Wir müssen über Kevin reden - Lionel Shriver

  • Das war eins der Bücher, bei denen ich mich nie klar entscheiden konnte, ob es mir nun gefällt oder nicht. Aber es hat mich gefesselt, nach den ersten ca. 80 Seiten konnte/wollte ich es nicht mehr aus der Hand legen. Den Anfang fand ich etwas schwierig zu lesen, zu lange Sätze und der Schreibstil. Ich mußte mich erst damit anfreunden, aber dann hat es mir gut gefallen. Ich war das ganze Buch über sprachlos über diese Charaktere. Dabei hat mich fast der Vater am meisten aufgeregt, weil er immer nur an das Gute in seinem Sohn gedacht (gehofft) hat. Was den Schluß anging, erging es mir wie Babyjane in ihrem Spoiler, aber das hat für mich das Lesen nicht weniger interessant gemacht.


    Ich fand die Geschichte auf jeden Fall sehr erschreckend und die Situation in der Turnhalle möchte ich mir gar nicht vorstellen. Dass Kevin zum Schluß so freundliche Züge zeigte, hat mich auch etwas gestört.


    Übrigens war ich vor dem Lesen immer der Meinung, daß Lionel Shriver ein Mann ist.

    Liebe Grüße
    Sabine


    Ich :lesend"Talberg 1935" von Max Korn

    Ich höre "Mein Leben in deinem" von Jojo Moyes

    SuB: 163

  • Ich hab das Buch auch soeben beendet und weiß noch gar nicht wirklich was ich schreiben soll.


    Mir ging es am Anfang auch so, dass ich erst mal mit dem Schreibstil warm werden musste und dass es mir fast zu weit ausgeholt war (vor der Geburt von Kevin usw.) Natürlich ist das von Bedeutung für Kevin's Werdegang, aber man hätte es doch etwas kürzen können.


    Jetzt, nachdem ich fertig bin, bin ich schon ziemlich geschockt und voller Mitleid.

    Der Schreibstil von Frau Shriver ist total unvorhersehbar und schockierend. (Ich dachte übrigens auch, dass sie ein Mann sei) :-)


    Das Buch hat mir gut gefallen, auch wenn ich mehrmals total schockiert und traurig war. Im Endeffekt werd ich noch ein paar Tage über das Buch nachdenken, aber irgendwie bin ich froh, dass ich keine Kinder habe. Was mir da an Leid erspart bleibt (bitte nicht zu erst nehmen).


    Von mir bekommt das Buch 9 Punkte, weil es anfangs etwas langatmig war. Aber ab der Mitte war ich total gefesselt.

    Ein Raum ohne Bücher ist ein Körper ohne Seele.
    - Cicero


    :lesend Harlan Coben - Ich vermisse dich

  • Zwei Jahre stand das Buch auf meiner Wunschliste bevor ich mich dran traute. Eine ganze Woche lang schon hab ich es nun fertig bevor ich mich wage ein paar Worte dazu zu schreiben. Eine Woche, in der ich zwar versucht hab was anderes zu lesen, aber jedes Buch nach wenigen Seiten abbrechen musste.


    Dabei war das Buch gar nicht mal so "schwermuetig" wie ich es befuerchtet hatte. Es hat seinen eigenen Sinn fuer Humor, der absolut passend eingebunden wird. Schwer im Magen liegt es allemal, einfach weil die Thematik alles andere als einfach ist. Und ich kann Lionel Shriver nur dafuer bewundern, dass sie es geschafft hat keine leichten vordergruendigen Antworten zu suchen wie man sie doch viel zu oft in den Tagesmedien oder auch in diversen Stammtischparolen zu hoeren bekommt. Ganz im Gegenteil ist die Erzaehlung aus Sicht von Kevins Mutter, der zum Massenmoerder an seiner Schule geworden ist, gnadenlos ehrlich.


    Der Schreibstil bietet die Basis fuer die Ehrlichkeit. Auch wenn ich sonst Buecher in Brief- oder Tagebuchform gar nicht mag, erlaubt es hier die Gedankenwelt von Kevins Mutter ausfuehrlich zu erforschen. Shriver hat einen wunderbaren Schreibstil, der mich einfach atemlos mitzieht. Ja, es wird gelegentlich etwas zu ausschweifend, sie kommt vom hundertsten ins tausendste. Aber wie sonst kann sie nach den Ursachen dieser Katastrophe suchen? Die Gefuehle und Gedanken, die dabei zu Tage kommen, zeigen deutlich dass Eva weder ein Monster ist noch der Verwahrlosung ihrer Familie beschuldigt werden kann. Dabei sucht sie die Schuld in erster Linie bei sich selber - wo doch allzu deutlich wird. dass derlei Schuldzuweisungen gar nicht moeglich sind.


    Erschreckend wird klar fuer den Leser, dass man Mitgefuehl fuer diese Familie empfindet. Wohl auch, weil man sich mit vielen Gedanken leicht identifizieren kann - nur dass wir oftmals nicht in der Lage sind unsere Gefuehle so ehrlich und oeffentlich zu gestehen. Die wenigsten Kinder sind reine Wunschkinder - die Menschheit waere sonst schon lange ausgestorben. Nicht immer werden sie mit Liebe in Empfang genommen. Aber nicht immer entstehen dabei Monster. Zwiespaeltige Gefuehle sind dennoch wohl normaler als man sich eingestehen moechte. Und ja, auch ich hab mein schreiendes Baby schon hasserfuellt angeschaut und frage mich heute woher ich die Kraft fand es nicht an die Wand zu klatschen.


    Hab ich einfach nur Glueck gehabt, dass sich diese Geschoepfe in umgaengliche und beliebte Teenager entwickelten? Wieviel dieser Entwicklung liegt in den Genen und was bleibt fuer "Erziehung" moeglich? Was erwarten wir heute von der Rolle als Mutter und ist es wirklich gerecht?


    Antworten bekommt der Leser nicht in diesem Buch. Statt dessen neue Fragen und mehr zwiespaeltige Gefuehle. Auch den Protagonisten gegenueber. Ich kann Eva weder lieben noch hassen. Und letztlich geht es ihr ja selber genauso.


    Ich kann nur jedem empfehlen auch mal dieses Interview mit Lionel Shriver zu lesen. Auch ihre eigenen Gefuehle gegenueber dem Konzept "Mutterschaft" kommen da sehr gut rueber.


    Fazit:
    Ein grossartiges Buch, das unangenehme Fragen stellt. Fragen, die hier in Form einer spannenden und extremen Situation beschrieben werden. Dazu in einem aussergewoehnlich gutem Schreibstil. Letztlich aber sind es Fragen, die auch im "normalen" Alltag uns mehr beschaeftigen sollten.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Beatrix ()

  • Zitat

    Original von LesebienchenÜbrigens war ich vor dem Lesen immer der Meinung, daß Lionel Shriver ein Mann ist.


    Die Verwechslung ist nicht ueberraschend, denn es ist auch nicht ihr Geburtsname. Schon als 15jaehrige hat sie den von den Eltern gewaehlten Namen "Margaret Ann" absichtlich in einen Jungennamen umgetauscht.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Zitat

    Original von Beatrix


    Die Verwechslung ist nicht ueberraschend, denn es ist auch nicht ihr Geburtsname. Schon als 15jaehrige hat sie den von den Eltern gewaehlten Namen "Margaret Ann" absichtlich in einen Jungennamen umgetauscht.


    Aha, interessant! Das einem der eigene Name nicht gefällt, okay, war bei mir auch so. Dass man sich als Jugendliche von seinen Freunden anders nennen läßt, verstehe ich auch. Aber dass man als erwachsene Frau unter einem Männernamen ein Buch schreibt :gruebel

    Liebe Grüße
    Sabine


    Ich :lesend"Talberg 1935" von Max Korn

    Ich höre "Mein Leben in deinem" von Jojo Moyes

    SuB: 163

  • Zitat

    Original von LesebienchenAha, interessant! Das einem der eigene Name nicht gefällt, okay, war bei mir auch so. Dass man sich als Jugendliche von seinen Freunden anders nennen läßt, verstehe ich auch. Aber dass man als erwachsene Frau unter einem Männernamen ein Buch schreibt :gruebel


    Naja, sie wird aber nun schon seit sie 15 Jahre alt ist, Lionel genannt und nicht mehr Margaret. Warum hätte sie als Buchautorin nun ihren alten Namen wieder annehmen sollen?


    In einem Interview habe ich übrigens eine Erklärung dafür gefunden, warum sie den Namen gewechselt hat: 'I was a tomboy. I grew up with brothers. So I chose a boy's name.'

  • Das ist ein Buch, dass mich unheimlich interessieren würde, allerdings weiß ich nicht, ob es auch wirklich meinen Geschmack treffen würde :gruebel...

  • Zitat

    Original von M101
    Das ist ein Buch, dass mich unheimlich interessieren würde, allerdings weiß ich nicht, ob es auch wirklich meinen Geschmack treffen würde :gruebel...


    Läuft doch jetzt noch als WB, oder? Da kannst du ja nicht viel falsch machen :wave

    With love in your eyes and a flame in your heart you're gonna find yourself some resolution.


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  • Mich haben in den letzten Jahren nur wenige Bücher so beschäftigt wie dieses, vielleicht auch, weil ich selbst Mutter bin. Ich glaube, jeder kann dieses Buch lesen und sich davon beeindrucken lassen, nur empfindet man es anders, wenn man selbst Kinder hat.


    Als Autorin hat mich die Erzählperspektive fasziniert. Eine unzuverlässige Erzählerin, bei der ich mich ständig fragte, ob alles wirklich so war, wie sie berichtet, oder ob sie es sich so zurechtbiegt, wie es ihr gefällt. Ich habe lange auf die zweite Stimme oder Gegenperspektive gewartet, bis mir klar wurde, dass es ein Prinzip des Romans ist.


    Ich hatte etwa bei der Hälfte eine Ahnung, worauf es hinausläuft, aber das hat meine Faszination nicht gemindert.


    Insgesamt ein bemerkenswertes Buch, keine leichte Lektüre, aber lohnend.



    Viele Grüße,


    Susanne

  • Ich habe dieses Buch soeben zu Ende gelesen. Anfangs war es mir etwas zu langatmig, was vielleicht auch daran liegt, dass ich normalerweise mit Romanen in Briefform nicht viel anfangen kann. Ich fand es schwierig plötzlich mitten im Leben dieser Mutter zu stehen und keine Beziehung zu ihr aufbauen zu können (ich hoffe, man kann verstehen, wie ich das meine :gruebel).
    Als sie aber zu dem Punkt kam, an dem sie sich für ein Baby (Kevin) entscheidet und anschließend ihre Beziehung zu ihm detailliert beschreibt, war ich wirklich gefesselt.



    Alles in allem kann ich dieses Buch nur weiterempfehlen. Auch wenn das Ende für mich seltsamerweise sehr überraschend war und ich danach tatsächlich gezittert habe.


    :fingerhoch

    "Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns." :eiskristall
    Franz Kafka


    :lesend Walsch: Gespräche mit Gott
    :lesend Norman: Grausames Spiel
    :lesend Patterson: 1st to die

  • Ich habe das Buch gerade ausgelesen und es hat mir unglaublich gut gefallen. Es war ehrlich, interessant und hat mich auch während den Pausen beim Lesen unheimlich beschäftigt.
    Allerdings stimme ich zu, dass es anfangs etwas schleppend vorangeht. Ich war zwar total interessiert, wie es weitergeht, hatte aber trotzdem die ganze Zeit einen Drang, noch irgendein anderes Buch nebenher zu lesen.. Was ich dann gelassen habe, denn ab etwa der Hälfte konnte ich das Buch absolut nicht mehr aus der Hand legen. Es hat mich richtig gepackt und mitgenommen.
    Ich konnte Eva teilweise super gut verstehen und irgendwie tat sie mir auch Leid. Und Franklins Blindheit hat mich oft geärgert. Das Ende war einfach nur gelungen, für mich eine totale Überraschung. ;)

  • Ich bin gerade damit fertig geworden. Das Buch stand lange Zeit auf meiner "Will ich noch lesen"-Liste; vor allem auch, weil mir "Das fünfte Kind" so gefallen hat. Jetzt, nachdem ich den Film auf arte gesehen habe, konnte ich mich endlich zum Lesen durchringen. Natürlich kannte ich durch den Film das Ende schon, auch den Sinn der Briefe, deshalb las ich es wohl etwas "ungespannter". Trotzdem kam ich nicht davon los. Gestern habe ich fast den ganzen Tag gelesen und wenn ich es nicht in der Hand hatte, ging es mir im Kopf herum.


    Kevin ist zweifellos ein "besonderes" Kind; seine Ablehnung - schon im Säuglingsalter - ist schwer nachvollziehbar. Jedes Neugeborene will zur Mutter, das ist ein Überlebensreflex. Hier spielt das subjektive Empfinden der Erzählerin sicher eine große Rolle.
    Aber andererseits finde ich es wohltuend, mal den normalen egoistischen Gefühlen einer werdenden Mutter eine Stimme zu geben. Es mag uncool sein, sich als Schwangere um die Folgen für die eigene schlanke Linie Gedanken zu machen, aber es kommt vor. Nur "erlaubt" ist es irgendwie nicht. Die ganze sog. Elternfalle ist in diesem Roman ausgezeichnet thematisiert. Ich glaube, die meisten Menschen, die selbst Kinder haben, werden das bestätigen können.
    Vieles ist mir andererseits unverständlich: Dass Kevin als Kleinkind nicht spielt, als Schulkind stundenlang den Wetterkanal anguckt (oder gar eine Bildstörung, den Schnee auf dem Bildschirm, wie es einmal heißt), diese totale Interesselosigkeit gegenüber allem muss für einen intelligenten Menschen ganz ungeheuer anstrengend sein - und das bloß, um die Mutter zu triezen? Ich glaube, anstelle dieser Mutter hätte ich mich mehr angestrengt, zu dem Kind vorzudringen, vor allem auch den Vater mal richtig einzuweihen. Für mein Gefühl hat sie sich viel zu vorschnell in eine Haltung untätigen Zynismus' zurückgezogen. Aber vermutlich hätte sie einfach besser gar kein Kind gehabt.