Es ist September, der 13. genau gesagt, das neue Schuljahr hat begonnen und Jack ist entsetzt. Diese Englisch-Lehrerin, Miss Stretchberry, spinnt die? Wie kam sie denn auf die Idee? Gedichte soll die Klasse schreiben. Neeeee!
Ich will nicht.
Jungs schreiben
keine Gedichte
Mädchen schon
Mit diesen drei Sätzen beginnt eine richtig schön ausgedachte und richtig schön geschriebene kleine Erzählung über Dichten und Gedichte. Über die vielen Möglichkeiten, mit Wörtern umzugehen, das Spielen, das Malen, das Bauen mit Wörtern, solange, bis sie einen ganz bestimmten Sinn haben. Bis sie ausdrücken, was man fühlt. Bis sie eine Geschichte erzählen.
In diesem Fall, so stellt sich heraus, ist es eine, die Jack eigentlich gar nicht erzählen will.
Sharon Creech ist längst eine der bekanntesten US-amerikanischen Autorinnen von Kinder- und Jugendbüchern. Sie wurde 1945 in einem Vorort von Cleveland geboren und arbeitet viele Jahre als Lehrerin, fast zwanzig Jahre auch in England und in der Schweiz. Wie sie einmal in einem Interview sagte, stellte sie bereits im ersten Studienjahr fest, daß es ihr schwerfiel, Dinge einfach so wiederzugeben, wie sie den Fakten nach sind. Was immer sie zu berichten hatte, formte sich umgehend zu einer eigenen Geschichte. Eben diese ganz ungenierte Lust am Erzählen ist es, die ihre Bücher für mich so unwiderstehlich macht.
So auch Jacks Geschichte. Im Lauf der Schuljahrs und unter dem freundlichen, aber nie nachlassenden Druck der Lehrerin lernt Jack, daß Worte ein Mittel sind, Gefühle auszudrücken, Liebe, Zorn und Trauer. Daß Sprache Wunder wirkt, daß mit Worten umgehen eine Art des Zauberns ist, des echten Zauberns, durch das sich die Welt verändert.
Das Ganze ist erzählt in kurzen protokollartigen Einträgen zu den jeweiligen Englisch-Stunden, mit Datum versehen, Schulwoche für Schulwoche, in denen Jacks wechselnde Empfindungen beschrieben werden, seine Ablehnung, die Schroffheit, die Angst und zugleich die Neugier.
Dazu kommen die Beispiel-Gedichte aus der Literatur, die die Lehrerin vorstellt, und schließlich Jacks eigene Versuche, in denen er immer deutlicher ausdrücken kann, was ihm sehr nahegeht. Die Sache mit Sky, seinem kleinen gelben Hund nämlich.
Am Ende hängt ein richtiges Gedicht von Jack, mit seinem Namen versehen, an der Wand im Klassenzimmer. Es ist ihm nicht mehr peinlich, er steht dazu wie auch zu dem traurigen Erlebnis mit Sky. Daß er dann noch einen richtigen, lebenden Dichter kennenlernt, ist ein passender Schluß für eine Geschichte, in der es ums Zaubern geht, ein Märchenschluß sozusagen.
Mir ist der Schluß eine Spur zu dick aufgetragen, es hat ein wenig den Beigeschmack von ‚Verlust des geliebten Tiers kompensiert mit Gewinn durch die Worte eines echten Künstlers’. Trotzdem paßt es, es ist ja ein Kinderbuch.
Die Beispiel-Gedichte entsprechen dem, was im (US-amerikanischen) Schulunterricht üblich ist, W.C. Williams Schubkarre, Frosts Wälder im Schnee, Blakes Tiger natürlich und dazu zeitgenössische Stücke aus den 90er Jahren z.B. von Walter Dean Myers, der dann auch persönlich auftritt. Auch die Autorin hat ein Gedicht geschrieben, eines der sog. konkreten Gedichte, einen Text mit dem Titel ‚Der Apfel’ in Form eines Apfels (incl. Wurm). Es ist klasse!
Daß das Ganze ein Problem für ÜbersetzerInnen ist, ist klar. Knappe Sprache, gefühlsbetont, aber nicht sentimental. Und Lyrik, da wird es heikel. Die Übersetzung wurde hin und wieder auch kritisiert. Ich habe das Büchlein zuerst auf Deutsch gelesen, einfach, weil es mir so in die Hände geriet. Da hatte ich wenig zu bemängeln, der Lesefluß stimmt, man versteht Jacks Gefühle sehr, sehr gut. Schwierig ist es bei den Gedichten, gerade bei Blake und Robert Frost, die im Original gereimt sind. Sie sind aber gar nicht so schlecht nachgereimt, der Klang ist nachempfunden. Wenn man das Original gar nicht kennt, ist das Ganze ein ungetrübter Genuß. (Übersetzerin Adelheid Zöfel)
Die deutsche Ausgabe hat noch dazu kleine gelbe Bilder mit einem kleinen gelben Hund, der sich auf den Seiten tummelt. Gezeichnet wurden sie von Rotraut S. Berner. Mir gefallen sie ausgeprochen gut, ich habe bedauert, daß die US-Ausgabe sie nicht hat.
Wirklich empfehlenswert, auch zum Vorlesen.
Und natürlich, um umgehend eigene Versuche im Dichten machen.