist eine große, amorphe Menschengruppe, die von Promi-Frisören und Schauspieler-Exfreundinnen bis zu Bundeskanzlern und -kanzlerinnen reicht. Solche Leute werden gelegentlich nach ihrer Meinung gefragt, oder sie nutzen die Gelegenheit eines Interviews, ungefragt ihre Meinung unterzubringen. Eigentlich will man derlei überhaupt nicht hören, weil: Wen interessiert schon, was Udo Walz von der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hält? Aber gesagt ist gesagt. Gefragt ist gefragt. Und die Meinungsbildung interessiert sich nicht dafür, wer sie wie verursacht hat.


    Wie auch immer. Ich finde, der Autor sollte Werk und Person trennen. Sonst läuft er Gefahr, daß das eine immer im Kontext des anderen betrachtet wird. Leute wie Thomas Pynchon haben es geschafft, ausschließlich als Werk zu existieren, und Freund Handke dezimiert die Reputation seines eigenen Schaffens dadurch, daß er meint, Schriftsteller wären automatisch irgendwie wichtig. Sind sie nicht. Sie sind ebenso mißverstandene und mißzuverstehende Kreaturen wie alle anderen auch, mit oder ohne Buch(erfolg).

  • Zitat

    Original von magali
    Sicher geht es um mehr als ein Werk, da wird einer abgestraft für eine politische nicht konforme Meinung in Zeiten unbedingter politischer Konformität.
    Warum erinnert mich das an Heine? :gruebel


    das frage ich mich auch, warum du dich das fragst!


    was seine nicht konforme meinung betrifft, kann ich nur unterschreiben, was die serbische Dramatikerin Biljana Srbljanovic vor kurzem zu dem thema gesagt hat:


    All das, was er in den letzten Jahren, zuweilen in mit beispiellosem Werbeaufwand verbreiteten Schnellschüssen ("Gerechtigkeit für Serbien") geschrieben oder seine wiederholten Beschimpfungen an die Adresse der Journalisten, die auf Kriegsschauplätzen in Jugoslawien ihr Leben riskierten, haben die Bewunderer seiner Literatur, auch mich, fassungslos gemacht.


    Um die mutige demokratische Opposition Serbiens scherte sich Handke im Gegensatz zu meinem verstorbenen Freund Milo Dor oder zum großen serbischen Schriftsteller Bora Cosic einen Dreck und identifizierte mit seinen Auftritten den Kriegsverbrecher mit dem Land.


    aber das thema hatten wir schon!


    bo

  • Ob Handke Recht hat oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß über Serbien nur das, was in den Medien berichtet wurde. Ich war nicht dabei.
    Handke schon. Er bereiste monatelang Serbien, seine Mutter war Serbin, er hat eine Bindung dorthin. Eine solche Bindung kann den Blick verstellen, aber auch den Blick klären. Wer von uns mag beurteilen, wie es wirklich war? Wer von uns mag beurteilen, ob und wie sehr Handke irrt?


    Aber das alles ist ganz und gar unwichtig. Wichtig ist nur, dass meiner Meinung nach jeder Schriftsteller eine gesellschaftliche Verantwortung hat. Handke hat diese Verantwortung als Mensch und Autor wahr genommen, ohne damit eine anerkannte Moral in Frage zu stellen. An keiner Stelle hat er sich für Massenmorde, für Gewalt schlechthin ausgesprochen. Die Wahrung der Würde des Menschen - auch die Würde des Feindes - war ihm ein Anliegen. Damit hat er sich engagierter gezeigt als die Mehrzahl seiner Kollegen. Ich kann mich zum Beispiel nicht daran erinnern, von Hera Lind jemals ein gesellschaftlich wichtiges Statement gelesen zu haben.
    Die Frage, die an dieser Stelle erlaubt sein sollte, lautet: Darf sich ein Schriftsteller nur medienkompatibel zu politischen und gesellschaftlichen Themen äußern oder ist gerade das Gegenteil gefragt (immer unter Berücksichtigung der allgemeinen Moral, gegen die Handke zu keiner Zeit verstoßen hat)?


    Für mich ist und bleibt Peter Handke ein Autor, der sich mit Politik, mit Gesellschaft auseinander setzt. Damit tut er mehr als viele andere, damit nimmt er eine Aufgabe, die ein Dichter/Schriftsteller hat, wahr.
    Ich schlage deshalb vor, Handke mal aus der Schusslinie zu nehmen und nach gesellschaftlichem Engagement einer Jelinek, eines Dan Brown, eines Ken Follett (schreibt er sich so) oder einer/eines ..........(Namen dürfen nach Belieben eingesetzt werden) zu forschen.

  • Hallo, Ines.


    Ich halte das, was Du als "gesellschaftspolitisches/-liches Engagement" subsummierst, für einen Mißbrauch und eine Fehleinschätzung der eigenen Position. BTW, wir müssen nicht über Jelinek, Brown oder Follett reden - wie sieht es denn bei Ines Thorn aus?


    Bücher schreiben adelt nicht. Es ist ein Job wie jeder andere auch.

  • Tom,
    Bücher schreiben ist eben kein Job wie jeder andere. Zumindest für mich nicht. Und er beinhaltet mehr, als eine gute Geschichte gut zu schreiben.
    Aber nicht nur jeder Autor, sondern schlichtweg jeder hat in meinen Augen eine gesellschaftliche Verantwortung. Wo liegt der Missbrauch?


    Ines Thorn nimmt ihre nach ihren Möglichkeiten wahr. Allerdings ist dies hier keine PR-Veranstaltung. Wenn du gern Daten, Namen und Fakten hättest, kann ich dir gern eine PN zum Thema schicken.

  • Hallo, Ines.


    Zitat

    Aber nicht nur jeder Autor, sondern schlichtweg jeder hat in meinen Augen eine gesellschaftliche Verantwortung.


    So isses.


    Zitat

    Wo liegt der Missbrauch?


    Das Wörtchen "Geniebonus" trifft den Kern ziemlich gut, wie ich finde. Offenbar halten viele Menschen Autoren immer noch für besondere Leute. Und andersherum nutzen viele Autoren ihre "Position", um die Welt mit allerlei unausgegorenem Dünnschiß zu malträtieren. Womit ich jetzt nicht notwendigerweise Handke meine.


    Jemand, dessen Meinung in irgendeiner Hinsicht besonderen Wert haben soll, der muß zunächst unter Beweis stellen, daß er bezogen auf die Thematik und den Kontext über herausragende Kenntnisse verfügt. Irgendein Buch geschrieben zu haben reicht da nicht aus.


    Es löst bei mir immer wieder erhebliches Befremden aus, wenn Menschen, die aus ganz anderen Gründen im Licht der Öffentlichkeit stehen, diese Situation dafür nutzen - manchmal aus durchaus altruistischen Gründen, meistens aber (m.M.n.) nur aus Gründen der Eigenwerbung -, um auf Mißstände aufmerksam zu machen oder für karitative Aktionen zu werben.

  • Tom,


    guck da, wir nähern unsere Meinungen einander an. :grin


    Natürlich hat jeder diese Verantwortung. Einen Geniebonus gibt es meiner Meinung nach nicht, wohl aber einen "Promi-Bonus", den allerdings nur die wenigsten Schriftsteller haben. Handke hat ihn, ihn kennt man. Tom, wir reden hier im Augenblick nicht über Schriftsteller, wir reden über Prominente.
    Wenn also Handke oder Jelinek oder Ballack oder Klinsmann oder Herbert Grönemeyer usw. usf. sich zu einem Thema äußern, hören ihnen einfach mehr Menschen zu. Für viele sind die "Erfolgreichen" in gewisser Hinsicht sogar Vorbild. Also ist die Verantwortung für das, was diese Leute sagen, einfach größer. Wenn die Bäckersfrau Schwäblein-Spraffke etwas zur allgemeinen Lage der Nation mitteilt, dann erreicht diese Meinung schlichtweg weniger Leute. Wenn Ballack sich für die Dritte Welt engagiert (ich habe keine Ahnung, ob er das tut), dann kann er mit seiner Vorbildwirkung vielleicht sogar bewirken, dass sich Ballackfans ebenfalls für die Dritte Welt engagieren. Umgekehrt wirkt dieser Effekt leider ebenso.


    Und nein, es löst bei mir keinerlei Befremden aus, wenn sich Prominente engagieren. Fragwürdig wird es nur, wenn damit Eigenwerbung verbunden ist oder aber der Zweck des Engagements der allgemeinen Moral widerspricht.


    Und natürlich hast du Recht, wenn du Kompetenz einklagst. Aber hat Handke die nicht? Immerhin ist er monatelang in Serbien unterwegs gewesen. Zumindest aber - davon bin ich überzeugt - hat er mehr Kenntnisse zu diesem Thema als beispielsweise ich, die ich nur die Zeitung gelesen habe.