Veränderungen
Er hatte sich verändert, das spürte er. Er fühlte sich irgendwie anders in seiner Haut. Es war nichts wirklich Greifbares - nur so ein Gefühl, eine Wahrnehmung. Nicht, daß es ihn verwunderte. Er hatte eine sehr schwere Zeit hinter sich, das prägte einen.
Erst dachte er bei sich, daß er sich das nur einbilden würde. Aber dann war es sogar seiner Frau aufgefallen, daß er in letzter Zeit bei ihren Diskussionen öfter einlenkte. Nicht mehr wie früher nach dem Motto „wer lauter schreit, der hat gewonnen“ verfuhr. Sicher, er sollte sich nicht mehr so viel aufregen, hatte der Arzt gesagt – daran konnte das natürlich auch liegen. Aber die anderen Dinge?
Er war ... weicher geworden. Er konnte es nicht anders beschreiben. Plötzlich hatte er damit begonnen, sich in andere hineinzuversetzen. Wie diese mit seinen Handlungen umgehen mochten. Was sie von ihm dachten. Früher war ihm das schnurz gewesen. Er fällte die Entscheidungen und die anderen hatten damit zu leben. Wie, das war nicht sein Bier. Doch jetzt ertappte er sich dabei, vorher zu überlegen, wie seine Umwelt mit seinen Entscheidungen klarkam.
Es waren noch einige andere seltsame Dinge vorgekommen. Kürzlich hatte er sich sogar einen dieser unsäglichen Schmachtfetzen angesehen, bei denen seine Frau so gerne und so zuverlässig wie ein Uhrwerk noch vor der Hälfte des Films wahre Sturzbäche an Tränen vergoß. Es war ihm ja höllisch peinlich gewesen... aber als die Filmheldin im Sterben lag und ihr Partner in tiefem Schmerz Abschied von ihr nahm, musste er den Raum verlassen.
Seiner Frau rief er im Rausgehen zu, daß er jetzt ein Bier brauchte (seit wann holte er sich das übrigens selbst aus dem Keller?)... in Wirklichkeit setzte er sich im Keller auf den Bierkasten und weinte heiße Tränen. Das war ihm sogar noch peinlicher gewesen als der Vollsuff damals, als sein Lieblingsverein aufgestiegen und er so blau war, daß er in Nachbars Garten kotzte.
Sex... das war auch so ein Thema. Plötzlich hatte er keinen Bock mehr auf immer dasselbe Rein-Raus-Spielchen. Er hatte entdeckt, daß es auch ihm viel mehr Spaß machte, sich Zeit zu lassen und sie zu verwöhnen... und hinterher nicht sofort zur Zigarette zu greifen oder aufzustehen, sondern einfach noch ein wenig mit ihr liegen zu bleiben... und miteinander zu reden! Plötzlich war es ihm wichtig, daß auch sie ihren Spaß an der Sache hatte.
Auch die Kinder sah er mit anderen Augen. Früher waren sie einfach da und nervten ihn oft genug, wenn sie spielen wollten, während er doch gerade erst von der Arbeit kam und seine Ruhe wollte. Oder sie wollten gerade während seine heißgeliebte Sportschau lief, irgendwelche albernen Kindersendungen ansehen. Wie oft ertappte er sich bei dem Wunsch, sie mögen schnell größer werden. Jetzt bedauerte er, daß sie schon bald das Haus verlassen würden und wie still es dann bei ihnen sein würde.
Neulich beim Einkaufen hatte er nicht wie sonst den erstbesten Anzug in seiner Größe erstanden, sondern war in drei verschiedenen Geschäften gewesen. Es hatte ungewohnt Spaß gemacht, neue Sachen zu probieren. Und er hatte nicht nur einen Anzug in einer für ihn ungewohnten Farbe erstanden, sondern auch noch ein Hemd, zwei Krawatten und die passenden Schuhe dazu. Er staunte nur noch über sich selbst.
Er wollte es lange nicht wahrhaben – aber alles war anders geworden, seit das Herz einer Frau in seiner Brust schlug.