Kunst oder Provokation? Oder gehört das irgendwie zusammen?

  • Zum Tatbestand, der auch im Blätterwald nachzulesen ist: In Nürnberg, "the soul of frankonia" (wie ein WM-Reiseführer verlautbart), wird seit Neuestem eines der Schmuckstücke der Stadt mit einem Kunstwerk zugebaut, was die Gemüter der Bürger bis aufs Äusserste erhitzt.


    Der Schöne Brunnen, so der Name der touristischen Attraktion, wird zur Zeit eingerüstet, um anschließend in einer Kunstaktion mit der ausgedienten Bestuhlung des Berliner Olympiastadion zugepflastert zu werden.
    Das Kunstreferat Nürnberg hat diesen Vorschlag den Stadtoberen unterbreitet, die das für eine anscheinend glänzende Idee anlässlich der bald stattfindenden WM hielten (und halten).


    Vergleichbar wäre zum Bleistift, wenn ich als Tourist nach London komme und dort statt des Big Ben eine riesige Ansammlung von Tetrapack-Hüllen zu sehen und zu fotografieren bekomme.


    In den letzten Tagen kam es deswegen sogar zu Handgreiflichkeiten und die Polizei und Sicherheitsdienste sind damit beschäftigt aufgebrachte Bürger davon abzuhalten das ungeliebte, unverstandene Kunstwerk eigenhändig zu entfernen.


    Wie sehen die Eulen solche Dinge?
    Muss Kunst provozieren? Darf Kunst, die anscheinend darauf aufgebaut ist, vorhandenes Kultur- und Kunstgut zu verschandeln edit: bzw. zu verändern tatsächlich als Kunst behandelt werden?


    Gruss,


    Doc

  • Das kommentiere ich jetzt nicht, aber es ist schon typisch ... und wer keinen Respekt vor der Befreiung von jeglicher Form von Respekt hat, gilt ja als spießig.


    Infos zum Schönen Brunnen (Wikipedia)


    Und ein Foto (Quelle):

  • Erinnert mich schwer an die Diskussionen zur Reichstagsverhüllung. Erst waren alle ganz erbost dagegen, und als es fertig war, hat sich jedermann vor dem verpackten Dingen fotografieren lassen. Auch die, die anfangs gebrüllt haben.


    BTW, Doc: Mit Deiner Wortwahl ("verschandeln") nimmst Du vorweg, was Du an Antworten erwartest. :grin

  • Hmm ... was Christo macht ist zwar schräg, hat aber Stil. Den mochte ich trotz seiner abgefahrenen Frau schon immer. Der Mann hat was von Woody Allen. :lache


    Der Vergleich hinkt, weil Christo die Gegenstände durch Verhüllung/Verschleierung "sichtbarer" machen und ins Bewußtsein heben will. Mir ist schleierhaft, was eine "Verhüllung" von zugegeben natürlich total altmodischem Krempel :grin mit ausrangierten Stadionstühlen, also mit Müll, ausdrücken soll. Protest gegen die Zupflasterung der Stadt mit Fußball-Müll? :lache

  • Also Doc wirklich! Was hast du nur gegen die historischen Sitzgelegenheiten um den historischen Brunnen? :grin


    Kunst ist wohl manchmal etwas das nur die Künstler selbst verstehen.


    War wohl auch mit den Kölner "Trash Peoples" so. Der eine findet es einfach nur Müll, der andere sieht ein Kunstwerk darin.
    Jo, die wollen provozieren, denn das bringt Aufmerksamkeit. Für das Objekt, die Stadt, die Künstler.....und Geld in die Kassen einiger. ;-)

    _______________________
    Grüßle, Heaven


    Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen. (Goethe) ;-)

  • Ich bin erst durch die heutige Zeitung auf dieses Projekt aufmerksam geworden.


    Ich frage mich prinzipiell - vor allem im Bezug auf das Nürnberger Theater - ob Kunst auch ohne Provokation oder vermeintliche Provokation noch auskommt? Ist der Brunnen Kunst? Ist er langweilig, weil er niemanden provoziert? Weil über seine Kunst gar nicht erst diskutiert werden muss? Wie viele nackte Brüste und Männerunterleibe braucht eine Theateraufführung? Ist man spießig, wenn man sich frage: Braucht´s des?!


    Oder gar rechtsradikal wenn man gegen die Verkunstung des Schönen Brunnens ist, wie in dem Artikel der Zeitung angedeutet? Diese zitiert jedenfalls, dass die Emotionen zumindest teilweise von solchen angeschürt wurden. Totschlagargument?


    Die Stadt will sich modern zeigen. Will zeigen, dass sie mehr zu bieten hat als eine mittelalterliche und eine NS-Vergangenheit. Zeigt sie das durch den modernen Umbau des Doku-Zentrums? Durch das Kunstprojekt "Dürers Rasen", durch Dürer Hasen? Oder durch Stühle, die irgendetwas mit Fußball zu tun haben? Jetzt im Fußballjahr. Sollen die Stühle neben dem Brunnen stehen? Zu unprovokant?



    Mich persönlich berührt es recht wenig, ob um den Brunnen Stühle, Bratwürste oder Planen gelegt werden. Ich frage mich nur - wie so viele - wie bei so vielen Kunstwerken - was uns der Künstler sagen will? Ist es Kunst wenn es provoziert? Ist provokante Kunst interessanter? Wodurch will der Künstler Aufmerksamkeit erregen? Ist die Zeit der Provokation denn nicht schon längst vorbei? Brauchen wir neue und inhaltsschwere Provokationen? Ist bzw. war Benetton Werbung Kunst oder Provokation. Oder beides? Und nervt es nicht langsam, dass man versucht mit Nacktheit zu provozieren, zu schockieren, oder hatten wir das nicht schon mal und man fühlt sich wirklich nur noch genervt und nicht provoziert.

    Ronja



    "Braucht's des?!"
    (Gerhard Polt)

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  • Zitat

    was uns der Künstler sagen will


    Die Annahme, daß ein Künstler notwendigerweise immer eine Mitteilung machen will, also etwas zu sagen hat, ist einer der Kardinalfehler bei der Auseinandersetzung mit Kunst.

  • Ich versteh's (mal wieder) nicht.


    Was soll geschehen??


    Der Brunnen wird in ganzer Höhe mit der Bestuhlung des Berliner Olympiastadions "verhüllt".


    Oder wird die Bestuhlung rund um den Brunnen auf aufgebaut??


    Und für wie lange???


    Nur für eine bestimmte Zeit?? oder für immer ??



    Ansonsten kann ich mich Ronja anschließen. Bei vielem habe ich keine Ahnung mehr, was Müll und was Kunst ist.
    Vieles was Künstler machen geht über meinen Horizont, wobei mir häufig auch die Möglichkeit fehlt (wegen Örtlichkeit, Zeit, eigener Bequemlichkeit und/oder Desinteresse) , mehr über die Hintergründe der Künstler und deren Denken zu erfahren.


    Allerdings passen sich die Künstler doch ganz der Wertvorstellung unserer Zeit an:


    Man ist wer, wenn man immer noch auf das bekannte eins draufsetzt, um, und sei es nur für einen kurzen Moment, an der Spitze der Steigerungspyramide zu sein.


    Und man kann halt nicht nur positives steigern.


    LG Dyke

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

  • Zitat

    Original von Tom


    Die Annahme, daß ein Künstler notwendigerweise immer eine Mitteilung machen will, also etwas zu sagen hat, ist einer der Kardinalfehler bei der Auseinandersetzung mit Kunst.



    Richtig. Die Suche ist meistens vergeblich. Und meistens wollte der Künstler auch gar nichts sagen. Das ist mir schon klar!


    Vielleicht hätte ich es anders formulieren sollen: Ob uns der Künstler etwas sagen will. Könnte ja sein. Vielleicht ist es etwas interessantes. Denn etwas Schönes ist es bestimmt nicht, dass er da macht. Meiner Meinung nach.

  • Zitat

    Original von dyke
    Oder wird die Bestuhlung rund um den Brunnen auf aufgebaut??


    Und für wie lange???


    Die Bestuhlung wird an einem Gerüst rings um den Brunnen angebracht, wie so eine Art Sitzpyramide (wenn ich das richtig mitbekommen habe). Das Kunstwerk soll, glaube ich zumindest, bis Herbst zu bewundern sein.


    Tom
    Okeh, "verschandeln" war natürlich vorweggegriffen, aber ich wollte halt meine Meinung gleich mit kundtun. :-) Ich hab's erweitert, siehe Eingang.


    Gruss,


    Doc

  • Zitat

    Original von Tom
    Die Annahme, daß ein Künstler notwendigerweise immer eine Mitteilung machen will, also etwas zu sagen hat, ist einer der Kardinalfehler bei der Auseinandersetzung mit Kunst.


    Frage: Was treibt einen Menschen an, etwas auszudrücken oder zu schaffen, zu basteln oder zu gestalten, wenn nicht der Wunsch damit etwas auszudrücken, das über das Ding selbst hinausweist?


    "Nur" das Ding selbst zu machen und das möglichst gut, ist Handwerk. Handwerk erschafft Dinge, mit denen man etwas machen kann, Werkzeuge, mit denen man kochen, putzen, heimwerken oder die Zeit totschlagen kann (z.B. mit lesen).


    Kunst schafft per definitionem Gegenstände, die über sich selbst hinausweisen -- das setzt voraus, daß der Künstler etwas ausdrücken will. und wenn 's nur der ausdruck der eigenen Eitelkeit ist.

  • Iris : Was ich sagen wollte ist, daß die Frage obsolet ist, wenn das Kunstwerk die Antwort nicht offenbaren kann. Und es kann auch Kunst sein, Rätsel zu bleiben. Mein Agent sagt, ich wäre ein Künstler, aber wenn mich jemand fragt, was ich mit dem, was ich schreibe, sagen will, muß ich die Schultern zucken. Diese Frage habe ich mir nie gestellt. Jeder Leser, der sie sich (bzw. mir) stellt, muß sie demzufolge alleine beantworten. Da es keine Antwort gibt, wird sie auch nie falsch oder richtig sein.

  • Ich finde es nur seltsam, dass diese Kunst (also das Beispiel im Eingangsposting) daraus bestehen soll ein anderes Kunstwerk als Träger zu benutzen.
    Wenn das Kunst ist, dann würde ich gerne die Mona Lisa in Butterbrotpapier wickeln und ihr eine Perücke aufsetzen. Ist das dann auch Kunst?


    Gruss,


    Doc

  • Zitat

    Original von Salonlöwin
    @ Doc: Schade, dass du in deinem Beitrag nicht erwähnt hast, dass es sich hier um Kunst im öffentlichen Raum handelt, die in Zusammenarbeit mit dem DFB initiiert wurde. Wen verwundert es, dass die Erwartungshaltung nicht hoch ist?


    Oha! Das habe ich deswegen nicht erwähnt, weil ich das bis zu Deinem Posting gar nicht wusste. Interessant. Im betreffenden Artikel heute in der Zeitung wurde als "Schuldige" die zuständige Kulturreferentin ausgemacht.
    Wenn der DFB natürlich auch mitmacht, ja dann... Aber was hat das nun wieder mit der Erwartungshaltung zu tun? Mich würden tatsächlich die Beweggründe interessieren, die die Entscheider dazu bewogen haben diese Kunst ausgerechnet an genau dieser exponierten Stelle zu deponieren? Man war sich doch sicherlich bewusst, dass das provoziert? Deswegen meine Eingangsfrage.


    Gruss,


    Doc