Jinx ist ein Fluch, etwas Böses, mit dem man anderen schadet. So sehr, daß sie sterben.
Versuch nicht, mich kennenzulernen.
Geh nicht mit mir aus.
Liebe mich nicht.
Ich warne dich!
Ich bin Jinx.
Das ist der Prolog zu einem australischen Jugendbuch. Geschrieben hat es Margaret Wild, 1948 in Südafrika geboren, 1972 nach Australien ausgewandert, wo sie seither lebt und schreibt. Lange Jahre war sie Lektorin bei einem Kinderbuchverlag, dann begann sie selber Kinderbücher zu schreiben, Bilderbücher vor allem, ungefähr dreißig gibt es bis jetzt. Sie hat verschiedene Preise dafür gewonnen und gilt als die beliebteste Bilderbuchautorin Australiens. Jinx ist ihr erster Roman für Jugendliche.
Jinx heißt eigentlich Jen, sie ist ca. 15. Sie lebt mit ihrer Mutter und jüngeren Schwester Grace zusammen. Der Vater hat sie verlassen, weil Grace ein Kind mit Down-Syndrom ist, was Jen ihm sehr übel nimmt. Sie nennt ihn nur ‚Die Ratte’ und sie haßt es, daß sie ihn und seine neue Frau Stella regelmäßig besuchen muß.
Jens Leben verläuft normal, langweilig, findet sie, Familie, Schule und die Freundinnen, Serena, Connie und Ruth. Sie alle träumen, was Teenager so träumen, vom Leben und von der Liebe.
Auf einer Party trifft Jen Charlie, den seltsamen, andersartigen Charlie, Charlie mit dem Auto und dem großen Herzen, der Grace akzeptiert und Jen liebt. Auf seine Art, denn Charlie ist am Abstürzen und eines Tages bringt er sich um.
Jen ist fassungslos, sie hat nichts gemerkt. Ist Liebe nicht genug? Oder reichte ihre Liebe nicht? Nach dem ersten Schock findet sie Ruhe in der Freundschaft zu Ben. Ben aber liebt Jen. So, wie Serena Charlie geliebt hat, Connie Megan liebt und Ruth Ben. Oder Jens Mutter einen Kollegen, heimlich, unausgesprochen. Das Leben ist schrecklich kompliziert.
Schließlich die Katastrophe, Ben stirbt durch einem dummen Unglücksfall. Nun weiß Jen, daß sie nur Unglück bringt. Ein Fluch haftet an ihr, sie wird Jinx.
Als Jinx beginnt sie einen heimlichen Rachefeldzug gegen Hal, der unabsichtlich das Unglück verursacht hat.
Es braucht noch einiges an schlimmen Geschehnissen, ehe Jen begreift, daß die Liebe kein Fluch ist und auch das Leben nicht, sondern einfach nur schrecklich und schön zugleich.
Das Thema des Romans ist schon etwas Besonderes, die Sprache ist ganz wunderbar, aber das ist nicht das, was dieses Buch heraushebt. Das ist seine Form. Es ist nämlich in Versen geschrieben. Keine Reime, das nicht, aber Verse, manchmal nur vier Zeilen auf einer Seite, ein anderes Mal knapp zwei Seiten lang. Die Perspektive wechselt, alle auftretenden Personen, die Eltern, die Teenager erzählen abwechselnd von sich und ihren Gefühlen. Jen, die Hauptfigur, ist es, die die Geschichte zusammenfaßt, am Laufen hält und schließlich beendet.
Durch die Versform beschränkt sich die Beschreibung auf das Wesentliche, die eigentlichen Empfindungen. Die Ängste, Verzweiflung, die Verstörung, das Ausmaß an Liebe von Teenagern wie Eltern ist auf das Eigentliche reduziert und dadurch umso deutlicher. Die kurzen Zeilen lassen sich geradezu harmlos aufnehmen, entwickeln aber nach einigen Seiten einen Sog, der einen unversehens in die Handlung zieht und dort geradezu gewaltsam festhält. Der Rhythmus der Worte bringt Dynamik, Tempo, das stellenweise ebenso brutal ist wie die Ereignisse es sind, an anderen Stellen ruhig, wenn einem die Autorin eine Pause gönnen will. Sie schenkt einem wunderschöne Bilder, von Charlies Auto etwa, das sein Vater nach seinem Tod Jen schenkt oder - unvergeßlich - ein Pfau im Schnee.
Manche Zeilen sind herzzereißend in ihrer Schlichtheit, etwa wenn es Jens Mutter klar wird, daß ihre Liebe einseitig ist
‚Er liebt mich nicht’ sagt sie verhalten – als sie den Geschirrspüler einschaltet. – Er bebt – gibt ein dünnes Heulen von sich – und geht an seine Arbeit.’ (Auszug aus einem längeren Stück) oder Connie damit kämpft, daß ihre Eltern es nie akzeptieren werden, daß sie lesbisch ist: Alles, was ich will: – Hand in Hand – mit meinem Mädchen – die Straße entlangspazieren’ (vier Zeilen auf einer Seite) aber auch wunderbar komisch, etwa, wenn die Mädchen sich wegen einer Strandparty zum erstenmal an Haarentfernung mit Flüssigwachs wagen oder Jens Ungeduld über Grace: Sie legt ihr Lieblingsvideo ein. – Sie hat Sound of Music – über 500mal gesehen – aber sie liebt es immer noch. – Mom und ich – wir kennen es in – und auswendig – jedes verdammte Lied, jedes verdammte Wort – wir könnten Julie Andrews abmurksen. (Auszug aus einem längeren Text)
Es ist ein ganz wunderbares Buch und ich wünschte, es gäbe mehr AutorInnen, die so überzeugt experimentierfreudig sind.
PS.: Die Übersetzungen sind von mir