Über den Autor
Pierre Frei, Jahrgang 1930, wuchs auf im Viertel um den Berliner U-Bahnhof "Onkel Toms Hütte", den er als Hintergrund für diesen Roman wählte. Seine ersten Kurzgeschichten veröffentlichte er als 16-jähriger Gymnasiast. Das folgende Studium der Publizistik verdiente er sich mit Zeitungs- und Rundfunkreportagen. Der erste Roman des 23-Jährigen, Pernod wächst nicht auf Bäumen, erschien mit beachtlichem Erfolg in der Münchner Illustrierten. Als freier Auslandskorrespondent berichtete der Autor später aus Rom, Kairo, New York und London, ehe er sich auf seine Farm in Wales zurückzog. Seit 1990 lebt der passionierte Reiter auf seinem Château im Südwesten Frankreichs.
Klappentext
Berlin Sommer 1945: Die staubtrockene Luft flimmert über den Gleisen Im Bahnhof "Onkel Toms Hütte", wo der fünfzehnjährige Ben gerade Zigarettenkippen sammelt. Doch statt auf die erhoffte Ware für den Schwarzmarkt stößt er auf eine Leiche: eine blonde junge Frau, brutal zugerichtet und erwürgt...
In eine Stadt, die vom Krieg zerrissen wurde und die gerade Atem schöpft, kommen vier junge Frauen - eine UfA-Schauspielerin, eine Psychiatriekrankenschwester, eine Prostituierte und eine junge Adlige im Auswärtigen amt - auf rätselhafte Weise zu Tode. Die Geschichten, die ihren aussergewöhnlichen Schicksalen folgen, sind bewegend und erzählen von unbändiger Courage und dem unstillbaren Hunger nach Leben.
Dieses Buch wird zwar als Krimi angepriesen, jedoch würde ich es persönlich eher als historischen Roman mit kriminalistischem roten Faden bezeichnen. Denn die Suche nach dem Mörder macht nur einen gringen Teil des Buches aus.
Viel eher zeichnet es das Bild einer zerbombten Stadt, mit ihren Menschen die ums Überleben kämpfen und zugleich damit beschäftigt sind wieder ins Leben zurück zu finden. Der Schwarzmarkt blüht, denn jeder will wieder auf die Beine kommen.
So auch Ben, der mit Einfallsreichtum Waren zum Tausch beschafft um seinem großen Ziel näher zu kommen. Heidi hats ihm angetan und er ist sich sicher nur ihr Herz erobern zu können wenn er endlich einen dieser glänzenden Anzüge, die er in einem amerikanischen Magazin gesehen hat, sich maßschneidern lassen kann. Natürlich passend dazu braune Wildlederschuhe mit dicker Kreppsohle. Statt zur Schule zu gehen stromert er durch die Stadt, sammelt Kippen, macht krumme Geschäfte und führt einen dummen Ami-Reporter an der Nase herum, indem er ihm einen Kleingartenpächter als "rechte Hand des Führers" verkauft und dafür stangenweise begehrte Ami-Zigaretten einheimst und auf dem Schwarzmarkt wieder in Geld umwandelt. Denn dies braucht er dringend um an sein Ziel zu gelangen.
Dummerweise stößt er dabei auf eine Frauenleiche. Sein Vater, ein einbeiniger Inspektor, bekommt den Fall zugeteilt. Bei seinen Recherchen stößt er immer wieder auf Probleme, denn durch die vier Mächte der Stadt und der dauernden Suche nach Kriegsverbrechern stößt er immer wieder an Grenzen: geheimgehaltene Unterlagen die verschwunden scheinen, die geteilten Zuständigkeitsbereiche, die Abwehr der Amerikaner, die nicht glauben wollen das einer der ihren in solch ein Verbrechen verwickelt sein soll.
Die Suche nach dem Täter wird immer wieder unterbrochen durch die Schilderung der Lebensgeschichten der Opfer. Ein Teil, der in besonderer Weise den Leser bewegt. Eindrucksvoll schildert Frei ihr Leben ab den 20er Jahren. Vier Frauen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Aber alle blond, jung, blauäugig..
Karin: Seit dem Tod ihrer Mutter lebte sie auf dem Land bei Verwandten. Sie fügt sich zwar, aber ihr Traum ist einmal auf der Bühne zu stehen. Als eines Tages eine Schauspieltruppe in ihrem Dorf ein Theaterstück vorführt, wird sie entdeckt und landet recht bald in Berlin. Die naive und unerfahrene Frau weiß aber ihre Beziehungen gut zu nutzen um schnell ein Star zu werden.
Helga: Sie erlebt wie ihr eigener Ehemann die Nazis beauftragt, den mongoloiden Sohn hinter ihrem Rücken in eine psychiatrische Anstalt zu schicken. Sie kämpft wie eine Löwin um ihn und lässt sich unter ihrem Mädchennamen und mit Beziehungen als Kinderkrankenschwester in diese getarnte Euthanasie-Station versetzen um ihn dort raus zu holen. Hilflos muss sie miterleben wie die Bewohner heimlich vergast werden.
Henriette: Als Tochter einer preussischen Landadelsfamilie mit Sprachkenntnissen und Umgangsformen hat sie die Chance im Auswärtigen Amt zu arbeiten und kann dem Krieg einigermaßen entfliehen. Doch sie liebt einen Engländer, der als Feind des Landes gilt. Mit viel Mut versucht sie ihre Familie zu retten.
Marlene: Ein echtes Zillekind, das nie eine wirkliche Kindheit hatte, denn schon ihre Eltern setzten sie als Prostituierte ein um den Vermieter milde zu stimmen, da die Miete nicht gezahlt werden konnte. Sie trifft auf Fredie, der zugleich ihr Zuhälter und Ehemann wird. Mit ihm steigt sie in die höheren Kreise auf. Erst spät bemerkt sie welches schockierende Geheimnis hinter ihrem Aufstieg steht.
Was alle vier Frauen verbindet: Der Krieg hat sie aus ihrer Bahn geworfen. Mit viel Mut aber auch Resignation schlagen sie sich gen Kriegsende. Mit Nichts stehen sie da und können durch ihre Fähigkeiten einen heiß begehrten Job im amerikanischen Sektor erlangen, denn die Amis zahlen gut.
Im Verlaufe der Geschichte erfährt man, dass sich diese Frauen irgendwann einmal in ihrem Leben begegenet sind, ohne es bewusst wahr zu nehmen und ohne zu wissen, dass sie irgendwann das gleiche Schicksal ereilen wird......
Als besonderes Schmankerl empfand ich die bildhafte Beschreibung Berlins mit vielen kleinen Details, Strassen, Geschäften, Lokalen.....alles was einem vom alten Berlin her bekannt ist. Auch bekannte Personen wie Grete Weiser, Max Reinhardt, Heinz Rühmann und Ernest Hemingway und viele andere findet man dort wieder. Aus vielen Blickwinkeln lässt Frei das braune Jahrzwölf den Leser viel Spannung und Emotionen erleben.