Eine Stilfrage

  • Beste Eulen,
    ich bin etwas ...ja, sagen wir es ruhig so: fassungslos. Ich hab heute das neue TextArt-Magazin durchgeblättert; darin ein Porträt von Katrin de Vries. Deren Stil wird hoch gelobt, dabei steht folgender Textauszug:
    Der Hof ist von einer Mauer umgeben. Die Mauer bröckelt. An vielen Stellen bröckelt die Mauer. So hat die Mauer Ritzen, Gänseblümchen wachsen aus den Ritzen. Und Ampfer. Und Ahorntriebe wachsen aus den bröckelnden Stellen. Kellerasseln hausen in den Ritzen. Ameisenvölker leben in den bröckelnden Stellen. Vor der Mauer liegen Maschinen. Brennesseln wachsen dazwischen. Wachsen darüber. Auf den Brennesseln kriechen Raupen. Hunderte Raupen. Schwarze Raupen. Sich windende schwarze Raupen. Schmetterlingsraupen.
    ...also, wenn ich sowas abliefern würde, wäre die erste Frage, wieviel Liter Wein ich beim Schreiben in mich eingetütet habe. Dann würde man mir das ganze um die Ohren hauen. Und mir dann ein Synonymlexikon empfehlen, und zwar wärmstens...
    Wie sehr Ihr sowas? Ich finde Wortdoppelungen - mögen Sie auch als Stilmittel eingesetzt sein - entsetzlich. Ich mache das zwar auch, aber werde jedes Mal mit fettem Rotstift darauf hingewiesen.
    :wave Silke

  • Hallo Silke,


    es ist zwar nur ein Textauszug, aber gerade die letzten Zeilen mit den Raupen lassen bei mir schon das Gefühl zurück, dass das keine "versehentlichen" Wortdoppelungen sind, sondern durchaus genau so gesetzt und gewollt, wie sie eben da stehen.
    Ich kenne die Autorin nicht, aber schon der kleine von Dir zitierte Auszug gefällt mir. Das hat was, auch wenn ich sicherlich nicht ein ganzes Buch in diesem Stil lesen möchte.


    Gruss,


    Doc

  • Sorry doc, aber das ist einfach schlecht. Sehr schlecht. Oder besser gesagt affektiert. Der Text ist affektiert. Aufgesetzt also. Mit aufgesetzten Affekten. Nein, mit aufgesetzten Effekten. Die Dopplungen sind gewollt. Sicherlich gewollt. Absicht. Sollte ein Stilmittel sein. Aber nicht jeder Stil macht Literatur. Manche auch Pfannen. Stile machen Pfannen. Nein, Stiele machen Pfannen. Entschuldigung. Ich wollte den Auszug jetzt nicht eben darin hauen. In die Pfannen. Nicht in die Stiele. Am Ende zählt bei der Dopplung eben auch, ob ein Bild entsteht. Ein Bild in meinem Kopf. Oder ein Bild in Deinem Kopf. Dabei kenne ich Deinen Kopf gar nicht. Auch nicht den von Katrin de Vries. So bleibt nur Schluckauf. Literarischer Schluckauf. Literarischer Schluckauf am Stiel. Ohne Stil. Ohne Stil und ohne Bilder. Da atmet nix. Kein tiefer Atem des Lebens. Nur Kurzatmigkeit. Text-Asthma. Wie gesagt. Sorry. Entschuldigung.
    Und:
    Hallo zurück an alle.
    Columbo

    RomeoyJulietaMilleFleursundeinGlasBunnahabhainwasbrauchtesmehr?

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  • columbo
    Hihi...was für eine Rückkehr! :-)
    Also mir hat das mit den Raupen trotzdem gefallen. Aber wenn ich mir Deine harschen Worte zu Gemüte führe, sollte ich wohl besser meine aktuelle Kritik an den Schreibwettbewerbsbeiträgen an den Hut stecken und wieder Limmericks schreiben.


    Gruss,


    Doc


    PS: Schön, dass Du wieder vorbeischaust. Du wurdest schmerzlich vermisst.

  • Zitat

    Original von keinkomma
    ...also, wenn ich sowas abliefern würde, wäre die erste Frage, wieviel Liter Wein ich beim Schreiben in mich eingetütet habe.


    hab ich mich auch gerade gefragt - bei columbo! was für ein großartiges comeback!


    bo :wave

  • Ich verwende sehr gerne die Methode der Verdoppelung, wenn sie Sinn macht, wenn ich etwas ganz besonders herausstreichen möchte. Doch hier sehe ich keinen Sinn und keine Notwendigkeit.
    doch mich stört noch mehr, die kurzen Sätze, ein Stilmittel, das hier auf die Spitze getrieben wird und das ich für mich ablehne, wenn auch viele Schreibratgeber und -schulen für kurze sätze eintreten, weil diese besser lesbar seien. Für mich gilt das leider nicht, kriege ich ein solches Buch in die Hand, habe ich leider Geld umsonst ausgegeben, denn ich schaffe es nie, mehr als 10 Seiten zu lesen. Die 10 Seiten schaffe ich aber auch nur, da es mir als Schwabe gegen den Strich geht, keinen echten Gegenwert für mein Geld zu erhalten.
    gruss
    mike

  • Also ich finde solche Passagen gruselig und würde solch ein Buch sicherlich nicht lesen... Ich werde dabei ganz kribbelig und unruhig... *grusel*

    "Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen, der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig."

    - Ernst Reinhold Hauschka

    Zitat

  • Wenn Dopplungen so massiv verwendet werden wie in dem Textauszug, sind sie ein legitimes Stilmittel. Es kommt sicher niemand auf die Idee, es könnte der Autorin in einen "normalen" Text aus Versehen eine unschöne Wiederholung reingerutscht sein. Der Textauszug "funktioniert" für mich durchaus. Was aber meinen persönlichen Geschmack betrifft: Für einen Prosatext ist mir das viiiel zu anstrengend zu lesen - ich würde höchstens mal das eine oder andere kurze Gedicht in einem solchen Stil lesen wollen, aber sicher kein ganzes Buch oder auch nur eine Kurzgeschichte.


    (Das Gleiche gilt übrigens auch für die kurzen Sätze.)

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Hiho,


    Wortdopplungen bzw. Wiederaufnahmen* sind nicht nur bei Cicero ein gängiges Stilmittel und können Betonungen, Bezüge etc. herausstellen. Allerdings ist es wie bei jedem Stilmittel - der gekonnte Einsatz macht den Text. :-)


    Die Raupenpassage fand ich am obrigen Text auch ganz gut - da passte die Verwendung des Stilmittels. Die Zeilen davor klingen in meinen Ohren schauderhaft und klappern munter vor sich hin, dass ich ein solches Buch nach einer halben Seite weglegen würde. :-(


    *Je nach Stellung im Satz Geminatio (unmittelbare Wiederholung an beliebiger Stelle im Satz, z.B. Fuit, fuit ista quondam ...), Anadiplose (Wiederholung eines am Schluss stehenden Wortes zu Beginn des nächsten Satzes), Anapher (Wiederaufnahme des gleichen Wortes am Anfang von Sätzen odet Satzteilen) oder Epipher (Wiederholung des gleichen Wortes am Ende von Sätzen oder Satzteilen).
    Frau de Vries verwendet alles, wild gemischt. :grin


    Viele Grüße :wave
    Heike

    Der Bernsteinbund - Historischer Roman - Juni 2010 im Aufbau-Verlag
    Die Tote im Nebel - Historischer Kriminalroman - März 2013 im Gmeiner-Verlag

    Rabenerbe/ Rabenbund - DSA-Fantasyromane - 2017/2018 bei Ulisses

  • Vor der Mauer liegen Maschinen. Brennesseln wachsen dazwischen. Wachsen darüber. Auf den Brennesseln kriechen Raupen. Hunderte Raupen. Schwarze Raupen. Sich windende schwarze Raupen. Schmetterlingsraupen.


    Der Teil gefällt mir.


    Aber auch nur für einen kurzen Text. Ich habe selbst ein paar Texte in diesem Stil geschrieben.


    Hat sie denn ein ganzes Buch in dem Stil geschrieben? -Macht das noch Spaß?



    Beim Anfang dachte ich, sie hat vergessen, den ersten Satz zu löschen, als sie den zweiten geschrieben hat. Da misslingt der Stil doch dann, oder?



    keinkomma :
    Sind die Empfehlungen in der TextArt sonst mehr nach deinem Geschmack?




    JAss :keks

  • Hallo Jass!
    Das ganze Buch scheint in dem Stil zu sein, so stehts jedenfalls in dem Autorenporträt. Hochgradig lobend, was mir immer noch nicht einleuchten will.
    Ich les das TextArtMagazin sehr gerne, vor allem, weil ich mir Anregungen für meine Schreibschüler holen kann - sei es, dass Dinge mal mit anderen Worten erklärt werden oder eben, dass ich neue Ideen bekomme. Es sind immer wieder sehr gute Texte drin, wer selbst schreiben will ist sicher gut beraten mit dem Heft!
    :wave Silke

  • Zitat

    Original von columbo
    Sorry doc, aber das ist einfach schlecht. Sehr schlecht. Oder besser gesagt affektiert. Der Text ist affektiert. Aufgesetzt also. Mit aufgesetzten Affekten. Nein, mit aufgesetzten Effekten. Die Dopplungen sind gewollt. Sicherlich gewollt. Absicht. Sollte ein Stilmittel sein. Aber nicht jeder Stil macht Literatur. Manche auch Pfannen. Stile machen Pfannen. Nein, Stiele machen Pfannen. Entschuldigung. Ich wollte den Auszug jetzt nicht eben darin hauen. In die Pfannen. Nicht in die Stiele. Am Ende zählt bei der Dopplung eben auch, ob ein Bild entsteht. Ein Bild in meinem Kopf. Oder ein Bild in Deinem Kopf. Dabei kenne ich Deinen Kopf gar nicht. Auch nicht den von Katrin de Vries. So bleibt nur Schluckauf. Literarischer Schluckauf. Literarischer Schluckauf am Stiel. Ohne Stil. Ohne Stil und ohne Bilder. Da atmet nix. Kein tiefer Atem des Lebens. Nur Kurzatmigkeit. Text-Asthma. Wie gesagt. Sorry. Entschuldigung.
    Und:
    Hallo zurück an alle.
    Columbo


    WUNDERBAR! :lache
    Dein Text ist toll und auf den Punkt gebracht, den von de Vries würde ich eher als Tassenuntersetzer verwenden (dafür macht sich das schwarze Cover ganz hübsch).

  • @ columbo


    :lache :lache :lache


    Text-Asthma, genau. Ich finde den zitierten Text höchst langweilig und hätte keine Lust, mehr davon zu lesen. Leblos, langatmig und gewollt künstlerisch. Erinnert mich an die Gedichte, die ich als Dreizehnjährige geschrieben habe... (aber das wäre wohl eher was für den Geständnis-Horst :-( ).