Der Wettermacher

  • So, auf Wunsch einiger stelle ich hier meine Geschichte ein, mit der ich den Junior-Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb gewonnen hab.
    Das Thema war "Nichts schöneres unter der Sonne" und die einzige Vorgabe war eine maximale Länge von zwei Seiten.
    Viel Spaß beim Lesen, freue mich immer über Kommentare und Kritik etc.


    Liebe Grüße, Kim


    Der Wettermacher


    "Du bist also Jan Greeven, wohnhaft in der Jugendunterkunft 14b, Bezirk drei, Bloomshaven City. Korrekt? "
    Der blässliche Junge auf dem orangefarbenen Plastiksessel nickte kurz und widmete sich intensiv der Betrachtung seiner Hände.
    Die Psychologin, Professor Greetje Lievenhoog sah kurz in seine Akte und blickte dann zu ihm, doch er wich ihren Augen aus.
    "Jan, du weißt, wieso du hier bist. Und du weißt, dass ich das weiß. Und ich denke, du bist alt genug um zu wissen, welche Konsequenzen deine Tat haben wird.
    Aber wenn du kooperierst, dann könnte das dein Strafmaß verringern."
    Jan blickte stumm auf den dunkelgrünen Algenfaserteppich.
    Professor Lievenhoog erhob sich aus ihrem Kunstledersessel, schritt um den schwarzen Metallschreibtisch herum und zog sich einen zweiten Plastiksessel zu dem Jungen her, um sich vor Jan hinzusetzen. Sie musterte ihn prüfend.


    Der soll 15 sein? Er sieht aus wie 12. Ich muss versuchen sein Vertrauen zu gewinnen um ihm sein Geheimnis zu entlocken. Vertrauen schaffen, denk daran, Greetje.


    Sie strich eine Strähne ihres blaugefärbten Haares aus der Stirn und legte Jan die Hand auf die Schulter. Der Stoff des hellen Synthetik-Shirts fühlte sich ungewohnt an. Greetje selbst konnte sich denn Luxus von Baumwollkleidung leisten, die Rauheit des Synthetikstoffes war ihr unangenehm. Sie zog die Hand zurück. Jan blickte sie aus seinen grauen Augen ausdruckslos an.


    Seine Augen haben die Farbe von Regenwolken. Und es liegt... Sehnsucht darin.


    Greetje seufzte.
    "Jan, was du getan hast, war keine Kleinigkeit! In die Wetterstation einbrechen und ein Gewitter erzeugen!
    Du hast der gesamten Stadt einen gewaltigen Schrecken eingejagt und alle in Gefahr gebracht. Der Schaden beträgt Tausende! Deine Blitze sind überall eingeschlagen und haben mehrere Häuser in Brand gesetzt. In Brand! Es war reines Glück, dass keiner gestorben ist. Bist du dir darüber überhaupt im Klaren?"
    Greetje wurde langsam ungeduldig, mahnte sich jedoch innerlich zur Ruhe und Geduld. Schließlich war sie nicht erst seit gestern Psychologin. Aber dieser Junge hatte etwas an sich, das sie verwirrte.
    Jan drehte den Kopf weg und blickte zum Fenster. Draußen schien die Sonne. Wie immer.
    "Es ist falsch", flüsterte er und sah zurück zu Greetje Lievenhoog. Seine Stimme klang heiser.


    Wie künstlich sie doch selbst ist, mit ihren Kunsthaaren, den Plastikfingernägeln und den bunten Klebewimpern. Sie wird es nicht verstehen. Keiner von ihnen wird es verstehen.


    "Was ist falsch?", fragte sie prompt mit unverhohlener Neugier.
    "Das Wetter, es ist nicht richtig, dass wir es machen.
    Das bringt alles durcheinander. Wir dürfen die
    Natur nicht so manipulieren", antwortete er mit leiser Stimme.
    "Wieso denn?", fragte die Professorin erstaunt. "Es ist doch toll, wenn wir selbst bestimmen können, wann es regnet und wann wir gutes Wetter brauchen. Was soll daran falsch sein? Ich verstehe dich nicht, Junge. Was könnte es denn schöneres geben, als immer Sonnenschein zu haben?"


    Ich wusste, dass sie es nicht verstehen wird. Keiner von ihnen versteht es. Aber wir können es nicht mehr aushalten. Ich musste es einfach tun, für uns… Für Lisa, für Tomte, für Klaas und Katrinka… für unsere Sehnsucht... Sehnsucht nach Regen…


    Er sah Greetje an.
    "Warum?", murmelte sie verstört. "Ich verstehe es nicht…"
    Da brach es aus Jan heraus: "Haben Sie denn noch nie diese Sehnsucht nach Regen gefühlt?
    Die Tropfen auf der Haut spüren; die Blitze, die den Himmel erhellen; der Donner, der dumpf über unseren Köpfen grollt; der Sturmwind in den Haaren. Wenn es beginnt, wenn der Himmel sich langsam verdunkelt von den herannahenden Wolken, riesige Wolkengebirge die sich auftürmen, dann bricht es los, ganz plötzlich, überraschend. Die Tropfen prasseln auf die Welt hernieder, es klatscht und spritzt und man spürt, dass man lebt…"
    Er brach ab und eine Träne rollte über seine Wange.
    Beide schwiegen eine Zeit lang.
    Dann sagte Greetje vorsichtig: " Aber Jan… Man hat doch die Regenschauer absichtlich in die Nacht verlegt. Ein kurzer Schauer, damit die Erde ihre Feuchtigkeit erhält und ansonsten milder Sonnenschein. Das war ein großer Schritt in der Wetterforschung. Wieso bist du dagegen? Wie kann dir denn ein Gewitter gefallen? Es ist nass, kalt, laut…"
    Jan schüttelte den Kopf.
    "Nein… es ist lebendig! Es ist natürlich! Es ist Natur! Nur weil einige Menschen lieber durchgehend Sonnenschein haben, enthalten sie allen anderen die Schönheiten des Wetters vor. Das ist doch nicht fair!"
    "Ich.. ich verstehe einfach nicht, warum ein Gewitter schöner sein soll, als Sonnenschein… Was gibt es schöneres unter der Sonne, als unter der Sonne zu sein?"
    Jan schüttelte den Kopf.
    "Ich habe es Ihnen erklärt, aber Sie können es nicht verstehen."
    Dann schwieg er. Greetje dachte nach.
    Dann ging sie langsam zu ihrem Schreibtisch und notierte ihr Sitzungsergebnis in Jans Akte.


    Der minderjährige Täter Jan Greeven erkennt seine Schuld, gab jedoch der Vermutung Anlass, diese Tat wiederholen zu wollen und zeigt keinerlei Reue. Er ist somit eine Gefährdung für die Allgemeinheit.Er ist somit eine Gefährdung für die Allgemeinheit.
    Ich empfehle vorläufige Sicherheitsverwahrung und eine langfristige Therapie, um ihn wieder in die Gesellschaft einzugliedern.
    Das Sitzungsprotokoll liegt bei.


    Mit freundlichen Grüßen,
    Greetje Lievenhoog

  • Mir gefällts. Eine schöne Idee, gut umgesetzt. Mir gefallen zwar die herausgestellten, anders formatierten Gedanken nicht (die wären auch anders im Text integrierbar gewesen), aber mMn ist ansonsten nicht wirklich etwas an der Geschichte auszusetzen. Ein paar Sätze hätte ich umgestellt, nichts wichtiges. Weitermachen!


    Glückwunsch zum Preis!


    Gruss,


    Doc

  • Vielen Dank!
    Hach, da freu ich mich aber über dieses Lob. :-)
    Vielleicht kann ich ja doch schreiben...
    Dabei war diese Geschichte ein echter Glückstreffer, sie war plötzlich in meinem Kopf und ich hab sie aufgeschrieben...


    Edit: Achja, Tom, magst du mir verraten, wo die Geschichte unlogisch ist?

  • Schöne Idee, die du gekonnt umgesetzt hast. Mir gefielen vor allem die Beschreibungen der Gegensätze zwischen der Kunstfigur Greetje in ihrer künstlichen Umgebung, die trotzdem einen Hang zu Baumwolle hat und dem natursehnsüchtigen Jan. :-)

  • Hallo, Kim.


    Zitat

    Achja, Tom, magst du mir verraten, wo die Geschichte unlogisch ist?


    Daß man so harte Grenzen setzt und es ausschließlich nachts regnen läßt, das erscheint mir unwahrscheinlich, hätte man diese Möglichkeiten. Kein Mensch würde wollen, daß man Regen nicht mehr tagsüber erleben kann. Alleine die Regelung und absolute Vorhersehbarkeit des Wetters hätte als Ausgangspunkt genügt. Aber das sind Korinthen; man muß auch ein wenig übertreiben (dürfen), um eine Botschaft zu vermitteln. :wave

  • Achso, na dann.. ich dachte schon, ich hätte einen groben Logikfehler eingebaut, aber so geht das ja noch.


    Nun, ich denke mir das so, dass da irgendeine Regierung beschlossen hat, es nur noch nachts regnen zu lassen und die Leute sich eben mehr oder weniger damit abgefunden haben. Nur die Jugendlichen eben nicht alle.

  • Huhu, Kim.


    Das war mir schon klar, daß es so gewesen sein muß. Natürlich kann es aus wirtschaftlichen Gründen auch Sinn machen, tagsüber ausschließlich Sonnenschein zu haben, immer und zu jeder Jahreszeit. Aber sogar sehr selbstherrlichen Regierungen ist klar, daß man sich mit sowas selbst ins Knie schießt. Wie auch immer, nicht wirklich ein "logischer Fehler", sondern eher eine Absonderlichkeit, die ich so nicht ganz abkaufe. Ist aber, wie gesagt, marginal.

  • Ich mag die Geschichte auch, aber ich finde, dass die Psychologin zu ungeduldig ist. Sich bereits in den ersten Minuten selbst sagen zu müssen, dass sie die Geduld nicht verlieren darf klingt... übertrieben. Ich finde der Monolog von ihr hätte länger ausfallen müssen, um ihre Gedankengänge so weit zu treiben. Aber vermutlich hatte der Wettbewerb eine Obergrenze zur Länge des Textes, oder?


    Was den "Logikfehler" angeht, den Tom kritisiert; ich glaube, dass sich ganze Gesellschaften im Lauf der Zeit verändern können, genauso wie das Empfinden und die Weltanschauung der einzelnen Individuen (oder des Kollektivs). Beispiele dafür sind etwa das Biedermeyer-Syndrom in Deutschland, was die Zeit bezeichnet, in der sich fast die gesamte Bevölkerung aufgrund von Resignation aus der Politik und dem Weltgeschehen zurückgezogen hat, oder auch das subjektive Schönheitsempfinden. In der Antike wurden dicklichere Menschen als wesentlich schöner empfunden (da eine gewisse Masse auf Wohlstand hindeutete), was im Gegensatz zur wachsenden Magersucht und der Schönheitsideale der heutigen Zeit steht.
    Und genauso denke ich, dass sich auch das Verhältnis der Menschen zu Regen verändern könnte, sodass diese ihn eben eher als notwendiges Übel betrachten. Ich würde die Geschichte dem Social Fiction zuordnen und finde das insofern eigentlich schon "schlüssig".

  • Wow erstmal! Ich find die Geschichte klasse!
    Die Tatsachen, dass der Regen auf die Nacht verschoben wurde und dass die Psychologin so vorschnell ist, stören mich nicht, im Gegenteil: Sie charakterisieren die Geschichte und sagen einiges über die Menschen oder auch viel zu vernünftigen Erwachsenen aus, die jegliche Kindheitsgefühle verloren haben.
    Außerdem kann ich mich sehr gut in Jan und die anderen Kinder hineinfühlen; Regen ist mein Lieblingswetter und Gewitter ist eines der spannendsten Dinge, die es gibt. Allein auf den Geruch von aufgewirbeltem Straßenstaub, der vom Regen verursacht wird, könnte ich nicht verzichten!
    Die Geschichte ist echt toll. Mach weiter so!

    Roxane :-]



    Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort,
    und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort ...

  • Sehr schön, Kim, eine tolle Kurzgeschichte, die man sich zu Herzen nehmen und mal durch den Kopf gehen lassen sollte!
    Mein Kompliment! Deine Protagonisten finde ich sehr interessant, beide führen einen klugen Dialog!

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