Schreibwettbewerb Mai 2006 - Thema: "Jenseits von Gut und Böse"

  • Thema Mai 2006:


    "Jenseits von Gut und Böse"


    Vom 01. bis 20. Mai 2006 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb Mai 2006 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.


    Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!


    Nur für registrierte Mitglieder mit mindestens 50 Beiträgen!


    Eine Bitte: Schickt uns Eure Beiträge als .doc oder .rtf und sendet sie uns als Anhang in einer Mail. Damit kommen dann auch Zeilenumbrüche, etc. richtig bei uns an. In Word könnt ihr dann auch die Rechtschreibhilfe nutzen und unter „Extras“ habt ihr die Möglichkeit „Wörter zählen“.


    Wir wünschen Euch viel Spaß und viel Erfolg!

  • von Voltaire



    500 Wörter! Nicht eines mehr wird gestattet. So ist die Regel.
    So wie das Kaninchen auf die Schlange starrt, so starre ich auf das Thema. Schon beim Denken beginnt das Kürzen der Gedanken. 500 Wörter! Ein Wort mehr führt zum Ausschluss.


    „Jenseits von Gut und Böse“. Das Thema in meinen Kopf gemeißelt.


    Wörterzählend in das wortlose Traumland gefallen. Erholsamer Schlaf ist nur noch eine dunkle Erinnerung.

    Jeder Blick sucht die Geschichte, jedes Wort wird gierig aufgesogen, prüfend verworfen oder billigend notiert.


    Fünf schmale Stufen steige ich hinauf, auf den Richtplatz der Kritik. Lächelnd schaut mich das Fallbeil an. Verhüllt mit langen Mänteln, die Gesichter verborgen hinter dunklen Kapuzen, stehen sie da, die „Dieter-Bohlens-der-Literaturkritik“, der Elferrat der Beurteilungsinquisition. Aus meinem Angstschweiß brauen sie ihren Lebenssaft.


    Ihr Daumen, schon nach unten zeigend, lassen mich die Tendenz ahnen.


    132 (?) Wörter sind verbraucht, 368 (?) Wörter sitzend, wartend auf ihre vielleicht nur zufällige Aneinanderreihung.


    Jeder Satz wird zur Stütze seines Vorgängers. Jeder Satz fluchtbereit, den Blick gerichtet auf das Mienenspiel der unerbittlichen Beurteilungsriesen, nervös die Frage überlegend: Was wollen sie denn hören? Wie erreiche ich ihre Milde?


    Unruhe auf dem Papier. Die Wörter stoßen sich gegenseitig an, purzeln durch- und übereinander. Langsam wird es auch ihnen klar, ihr Traum ist nur noch Makulatur, ihr Traum, sich einmal kraftvoll aneinander zu reihen, den Sachen und Lebewesen um ihnen herum etwas zu sagen, ihnen Leben einzuhauchen, vielleicht aber auch nur abgelegt im Müllbeutel der verbrauchten Wörter und Sätze. Resigniert verharren sie in ihrer sinnleeren Existenz. Irgendwann werden sie verblasst sein, wenn nicht vorher schon zerrissen, verbrannt.


    Das Papier flieht vor den sprudelnden Ideen.


    Jenseits von Gut und Böse. Jenseits von Eden. Jenseits von was auch immer. Die Wörter sind bereit sich dem Urteil zu stellen, sich ihm zu unterwerfen.

  • von Polli



    Zu Beginn des Sommersemesters kommt Hermann in einer WG unter. Nichts Besonderes in einem Universitätsstädtchen. Für ihn schon. Ada, seine Haushälterin, hat ihm unmissverständlich klargemacht, dass sie in Rente gehen wird. Oder nach Bamberg ziehen will?


    “Man lügt wohl mit dem Munde, aber mit dem Maule, das man dabei macht, sagt man doch die Wahrheit”, zitiert Hermann und schaut Ada finster von der Seite an. Sie verhält sich seltsam, schüttelt ihm zum Abschied lange, zu lange die Hand. Ungewöhnlich – ihr, der Resoluten, stehen Tränen in den Augen.


    Die WG ist so, wie sie Hermann aus seiner Studentenzeit kennt. Es gibt einen Aufenthaltsraum mit Küchenzeile, dazu mehrere Zimmer.
    “Ich stelle Sie den anderen vor”, sagt der junge Mann im Strickpullover. “Ist es Ihnen recht, wenn ich Sie Hermann nenne?”
    “Ich bin Philosoph, junger Mann.”
    “Natürlich.”
    Die anderen mustern ihn.
    “Hermann, Ihr neuer Mitbewohner, Philosoph. Inge, Ela, Theo.”
    Hermann zitiert: “Ein Philosoph: das ist ein Mensch, der beständig außerordentliche Dinge erlebt, sieht, hört, argwöhnt ...”
    “Dann sind Sie hier genau richtig, Hermann”, sagt der junge Mann.
    “Ich bin Philosoph, junger Freund.”
    “Natürlich.”


    Beim Essen nehmen sie ihre gewohnten Plätze ein. Inge und Ela sitzen sich gegenüber, Theo steuert den Fensterplatz an. Ärgerlich! Seit Jahrzehnten pflegt Hermann am Fenster zu sitzen. “Ada!”, ruft er.
    “Suppe, Hermann?”, fragt der Schnösel, der sich ungefragt in Adas Angelegenheiten einmischt.
    “Ich bin Philosoph, ich lese Kant, Nietzsche. Ich zitiere -”
    “Später, Hermann. Jetzt ist Essenszeit. Ich schlage vor, dass Sie sich auf den freien Platz setzen.”
    Hermann ist ungehalten. Dieser Thilo beginnt zu essen. Rücksichtslos! Die Frauen eifern ihm nach.
    “Ada! Mein Platz! Mein Essen!”
    “Ada arbeitet nicht mehr für Sie. Sie leben jetzt in der Außenwohngruppe von Haus Gottessegen.”
    Lügner, dieser Fremde!
    “Ada!”
    “Ich begleite Sie hinaus in Ihr Zimmer und Sie essen später.”
    Wie Ada. Der Tonfall duldet keine Widerrede. Er lässt sich hinausführen in ein unbekanntes Zimmer.
    “Legen Sie sich hin, wenn Sie mögen, Hermann.”
    “Philosoph.”
    “Ich weiß. Sie lesen Nietzsche.”
    “Sehr zu empfehlen. Einer meiner Doktoranden hat übrigens die interessante Hypothese aufgestellt – ich suche Ihnen gleich die Textstelle – wo ist denn mein Bücherregal?”
    Hermann ist irritiert. Er findet seine Aktentasche und nimmt sie an sich.
    “Mein Gedächtnis, junger Mann. Ohne meine Aufzeichnungen bin ich verloren.”
    “Dann halten Sie Ihre Tasche gut fest”, sagt der Doktorand.


    Im Aufenthaltsraum wird es laut. Theo flucht, weil er seinen Rollstuhl nicht wenden kann. Inge schimpft. “Fluchen ist Sünde.”
    Ela hüllt sich in ihren gelbgrünen Schal. Die Fransen hängen im Suppenteller und färben sich tomatenrot.
    Das Telefon klingelt, es ist Ada. Sie will wissen, wie es Hermann geht. “Gut, hoffe ich”, sagt der Pfleger. “Meine Schicht endet gleich, ich werde den Kolleginnen mitteilen, dass Hermann Philosoph genannt werden will und dass er gewohnt ist, am Fenster zu sitzen. Wissen Sie, aus welchem Buch seine Zitate sind? Das könnte uns das Kennenlernen erleichtern.”
    “Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse.”
    Hermann taucht im Flur auf. “Zitate? Sie sollten wissen, junger Mann, ich bin Philosoph.”
    “Natürlich”, sagt der Fremde freundlich.

  • von Doc Hollywood



    „Du wirst in der Hölle schmoren.“
    Selbst heute, nach so langer Zeit, kann ich ihre Stimme noch in meinem Kopf hören; jede Nuance, das leichte Beben, die weggeschluckten Tränen zwischen den Worten, einfach alles. Unsere Wege trennten sich. Die meisten Erinnerungen verschwanden im Dunst rauchgeschwängerter Kneipen, wurden vom Alkohol und zu lauter Musik weggezerrt und in die dunklen Löcher meiner Seele gestopft. Nur ihre letzten Worte kann ich nicht vergessen. Zuviel ist seither geschehen; zuviel, das ich anfangs nicht erklären konnte, nicht erklären wollte. Ich habe es viele Jahre niemandem erzählt, doch irgendwann musste alles raus. Ich bin in eine Kirche gegangen.


    „Du musst damit aufhören, nur dann kannst Du gerettet werden. Gott vergibt Dir nur, wenn Du umkehrst, wenn das aufhört!“ Die Stimme des Geistlichen klang erschrocken, aufgewühlt. Das hatte ich erwartet. Das Holz zwischen uns war mit kleinen ausgestanzten Löchern in Form einer Lilie versehen, sein Gesicht hinter der dünnen Trennwand nur ein Schemen.
    „Gott hat mir diese Fähigkeit gegeben. Er hat sicher einen Plan.“
    „Und woher bist Du Dir so sicher, dass es keine Einflüsterungen des Satans sind, mein Sohn?“
    Ich musste schlucken. Daran hatte ich auch schon gedacht und es machte die Sache nicht einfacher. Der Beichtstuhl wurde auf einmal zu eng, ich bekam keine Luft mehr und stieß die Tür auf. Zitternd und um jeden Atemzug ringend stand ich schwankend zwischen den Säulen, die das Mittelschiff der Kirche trugen. Der Priester packte mich an den Schultern, sah mir ins Gesicht. Seine Augen waren blau, alles schien in Ordnung zu sein. Ich atmete auf. Jäh krochen schwarze Schleier aus der blauen Iris, füllten die Augen des Geistlichen langsam mit Dunkelheit. Ich zitterte, schlug mir die Hand vor den Mund. Selbst hier in der Kirche war es zugegen, machte nicht Halt. Doch Gott sei Dank war ich zur Stelle.


    Irgendwann habe ich aufgehört mitzuzählen. Es sind zu viele. Ich kann das Böse in ihren Augen erkennen, kann sehen, was sie anderen antun werden, bevor sie es tatsächlich tun. Ich kann sie aufhalten, manchmal mit bloßen Händen, manchmal mit einem Messer. Das Böse versteckt sich gut, oft genug in Menschen, von denen man es nicht erwartet hätte: Priester, Krankenschwestern, sogar in kleinen Kindern. Man muss wachsam sein, darf nie nachlassen. Alpträume schleiften mich durch die Nächte, Ruhelosigkeit begleitete mich durch endlos graue Tage. Doch das alles wird nun ein Ende haben.
    Heute morgen habe ich mich rasiert, Zug um Zug dem kratzenden Geräusch der Klinge gelauscht. Unter jeder abgetragenen, weißen Bahn Rasierschaum kam glatte Haut zum Vorschein. Was würde man sehen, wenn man die Wolken, die den Himmel verbergen, abtragen würde? Würde uns reines Blau entgegenstrahlen oder etwas zu sehen sein, was dunkler ist, als wir uns vorstellen können?
    Es hat mich eingeholt. Ich habe es im Spiegel entdeckt, meine Augen wurden schwarz. Das Messer liegt bereit.

  • von magali



    „Man sollte Bescheid sagen.“
    „Wem willste Bescheid sagen, Kurt?“
    „Is noch’n Schluck da?“
    „Klar. Wohl bekomm’s.“
    „Daß du Pullen hier oben hast. Wenn das der Schulze wüßte!“
    „Was der Polier nich weiß.... Der Wind pfeift gewaltig ab dem dritten Stockwerk, kann ich dir versichern. Eisig kann das werden beim Mauern. Mein Opa erzählt, daß denen in Rußland die Zehen schwarz geworden sind und...“
    „Ich weiiiiiiiiß. Das Dauerschwätzen, das haste von dem. Das sollte der Schulze zuallererst abstellen!“
    „Dir biet’ ich noch mal meine Pulle an, Sack, du! Aber irgendwie haste recht. Man sollte Bescheid sagen. Mir ist immer noch blümerant. Mindestens fünf Meter Holz waren das.“
    „Mindestens. Wie spät isses denn?“
    „Neune rum, ist ja fast dunkel jetzt. Willste noch einen, Kurt?“
    „Jau. - Der Wachdienst?“
    „Kannste vergessen. Freitag abend. Die fahren ran, ein Blick, hängt das Schloß richtig und weg sind se.“
    „Du mußt es ja wissen. Warum säufste eigentlich nich woanders, Siggi?“
    „Zuhause, was? Du spinnst. Die Alte zählt mir jeden Schluck vor!“
    „Ab Montag sind die Elektrofritzen hier im Fünften.“
    „Weiß ich, Mann. Bin seit fuffzehn Jahren aufm Bau. Was’n Maurer nicht mitkriegt, gibt’s nicht. Bis dahin ist das Zeug weg. - Was machst’n du hier?“
    „Material besorgen. Schieb die Pulle her.“
    „Vertickst du immer noch Werkzeug? Mit dem Jugo?“
    „Jugos gibt's nich mehr, Siggi, Bogdan is Kro-a-te.“
    „Politik is Scheiße.“
    „Bin froh, daß ich’s nich gesehen habe, ich war auf der Treppe. Meine Finger zittern immer noch bloß vom Krach!“
    „Schön war’s nich. Der Hund....“
    „War nicht zu überhören, gequiekt wie’n Schwein vorm Abstechen hat der.“
    „Opa sagt, Viecher merken’s zuerst, wenn’s ans Abkratzen geht.“
    „Astreiner Wagen. BMW. Sechser, haste gesagt? Cabrio?“
    „Coupé. Schade drum. Platt wie ’ne Kinderbrust.“
    „Ich kapier nich, wie die Ladung runterkrachen konnte.“
    „Laschen locker.“
    „Heinz hat arretiert, da gibt’s keine Schlamperei.“
    „Wenn er mit dem Kopf dabei ist und nicht mit’m Schwanz. Haste gehört, daß er jetzt die Blonde hat vom Büro?“
    „Was denn, die Schnepfe? Nee, glaub ich nicht, die hat’s mit dem Dicken, wie alle Weibsen dort.“
    „Manchmal brauchen die ’nen richtigen Mann, sagt Heinz. Der muß es wissen, der hat noch bei jeder seinen Stich gehabt. - Ich köpf noch eine, da, nimm. Gurgel, gib acht, der Platzregen kommt!“
    „Hö, ist das Zeug scharf. Dein Opa versteht was vom Brennen.“
    „Jau, fast 90, blind und taub wie’n Waldesel, aber das kann er noch. Du, ich glaub, das war der Dicke in dem Auto.“
    „Ach. - Den Karren da abzustellen, Mann, der ist doch körnig bescheuert.“
    „Was der wohl wollte, nach Feierabend?“
    „Ich schätz’, ins Büro.“
    „Kein Geld im Safe, Freitagabend, Kurt.“
    „Papiere. Die Polacken. Wahrscheinlich Kontrolle unterwegs. Die oben, die hören’s doch immer zuerst.“
    „Das hat sicher richtig gespritzt, als das Holz drauf gedonnert ist. Kurt, wir sollten Bescheid sagen.“
    „Tja. - Haste mal raufgeguckt? Ganz klare Nacht. Sterne, Mensch, Siggi, guck mal die Sterne!“
    „Was meinst du, ob Hunde in den Himmel kommen?“

  • von Lotta



    Wir fuhren mit 120 km/h die Autobahn entlang, während es draußen langsam heller wurde. „Den frühesten Termin, bitte“ hatte ich meinen Vater am Telefon sagen hören, und mich gefühlt wie eine Aussätzige, beinahe so, als hätte ich etwas fürchterlich Schmutziges an mir, das so schnell wie möglich entfernt werden musste. Niemand sprach ein Wort. Sie hatten ihren Blick starr auf die Straße gerichtet. Ich wusste, woran sie dachten. Ihre Gedanken erfüllten das Auto wie eine klebrige Masse, krochen an den Ledersitzen hoch und nisteten sich schließlich genüsslich flüsternd in meinem Ohr ein. Ich hielt die Augen geschlossen, einem Hirngespinst nacheifernd, in dem ich Erlebnisse einfach auslöschen könnte wie überflüssige Dateien.


    Blaue Augen, die mich fordernd ansehen. Eine Hand, die meinen Hosenbund öffnet und sich tastend zwischen die Schenkel schiebt.
    „Komm schon, es wird dir gefallen.“
    „Hör auf, bitte…“
    Die Hand lässt sich nicht wegschieben. Ein Luftzug und meine Beine sind frei. Ich fühle mich bloßgestellt und winde mich aus seinem Griff. Er ist genervt. Ich will, dass er mich gut findet.
    „Liebst du mich?“
    Zögern. Seine Hand kommt wieder näher. Wie Spinnenbeine erkunden die kalten Finger meinen Körper. Er liegt auf mir und ich fürchte, sein Gewicht könnte mich erdrücken.
    „Warte! Müssen wir nicht…?“
    „Ich pass schon auf…“
    Körperkontakt. Schweißtropfen. Schmerz.


    Baume rauschten vorbei und verzogen sich wegen der hohen Geschwindigkeit zu braungrünen Grimassen, die mich durch die Fensterscheibe höhnisch anzugrinsen schienen. Grausam.


    Das Gewicht verschwindet. Für immer. Später - eine lächelnde Apothekerin, die mir ein kleines Päckchen reicht. Meine Hände zittern. Ich lasse es in der Tasche verschwinden und fühle mich wie jemand anders. Kalte Badezimmerfliesen. Warten. Eine Ewigkeit lang. Der Streifen verfärbt sich und ich weine, weil ich fünfzehn bin und Angst habe.


    Ich biss mir auf die Lippe, saugte an der Wunde und schluckte den metallenen Geschmack von Blut hinunter. Wir nahmen die nächste Ausfahrt. Am Liebsten hätte ich ein Messer genommen und die Spannung durchtrennt.


    „Meine Tochter! Wie eine billige Hure!“
    „Aber Papa, ich wollte…“
    „Sei still! Was werden die Leute nur denken?“
    „Andreas, reg dich bitte nicht auf...“
    „Wir müssen es wegmachen lassen. Ich kenne einen Arzt…“
    „Nein, bitte, ich will…“
    „Willst du dir deine Zukunft versauen? Sei endlich still!“


    Es musste weg. Ich war eine Schlampe und in mir wuchs ein böses Ding heran, obgleich es seiner Bosheit völlig ahnungslos war. Das Auto hielt mit einem Ruck. Vor uns türmte sich ein graues Gebäude auf, das nach Tod aussah. Ich wischte meine schweißnassen Hände am Sitz ab und spürte ein seichtes Stechen im Herzen, als würde jemand einen steifen Knoten lösen. Die hereinbrechende Sonne kitzelte mich an der Nasenspitze. Da war noch was. Da brannte etwas, tief in mir, eine Flamme, die niemand auslöschen durfte. Meine Stimme zitterte leicht, als ich zum Sprechen ansetze.
    „Ich mach’s nicht“
    Mein Vater fuhr herum. Ich sah ihm fest in die Augen, zog die Jacke enger um meinen Bauch als wolle ich ihn beschützen und flüsterte dem bösen Ding in mir zu, dass alles gut werden würde.

  • von Churchill



    „Nein ! Wir dürfen nicht von den Früchten dieses Baumes essen. Das hat ER uns ganz klar gesagt.“
    „Falsch. Dir hat er das gesagt. Mich hatte er damals doch noch gar nicht erschaffen. Also weiß ich von nichts.“
    „Aber ich habe dir doch schon oft...“
    Sie unterbricht ihn grinsend: „Ich kann mich an nichts erinnern. Gib zu, du willst doch auch wissen, wie das mit der Erkenntnis von Gut und Böse funktioniert.“
    „Nein, will ich nicht! Absolut nicht. Wir haben doch alles. Wir dürfen doch alles. Nur nicht von diesem Baum...“
    Erneut fällt sie ihm ins Wort. „Ehrlich gesagt ist mir egal, was du denkst. Der eine Apfel wird schon nicht auffallen.“
    „Lass das. Wir werden sterben.“
    „Quatsch. Dann müsste ER ja wieder neu mit dem Erschaffen anfangen. ER ruht doch jetzt gerade aus.“
    Sie greift entschlossen nach der Frucht. Er will damit nichts zu tun haben, dreht sich um und geht. Ein seltsames Bild, wie er seinen Schritt beschleunigt, während er beide Ohren zuhält, um nicht hören zu müssen, wie sie zubeißt.


    Noch seltsamer ist das Bild, das sie abgibt, als er nach kurzer Zeit vorsichtig zurückkehrt. „Was soll das? Wieso hast du dir diese Blätter umgehängt?“ „Du kapierst gar nichts. Los, nimm dir auch ein Blatt und hänge es vor dich. Du solltest dich wirklich schämen, so herumzulaufen.“ Nein, er versteht nicht, gehorcht aber aus Gewohnheit. Bevor er Fragen nach dem Grund der Zweckentfremdung argloser Pflanzen und der Bedeutung des ihm unbekannten Wortes „Schämen“ stellen kann, erscheint ER.


    Streng betrachtet ER die beiden, die ER doch eigentlich nach seinem Bild geschaffen hatte. „Könnt ihr mir erklären, was diese Verkleidung bedeutet?“ Sie schlägt die Augen nieder und haucht: „Sollen wir dich etwa nackt empfangen?“ Schon wieder ein Wort, mit dem der zum Feigenblattträger mutierte Mann nichts anfangen kann.


    ER aber begreift: „Ihr habt also vom Baum der Erkenntnis gegessen!“
    Eiskalt läuft es dem armen Mann den Rücken herunter, was eine gewisse Logik in sich birgt, denn hinten ist er ja noch unbekleidet. Sie aber antwortet frech: „Die Schlange hat uns verführt.“ Während der Mann ob der plötzlichen Ansammlung neuer Worte (was um alles im Paradies bedeutet „verführen“?) und ER wegen der Erwähnung eines Tieres (Schlange? So was soll ich erschaffen haben? Hm, es waren ja ziemlich viele Viecher, eventuell könnte sie Recht haben...) ins Grübeln geraten, holt sie zum finalen Schlag aus:


    „Und dann hat er mich gezwungen, davon zu essen!“ Sie wirft IHM einen verschwörerischen Blick zu, den ER ja bislang in dieser Art noch nicht kannte.
    „Ich??? Spinnst du?“ Sein Protest hat keine Chance. ER glaubt ihr und genießt fortwährend ihren Blick. Ihren Anblick auch. „Irgendwie ist sie mir deutlich besser gelungen als er“, denkt ER gerade, als der Betrogene sich letztmals zu Wort meldet.
    „Ich kann wirklich Gut und Böse nicht unterscheiden!“
    „Ja ja“, machen sie und Er ihn gleichzeitig mundtot. Dieser paradiesische Zustand hält bis heute unverändert an. Die Unterscheidung von Gut und Böse ist ihm übrigens immer noch nicht gegeben.

  • von Oryx



    Ich erinnere mich noch gut, wie ich bewundernd vor ihr stand und vorsichtig die perlmuttfarbene Lackschicht berührte.
    Sechstausend Watt – jenseits von Gut und Böse, sagte der Verkäufer.
    Die Bedeutung der Worte war mir damals nicht klar, aber dass es sich um etwas sehr besonderes handeln musste, sah man dem Produkt durchaus an. Allein die Tatsache, dass die Farbe weder das übliche Schwarz noch Silbergrau war, sondern einem Audi 200 ähnelte, war mindestens engelsgleich.
    Ich schleppte also einen Prospekt der Marke nach Hause.
    Wie lange müsste ich auf dieses technische Wunderwerk sparen? Meinem Taschengeld zufolge mindestens 3 Jahre. So lange konnte ich doch nicht warten.
    Ob ich meine Grosseltern überreden konnte, meinen Geburtstag vorzuziehen? Ich nahm den Prospekt in die Hand und schlich zu meinem Grossvater.
    „Opa, kannst Du mir helfen?“, begann ich das Gespräch. Damit hätte ich normalerweise den Helferinstinkt des alten Herrn angesprochen. Leider war der Jammerton vergeudet, denn mein Grossvater schlief friedlich mit einem Buch vorm Kamin, und wenn er schlief, gab es nichts was ihn stören durfte. Ich ging also in die Küche, denn nach dem Geklapper zu urteilen, musste meine Grossmutter das Abendessen zubereiten.
    „Oma, ich habe da eine Frage...“
    „Ja, mein Schatz, was gibt es?“ Die Standardantwort auf alles was von uns Minderjährigen verbal ausgespien wurde, egal ob man es nüchtern, jammernd, weinend oder kreischend vorbrachte.
    „Glaubst Du, dass ich mir das da kaufen darf?“ Ich fuchtelte mit meinem Prospekt vor ihrer Nase herum.
    „Wozu brauchst Du das denn?“ Wiederum ein Standardsatz, mit dem sie uns oft genug entwaffnete, aber diesmal ganz sicher nicht.
    „Es ist eine Stereoanlage. Ich habe hier doch kein Cassettendeck und einen CD-Player habe ich auch nicht. Und ausserdem hat der Verkäufer gesagt, sie sei jenseits von Gut und Böse.“
    „Jenseits von Guuut und Böööse?“ Sie zog die Vokale deutlich, um ihr Erstaunen auszudrücken und sich interessiert des Prospekts anzunehmen. „Welche ist es denn?“
    „Die da!“ Begeistert deutete ich auf die allertollste Stereoanlage, die ich jemals gesehen hatte.
    „Glaubst Du Opa findet die auch toll? Die kann alle Eure Platten viel besser abspielen und die werden auch nicht abgenutzt, weil sie auf Wasser schwimmen.“ Ich geriet leicht ausser Atem.
    „Wir besprechen das heute nach dem Abendessen.“ Sie hatte meine Bitte nicht ignoriert, sondern ernsthaft in Betracht gezogen und ich konnte in Gedanken das Teil auf meiner Kommode stehen sehen. Ich kehrte in mein Zimmer zurück und starrte auf den Prospekt.
    Zwei Stunden später war Essenszeit. Ich konnte es kaum erwarten, zum Nachtisch zu gelangen und meinen Grossvater zu überreden. Er ass bedächtig, fast schon in Zeitlupe. Ich wurde schon fast verrückt. Er kaute und kaute auf demselben Stück Fleisch herum.
    „Opa“, begann ich. „Ohne diese Stereoanlage werde ich nie wieder glücklich sein!“, stiess ich unvorsichtigerweise hervor.
    „Was?“, rief er und verschluckte sich. Er hustete wild und wollte gar nicht mehr aufhören. Ich schlug und schlug auf seinen Rücken, bis er sich beruhigt hatte.
    „Erwähne nie wieder diese verdammte Stereoanlage!“, murmelte meine Grossmutter.
    Den Prospekt habe ich allerdings immer noch.

  • von Tom



    Folge 17299.


    Jutta, die eigentlich Sara heißt, manchmal aber auch als Inga auftritt, von den meisten aber Lotta genannt wird, hat es immer noch nicht geschafft, sich die riesengroßen, entzündeten Pickel auszudrücken. Harald, ihr Untergebener, in den sie seit 17298 Folgen verliebt ist, womit sie seit 8649 Stunden (netto!) daran arbeitet, ihm entsprechende Mitteilung zu machen, plant eine Intrige. Mit Rita, der anscheinend besten Freundin von Jutta (bzw. Sara, Inga oder Lotta), will er während eines Auftritts von Juttas Band „Intelligenzverzicht“ ein Transparent hochhalten, auf dem „Jutta isst doof“ steht. An diesem Transparent arbeiten die beiden seit Folge 17005, aber den Schreibfehler haben sie noch nicht gefunden. Harald ist eigentlich auch in Jutta verliebt, aber Ritas Schwester Britta hat ihn im Anschluß an eine Firmenfeier verführt, obwohl sie eigentlich lesbisch (und ebenfalls in Jutta verliebt) ist (Folgen 11017 bis 15339). Werner, der Pickelcreme-Vertreter, der sich seit Folge 2 um einen Termin bei Jutta bemüht, hat ein Verhältnis mit Rita begonnen, um Haralds Bruder Dieter eifersüchtig zu machen. In dieser Folge dringt er (zum hundertzwölften Mal) bis in Juttas Vorzimmer vor, wird aber von Juttas Sekretärin Gerda abgewiesen, die eigentlich Juttas Mutter ist, was aber außer Britta und Rita niemand weiß. Gerdas Mann Fred bekommt in dieser Folge seinen zehnten Herzanfall, aber Jutta kann nicht ins Krankenhaus kommen, weil ihre Halbschwester Lätta einen Hörsturz hat. Lätta ist die Bassistin in Juttas Band und in den Pickelcreme-Vertreter Werner verliebt, aber weil Gerda, ihre Mutter, ihr erzählt hat, daß sie gebärunfähig ist, bleibt sie keusch. Gerda hat gelogen, weil ihre Nachbarin Linda behauptet hat, Werner wäre ihr Ex-Mann, was aber nicht stimmt: Linda ist in Lätta verliebt und versucht, zu verhindern, daß Lätta und Werner zusammenkommen. Jutta besorgt bei der Apothekerin Wilma Schmerzmittel für Lätta und begegnet dort Werner, der gerade eine Fuhre Pickelcreme liefert, aber weil sich die beiden noch nie gesehen haben, erkennen sie sich nicht. Vor der Tür stößt Harald zu den beiden, der ein schlechtes Gewissen wegen der Transparent-Intrige mit Rita hat, aber als er Jutta mit Harald sieht, wird er wütend und geht zu Rita, die er dabei antrifft, wie sie ihre Schwester Britta küßt.


    In dieser Folge erleben wir außerdem, wie in China ein Sack Reis umkippt, weil er ebenfalls in Jutta verliebt ist.

  • von Sinela



    „Du und deine Hirngespinste! Wie sollten ausgerechnet wir etwas gegen die allmächtigen Herrscher dieses Planeten ausrichten können?“
    Die kleine Wespe schlug aufgeregt mit ihren Flügeln. Zustimmend nickten einige der gelb-schwarzen Insekten, die sich auf der Fensterbank im 10. Stock eines Bürogebäudes versammelt hatten. Mit eindringlicher Stimme ergriff nun die größte der Wespen das Wort:
    „Nun hört mir mal genau zu: Es ist höchste Zeit für die Menschheit in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Schaut euch doch an, wie sie leben. Sie bauen große Städte, für die sie die Erde mit Asphalt zubetonieren, sodass es keine Wiesen oder Wälder mehr gibt. Letztere werden gnadenlos abgeholzt, um zu Möbeln verarbeitet zu werden. Der Regen, der früher die Blumen mit dem Nektar, den wir so dringend für unsere Larven benötigen, getränkt hat, fließt nun ungenutzt in die Kanäle, die die Menschen gebaut haben, und von dort in die Flüsse und in das Meer. Mit den Wiesen und Wäldern starben auch viele der Insekten, die wir für unsere Königin brauchen, damit sie weiter Eier legen und damit für den Fortbestand unseres Volkes sorgen kann. Von unseren leeren Mägen ganz zu schweigen. Diese Zweibeiner, die sich für die übergeordnete Spezies dieser Welt hält, zerstören alles, was sich ihnen in den Weg stellt. Sie kennen keine Regeln mehr, machen nicht einmal vor der eigenen Rasse halt. Morde, Vergewaltigungen und Diebstähle sind an der Tagesordnung. Kriege werden geführt wegen Nichtigkeiten. Es herrscht das Recht des Stärkeren, die Menschheit ist schon seit einiger Zeit jenseits von gut und böse. Und diesen Umstand sollten wir uns zunutze machen. Solange sie mit sich und ihresgleichen beschäftigt sind, haben sie keine Zeit, um sich um uns kleine Insekten, die man ja mit links totschlagen oder auf die man einfach drauftreten kann, zu kümmern. Und das ist unsere Chance! Es wird höchste Zeit, diesen Abschaum zu eliminieren!“
    Zustimmendes Summen erfüllte die Luft. Einige der Wespen erhoben sich sogar kurz in die Luft vor lauter Begeisterung. Als wieder Ruhe einkehrte, erfüllte eine piepsige Stimme die Luft:
    „Ich glaube nicht, dass es so einfach werden wird. Wir sind doch nur ein paar und ...“
    „Nein!“, unterbrach die Anführerin ihre ängstliche Artgenossin. „Ich werde gleich zur Königin gehen und eine Versammlung der Völker einberufen lassen! Zusammen sind wir stark und wir werden die Menschen zum Wohle aller ausrotten!“
    Wieder erfüllten laute Jubelrufe die Luft.
    „Lasst es uns gleich in Angriff nehmen und nach Hause fliegen!“
    Geschlossen hob die gelb-schwarze Armada ab und kehrte zu ihrem Nest zurück, das sich einem hohlen Baum auf dem Gelände eines Kindergartens befand.


    Gegen das Gift des Kammerjägers, das ihre Geister einlullte, sie sanft vom Leben in den Tod beförderte und für diesmal die kühnen Träume von der Weltherrschaft abrupt beendete, hatten die kleinen Insekten keine Chance. Doch ein Wort der Warnung sei an dieser Stelle angebracht: Es gibt noch viele Wespenvölker auf dieser Erde und wer weiß: Irgendwann kommt der Kammerjäger vielleicht um einen Tag zu spät.....