Die schwarzen Vögel - Maarten 't Hart

  • Niederländischer Originaltitel: De kroongetuige
    Erscheinungsjahr: 1993


    Kurzbeschreibung:
    Thomas Kuyper, ein Pharmakologe an einem Laboratorium der Leidener Universität, ist der letzte Mensch, der Jenny Foruyn, eine junge Studentin vor ihrem geheimnisvollen Verschwinden gesehen hat. Zeugen sagen aus, daß er nach einem Kneipenbesuch mitten in der Nacht Streit mit ihr hatte und nun wird er verdächtigt, sie ermordet zu haben. Schon schnell kommt man zu der Annahme, er habe sie getötet und danach an die Laborratten gefüttert. Er wird verhaftet und die Presse stürzt sich voll auf diesen sensationellen Fall.
    Nur seine Frau Leonie glaubt zunächst an seine Unschuld und macht auf eingene Faust Nachforschungen.


    Über den Autor:
    Maarten 't Hart wurde 1944 in Maassluis bei Rotterdam als Sohn des lokalen Totengräbers geboren. Er studierte an der Rijksuniversiteit Leiden Biologie und arbeitete dort viele Jahre als Dozent für Tierethologie, ehe er sich ganz der Schriftstellerei widmete.
    Maarten 't Hart lebt in Warmond, einem Vorort von Leiden.


    Meine Meinung:
    Gut, ich gebe es zu: das Buch habe ich mir vor allem gekauft, weil es in Leiden spielt. Sozusagen gleich bei mir um die Ecke. Das Laboratorium, um das es hier geht, kann ich sogar von meinem Haus aus sehen. Und viele Kneipen und andere Lokalitäten dieses Buches kenne oder - inwieweit sie nicht mehr bestehen, kannte ich.


    't Hart ist zwar nicht der bester Schriftsteller der Welt, aber das Buch ist sehr spannend aufgebaut und geht weit über einen „normalen“ Kriminalroman hinaus.
    Neben dem Rätselraten über die verschwundene Jenny, ein Seitensprung von Thomas, steht eigentlich das Ehepaar Thomas und Leonie zentral, deren Ehe zu zerbrechen droht, da Leonie sich mit ihrer Unfruchtbarkeit nicht abfinden kann. Sie ist so besessen von ihrem Kinderwunsch, daß sie ihren Mann dadurch regelrecht in die Arme einer anderen treibt. Das Buch ist also auch die Geschichte einer Ehekrise.


    Interessant ist die wechselnde Erzählperspektive:
    Im 1. Kapitel des total in 5 Kapitel untergliederten Buches ist Thomas die Ich-Person. Er schildert uns aus seiner Sicht die letzte Stunde, die er mit der verschwundenen Jenny verbracht hat.
    Das 2. Kapitel ist ein Briefwechsel zwischen den beiden Eheleuten, und in den letzten 3 Kapiteln, die den größten Teil des Buches umfassen, schlüpft Leonie in die Haut der Erzählerin.


    Diese Metamorphose der Ich-Person, soll – so behaupten einige Kritiker – die Vorliebe van 't Hart reflektieren, die Welt ab und zu aus der Perspektive einer Frau zu erforschen. Er hat sich zu Anfang der 90er Jahre als Travestit geoutet, mit Joan Collins (die Alexis aus dem Denver-Clan) als Rollenmodell.


    Endbeurteilung:
    Ein alternativer Kriminalroman mit Tiefgang, der sich nicht nur spannend liest, sondern auch interessante biologische Fakten enthüllt und durch einen urigen Humor den Leser zum Lachen bringt.
    Durchaus lesenswert.
    7,5 Punkte
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  • Danke, Wilma Wattwurm für diese schöne und interessante Beschreibung.


    Ich schätze Maarten't Hart als Erzähler sehr (habe schon "Die Jakobsleiter" und "Das Wüten der ganzen WElt" von ihm gelesen). "Die schwarzen Vögel" liegt schon lange auf meinem SUB.


    Meiner Erfahrung nach gelingt es t'Hart immer ganz großartig, sich in andere Personen hineinzuversetzen, Gefühle zu beschreiben und Motivationen. Die wechselnde Erzählerperspektive machen die Sache wohl noch interessanter.


    Danke auch für das Detail am RAnde (Transvestit), das ist mir auch ganz neu.

  • Das war jetzt mein erster Roman des Autors - und er hat mir sehr gut gefallen!


    Die Geschichte ist richtig spannend und immer unterhaltsam. Den Perspektivwechsel fand ich auch sehr interessant, zudem er raffiniert gestaltet ist - von Thomas' Ich-Erzähler-Perspektive über den Briefwechsel, in dem noch Thomas und Leonie zu Wort kommen zu ihrem Tagebuch, um schließlich sie als Ich-Erzählerin auftreten zu lassen.


    Die Tagebucheinträge erstrecken sich übrigens meist über mehrere Seiten und entwickeln sich jeweils so, dass man gar nicht mehr das Gefühl hat, ein Tagebuch zu lesen: sie schreibt, wo sie hinging, mit wem sie redete und ganze Dialoge sind darin enthalten. Also liest es sich auch hier wie eine ganz normale Geschichte, was ich sehr gut finde.


    Ein bisschen gestört hat mich erst die mehrmalige Erwähnung von Nietzsche, diversen Komponisten und Dichtern, weil es oftmals aufgesetzt wirkt, so als wollte der Autor unbedingt sein Wissen unterbringen. Mit der Zeit gewöhnte ich mich aber daran.


    Die Figur des Ermittlers Lambert finde ich neben den Hauptfiguren auch sehr interessant; er wirkt klug und bedrohlich, aber nie unerschütterlich, was ihn auch wieder sehr menschlich macht.


    Insgesamt sind die Figuren aber etwas abstrakt, man kommt ihnen nicht richtig nahe, trotzdem beeindrucken sie.


    Es ist ein Roman, der immer etwas düster wirkt und mysteriös. Mir hat das Lesen großen Spaß gemacht und ich kann ihn nur empfehlen.


    Der Roman "Die Sonnenuhr" knüpft an "Die schwarzen Vögel" an, hier spielt wieder Leonie die Hauptrolle - ich habe den Doppelband, da sind beide Romane enthalten (kostet 10,00 €, genauso viel, wie die Romane jeweils einzeln kosten und da der Doppelband gut aussieht und sich gut anfühlt und handlich ist, empfehle ich den auch).


    9/10 Punkte


    Gruß, Bell

  • Eigentlich mag ich ja langsame, tiefgründige und unblutige Krimis, weshalb "Die schwarzen Vögel" ganz gut in mein Leseraster passte.
    Leider haben sich meine Erwartungen nicht so richtig erfüllt. Die Geschichte ist zwar ganz hübsch ausgedacht, die Wendungen gut platziert und der Plot interessant, in der Ausführung haben mich aber so einige Dinge gestört.
    Etwa die Tiefgründigkeit: die sollte wohl in erster Linie durch wiederholte Bezüge zur Weltliteratur bzw. klassischen Musik, Bell erwähnte es bereits, hergestellt werden. Vielleicht fehlt mir ja der Zugang, aber für mich waren sie einfach nur Staffage, um das Bild eines, wie ich finde, versnobten Bildungsbürgertums zu zeichnen, dass sich weltoffen und gebildet wähnt, letzten Endes aber engstirnig und intolerant ist.
    Hierzu passt auch die Verbitterung Leonies über ihre ungewollte Kinderlosigkeit, die nicht in das Konzept ihres bürgerlichen Lebensentwurfs passt. Anstatt sich in das Unvermeidliche zu fügen und sich eine sinnvolle Aufgabe zu suchen, verliert sie sich im Kummer um das nicht geborene Kind, das sie vermutlich gerne mit zweieinhalb zum Geigenunterricht geschleppt hätte. Dies und ihre maßlose Eifersucht haben mir die Lektüre ernsthaft verleidet, schien es sich doch ansonsten um eine, wie meine Oma gesagt hätte, patente Person zu handeln.
    Das Ende lässt einige Fragen offen, vielleicht sollte das einfach ein Cliffhanger sein, ich hatte eher den Eindruck, dem Autor ist selbst keine schlüssige Auflösung für alle Probleme eingefallen.
    Neben diesen inhaltlichen Schwierigkeiten, die ich mit dem Buch hatte (und es waren noch einige mehr), wirkte auch der Perspektivwechsel auf mich eher unbeholfen: die Intention des Autors ist zwar offensichtlich, richtig geglückt ist es aber nicht, da zwar formal ein Wechsel von Ich-Perpektive, Briefwechsel und Tagebuch stattfindet, sich dieser Wechsel aber weder in der Sprache, noch inhaltlich niederschlägt, weshalb er aufgesetzt und letztlich überflüssig wirkt.


    Fazit: kein Reinfall, aber sicherlich auch kein Autor, von dem ich mir noch mehr Bücher ins Regal stellen werde.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)