Hans-Ulrich Treichel - Der Verlorene

  • Kurzbeschreibung (von Amazon)
    Eine Familie hat es nach der Flucht aus dem Osten im deutschen Westen zu etwas gebracht. Doch das alltägliche Leben wird von nur einem Thema beherrscht: der Suche nach dem auf dem Treck verlorengegangenen Erstgeborenen, Arnold. Der jüngere Bruder und Ich-Erzähler des Romans erfaßt schnell, daß ihm nur eine Nebenrolle zugedacht ist. In seiner Vorstellung wird das, was die Eltern ersehnen, nämlich die Rückkehr des Verschwundenen, zum Alptraum. Lakonisch-distanziert und zugleich ironisch-humorvoll erzählt Hans-Ulrich Treichel, Jahrgang 1952, die Geschichte seiner Generation.


    Meine Meinung:


    Nachdem Elke Heidenreich in ihrer Sendung "Lesen" auf diesen Autor und zwei seiner Werke aufmerksam gemacht hat, interessierte ich mich für den "Verlorenen". Ich stellte es mir interessant vor, ein Junge, dessen Bruder auf der Flucht vor den Russen verlorenging, der nun gesucht wird.


    Die Schreibweise des Autors hat mich aber schon vor die erste Geduldsprobe gestellt: Ohne Absatz oder gar Kapitel schreibt er vor sich hin. Beschreibt, dass der Junge auf Fotos immer nur teilweise zu sehen war, beschreibt, wie der Vater Karriere gemacht hat und schließlich, wie sich die Familie auf die Suche nach dem Sohn macht. Findelkind 2307 könnte der verlorene Sohn sein, also unterziehen sie sich Tests. Dabei wird dieses und jenes vermessen, man trifft einen Leichenwagenfahrer... und dann verlor ich die Geduld.


    Ohne auf den Punkt zu kommen springt der Autor von einem Thema zum nächsten, nahtlos, so wie es ihm in den Sinn kam. Ich sah jedenfalls keinen Sinn drin, meine Zeit mit diesem Buch weiter zu vergeuden. Also brach ich nach 100 Seiten ab, obwohl es nur noch 74 Seiten bis zum Ziel waren. Doch die wollte ich mir nicht antun.


    Ich bin erstaunt, dass Elke Heidenreich Gefallen an diesem Buch gefunden hat, wie sie es interpretiert hat, wie sie es überhaupt anpreisen konnte.


    Ich konnte zwei Schlüsse aus diesem Buch ziehen: Treichel ist nichts für mich - ebensowenig wie die Leseempfehlungen von Elke Heidenreich.

  • Zwar habe ich die Sendung nicht gesehen, aber das Buch auch gelesen. In einigen Punkten kann ich mich anschließen. Der Autor schreibt in der Tat mehr "vor sich hin" als das er lange am Text feilt. Das hat für mich allerdings streckenweise ganz gut funktioniert, weil es dadurch einen authentischen Touch bekommen hat. Manchmal übertreibt er es in seinen Gedankengängen jedoch Maßlos. Ich habe aber durchgehalten! :-]

  • Bei Elke Heidenreich in Lesen wurde nach meiner Erinnerung Treichels neuer Roman "Menschenflug", mit der selben Handlung (da Fortsetzung), mehr erwähnt, als "Der Verlorene".
    Deswegen kam vielleicht nicht so stark heraus, dass Treichel´s Stil leicht elitär und anstrengend wirken kann.
    Ich empfehle daher eher sein Buch"Der irdische Amor", das ist leichter zu lesen und witziger.


    Ansosnsten fand ich auch "Der Verlorene" nicht so schlecht.
    Die Idee ist originell. Die Gefühle des jüngeren Sohnes werden nachvollziehbar geschildert, der Kleinstadtmief ist ganz gut beschrieben und ganz unliteraisch schreibt Treichel auch nicht.

  • die ersten Seiten fand ich auch noch gut, aber es zog sich und zog sich... und irgendwann empfand ich es nicht mehr als gut, sondern nur noch zäh.


    @ Herr Palomar: Ja, Menschenflug wurde hauptsächlich vorgestellt, aber der Verlorene wurde als "Vorgängerband" ebenso vorgestellt. Daher hab ich mich zuerst an dieses Buch gemacht.

  • Es ist ein paar Jahre her, dass ich dieses Buch gelesen habe, aber ich habe es in guter Erinnerung (und das, obwohl sich mein Geschmack mit dem von Frau Heidenreich oftmals nicht deckt...). Ich mochte Treichels Stil.

  • Suhrkamp - 176 Seiten - TB



    Autor: Hans-Ulrich Treichel, am 12.8.1952 in Versmold/Westfalen geboren, lebt in Berlin und Leipzig. Er studierte Germanistik an der Freien Universität Berlin und promovierte 1984 mit einer Arbeit über Wolfgang Koeppen. Er war Lektor für deutsche Sprache an der Universität Salerno und an der Scuola Normale Superiore Pisa. Von 1985-1991 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Neuere Deutsche Literatur an der FU Berlin und habilitierte sich 1993. Seit 1995 ist Hans-Ulrich Treichel Professor am Deutschen Literaturinstitut der Universität Leipzig. (Quelle: Suhrkamp)



    Kurzbeschreibung (laut Amazon): Eine Familie hat es nach der Flucht aus dem Osten im deutschen Westen zu etwas gebracht. Doch das alltägliche Leben wird von nur einem Thema beherrscht: der Suche nach dem auf dem Treck verlorengegangenen Erstgeborenen, Arnold. Der jüngere Bruder und Ich-Erzähler des Romans erfaßt schnell, daß ihm nur eine Nebenrolle zugedacht ist. In seiner Vorstellung wird das, was die Eltern ersehnen, nämlich die Rückkehr des Verschwundenen, zum Alptraum. Lakonisch-distanziert und zugleich ironisch-humorvoll erzählt Hans-Ulrich Treichel, Jahrgang 1952, die Geschichte seiner Generation.



    Meinung: Diese kurze Geschichte von Treichel handelt von einer Familie, die aus Russland vertrieben wurden und dabei ihren Erstgeborenen verloren haben. Erzählt wird aus Sicht des jüngeren Bruders, der das verzweifelte Verhalten und die Ruhelosigkeit der Eltern in grotesken Szenen beschreibt, die erstaunlich bestürzen.


    Viele Themen der Nachkriegszeit werden hier angegangen, nicht im Detail, denn aus Sicht eines Kindes sind es stets verschwommene, unklar bedrückende Geschehnisse, die nicht in Gänze erfasst werden können aber die bittere Realität, die dahinter steckt, erahnen lässt: die Schrecken der Flucht, die Vergewaltigung der Mutter, der Rassenhass. Und all dies immer mit Blick auf den verlorenen Sohn dessen "verloren gegangen sein" vor allem von der Mutter nicht überwunden werden kann. Die Selbstvorwürfe und das aus diesem Schuldgefühl heraus entstehende egozentrische Verhalten der Mutter sind nervenzerreißend für alle Beteiligten - vor allem aber natürlich für den Ich-Erzähler, der sich zunehmend nichts mehr wünscht, als das Arnold aus seinem Leben verschwindet.


    "Damit war, für mich jedenfalls, Arnold ein weiteres Mal gestorben. Beziehungsweise das Findelkind 2307. So unwahrscheinlich es nun war, daß es sich bei dem Findelkind um meinen Bruder handelte, so unwahrscheinlich war es nun auch geworden, daß ich mit ihm mein Zimmer teilen mußte. Ich war beruhigt, auch ein wenig enttäuscht, aber mehr beruhigt als enttäuscht. "


    Höhepunkt der Geschichte sind die Untersuchungen in Heidelberg, die die Eltern und der Ich-Erzähler über sich ergehen lassen müssen, um herauszufinden ob das "Findelkind 2307" der verlorene Sohn Arnold sein könnte. Es ist eine schmerzhafte Odyssee, die letztendlich ein ebenso schmerzhaftes aber absolut angemessenes Ende nimmt.


    Und so, nämlich aus Sicht des kindlichen Erzählers, bringt es Treichel mit seiner Erzählung fertig, diese eigentlich furchtbare Geschichte - eine Atmosphäre voller Schuldgefühle - in eine tragikkomische Verpackung zu hüllen, die über den monotonen Stil Distanz bewirkt aber dabei mit dem bestechend klaren Blick des Erzählers spannend bis zuletzt einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Treichel ist ohne Zweifel ein ganz großer Erzähler.


    Fazit: Eine schmerzhafte Suche nach dem verlorenen Sohn und der verlorenen Vergangenheit, die die Unmöglichkeit der Aufarbeitung dieser Geschehnisse vor Augen führt. Eine kurze aber sehr eindringliche Nachkriegserzählung.
    Sehr empfehlenswert!

  • buzzaldrin :
    Das liegt daran, dass dieses Buch hier schon mal von geli vorgestellt wurde *schäm*, die es nicht so gut fand.
    Ich denke jedoch, dass es dir auch sehr gut gefallen könnte - wenn ich das mal so anmerken darf. :-]


    EDIT: Ich habe den Thread selbst schon an Wolke gemeldet zwecks Zusammenlegung.

  • Die Stimmungslage nach dem 2. Weltkrieg in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts, der Wiederaufbau, aber auch die Sprachlosigkeit innerhalb der Familien und der Gesellschaft über das, was geschah in der Zeit des Nationalsozialismus und der Flucht, habe ich als gut eingefangen empfunden. Ein Monolog von einem, der von sich sagt, sagen muss: „Ich war nur das, was sie nicht hatte“ (Seite 140), der, so kam es mir vor, mit sich selbst reden muss, weil es andere nicht oder kaum tun, der sich vergewissern muss mit seiner über 174 Seiten andauernden Wortflut, dass er ist, wer er ist mit all seinen Verletzungen, seinem Zurückgestoßensein, er, der weder Objekt noch Subjekt irgendeiner Sehnsucht ist. „... es gab keinen Frieden“ heißt es an einer Stelle (Seite 45 der Taschenbuchausgabe) in Bezug auf den Vater, es gilt für die ganze Familie. Die Suche nach etwas Verlorenem, der letztlich mangelnde Halt an- und untereinander, das Festhalten der Elterngeneration an einigen beschriebenen fragwürdigen Werten und Vorstellungen wirken einerseits bedrückend, andererseits durch durchschimmernde Naivität und auch Distanziertheit des – jugendlichen – Erzählenden hin und wieder fast tragikomisch.
    „Der Verlorene“ war mein erstes Buch von Hans-Ulrich Treichel. Mir hat es gut gefallen.

  • Zwischen gelis und meinem Beitrag liegen jetzt fünfzehn Jahre und ich bin nur auf dieses Buch aufmerksam geworden, da ein Kind meiner Freunde über "Der Verlorene" seine Abivorbereitungsklausur schreibt und ich mir von den Büchereulen positivere Meinungen als die der Abiturientin versprochen hatte. Es scheint nicht an dem zu sein ...