Carl-Johan Vallgren, Die Geschichte einer ungeheuerlichen Liebe

  • Ich möchte Euch einen meiner Lieblinge heute ans Herz legen.


    Carl-Johan Vallgren, Die Geschichte einer ungeheuerlichen Liebe



    Carl-Johan Vallgren


    geb 1964 in Linköping/Schweden.
    Von 1993 - 2003 lebte er in Berlin; seitdem in Stockholm.
    Er debütierte 1987 mit dem Roman "Die Nomaden"
    Im Herbst 2002 erschien "Die Geschichte einer ungerheuerlichen Liebe in Schweden.
    Für diesen Roman erhielt Vallgren den August-Preis (Nach August-Strindberg)
    für das beste belletristische Werk des Jahres.



    Inhalt


    In einer stürmischen Winternacht des Jahres 1813 wird Doktor Götz eilig zu
    dem wohl bekanntesten Bordell Königsberges gerufen um dort gleich zwei
    Frauen zu entbinden.
    Er entbindet ein gesundes Mädchen und einen Knaben, der jedoch dermaßen
    mißgebildet ist, dass ein Überleben unmöglich erscheint. Das kleinwüchsige Baby ist so verunstaltet und von "Gott gestraft", dass allein sein Anblick Abscheu und Ekel hervorruft. Doch das Kind überlegt, schwer fiebernd und blutend und stets am Rande des Todes, aber es überlebt und wächst in dem Bordell zusammen mit dem Mädchen Henriette auf, zu dem er eine tiefe Zuneigung entwickelt.


    Als das Etablissement ihrer Mütter viele Jahre später geschlossen wird, werden Hercule Barfuss und Henriette Vogel getrennt und verlieren sich aus den Augen.
    Hercules überaus abenteuerlicher Lebensweg führt ihn durch ganz Europa von Königsberg bis nach Rom, von Liverpool nach Berlin.


    Taubstumm und kleinwüchsig und mit einem grässlichem Äusseren gestraft, besitzt Hercule nicht nur ungeahnte Lebenskräfte, sondern auch die Fähigkeit, die Gedanken anderer zu lesen und zu beeinflussen.


    Die Katholische Kirche beäugt Barfuss mißtrauisch und beschließt, dass es sich bei dieser Mißgeburt um Teufelswerk handeln muß.


    Hercule gerät in die Fänge der wiederbelebten Inquisition der er nur knapp entrinnen kann.


    Er verdingt sich danach bei einem Wanderzirkus , wo er als abnorme Attraktion gilt aber auch die Freunschaft des Zirkusdirektors gewinnt, der ihn mit den Ideen der frühen Sozialisten, der romantischen Literatur und der Kunst in Berührung bringt..


    Durch die Freundschaft gewinnt er zwar etwas innere Ruhe, doch bleibt er
    die ganze Zeit auf der Suche nach seiner über alles geliebten Jugendfreundin.


    Sie lässt seinem Geist keinen Frieden, wie eine innere Pein treibt es ihn aus dem Zirkus hinaus aus dem Schutz der dieser für ihn bieten konnte und es beginnt eine furchtbare Irrfahrt durch die Klöster und Irrenhäuser, er kommt mehr und mehr herunter sowohl körperlich als auch geistig.


    Dann eines Tages trifft er Henriette und es scheint als sei sein Ziel Frieden und Liebe zu finden erreicht.
    Es gibt jedoch noch ein großes Hindernis: Henriettes Mann.




    Meine Meinung


    Meiner Meinung nach hat uns Herr Vallgren einen wunderschönen, eindringlichen, beeindruckenden Roman geschenkt.


    Eine Liebesgeschichte, einen Kriminalroman und zugleich einen unvergesslichen Abriss über eine historische Epoche. Man spürt die Zeit die der Autor in die Recherchen der Schauplätze und geschichtlichen Abläufe investiert hat.


    Aber nicht allein das macht das Buch zu einer Geschichte einer ungeheuerlichen Liebe.


    Im Rückblick von einem Nachkommern Hercule Barfuss´erzählt, der eben wie dieser mit dem Segen der Mißbildung und dem Fluch der Hellsichtigkeit beschenkt/gegeißelt ist, wie er sich ausdrückt,
    entfaltet sich vor uns eine facettenreiche, intensive,
    teilweise sogar betörende Sprache, die in den Bann zu ziehen vermag.


    Wir jubeln mit Hercule über kleine Liebesbeweise von Henriette in Ihrer Kindheit, wir leiden mit ihm unter der grausamen Geißel der Inquisition,voller
    Angst spüren wir seinen Körperlichen, und voller Entsetzen seinen Psychischen Abbau, den Verlust seiner Seele, die vom Umfeld gnadenlos gepeinigt peu a peu zu dem verkommt, was ihm vorgeworfen wird.
    Einem wilden Tier, einer bösartigen Kreatur, die nichts vermag außer zu hassen.


    Stilistisch ist die Geschichte einer ungeheuerlichen Liebe schwer zu vergleichen. Unter Zwang würde ich wagen zu behaupten, daß sie sprachlich phasenweise an das "Parfum" erinnert, aber NUR was die Eindringlichkeit betrifft.


    Ich hoffe, dass ein paar Eulen sich ranwagen.



    begeisterte Grüße Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

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  • Ich wünsche Euch, dass Ihr es genauso wundervoll findet wie ich.
    Ich freue mich immer, wenn der Zufall mir so ein Schätzchen in die Hände spielt.


    begeisterter Gruß von Elbereth :wave


    magali
    ich muss Dich leider enttäuschen, hab ich alles schon wieder nutzbringend
    investiert :grin

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    ― Bill Watterson

  • The Deed ist Done.


    Ich habe es gekauft.
    Und schon halb gelesen.


    Was für ein Buch!!


    Erste Eindrücke:
    es entwickelt erzählerisch eine Sogwirkung, der man sich nur schwer entziehen kann. Beim ersten Lesen bleibt der Kopf ziemlich auf der Strecke.
    Einiges Vorhersehbares, einige Längen, einiges an Unwahrscheinlichem nimmt man also hin.


    Das sind aber alles keine schwerwiegenden Einwände, wohlgemerkt!
    Trotz bestimmter eher märchenhafter Elemente ist die Geschichte glaubhaft, nicht zuletzt, weil sich der Autor wunderbar gekonnt wichtiger Versatzstücke der literarischen Romantik bedient, das hat manches von E.T.A. Hoffmann.


    Was mich persönlich stört, sind die vielen grausamen und gewaltätigen Szenen. Ich habe diesbezüglich eine ganz niedrige Toleranzschwelle, weil ich zu genau weiß, daß das Realität war und ist.



    Was mich von dem Buch überzeugt, ist die Erzählweise, die wilden Verwicklungen, die Lebendigkeit der Charaktere, der Mut, geradezu die Tollkühnheit des Autors Reales mit Phantastischem zu verbinden.
    Ich bin hingerissen von der Überzeugung, mit der Vallgren einen Roman schafft, eine eigene, erfundende Welt.
    Es gibt viel Fremdartiges, aber er erklärt nichts. Es gibt kein Glossar, es gibt kein Quellenverzeichnis, keine Beteuerungen, wie authentisch, gut recherchiert oder sonst was die Geschichte ist. Vallgren will nicht 'erziehen', nicht 'bilden'.
    Er führt uns in eine eigene Welt, überläßt den LeserInnen, was sie glauben wollen oder nicht.
    Sagenhaft.


    Der Vergleich mit 'Parfüm' drängt sich auf, weil es so wenig Vergleichbares in deutscher Sprache gibt. Vom Ansatz her ist es nicht ganz falsch, von der Erzählhaltung her, vom oberflächlich Atmosphärischen. Durchgängig aber stimmt es nicht, weil Vallgren nicht nur seine Personen, sondern Menschen überhaupt liebt und nicht verachtet. Er hat eine ganz altmodische humanistische Grundeinstellung.


    Eine wirkliche Entdeckung, Elbereth!
    :anbet


    magali (total verarmt!!)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ich bin jetzt auf den letzten fünfzig Seiten und immer noch sehr erfreut.
    :-]


    Zwischendurch war es furchtbar traurig! Aber toll gemacht, so was von intensiv.


    Die Wandlung des Helden vom blindwütigen Rächer zur Erkenntnis des wahrhaft Liebenden war für mich persönlich eine Spur zu romantisch, das liegt aber an mir!!
    Im Gesamtrahmen ist die Wandlung durchaus überzeugend und so, wie der Autor dann die Charakterentwicklung fortspinnt und die weitere Lebensgeschichte des Helden darstellt, ist es stimmig.
    Ein Autor, sozusagen, der weiß, wann er NICHT aufhören darf. :grin


    Ich habe noch ein bißchen auf den schwedischen Sites quergelesen. Es gibt eine Menge begeisterter LeserInnenstimmen.
    Was mich verblüfft, ist die Tatsache, daß die, die sich dazu äußern, vielfach betonen, daß sie durch Zufall an das Buch geraten sind, o b w o h l es doch einen Preis als bestes Buch 2002/3 bekommen hat.???
    Das Buch erobert sich offenbar eher durch Mund-zu-Mund-Propaganda seinen Platz.
    :wave

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    K. Kraus

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  • magali ,


    hach, Du weißt ja gar nicht, wie mich das freut, dass es Dir so gut gefällt


    *Brusthebtsichstolzgeschwellt* :grin


    falls noch jemand anderes sich rantraut, würde ich mich über mehr Kommentare
    freuen ...


    Montagmorgen Grüße von Elbereth :wave

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    ― Bill Watterson

  • Ich glaube der Titel hatte bei Suhrkamp einfach keinen Werbeetat.
    Eigentlich sehr schade, denn Mund zu Mund Propaganda ist doch derweilen langsam.


    Auf der anderen Seite ist es natürlich auch schön etwas zu verleihen oder zu empfehlen, dass relativ unbekannt ist :grin


    magali ,
    sag Bescheid, wenn Du durch bist, ja?


    Wetter ist mistig Grüße von Elbereth :wave

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    ― Bill Watterson

  • Bin ich doch!
    Seit Sonntag abend. Du glaubst doch nicht, daß ich das wieder weglegen konnte?
    Ich habe schon wegen Martha's Vineyard rumgegoogelt. Das ist wirklich gut in die Geschichte eingesponnen!


    Tolles Buch, 'Literatur' im Sinn von: nicht nur zum Verschlingen, sondern vielschichtig, angelehnt an Motive vor allem aus der Romantik, hat also beträchtliche Tiefe. Stilistisch sorgfältig, gut durchdacht, aber nie abgehoben.
    Spannend. Gruselig. Grausam. Romantisch. Originell. Überzeugend.
    Schöööööööööööööön.



    Suhrkamp ist wohl ein wenig problematisch. Zuweilen nehmen sie es mit dem 'literarischen' Anspruch so ernst, daß sie LeserInnen eher abschrecken, bzw. sich wohl selber 'billig' vorkommen, bloß weil sie ein bißchen werben.
    'Genie' setzt sich nicht von selber durch, vor allem nicht, wenn das Publikum von anderer Seite her überschwemmt wird mit vermeintlich ähnlichen Angeboten!


    Gruß aus dem Berliner Frühling, blauer Himmel und so :grin


    :wave


    magali

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    K. Kraus

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  • Gruß aus dem Berliner Frühling, blauer Himmel und so :grin


    *Mumpfel* wieso habt Ihr dat da imma so schööön, menno.


    Ich habe neulich übrigens bei Suhrkamp gespiekert, es sieht leider aber nicht so aus, als verfasste Herr Vallgren in absehbarer Zeit etwas Neues.


    Ich warte jetzt aber einfach, bis die Velagsvorschau von Suhrkamp eintrudelt :-]


    Es regnet bereits wieder Grüße von Elbereth :wave

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    ― Bill Watterson

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  • Ich weiss jetzt gar nicht, ob es mir gefallen hat, oder nicht. :wow
    Von der Sprache her und den langen, verschlungenen Sätzen fand ich es unheimlich schön, aber irgendwann so in der zweiten Hälfte hab ich dann aber angefangen, Seiten querzulesen, und ich war dann auch froh als ich durch war.