"Die grauen Seelen" Philippe Claudel

  • "Die grauen Seelen" Philippe Claudel


    Inhalt:
    Im Winter 1917 wird in einem kleinen französischen Ort die Leiche eines zehnjährigen Mädchens gefunden; die Umstände des Todes bleiben lange Zeit ungeklärt. Doch der örtlich zuständige Gendarm hat nie aufgegeben, den Tod des kleinen Mädchens aufzuklären.


    Autor:
    Der Autor, geb. 1962 und in einem Dorf in Lothringen aufgewachsen, früher als Lehrer tätig, übt heute eine Dozententätigkeit in den Bereichen Kulturanthropologie und Literatur aus.
    Sein Roman "Die grauen Seelen" erhielt den Prix Renaudot.
    Weitere Bücher, die im Sommer in deutscher Sprache erscheinen,sind
    "Monsieur Lingh und die Gabe der Hoffnung" und "An meine Tochter".


    Meine Meinung:
    Wer nach Lesen der Inhaltsangabe einen klassischen Kriminalroman erwartet, wird von diesem Buch enttäuscht sein, denn die Tätersuche spielt in diesem Roman nur eine nachrangige Rolle.
    Stattdessen erwartet den Leser eine zarte und sensible, zuweilen auch eine grausame Geschichte eines französischen Dorfes und seiner Bewohner nah am Krieg und doch irgendwie verschont von dessen Geschehen.
    Mit wachem Blick skizziert der Autor die Charaktere der Dorfbewohner und verwebt diese Fäden kunstvoll zu einer Geschichte, die den Leser nicht so schnell loslassen wird.
    Zur Umsetzung der großen Themen in der Literatur (Leben, Liebe, Schuld,Tod) bedient sich der Autor einer einfachen und klaren Sprache, die überzeugt. Und in jedem Kapitel ist man wieder auf's Neue erstaunt, wieviel (Lebens-)Weisheit in den Sätzen dieses Autors steckt und woher er sie nimmt.
    Bei allem Lob, das die Presse über dieses Buch ausgeschüttet hat, sollte jedoch nicht verschwiegen werden,dass dieses Buch stellenweise grausam und erbarmungslos ist. Der Autor versteht es, den Leser bei der Lektüre dieses Romans frieren zu lassen. "Die grauen Seelen" berühren nicht nur,sie gehen an die Substanz und erfordern Durchhaltevermögen.
    Wer jetzt vermutet, dass Claudel brutale Szenen schildert, der irrt. Vielmehr schafft der Autor mit seiner eindringlichen Erzählweise eine Nähe zwischen Leser und Protagonisten, die den Leser mithoffen und -leiden und letztlich zu der Erkenntnis kommen lässt, dass das Leben eine Grauzone ist.


    Mein Fazit:
    Anspruchsvolle Literatur, der man viele Leser wünscht und ein Buch für all diejenigen, die Antworten auf die existentiellen Fragen des Lebens suchen.

  • Zunächst mal ist es ziemlich schwer für mich über dieses Buch zu berichten,die richtigen Worte zu finden,um meine absolute Bewunderung für dieses Buch kund zu tun.
    "Die grauen Seelen" ist solch ein Buch, für das ich neue Superlative von gut erfinden müsste,um es zu beschreiben und hervorzuheben.
    Es ist sicher kein heiteres Buch,obwohl ich oft lachen musste; doch es war ein Lachen,welches einen meist mit einem schlechten Gewissen zurückgelassen hat.
    Es ist wohl eher eine düstere,traurige Geschichte,die einem Gedanken an Alter,Einsamkeit,Traurigkeit,Hoffnungslosigkeit und Tod mitbringt.
    Zunächst wirft Claudel Fragen auf.Warum ist der Staatsanwalt traurig,wer hat die kleine Belle de jour ermordet und wer ist überhaupt der Erzähler?
    Stück für Stück erklärt er nun die Motivation der einzelnen Personen,
    bringt einem alle Charaktere der Geschichte sehr nahe,beschreibt ihr Leben,ihren Werdegang und ihr Innerstes.
    Die Geschichte absorbiert einen förmlich,lässt einen nicht mehr los.
    "Seelenkrimi" steht im Klappentext,dieses Wort beschreibt das Buch eigentlich sehr gut.
    Das Buch hat mich tief berührt,zwar teilweise auch gepeinigt,betrübt und mit Kloss im Hals hinterlassen,dennoch ist "Die grauen Seelen" sprachlich und inhaltlich ein fantastisches Buch!
    Zu recht preisgekrönt und hätte ich einen zu vergeben,Claudel hätte ihn sicher.

  • Dieses Buch hat mich sehr bedrückt, aber auch sehr beeindruckt.


    Den Erzähler, ein Gendarm, lässt der Tod eines kleinen Mädchens im Winter 1917 nicht los. Sein ganzes Leben lang hat er sich damit beschäftigt Hinweise zusammenzutragen. Zurückblickend erzählt er seine Geschichte. Am Anfang muss man schon genau aufpassen, wenn er von den verschiedenen Zeiten erzählt. Auch weiß man die verschiedenen Personen noch nicht ganz einzuordnen in die Verstrickungen mit dem Mord. Aber der Autor webt geschickt einen großen roten Faden aus den Schicksalen der einzelnen Personen. Dabei offenbart er schonungslos ihre "grauen Seelen". Einige mögen dunkler erscheinen, andere heller als sie tatsächlich sind, doch sie sind alle grau. Niemand ist nur gut oder nur böse.


    Über den Erzähler weiß man zunächst nichts, bis auf das er der Gendarm eines französischen Dorfes war. Erst in der zweiten Hälfte des Buches erfährt man mehr über sein Leben und lernt ihm auch erst langsam zu vertrauen, was den Wahrheitsgehalt seiner Erzählung angeht (so ging es zumindest mir), denn auch er hat seine Schatten auf der Seele, welche er schließlich nicht auslässt in seiner Erzählung. Und auch ich bin ihm durch die wunderbare Erzählweise des Autors nahe gekommen.


    Das Buch ist tatsächlich kein klassischer Krimi, sondern eine zum Teil sehr traurige, beklemmende Geschichte, welche doch so viel Wahres über das Leben enthält. Ich kann mich nur den vorhergehenden Urteilen anschließen: ein wirklich gutes Buch!

  • Aus diesem "Seelenkrimi" strahlt - trotz aller Wehmut - wiederum Philippe Claudels Lieblingsfigurenpaar wie ein reiner Bergkristall hervor: Ein trauernder Witwer in der Retrospektive und ein kleines - d.h. unter 10 Jahre altes - Mädchen (ob sie nun Poupchette, Belle de jour heißt oder einfach namenlos bleibt, wie in "J´abondonne", ist ziemlich egal).


    Ich finde das Cover der dt. Übersetzung wunderschön, jenes der frz. Taschenbuchausgabe hingegen furchtbar. Deshalb SUBte dieses Taschenbüchlein auch schon fast zwei Monate bei mir herum, und wurde nun parallel zur dt. Hardcoverausgabe gelesen. Warum die Übersetzerin Christiane Seiler den medizinischen Fachbegriff "Couperose" nicht einfach so stehen lassen konnte, sondern ihn unbedingt umschreiben musste, ist mir eines der vielen Rätsel, die bei mir das simultane Lesen von Original und Übersetzung immer wieder auslösen.


    Sorry, habe schon wieder schneller gepostet als ich denken kann. :nono Mein Vorsatz für das Forumsjahr 2014: "Zuerst denken, dann posten!" Versprochen !

  • Meine Leihbücherei hat neuerdings auch frz. Hörbücher im Sortiment. Ein Geschenk des Himmels, obwohl das bedeutet hat, dass ich mir extra einen billigen CD-Player angeschafft habe.

    Seit einigen Tagen höre ich also "Les âmes grises" von Philippe Claudel als Hörbuch auf Französisch (5 CDs) an, besonders unterwegs. Ohne die sehr ausführliche Inhaltsangabe von Dieter Wunderlichs Homepage hätte ich jedoch keinen roten Faden entdecken können.


    Das gewählte Cover ist weniger düster als bei der dt.sprachigen Hardcover-Ausgabe. Ein kleines Mädchen mit langen brünetten Augen und geschlossenen Augen liegt im hohen Gras.

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    Die Stimme des Sprechers ist sehr angenehm: Lionel Epaillard.


    Mich stört an diesem Roman jedoch sehr stark die Häufung von Selbstmorden und die Unaufgelöstheit des Mordes an der Wirtstochter "Belle de jours". Anfangs wollte ich dieses Hörbuch wieder abbrechen, aber die aktuelle Kriminalgeschichte des letzten Jahrzehnts kennt durchaus ähnliche "Justizirrtümer". (vgl. Wiederaufnahme des Verfahrens nach bereits 10 Jahren verbüßter Haft im Mordfall Peggy Knobloch (9).