Glauben vs. Meinungsfreiheit

  • Hallo, Bott.


    Die Freiheit des einen endet da, wo die Freiheit des anderen beginnt. Und wo die Grundsätze der Gemeinschaft berührt werden. Wenn mit Geisteshaltungen eine Gefährdung dieser Grundsätze einhergeht, endet die Meinungsfreiheit, zum Beispiel, wenn es um extremistische Ideologien und menschenverachtende Haltungen geht. Das ist im Zusammenhang mit der Meinungsäußerung zu den Weltreligionen allerdings nicht gegeben, da sich der Status der Religionen dramatisch verändert hat. Ihnen kommt nicht mehr die ethische und weltanschauliche Rolle zu, die sie über Jahrhunderte innehatten, sie sind der Erosion ausgesetzt, möglicherweise erleben einige von ihnen das Ende dieses oder des nächsten Jahrhunderts nicht mehr. Vor allem haben - und das seit noch nicht allzu langer Zeit - "glaubensfreie" Weltanschauungen aufgeschlossen und überholt, wodurch es zu einem Widerstreit der Anschauungen gekommen ist, der notwendig und wichtig ist. Damit aber sind Religionen nicht mehr essentieller Bestandteil des Gemeinschaftslebens, weil es viele Menschen innerhalb der Gemeinschaft gibt, die nicht glauben - oder etwas völlig anderes. Es wäre deshalb unfair, unethisch und widersprüchlich, die besondere Rolle der Religionen weiterhin aufrecht zu erhalten. Sie stellen eine Grundhaltung dar, die Deckung mit den Werten der Gesellschaft haben kann, aber sie stellen kein auf besondere Weise schützenswertes Gut der Gesellschaft (mehr) dar.

  • Zitat

    Original von Tom
    churchill : Weil er von jemand anderem geschaffen wurde? Das wäre ja nicht einmal Respekt für eine eigene Leistung. :grin


    Ganz genau. Mein grundsätzlicher Respekt vor der Würde des Menschen als Geschöpf Gottes hat nichts mit eigener menschlicher Leistung zu tun. Natürlich gibt es dann allerdings viele Möglichkeiten, wie sich Menschen meinen Respekt durch bestimmte "Leistungen" in gewisser Weise verscherzen können ;-)

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • Hmm...


    interessanter Ansatz... mit den Grundsätzen der Gemeinschaft... Aber wer hat denn diese Grundsätze der Gemeinschaft erstellt, wer definiert diese Grenze?
    Das Indiviuduum oder die Masse?


    Ich glaub, darüber muss ich erstmal nachdenken... ;-)


    Aber was du auch nicht vergessen solltest... auch wenn die Religionen an ihrer Bedeutung im Allgemeinen verloren haben, so besteht immernoch der spirituelle Hintergrund. D.h., bestimmte Menschengruppierungen (z.B. Kranke, Trauernde, etc.) brauchen meist einen spirituellen Hintergrund, um sich Mut und Hoffnung, gar Trost zusprechen zu können. Sie schöpfen aus ihrem Glauben die Kraft zu kämpfen, zu verarbeiten, weiterzumachen.
    Und dieses Phänomen findet sich in jeder dieser Religionen. Darüber sollte man sich nicht lustig machen - das denke ich jedenfalls.


    Und: Es gibt zahlreiche Menschen, die im Glauben Zuflucht gefunden haben... Sieh dir die ehemalige DDR an. Die Partei und die Staatssicherheit haben ihre Finger nach Freidenkenden ausgestreckt um sie zu assimilieren... Falls aber derjenige in die Kirche eingetreten ist, haben sie ihn in Ruhe gelassen... mit der Kirche hatten sie nichts am Hut - egal welche Kirche aus welcher Religion. (vielleicht hinkt der Vergleich auch... ich weiß noch nicht)


    ABER: Eine zivil- oder strafrechtliche Konsequenz würde ich für lächerlich empfinden... Das hat wirklich düsteren Mittelalter-wenn-du-ein-Ketzer-bist- verbrennen-wir-dich-Charakter. Ist definitiv nicht zeitgemäß. Das Einzige, was ich verstehen würde, wäre, wenn an den gesunden Menschenverstand appelliert werden würde... aber drei Jahre Haft find ich übertrieben und realitätsfremd.


    Der Glaube... nunja - möge jeder dazu stehen, wie er will - wird meistens geleitet durch irgendeinen Guru oder ein anderes Oberhaupt... Mir fällt da ein ganz Bestimmter ein, der in mir auch den Zwang hervorruft, Sarkasmus und Ironie in magischer Art und Weise zu vereinen...


    Ja... ich persönlich habe auch keinen Hang zur Religion... bin eher so ein skeptischer Wissenschaftstyp...



    Klingt alles ziemlich wirr... ich hoffe du verstehst mich :-)

  • Zitat

    Original von Tom
    aber sie stellen kein auf besondere Weise schützenswertes Gut der Gesellschaft (mehr) dar.


    hm..wir leben aber hier in einer christlich geprägten Gesellschaft.
    Nach deiner Auffassung müsste sämtliches religiöses Gedankengut aus der Politik, aus der Gesellschaft heraus und zum reinen Privatvergnügen deklariert werden....meinetwegen!
    Dann könnte jeder nach seinem Gusto verfahren, solange er damit nicht andere Menschen "quält" oder nervt.


    Tut er das, muss er mit Verspottung seines Privatvergnüges rechnen.

  • Es wäre deshalb unfair, unethisch und widersprüchlich, die besondere Rolle der Religionen weiterhin aufrecht zu erhalten. Sie stellen eine Grundhaltung dar, die Deckung mit den Werten der Gesellschaft haben kann, aber sie stellen kein auf besondere Weise schützenswertes Gut der Gesellschaft (mehr) dar.[/quote]


    Und das bestimmst du???

  • Zitat

    Original von Doc HollywoodDabei vergisst man sehr leicht, dass überall auf der Welt Meinungsfreiheit bereits beendet wurde, wo Religion längst keine Rolle mehr spielt, sondern wo es rein um politischen (nicht religiösen!) Machterhalt geht.


    ... oder um wirtschaftlichen Machterhalt.

  • Wir reden über die konkrete Auslegung des abstrakten Begriffs der Freiheit in den Ausprägungen Meinungs-/Presse-/Glaubensfreiheit.


    Wie Tom schon sagte, die Freiheit des einen hört da auf, wo die eines anderen beginnt. Freiheit kann also nie unbegrenzt sein, sie hat natürliche Grenzen durch das, was man seinen Mitmenschen noch gerade eben so zumuten kann.


    Zudem ist die Wahrnehmung der Menschen subjektiv, was der eine bereits als Eingriff in seine Freiheit sieht, würde den anderen nicht tangieren.


    Es kann sich also nur um einen gesellschaftlichen Konsens handeln:
    Eine Auslegung derart, daß die Mehrheit der Menschen zufrieden gestellt ist.
    Es wird immer Menschen geben, die diesen Konsens als zu lasch empfinden, wie hier Herr Stoiber. Anderen ist der Konsens zu streng, wie z. B. Tom deutlich zum Ausdruck bringt.


    Zudem ist dieser Konsens auch kein Datum, die Gesellschaft ist im Laufe der Jahre immer liberaler geworden. Was vor hundert oder auch vor zwanzig Jahren noch kritisch beäugt oder gar verteufelt wurde, ist heute usus.


    Im Zweifel entscheiden die Richter darüber, was unter einen Verstoß gegen § 166 StGB zu subsumieren ist. Ich meine, daß in Grenzfällen viele bayrische Richter strenger entscheiden als die in anderen Teilen der Republik.


    Ich denke, daß der Vorstoß von Herrn Stoiber nicht mehrheitsfähig sein wird.

  • Hallo, Bott.


    Zitat

    interessanter Ansatz... mit den Grundsätzen der Gemeinschaft... Aber wer hat denn diese Grundsätze der Gemeinschaft erstellt, wer definiert diese Grenze? Das Indiviuduum oder die Masse?


    Im Zweifelsfall Verfassung, Grundgesetz und weitergehende Gesetzgebung. Das ist der äußere Rahmen. Der innere Rahmen ist ein kompliziertes Netzwerk aus Verhaltensmustern, Kommunikationsformen und vielem anderem mehr - und ständig im Wandel.


    Zitat

    .... Sie schöpfen aus ihrem Glauben die Kraft zu kämpfen, zu verarbeiten, weiterzumachen. Und dieses Phänomen findet sich in jeder dieser Religionen. Darüber sollte man sich nicht lustig machen - das denke ich jedenfalls.


    Läßt sich unter dem altbekannten Begriff "Opium fürs Volk" subsummieren. Aber ich rede ja überhaupt nicht gegen Religionen, die bei allem Unsinn, den sie verursacht haben, ganz sicher auch viel Gutes bewirkt haben; nicht zuletzt ist das christliche Menschenbild Grundlage unserer Sozialstruktur. Ich rede dagegen, Religionen einen besonderen Status einzuräumen - bzw. diesen (m.E. überkommenen) Status beizubehalten. Fraglos gibt es sehr, sehr viele Menschen, denen Religionen Kraft und Zuflucht spenden, die gar ihr gesamtes Leben der Religion geweiht haben, christliche (oder andere religiöse) Regeln über die Gesetze der Gemeinschaft stellen. Sollen sie alles machen. Ist ganz wunderbar. Aber ich sehe nicht ein, ihnen für diesen Glauben - und es geht um Glauben - eine besondere, schützenswerte Position zuzugestehen. Die Paradigmen sind im Wandel, und viele Menschen haben während der vergangenen hundert, zweihundert Jahre erkannt, das einiges an den Weltbildern, die ihnen lange vorgebetet und als Lebensgrundlage vermittelt wurden, ziemlicher Unfug zu sein scheint. Und über diesen Unfug möchte ich mich, bitteschön, lustig machen dürfen, und ich möchte ihn auch darüberhinaus sehr massiv kritisieren dürfen, wenn ich der Meinung bin, daß er Luftblasen in den Köpfen erzeugt - in Köpfen, die besser funktionieren würden, würden sie sich dem eigenständigen Denken widmen.


    Zitat

    Und: Es gibt zahlreiche Menschen, die im Glauben Zuflucht gefunden haben... Sieh dir die ehemalige DDR an. Die Partei und die Staatssicherheit haben ihre Finger nach Freidenkenden ausgestreckt um sie zu assimilieren... Falls aber derjenige in die Kirche eingetreten ist, haben sie ihn in Ruhe gelassen... mit der Kirche hatten sie nichts am Hut - egal welche Kirche aus welcher Religion. (vielleicht hinkt der Vergleich auch... ich weiß noch nicht)


    Über die Rolle der Kirchen unter verschiedenen Diktaturen - nicht nur auf deutschem Boden - mag ich jetzt nicht diskutieren. Ja, sie war und ist eine Zuflucht. Und?


    Zitat

    ABER: Eine zivil- oder strafrechtliche Konsequenz würde ich für lächerlich empfinden... Das hat wirklich düsteren Mittelalter-wenn-du-ein-Ketzer-bist- verbrennen-wir-dich-Charakter.


    :write


    Zitat

    Ist definitiv nicht zeitgemäß. Das Einzige, was ich verstehen würde, wäre, wenn an den gesunden Menschenverstand appelliert werden würde... aber drei Jahre Haft find ich übertrieben und realitätsfremd.


    Ich finde, daß Religionen nicht mehr zeitgemäß sind - aus meiner ganz persönlichen Sicht, aber nicht nur für mich selbst, sondern im Hinblick auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Und das möchte ich mit meinen Mitteln zum Ausdruck bringen dürfen.

  • Nun ja. Wie die Aussagen von Herrn Stoiber zu verstehen sind, weiß man. Ernst zu nehmen sind sie nicht.


    Tom, auch Wissenschaft ist "Opium fürs Volk". Der Rationalismus ist ein Glaubenssystem, das genau eine Möglichkeit darstellt, die Welt zu begreifen. Was mich am Rationalismus nervt ist der oft zu erkennende Zynismus, mit dem seine und ihre Anhänger sich über Glauben und Religion stellen. Vielleicht ist es auch wahrscheinlicher, dass es einen Gott gibt, als dass wir der Traum eines schlafenden Hundes sind. Aber aus der Wahrscheinlichkeit ergibt sich keine Gewissheit, und so ist es möglich, dass wir am Ende doch von einem verflohten Vierbeiner halluziniert werden.


    Auch die Wissenschaft hat mir Irrtümern zu kämpfen, und die "Lehren", die sich als Verhaltensmaßregeln aus einer rein aufklärerischen Sicht der Welt ergeben, sind teilweise abschreckend (genetischer Rassismus, Darwinismus als Lebensprinzip etc.).


    Es gibt nur eine Sache, die ich ausschließe: die Gewissheit.

  • Nudelsuppe : Was aber die Wissenschaft von den Religionen unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie nicht sagt " Die Welt ist so und nicht anders", sondern von Theorien spricht, die nicht mit dieser Unfehlbarkeitsaura ausgestattet sind wie viele Religionen, und die bei Bedarf korrigiert werden oder für falsch erklärt werden dürfen, ohne dass die halbe Welt empört aufschreit.

  • Hallo, Nudelsuppe.


    Es ging mir überhaupt nicht um meine persönliche Welteinschätzung, die fraglos ebenso zur Disposition steht wie alle anderen auch, schließlich ändert sich unser Erkenntnishorizont täglich, wobei wir, da stimme ich Dir durchaus zu, Gewißheit wahrscheinlich nie erlangen werden. Es geht mir vielmehr um die Gleichbehandlung der Weltanschauungen - vom durchgeknallten Kaffeesatzleser bis zum exaltierten Determinismusanhänger. Zwischendrin: Christen undsoweiter.

  • Ich vermute, dass sich in unserer Kirche auch nur einer für den Papst hält.. Und wer der katholischen Kirche immer noch einen Ausschließlichkeitsanpruch auf Wahrheit unterstellt, hat schlicht und einfach keine Ahnung von der Entwicklung der Theologie der letzten 40 Jahre...

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • Zitat

    Original von Tom


    Den Glauben. Die Ideologie. Das Paradigma.


    Glaubst Du, was Du da schreibst? Ein Glaube ist ja nicht einfach eine Meinung. Er ist die Grundüberzeugung, auf der der Mensch sein Leben aufbaut. Wenn Du einem Menschen seinen Glauben nimmst, zerstörst Du sein Leben. Wie soll das gehen, ohne den Menschen zu verletzen?


    Bei menschenfeindlichen Glaubenssystemen wie dem Kommunismus war es nötig, Menschen wie Mielke und Honecker mit den Trümmern ihres Wirkens zu konfrontieren. Aber selbst da wären Beleidigungen und Beschimpfungen der falsche Weg gewesen.


    BTW, ich wundere mich immer wieder, mit welcher fanatischen Inbrunst manche Atheisten ihre Gottlosigkeit predigen - was ist denn so toll daran, keinen Gott zu haben? Niemanden, an den man sich wenden kann, wenn man mal nicht mehr weiterweiß? Niemanden, zu dem man beten kann? Niemanden, der zuhört? Niemanden, der Dich versteht, weil er Dein Innerstes kennt? Was ist an so einer gott-verlassenen Lebensführung erstrebenswert?

  • Huhu, Behrnie.


    Zitat

    Ein Glaube ist ja nicht einfach eine Meinung. Er ist die Grundüberzeugung


    Ja und? Das hat Glaube übrigens mit vielen Philosophien gemein.


    Zitat

    Niemanden, an den man sich wenden kann, wenn man mal nicht mehr weiterweiß? Niemanden, zu dem man beten kann? Niemanden, der zuhört? Niemanden, der Dich versteht, weil er Dein Innerstes kennt?


    Und niemals antwortet. Vielleicht, weil er/sie/es nicht existiert? Nurmalsoangedacht ...


    Zitat

    Was ist an so einer gott-verlassenen Lebensführung erstrebenswert?


    Ich mag meine Lebenseinstellung, meine Lebensfreude und meine Lebensqualität nicht mit Deiner bzw. derjenigen eines Menschen, der glaubt, vergleichen. Jedenfalls vermisse ich nichts, ganz im Gegentum bekomme ich Antworten auf viele Fragen, die mir Dein Gott und seine Vertreter bestenfalls mit Rätseln quittieren. Ich genieße mein Leben. Ärgerlich finde ich nur, daß es irgendwann im Nichts endet. Und? Nicht zu ändern. :grin


    Aber, wie gesagt - darum geht es ja auch nicht in diesem Thread (aber in einigen anderen). Es geht um die Rechte der Interessengemeinschaften, die sich "Religionen" nennen. Und um die Rechte derjenigen, die diese Interessengemeinschaften verneinen, ablehnen, verteufeln. Aus ebenso guten und hehren Gründen, wie sie von anderen verinnerlicht werden.

  • Hallo.


    Ich muss zuerst gestehen,dass ich hier nicht alle Kommentare gelesen habe.
    Aber ich habe mir bei diesen Satz


    Zitat

    Dieser Paragraph sieht Haftstrafen von bis zu drei Jahren vor, wenn man öffentlich religiöse Auffassungen "beschimpft".



    nur dieses gedacht: Wieso bekommen religiöse Auffassungen einen "Extra-Schutz"?Sind die atheistischen Auffassungen denn weniger Wert,oder gar unerwünscht?
    Versteh' diesen Paragraphen ehrlich gesagt nicht so ganz.Für mich ist der vollkommen überflüssig,da ich in diesem keinen Unterschied zum Recht auf Meinungsfreiheit u.ä. sehe.


    Insgesamt sehe ich die Sache so wie Tom.Was habe ich davon,wenn ich zu jemandem rede,der mir nie antwortet etc..
    Ist das nicht sogar eine Entwertung Gottes.Immerhin stelle ich ihn doch dann auf ein Niveau eines Psychaters.
    Aber das ist ein anderes Thema.


    MfG,He-Man

    "Statt zu klagen, dass wir nicht alles haben, was wir wollen, sollten wir lieber dankbar sein, dass wir nicht Alles bekommen, was wir verdienen. "
    (Dieter Hildebrandt, dt. Kaberettist, *1927)