Moin!
Die Idee zu dieser Kurzgeschichte kam mir ganz spontan heute morgen bei meiner morgendlichen Tasse Kaffee, ich dachte noch rund eine Stunde darüber nach und machte mir eifrig Notizen und schließlich hab ich sie einfach mal niedergeschrieben. Eine meiner ersten vollständigen Kurzgeschichten, wenn man es überhaupt so bezeichnen kann. Bin eigentlich einigermaßen zufrieden und ich hoffe das es jemand liest und eine kurze Bewertung schreibt, wäre wirklich nett, denn ich würde mich natürlich gerne verbessern =)
Das schwarze Kleid
Jake hasste dieses helle Grün. Es verfolgte ihn seit Jahren, in denen er immer wieder durch diese langen Gänge wanderte, eingeengt von diesem Farbton an Wand und Decke, nur alle paar Meter von einem schwarzen Türrahmen unterbrochen, in dem aber wiederum eine Tür in grün hängt. Dieses Grün wie Erbrochenes, wie das Erbrochene seiner Tochter, wenn sie zu viel Milch getrunken hatte. Das hätte er sich jedenfalls vorstellen können.
Sein Zimmer war nicht sonderlich geräumig, nicht klein und nicht groß und glücklicherweise nicht grün. Für ihn war es eine Zelle, natürlich nicht nur für ihn, denn als Zelle war es ja auch gedacht, als man ihn vor drei Jahren zu lebenslangem Aufenthalt in einer Psychiatrie verurteilte, zu einem neuen, vom Staat geförderten, Projekt zur Behandlung geisteskranker Mörder. Bett, Tisch, Stuhl, Spiegel und eine, durch einen roten Vorhang abgetrennte, Toilette. Bilder hatte er keine, sie waren ihm nicht gestattet. Jake vermutete, dass er vergessen sollte, wie seine Tochter aussieht und seine Frau.
Mittlerweile war er aber auf dem Gang und bewegte sich nach vorne zum Besucherraum. Wieder das Grün. Wie eine Barriere, die ihn davon abhalten will, den anscheinend endlos langen Gang zu durchqueren. Immerhin war es für ihn die einzige Gelegenheit sein Zimmer zu verlassen, abgesehen von den Therapie-Sitzungen natürlich.
Als er an einer offenen Tür vorbeilief, erhaschte Jake kurz einen Blick auf sein Äußeres, im Spiegel des Insassen, der aber keinen Spiegel benötigte, so wie er mit Medikamenten versetzt auf seinem Bett lag. Jake sah furchtbar aus. Früher war er ein ansehnlicher Mann gewesen, erfolgreich, Rechtsanwalt, mit viel Geld und wenig zu tun, weil er sich zu viele Anwaltsgehilfen leisten konnte. Jetzt aber sind seine kurzen schwarzen Haare zerzaust, sein Gesicht aufgedunsen vom Schweiß, Augensäcke wie Geschwülste und ein unrasiertes Kinn. Nur die markante Form des Gesichts ließ noch etwas vom alten guten Aussehen durchsickern. Ja, früher sah er gut aus, verdammt gut, und seine Tochter sieht heute bestimmt auch gut aus, auch wenn er es nicht weiß und seine Frau sah gut aus und wie er nun bemerkte, sieht sie immer noch gut aus.
Direkt vor einem weiteren der schwarzen Türrahmen war Jake stehen geblieben. Schon ein paar Augenblicke zuvor, hatte er gewusst, dass sie heute wieder gekommen war. Der durchdringende Geruch nach Limette, der Geruch ihres Mojito-Zigarillos, drang schon bis auf den Gang hinaus und für einen kurzen Moment meinte Jake, dass die Farbe der Wände und der Decke langsam erträglicher wurde.
Nach wenigen Sekunden erwachte er wieder aus seiner Starre, schaute sich noch mal auf den Gang und merkte, dass ihm bei diesem Grün schon wieder schlecht wurde. Schnell trat er in den Besucherraum ein und er erkannte sie sofort. Dicke Rauchschwaden schwebten über einem kleinen runden Holztisch, der im hinteren linken Bereich an einem der vergitterten und milchigen Fenster stand. Trotz dem schwachen Gegenlicht erkannte er deutlich eine Frau im schwarzen Kleid, darüber ein langer Stoffmantel, wie sie auf einem der roten Plastikstühle saß, gerade so auf dem Rand, dass sie nicht herunterfiel. Ihre schwarzen Stöckelschuhe wippten durch die Bewegung ihres Oberschenkels, ebenso ihr Busen und ihre Zigarette wippte leicht durch nervöse oder angespannte Bewegungen, so sah es jedenfalls aus. Für Jake schien in diesem Moment alles an dieser Frau zu wippen und wie magisch zog es seinen ganzen Körper dorthin, bis plötzlich eine flache Hand vor ihm auftauchte, gefolgt von der schmächtigen Statur eines Wärters. Erst jetzt fand Jake wieder Beachtung für die Umwelt und merkte nun, wie alle Augenpaare der vielen Besucher und Patienten, oder eher Inhaftierten, auf ihm ruhten und ihn schaulustig musterten.
Der Wärter fuchtelte energisch mit seiner erhobenen Hand. Sogar bei einer so ruckartigen Bewegung stellte sich keine Falte auf seiner matt glänzenden und straffen Uniform. Sogar seine Mütze hatte er auf, was Jake verriet, dass es noch ein Jungspund war. Die erfahrenen Wärter setzen sie eigentlich nie auf, außer zu besonderen Anlässen. Sein Blick war ängstlich, als er mit einer piepsigen Stimme sagte: „Für sie ist heute kein Besuch angemeldet, Mr. Jameson.“
Zuerst war Jake nur überrascht, dass dieser Junge seinen Namen kannte. Er musste wohl alle Akten durchforstet und auswendig gelernt haben. Scheint die Karriereleiter schneller hochklettern zu wollen, als aufzustellen.
Jake hatte gar keine Zeit, sich über die Aussage des Wärters zu wundern. Anscheinend ist heute Tag der auftauchenden Hände, dachte sich Jake ärgerlich, als plötzlich eine knochige Hand auf der Schulter seines Gegenübers auftauchte. Diese Hand kannte er. Fast täglich sah er sie, einen goldenen Kugelschreiber mit persönlicher Widmung umklammernd, Notizen auf ein Klemmbrett schreiben.
„Ist schon in Ordnung, Max“, sagte die tiefe, brummige Stimme von Dr. Thirlby, Jakes Arzt und Nemesis. Er hasste es, wie dieser Kerl immer so unendlich verstehend nickt, selbst wenn Jake nur Mist erzählt. Jake hasste Ärzte und fand es ungerecht, dass sie fast ebenso viel verdienen wie ehrenvolle Rechtsanwälte.
Der junge Wärter namens Max, wie er nun wusste, schaute Thirlby nur verdutzt an, erntete ein deutliches Nicken, nahm die Hand runter und machte widerwillig Platz.
Na endlich, der Junge scheint die Akten wohl doch nicht so gründlich studiert zu haben, dachte Jake zufrieden. Er versuchte, Thirlby ein dankbares Nicken zu vermitteln, aber ihm gelang nur eine verzerrte Fratze. Das erkannte er jedenfalls in den spiegelnden Brillengläsern des Arztes.
Wieder setzte er sich in Bewegung, wobei er nicht bemerkte, wie Thirlby sich auf einen Stuhl an die Wand links von ihm setzte. Nach ein paar ausholenden Schritten stand er direkt vor dem leeren Tisch, dessen schmierige Oberfläche Jake kurz blendete. Trotzdem sah er, dass Patricia weder aufschaute noch eine Miene verzog, nur einen weiteren tiefen Zug nahm, um den duftenden Rauch nach wenigen verstrichenen Sekunden wieder herauszulassen. Wie sie da so erwartend dasaß, mit kaltem Blick, würden zu ihr eher blonde Haare passen. Das dachte Jake schon eher, deswegen war er auch so froh, dass sie immer noch lange, wellige dunkelbraune Haare hatte, die sie wie immer offen trug.
Jeden Samstag kommt sie hierher, setzt sich an einen Tisch, der nie derselbe ist. Immer im schwarzen Kleid, mit einem Mojito-Zigarillo zwischen den Fingern. Sie sieht nie so aus, als würde sie jemanden bestimmten erwarten. Eher wie eine verwöhnte Ehefrau, die sich einen neuen Lamborghini zum Hochzeitstag verspricht, und genau das war sie auch.
Jake vergaß Thirlby, Max, seine mickrige Zelle und sogar den Gang, den Dschungel aus Grün. Lächelnd setzte er sich hin, ganz nah an den Tisch. Der rote Plastikstuhl gab heftig nach, quietschte, drücke unangenehm gegen die Oberschenkel. Spontan frage er sich, ob Patricia sich deswegen so knapp an den Rand gesessen hat oder weil sie Angst vor Schmutz hatte. Vermutlich beides, dachte Jake und faltete seine Hände auf dem Tisch. Gierig starrte er sie an, doch erst als sie einen weiteren Zug genommen hatte, schaute sie ihn an. Ihr Blick war zwar immer noch kalt, aber Jake erkannte an ihrem Blick wenigstens ein wenig Bedauern und Sorge. Vielleicht. Doch das gab ihm schon den Mut, ein Gespräch anzufangen. Es war jede Woche wieder eine Kunst und Hindernis zugleich.