Heike Brandt, 1947 geboren, schreibt seit 1990 Bücher für Jugendliche. Sie ist Erzieherin, Übersetzerin, Redakteurin, engagiert, politisch. Das merkt man all ihren Büchern an, es macht ihre Lebendigkeit aus, ihre Echtheit. Der direkte Bezug zum richtigen Leben auf allen Ebenen ist ein Vorteil. Zugleich aber kann es ein Nachteil sein.
Wie in der Geschichte von Rebecca, Fabian, Petra und Halef.
Rebecca und Fabian sind Geschwister, sie leben bei Ruth, ihrer Mutter. Als Teenager ist ihr Leben von der Schule geprägt, Petra ist Rebeccas Freundin, Halef ein guter, wenn nicht der beste Freund von Fabian. Halef ist echt nett und sieht ziemlich gut aus und wenn er so bei Fabian am Küchentisch sitzt, fängt Rebeccas Herz zu flattern an. Auch Halef ist nicht uninteressiert. In diese beginnende Liebesgeschichte unter Teenagern platzt eine böse Nachricht: Rebeccas beste Freundin Petra ist vergewaltigt worden. Von Halef, sagt sie.
Halef wird verhaftet. Rebecca ist entsetzt und verwirrt. Sie glaubt ihrer Freundin. Fabian dagegen ist sicher, daß Halef unschuldig ist.
Wie verhält man sich in einer solchen Lage? Schwester gegen Bruder, Deutsche gegen Türken, für die Freundin, gegen die Liebe?
Die Geschichte ist spannend, lebendig und gut erzählt. Erzählerin ist Rebecca in der Ich-Perspektive, wir hören ihre Meinung, ihre Ängste, erleben ihre Zweifel. Es ist ein wichtiges Thema, es ist gut und fesselnd dargestellt. Überzeugend bis zur Lösung, die ganz anders ist, als man es sich vorgestellt hat, wenn auch vielleicht für erwachsene LeserInnen nicht überraschend.
Insgesamt ist aber von allem zuviel in dem Buch.
Es geht um sexuelle Gewalt, um Familienprobleme, um Gewalt in der Schule, Feigheit bei Lehrern, Rassismus, Liebe, Mütter, die Rolle der Frau, Verantwortung. Über der Limo am Küchentisch unterhält man sich über die Folgen von Tschernobyl und am Ende wird noch die Frage angerissen, wie sinnvoll Gefängnisstrafen sind. Das alles auf den üblichen 220 Seiten, die einem ‚politischen’ Jugendbuch zugestanden werden.
Für Jugendliche mag die Häufung der Probleme ein Ersatz für ‚action’ sein, der Problematik, um die es geht, tut das nicht so gut. Eine Konzentration auf das Kernthema, mit höchstens zwei verwandten Problemen als Nebenschauplätze der Diskussion hätte dem Ganzen sehr gut getan und aus einem ordentlichen Jugendroman einen ausgezeichneten gemacht.
Es ist schließlich diese Häufung der Probleme, die dem Buch in den Augen mancher LeserInnen heutzutage einen ‚altmodischen’ Ton geben kann. Da klingt das Engagement einer anderen Epoche an, ein regelrechter Aktivismus. Das Buch stammt von 1992.
Vielleicht tut das aber auch ganz gut heute, angesichts einer gewissen Stagnation und regierendem Desinteresse. Worum ich die Autorin beim Lesen beneidet habe, ist ihre überall im Buch spürbare unerschütterliche Überzeugung, daß es sich zum Positiven entwickelt, das verflixte 'Zusammenleben' zwischen Deutschen und Türken. Und daß Gerechtigkeit siegt.
Früher war es wirklich schöner!