Onkel Toms Hütte, Berlin - Pierre Frei

  • Ich hatte das Buch aufgrund der guten Besprechungen hier auf meine Wunschliste gesetzt und als Wichtelbuch geschenkt erhalten.


    Da ich aufgrund der Rezi keine falschen Erwartungen hatte und nicht einen blutrünstigen Serienkillerthriller lesen wollte wurden diese Erwartungen auch nicht enttäuscht, sondern die geweckten Erwartungen aus der sehr guten Rezi von Heaven wurden voll erfüllt.


    Ein sehr gutes Buch, dass den historischen Zeitrahmen plastisch beschreibt, die Figuren sind lebendig dargestellt, ich habe mir greifbar vorgestellt jeden persönlich zu kennen, weil mir die Figuren dreissig Jahre älter dann mal über den Weg gelaufen sind, während die Zentralpersonen des Romans diese Chance mir zu begegnenen auf brutale Art genommen bekommen haben.


    Heavens Rezi ist sonst nichts hinzuzufügen.


    Den Schlußgag habe ich nicht aber ganz verstanden, hat den Anzug der Schneider geklaut, der seine Tochter als Lockmittel verwendet hat oder war das der Nebenbuhler oder der Bruder? Etwas motivationslos in der Luft hängengeblieben, oder hab ich da einen Aspekt übersehen?

    Nemo tenetur :gruebel


    Ware Vreundschavt ißt, wen mahn di Schreipfelerdes andereen übersiet :grin


    :lesend  :lesend

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  • Jetzt habe ich extra nochmal nachgeschlagen weil ich mir nicht sicher war. Er war doch dort, wo sich die Pärchen immer trafenund auch viele Spanner in den Büschen hingen. Irgendwer von denen wird es wohl gewesen sein. ;-)
    Aber wer genau ist eigentlich nicht wichtig, eher der Gedanke "wie gewonnen so zerronnen". :grin


    Freut mich, dass ich dir mit der Rezi nicht zu viel versprochen habe. :wave

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    Grüßle, Heaven


    Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen. (Goethe) ;-)

  • Zitat

    Original von Heaven
    Dieses Buch wird zwar als Krimi angepriesen, jedoch würde ich es persönlich eher als historischen Roman mit kriminalistischem roten Faden bezeichnen.


    Das stimmt auf jeden Fall. Mir war auch gar nicht so wichtig, wer es nun gewesen war. Dass die Frauen sterben mussten, nachdem ich so genau ihre Lebensgeschichte, ihre Rückschläge und Hoffnungen kennen gelernt hatte, hat mir aber jedesmal einen Schlag in die Magengrube gegeben.


    Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um mich von dem Buch mitreißen zu lassen. Die Geschichte der Schauspielerin Karin, die zuerst erzählt wird, fand ich reichlich flach klischeehaft - blond, blauäugig, arisch. Außerdem hatte ich arge Mühe, mich zwischen all den amerikanischen Besatzern, deutschen Kommissaren, jüdischen Professoren etc. zurechtzufinden. Als ich aber erst mal verstanden hatte, wer in welche Zeitebene gehörte, wurde es allmählich besser.


    Helgas Geschichte - das ist die mit dem mongoloiden Sohn - fand ich auch noch nicht so gut; das war mir zu glatt erzählt.


    Aber ab Henriette, der preußischen Adelstochter, war ich gefesselt. Ihre Geschichte und die von Marlene haben mir am besten gefallen.


    Das Buch ist ein Rundumschlag: Das Berlin der 1920er Jahre, die beginnende Nazizeit, die Judenverfolgung, die geheimen Forschungen der Nazis, der Krieg, die Bombennächte, die Besatzung, die französische Résistance, es ist alles drin. In sämtlichen Gesellschaftsschichten, im Adel, bei den kleinen Angestellten, bei den ganz kleinen armen Leuten. Alles wird unglaublich lebendig und anschaulich erzählt, sodass man wirklich eintaucht in das damalige Berlin.


    Da mir der Anfang etwas zu klischeehaft war, zögere ich ein bisschen, das Buch uneingeschränkt zu empfehlen, aber nach dem holprigen Beginn war ich begierig, dranzubleiben, und habe das dicke Buch mit großer Begeisterung in kurzer Zeit durchgelesen. Es lohnt sich allein schon wegen der sehr bunten und eindringlichen Schilderungen, wie die einzelnen Figuren mit den Gegebenheiten der Zeit (Nazizeit und Krieg) fertig werden.

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Seit Erscheinen des Buches bin ich am überlegen ob ich es mir kaufe...
    Ich war vor ein paar Jahren in Berlin und wir fuhren nur des Namens wegen zu dem Bahnhof, dort angekommen war es schon etwas später und irgendwie ein bisschen unheimlich. Als dann das Buch rauskam, konnte ich mich irgendwie nicht überwinden, (wegen den Erinnerungen, ich muss ehrlich gestehen ich war zutiefst erschrocken, dass da ein Buch rauskommt mit dem Titel "Onkel Toms Hütte"!!!) aber nachdem ich hier diese Rezi gefunden habe, landet es sofort auf meiner Wunschliste (auch wenn das bei mir wieder Gänsehaut-Erinnerung weckt).

  • Gerade hab ich diesen schönen Roman beendet. Nachdem MaryRead ihn ja in ihrer "Hannover-Liste" anführte und ich zu spät kam, habe ich mir ihn gleich besorgt.
    Heavens toller Rezi ist nichts hinzuzufügen! Es ist ein Stück Berlin-Geschichte (wobei ich da einwenden muss, dass nicht die Siedlung der Namensgeber der U-Bahnstation war, sondern die nach dem Ausflugslokal namens "Onkel Toms Hütte benannt wurde. Ein Gastwirt Thomas hat diesen für das Lokal gewählt).


    Für mich als Berlinerin war das ein Stück Heimatsgeschichte. Die Begebenheiten vor und nach dem Krieg konnte auch meine Großmutter, bzw. meine Mutter erzählt haben. So ähnlich sind die Erlebnisse. - Zum Glück lief ihnen kein Serienkiller über den Weg. :lache -
    Jährlich fand ich mich damals in Aaankel Taams ein - um zum Deutsch-Amerikanischen Volksfest zu gehen, daher kenne ich diese Gegend sehr gut.
    Hier noch ein Foto von der Wilskistr., deren Anwohnerin Jutta war:


    Foto:


    Das einzige Manko an der ganzen Story: Die Mädels waren mir alle für die damalige Zeit zu abgebrüht, zu willig und freigiebig und, mit Verlaub, zu lustbezogen. Dies mochte wohl auf ein, zwei , drei Mädchen zutreffen, aber doch nicht auf alle fünf. Sie waren zwar alle groß, blond und blauäugig - waren aber keine Schwestern, sondern kamen aus ganz unterschiedlichen Millieus. Das war mir ein bisschen too much.



    Edit wollte das Foto sehen!


    Ein bisschen Grusel, ein bisschen Geschichte und ziemlich viel Humor, zusammen mit Lokalkolorit - was will das (Leser)-Herz mehr ;-)

  • Eigentlich sollte man ja keine Bücher rezensieren, die man abgebrochen hat. Da dieses Buch mir aber höchst ärgerliche Lesestunden und meinen lieben Mitreisenden einige wütende Kommentare meinerseits beschert hat, muss ich doch einige Bemerkungen loswerden:
    Noch nie habe ich ein Buch gelesen, in dem eine eigentlich ganz interessante Idee derart mies umgesetzt wurde.
    Das Grundgerüst: mehrere blonde junge Frauen im Nachkriegsberlin werden vergewaltigt und erdrosselt, wobei sich schon relativ schnell andeutet, dass es sich bei dem Täter um einen durchgeknallten Fleischergesellen mit Potenzproblemen und eher bescheidenem Erfolg bei Frauen handelt. Schon allein dieser höchst originelle Plot, der allenfalls bereits aus 250 B-Movies und einigen tausend Heftchenromanen bekannt ist, hätte mich fast zum Aufgeben bewogen.
    Doch war mir in der norwegischen Einöde alternativer Lesestoff ausgegangen, weshalb ich erstmal dranblieb:
    Diese äußerlich sehr ähnlichen, aber ansonsten grundverschiedenen Frauen dienen nun als Aufhänger, um verschieden Frauenschicksale während des Dritten Reiches zu erzählen. Das geschieht auf 7. Klasse Schulaufsatzniveau, die Protagonisten sind so platt und leblos, dass die Figuren der Bravo-Lovestory im Vergleich die Tiefe eines Lessingschen Dramas besitzen und die Geschichten sind derart klischeehaft, dass ich mich frage, ob der Autor nicht zu viele Vorabendserien auf RTL geguckt hat.
    Z.B. Karin:
    Ein wunderschönes Waisenkind, dass auf dem Land beim Kühemelken vesauert, wird von berühmten Kinostars entdeckt, die aus unerfindlichen Gründen mit einem Theaterstück durch die thüringische Provinz tingeln und nach Berlin geholt, wo sie sofort Kollegen und Regisseure betört und dank gezieltem Einsatz ihre körperlichen Reize zum Star wird.
    Ich habe ihr schlimmes Ende regelrecht herbeigesehnt, um endlich von diesem Humbug erlöst zu werden.
    Oder dann Helga: als Kontrastprogramm zu Karin konzipiert, ein Muttertier, die wie ein Löwin für ihr behindertes Kind kämpft, denn das ist ihre Aufgabe: den Sohn zu behüten. Ansonsten ist Helga genauso schön, aber auch genauso dämlich, naiv und oberflächlich wie ihre Leidensgenossin.
    Als dann noch das dritte Opfer auf den Plan trat, deren Geschichte mich gleich zu Beginn an die unkritisch-sentimentalen ostpreußischen Heimatschinken der fünfziger Jahre erinnerte, hatte ich endgültig genug.
    Nicht nur, dass diese Frauen ein sehr fragwürdiges Frauenbild verkörpern (so gehen alle, um ihre Ziele zu erreichen, mit den maßgeblichen Männern ins Bett), auch alle anderen Protagonisten erinnern an US-amerikanische Propagandafilme: Die Nazis sind fett, blöd und im Grunde Weicheier und Feiglinge; sobald Russen auftauchen, ist auch sogleich von (Massen-)Vergewaltigungen die Rede und der einzig positiv besetzte Russe stellt sich als Balte (!) mit allerdings sehr russischem Namen vor.
    Die Bemühungen, dem Buch dadurch Authentizität zu verleihen, dass ab und an historische Persönlichkeiten mitspielen dürfen, wirkt angesichts der ansonsten völlig vergeigten Geschichte auch nur noch peinlich.


    Prädikat: Flop des Jahres!

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Es war nur ein spontaner Griff in der Taschenbuchabteilung und so ein Volltreffer. Und für mich sogar 2 mal, da ich gern Krimis lesen und auch mein Interesse an Geschichte "gedeckt" wurde.


    Pierre Frei hat es ermöglicht, das man sich komplett in die aktuelle Protagonistin / den aktuellen Protagonisten hineinversetzen kann.
    Man konnte mit den Frauen mitleiden und fühlen, zum Beispiel wie Helga versuch ihren Sohn zu retten. Aber man fiebert auch für Ben, wenn er wieder Heidi über den Weg läuft. Man kann sich wirklich in diese Zeit hineinversetzen und auch, dass sich verschiedene Haupt- und Nebenpersonen über den Weg gelaufen sind, war toll.
    Am meisten hat mich die Geschichte von Marlene bewegt und ich war so wütend, dass sie gestorben ist!


    Von mir gibts dafür 10 von 10 Punkten :-)


    LG July

  • Das Buch habe ich gestern ausgelesen, der nötige Anstupser dazu war der Alt-SuB-Abbau-Thread. Es hat mich sehr zwiegespalten zurückgelassen und ich muss noch ein bisschen darüber nachdenken, bevor ich weiß, was ich endgültig davon halten soll.


    Die damalige Zeit fand ich gut beschrieben, auch wenn die vielen eingestreuten Straßen- und Ortsnamen für einen Nicht-Berliner ein bisschen irritierend waren. Für Jemanden, der die Stadt kennt, ist das aber sicher eine nette Bereicherung. Auch die Teilung der Stadt in die vier Besatzungszonen und die damit verbundenen Schwierigkeiten fand ich recht anschaulich dargestellt. Für die Polizeiarbeit und Verbrechensaufklärung müssen das wirklich untragbare Zustände gewesen sein, teilweise wurden Täter da per Fahrrad verfolgt und das holzgasbetriebene Dienstauto musste erst eine halbe Stunde lang aufgewärmt werden, bevor man es benutzen konnte. Auch die Offiziere der Besatzermächte - verständlicherweise auf die "Krauts" ziemlich schlecht zu sprechen - waren nicht gerade hilfreich, eher im Gegenteil.


    Das Buch ist in mehrere Abschnitte gegliedert. Roter Faden ist die Aufklärung des Kriminalfalles, dazwischen werden längere Passagen eingeschoben, die das Leben und den Werdegang der fünf weiblichen Opfer erzählen. Wobei ich diese Passagen viel interessanter und spannender fand, als die eigentliche Krimihandlung, die ein wenig kurz gerät und nicht wesentlich mehr enthält als ein paar Fahrten durch das besetzte Nachkriegsberlin, einige Zeugenbefragungen und haufenweise amerikanischer Namen. Das alles fand ich auch eher verwirrend zu lesen, weil viele Namen und Personen nur kurz erwähnt werden und entweder ganz wieder verschwinden oder erst nach hunderten Seiten wieder auferstehen.


    Im Verlauf des Buches kristallisiert sich heraus, dass einige dieser Nebenfiguren regelmäßig immer wieder auftauchen - die Pensionswirtin, der Mann mit Dackel, der nette Nachbar etc - und so als Bindeglieder zwischen Opfern, Täter, Kriminalern und Besatzern fungierten, ohne dass ihnen das bewusst wird. Alles ist irgendwie lose miteinander verknüpft, diese Idee fand ich sehr nett.


    Die Kapitel, in denen es um die fünf Frauen ging, fand ich schon interessant, auch wenn die Figuren und ihre Geschichten recht klischeehaft dargestellt werden: die UfA-Schauspielerin, die einen rasanten Aufstieg von der Milchmagd zum Leinwandstar macht und sich dabei durch sämtliche wichtige Betten schläft; die Krankenschwester, die den behinderten Sohn vor der Gestapo retten muss und sich auf dem Weg dorthin ebenfalls durch maßgebliche Betten schläft; die junge Adlige, die ebenfalls... und die Berliner Gossengöre, die ihr ganzes Leben praktisch (unfreiwillig) in den maßgeblichen Betten verbringt. Das war alles viel zu viel, zu dick aufgetragen, und hat mir die Lesefreude oft vermiest. Sisi bringt es auf den Punkt:



    Das einzige Manko an der ganzen Story: Die Mädels waren mir alle für die damalige Zeit zu abgebrüht, zu willig und freigiebig und, mit Verlaub, zu lustbezogen. Dies mochte wohl auf ein, zwei , drei Mädchen zutreffen, aber doch nicht auf alle fünf. Sie waren zwar alle groß, blond und blauäugig - waren aber keine Schwestern, sondern kamen aus ganz unterschiedlichen Millieus. Das war mir ein bisschen too much.


    Dem schließe ich mich vorbehaltlos an. Was da beschrieben wird, halte ich auch schlicht für Wunschdenken des Autors, nicht für Tatsachen. An manchen Stellen wurde ich beim Lesen richtig bitterböse, weil ihm tatsächlich nichts Besseres einfällt als Sex, wenn es darum geht, dass eine Frau eine knifflige Situation lösen muss oder ein bestimmtes Ziel erreichen will. Ich hatte beim Lesen permanent das Gefühl, dass Frauen für ihn nur kleine hilflose Dummchen sind, die ohne starken Mann an ihrer Seite nicht einmal in der Lage sind, sich ordentlich die Zehennägel zu schneiden. Dass sie ihr Leben auch mit Verstand, Gewitzheit, Mut und Können meistern und ihre Ziele auch ohne Zuhilfenahme von Beischlaf erreichen können - und das in der Realität ja auch taten! -, kommt ihm offenbar nicht einmal in den Sinn.


    Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Großmüttern, Mutter, Tanten und anderen älteren Verwandten, die die Kriegs- und Nachkriegsjahre miterlebt haben, wie schwer es Frauen damals hatten, was sie alles erdulden und wie hart sie arbeiten mussten, wie erfinderisch sie oft sein mussten, um sich und ihre Familen durchzubringen. Ich weiß auch, dass da manchmal moralische Grenzen überschritten wurden, um zu überleben, aber die Art, wie der Autor das darstellt, gleicht einer Ohrfeige für die Frauen dieser Generation, vor allem, weil er einfach alle über einen Kamm schert. Deswegen gibt es für das Buch von mir auch harsche Abzüge.


    Der Aufbau der Geschichte mit den eingeschobenen Kapiteln über das Leben der fünf Opfer hat mir gut gefallen, auch die Beschreibung Berlins während der Kriegsjahre, überhaupt das ganze Zeitkolorit. Bis auf die schon angesprochenen Punkte war auch das Leben der Frauen interessant zu lesen und ich habe an vielen Stellen mitgefühlt und mitgelitten. Es hat mich jedesmal aufs Neue getroffen, dass die Mädels, die vor und während des Krieges so viel Schlimmes erleben mussten und doch irgendwie überlebt hatten, dann auf so grausame und doch banale Weise sterben mussten.