Es ist gerade richtig dick, schön gebunden, mit Lesebändchen, verlockend dunkelrot und auf dem Umschlagbild springt ein Mädchen auf dem Rücken eines stolzen Pferds durch einen goldenen Ring. Wie kann man da widerstehen?
Papavera heißt eigentlich Veronika. Den besonderen Namen hat sie nach dem Spitznamen ihres Vaters bekommen, den seine Adoptivmutter ‚Papavero’ nannte (sie stammte aus Italien), Mohn, denn er hat knallrotes Haar. Genauso wie Veronika. Die Geschichte beginnt aber nicht in Italien, sondern in Franken, auf einer Burg über der Altmühl. Was die fränkischen Bauern aus dem wohlklingenden Namen ihres Grundherrn bzw. seines Töchterleins gemacht hätte, darüber wagte ich nicht nachzugrübeln. Überhaupt ist Grübeln nicht das, was man bei diesem Buch machen soll.
Es ist eine bunte Geschichte, handlungsorientiert würde man vornehm sagen, ein wildes Durcheinander, sage ich. Es ist abenteuerlich im besten und zugleich im schlimmsten Sinn des Wortes. Die Geschichte spielt ‚eher früher’, mehr so im Mittelalter, denn wir brauchen Burgen (stolz), offene Feuer (warm), Brunnen (gelegentlich gefährlich) und Landstraßen (staubig), einen Kreuzzug (etwas, das Ritter tun) und Jerusalem (weil da jeder hinwill) als Kulisse; Freiherren (Papa und Mama), Raubritter (der Opa), Nonnen (die Tante), Priester (nicht verwandt), Knechte (fleißig), Mägde (mütterlich) und Ammen (arabisch!!) auf der Liste der auftretenden Personen sowie einen Gaugrafen als Bösewicht (Hakennase, hartes Kinn und dem Alkohol zugeneigt).
Ebenso brauchen wir die Inquisition (fies), Raub und Mord (blutig), Bauernregeln (so wissen wenigstens die Bauern, was abgeht), eine Flucht nach der anderen, am Leintuch hinab in den Bärengraben (mit Bär, betäubt) und durch Sümpfe (matschig), über die Alpen (steil) bis Venedig (s. jeden beliebigen Reiseführer) und für die, denen es auch da zu eng wird, flugs übers Meer (naß) und durch die Wüste. (Nein, kurz vor dem wilden Kurdistan finden sie tatsächlich die Bremse.)
Da es ein Jugendbuch ist, brauchen wir auch Moral, wie man früher gesagt hätte. Hier haben wir zeitgemäß political correctness. Daher finden wir unter den Helden Außenseiter der Gesellschaft, einen Zwerg, einen jüdischen Jungen (in Venedig, wo sonst) und jede Menge Moslems (mehr so um Jerusalem rum). Alle wollen sie nur das eine: sich liebhaben. Platonisch, natürlich, es ist ein Jugendbuch und völlig Busenfrei (abgesehen von der Szene mit der Amme). Das Blut spritzt dafür umso kräftiger, aber das war früher so!
Habe ich etwas vergessen? Ach, genau, den besten Freund eines Mädchens. Ihr Pferd. Er heißt Tassilo und hat es nicht verdient, daß ich über ihn spotte (noch daß er in diesem Buch auftaucht), Tassilo ist nämlich wirklich in Ordnung. Er ist treu und tapfer und zuverlässig – und er hält immer den Mund. Eine Erholung bei dieser Geschichte, bei der der Autor hin und wieder Fabulierlust mit Geschwätzigkeit verwechselt.
Kurz zur Handlung: Papaveras Vater verschwindet drei Jahre, ehe die Erzählung einsetzte, spurlos. Es heißt, er habe sich dem Kreuzzug Friedrichs II. angeschlossen. Die Mutter stirbt auch bald. Der benachbarte Gaugraf will Papavera heiraten, natürlich um ihre Burg zu bekommen. Als sie ablehnt, klagt er sie als Hexe an. Sie flüchtet und weil sie nicht weiß wohin, beschließt sie, dem Kreuzfahrerheer nachzuziehen, um ihren Vater zu finden. Doch den Hexenvorwurf kann sie nicht so leicht abschütteln, ein Vollstrecker ist ihr auf der Spur....
Dazu noch ein Geheimnis in der Familiengeschichte, ein goldener Ring, rätselhafte Träume und der geheimnisvolle bunte Orient (Richtung Zuckerpuppe aus der Bauchtanzgruppe) und fertig ist der Mix ‚Abenteuerbuch für den verregneten Sonntagnachmittag’.
Stilistisch ist es gar nicht mal so übel, nicht unoriginell knüpft es an Fabeln und Märchen an, an Volksschwänke und an die Geschichten aus Tausend und einer Nacht. Das ist mitunter ein wenig zu viel, aber insgesamt gut lesbar.
Es ist ein Buch für das Lesealter ab ca. 12, ein Alter, in dem es die Masse macht. Da sind die Bücher wie die Gummibärchen, Marshmallows und Chips, die man Tütenweise in sich hineinschaufelt. Das ist das Alter, in dem man mit glühenden Wangen wegtaucht in fremde Welten. Es schadet auch nicht, Jugendliche können sehr wohl unterscheiden und sie wissen genau, daß Salat eigentlich gesünder ist als Fischstäbchen.
Ich habe dagegen überhaupt nichts einzuwenden. Abenteuerbücher sind völlig in Ordnung, auch wenn sie zu zwei Dritteln aus Klischees und Stereotypen bestehen. Ich hätte nicht mal gegen die Sache mit der religiösen Toleranz etwas einzuwenden, obwohl es eine Art weichgespülter ‚Nathan der Weise’ ist und für erwachsene Leser bloß Schmus.
Einwände habe ich aber, und zwar beträchtliche, weil der Verlag das Buch als ‚historisch’ vorstellt. Weil er auf der Umschlagklappe mit einem Satz des Autors wirbt, der von sich behauptet, er schreibe über die Vergangenheit, so wie sie war. O, ich zitiere falsch. Wie sie wirklich war, sagt der Mann.
„In meine Arme“, möchte ich rufen. „Darauf hat die Welt gewartet. Endlich einer, der weiß, wie es war.“
Und Schweine können fliegen. Wirklich.
Man muß es nur glauben.