Späte Familie - Zaruya Shalev

  • Kurzbeschreibung
    Der Zerfall einer Ehe, eine Lebenskrise, ein hoffnungsvoller Neuanfang
    Eine Frau beschließt von einem Tag auf den anderen, ihre kriselnde Ehe zu beenden, sich von ihrem Mann zu trennen. Obwohl sie eine selbstständige, selbstbewusste Frau ist, sieht sie sich in der von ihr herbeigesehnten Freiheit zunächst mit einer lähmenden Angst vor der Einsamkeit konfrontiert. Sie leidet unter Depressionen und dem furchtbaren Schuldgefühl ihrem Kind gegenüber, dem sie den Vater, die Sicherheit der Familie genommen hat. Dann kommt eine neue Liebe. Eine neue Familie mit Kindern aus einer ebenfalls geschiedenen Ehe entsteht, ein hoffnungsvoller Neuanfang, der Behutsamkeit, Mut und Geduld von allen Beteiligten erfordert.


    Über die Autorin
    Zeruya Shalev lebt als freie Autorin mit ihrer Familie in Jerusalem. Berühmt wurde sie mit ihren zwei internationalen Bestsellern "Liebesleben" und "Mann und Frau", die gemeinsam mit dem neuen Roman "Späte Familie" eine Trilogie bilden. Im Januar 2004 wurde sie unweit ihres Hauses durch ein Selbstmordattentat schwer verletzt, als ein voll beladener Bus neben ihr explodierte und neun Menschen ums Leben kamen.


    Meine Meinung


    Um es gleich als Erstes zu sagen: Ich halte dies Buch für ein Meisterwerk.
    Zeruya Shalevs Stil ist sicher gewöhnungsbedürftig. Die Sätze werden in einer Art und Weise aneinander gereiht, die die ganze Geschichte wirken lassen, als ob die Erzählerin ganz außer Atem wäre. Die fehlenden Satzzeichen für wörtliche Rede tragen das Ihrige dazu bei.
    Dieser Erzählstil macht aber auch viel von dem Reiz und der inneren Tiefe des Buches aus.
    Die Protagonisten sind allesamt nicht wirklich sympathisch. Man leidet mit Ella (der Hauptfigur, und Ich-Erzählerin) und möchte sie im nächsten Moment ohrfeigen, für ihr Verhalten. Die Gefühlswelt dieser Frau wird intensiv und bis ins Detail beschrieben.
    Und um sie herum gibt es Amnon, den gerade verlassenen Ehemann, Oded, den neuen Mann in ihrem Leben, und ihre Eltern. Keine dieser Personen kommt in den Beschreibungen positiv daher. Natürlich liegt dies daran, dass der Leser sie aus Ellas Perspektive beschrieben bekommt.


    Die Autorin taucht mit dieser Geschichte tief hinab in die Zusammenhänge von Verletzungen und Liebesfähigkeit. Ella lernt im Laufe des Romans, dass Liebe viel mit Entscheidung zu tun hat und das reife Liebe nicht bedeutet, alles von einem Partner erwarten zu dürfen.
    Der ganze Roman ist ein Lehrstück darüber, dass das Leben und die Liebe nicht planbar sind und wir nicht willenlose Opfer unserer Gefühle sein müssen.



    P.S. Dies ist meine erstse Rezension. Sollten sich Fehler eingeschlichen haben, bitte Nachsicht walten lassen.

  • Vielen Dank für deine ausführliche Rezi, Nauticat. Ich habe das Buch auf meine Wunschliste gesetzt. Zeruyah Shalevs Roman "Liebesleben" hat mich sehr berührt und gefesselt, und nach allem, was du über dieses Werk schreibst, könnte das vielleicht noch übertroffen werden. :-)

  • Gleich vorweg: Es ist sehr schwierig - fast unmöglich - die Eindrücke zu diesem Buch in Worte zu fassen!


    Es ist unbeschreiblich, mit welcher Sprachgewalt, mit welcher Intensität die Schriftstellerin Gefühle, Motivationen und Handlungen beschreiben kann, ohne dabei nur annähernd kitschig oder sentimental zu werden. Und das immerhin auf beinahe 600 Seiten, ohne nur einmal langweilig zu werden.


    Man leidet mit der Protagonistin, man fühlt mit ihr, man lacht mit ihr und man schüttelt den Kopf ob ihrer Naivität. Ich fühlte mich absolut in die Geschichte hineingezogen, erkannte mich in vielen Situationen wieder und fand es so beeindruckend und fast schon beängstigend, wie authentisch und realitätsnah die Ängste, Gewissensbisse, Schuldgefühle und die Anflüge von Hoffnung von Ella geschildert werden, die durch die von ihr initiierte Trennung ihre Familie zerstört.


    Für mich immer wieder sehr schön zu lesen waren die Parallelen zur Archäologie. Ein Vulkanausbruch auf der Insel Thera löschte die Minoische Kultur aus, Ella selber bezeichnet die Trennung von ihrem Mann Amnon als eine "Naturgewalt". Archäologische Grabungen, Gesteinsuntersuchungen, Ruinensezierung hier - Seelenausgrabung, Bloßlegen der tiefsten menschlichen Abgründe da. Der Vergleich hat mir sehr gut gefallen!


    Das Buch ist ein absolutes Lesehighlight in diesem Jahr, es macht sehr nachdenklich, veranlasst den Leser, auch die eigene Situation zu reflektieren, Werte zu erkennen und die Gewissheit zu erlangen, dass das Glück ein Vogerl ist bzw. ob wir nicht oft ein wenig leichtfertig damit umgehen!


    Eine absolute, uneingeschränkte Leseempfehlung von mir!

  • Ich habe nun die ersten drei Kapitel gelesen und fühle mich leider noch nicht in die Geschichte hineingezogen (ganz anders als bei "Liebesleben"). Mir fehlt etwas Dichte. Ich hoffe, es packt mich noch, denn es liegen noch 500 Seiten vor mir... :rolleyes

  • Und dann hat es mich doch noch gepackt. Es hat ungefähr 200 Seiten gedauert, dann habe ich begriffen, dass man sich für dieses Buch Zeit nehmen muss. Man kann es nicht schnell lesen, auch nicht überfliegen. Ich habe drei Wochen daran gelesen.


    Schon lange habe ich kein so trauriges Buch mehr in der Hand gehabt. Die Scheidungsgeschichte hat mich noch nicht so berührt, als ich dann auch noch über viele Seiten einer anhaltenden Depression folgen musste, war ich leicht genervt, aber die Geschichte der neuen Liebe hat mich ergriffen. Diese Verkettung von Missverständnissen und unbeabsichtigten Verletzungen, diese Angst vor übereilten Entscheidungen und Abhängigkeiten, diese ganze Dramatik einer scheinbar zum Scheitern verurteilten Liebe brachte mich mehrmals zum Weinen.


    Ella findet eine neue Familie und doch gibt es kein Happy End. Am Schluss steht man vor Fragen, die auch die Autorin nicht beantworten kann: Warum ist das so kompliziert mit der Liebe? Wie viel darf man einander zumuten? Was darf man seinen Kindern aufbürden und ab wann ist es keine Liebe mehr? An welchem Punkt ist eine Trennung gerechtfertigt?


    Ich habe mich an eigene Lebenssituationen erinnert gefühlt: eine Scheidung und ein Neuanfang, ohne Kinder zwar, aber mit ähnlichen Gefühlen von Erleichterung über Trauer und Reue bis hin zur Euphorie einer neuen Liebe und die erste Ernüchterung im Alltag. Wird die neue Beziehung von Dauer sein? Wäre die Trennung wirklich nötig gewesen? Wie lange begleitet einen diese Frage? Und gleichzeitig weiß man, dass sie unabwendbar war, dass es nie ein Zurück gegeben hat, weil es einfach nicht mehr ging.


    Diese Verwirrung der Gefühle beschreibt Zeruyah Shalev sehr ausführlich in sehr langen Sätzen. Alles, was sie zu sagen hat, wird nur durch Kommata getrennt und manchmal auch durch einen Punkt. Eine langer, trauriger und berührender Monolog über das Ende einer Familie und über den Versuch, eine neue zu gründen.

  • Herzlichen Dank Nauticat :-]


    für die schöne Rezi. Habe es mir sofort notiert, aber da es sich ja um eine Trilogie handelt, hast du die beiden ersten Teile auch gelesen? Kann man denn nur diesen dritten Teil lesen? :wave

  • Hallo Helga!


    Ich habe vor Kurzem "Liebesleben" gelesen, der erste Teil dieser Trilogie, die Rezension findest Du hier. Leider war das Buch enttäuschend und kam in keinster Weise an "Späte Familie" heran. Überzeugend war eigentlich nur die sprachliche Gewandtheit, der Stil, die Story selber fand ich wenig aufregend.


    Auf Deine Frage, nein, es ist nicht notwendig, die anderen Teile vorher zu lesen. Es geht nicht um die selben Personen und auch um keine Weiterführung einer Lebensgeschichte.