Die portugiesische Reise (eine wahre Geschichte)

  • Die portugiesische Reise (eine wahre Geschichte)


    "Hilde, huuuhuu, hier sind wir!"
    Ich zuckte zusammen, die schrille Stimme der Mittfünfzigerin, die etwa zwei Schritte von mir entfernt ihre weiße Handtasche an sich gedrückt hielt und mit der anderen Hand wild winkte, riss mich aus meinen Gedanken. Hilde kam laut lachend angelaufen und herzte die Mittfünfzigerin. Einem Kometenschweif gleich, zog Hilde eine ganze Heerschar von Frauen gleichaltrigen Aussehens hinter sich her. Einige trugen schwarze Windjacken mit Rückenaufdruck: "Alle Neune und noch einen dazu - Kegelclub Erlangen-Dechsendorf"; ich verkrampfte innerlich.


    Nicht das ich vorher wirklich entspannt im Checkin-Bereich gesessen wäre, nein. Beim Fliegen würde ich meinen Zustand eher als unterschwellig angespannt bezeichnen. Eine latente Unruhe hatte mich schon vor Tagen erfasst, als mir aufgetragen wurde nach Portugal zu fliegen. Das Gespräch mit dem portugiesischen Kollegen beschäftigte mich seitdem.
    "Herr Mendoza, sprechen die Kollegen deutsch?", war meine erste Frage.
    "Nein."
    "Englisch?"
    "Nein."
    "Hm, Herr Mendoza, ich spreche aber kein Portugiesisch."
    "Das macht doch nichts, ich werde dabei sein und einfach alles übersetzen."
    Zugegeben, mir gingen die Argumente aus.
    Kurz darauf hatte ich ein Flugticket in Händen und mich von den Lieben daheim verabschiedet. Ebenso verabschiedete ich mich von einer sorgfältig vorbereiteten Schulung, die, mit kleinen Anekdoten und witzigen Bemerkungen an den richtigen Stellen durchsetzt, stets für eine entspannte Wissensvermittlung gesorgt hatte. Mit Zeitverzögerung übersetzt würde das gewiss weniger Freude bereiten. Da ich meinen Humor vorsichtshalber als eher wenig portugiesisch eingeschätzt hätte, musste es nicht unbedingt ein Nachteil sein mit wenigen Lachern auskommen zu müssen, versuchte ich mir einzureden.


    Also saß ich ein paar Tage später, mit zwei Aspirin und zwei Tabletten eines asiatischen Wurzelextrakts im Magen, gemäß dem Aufdruck meines Tickets im Wartebereich von Gate A10. Nicht, dass ich dem asiatischen Heilkraut tatsächlich eine beruhigende Wirkung zugetraut hätte, aber ich würde bei Vollmond mit Hühnerblut unheilige Symbole auf die Küchenfliesen malen, wenn sowas meine Flugangst beseitigen könnte.
    Eigentlich habe ich gar keine Flugangst; ich habe eher Angst vor Flugzeugen. Vielleicht liegt da auch das Problem mit dem wirkungslosen asiatischen Kraut, das unter anderem Flugangst dämpfen soll: Gegen Flugzeuge an sich wirkt es gar nicht. Gegen Komet Hilde und ihrem alternden Fähnlein Fieselschweif würde es mit Sicherheit auch nicht helfen. Das Gegacker der Dechsendorfer Keglerinnen erinnerte mich an meine Überlegungen zu Hühnermord bei Vollmond. Die schnarrend helle Stimme der dezent uniformierten Dame hinter dem Tresen, die mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck in einen Telefonhörer hinein ihre Ansage machte, holte mich aus meinen Gedanken.
    „Die Passagiere für Flug AB9475, Air Berlin nach Mallorca, können jetzt einsteigen, bitte halten sie ihre Ausweise oder Pässe bereit.“
    Erwähnte ich, dass ein Flug nach Porto viel günstiger kommt, wenn man über Mallorca gebucht wird? Das zumindest behauptete die nette, sparsame Sekretärin, der ich das Ticket zu verdanken hatte.
    Es kam Bewegung in das astronomische Phänomen Hilde und die sie umkreisenden Trabanten, alle in ihrem eigenem Kosmos schwebend, der Mallorca genannt wurde. Ich stand auf, nahm mein Handgepäck und schaffte es aus dem Schwerkraftfeld Hildes zu entkommen. Wahrscheinlich halfen die zerriebenen Wurzelstückchen doch, denn mit dem Gleichmut eines saduzäischen Ochsen schlenderte ich auf Gate A10 zu, wissend, dass ich die kommenden zwei Stunden mit „Alle Neune und noch einen dazu“ verbringen würde.


    „Here is your captain, Markus Schneider...“, quäkte die kaum zu verstehende, rasant sonore Stimme des Piloten aus den Lautsprechern. Markus erzählte von der Flughöhe, der Startgeschwindigkeit, vom Gewicht der Maschine, vom Gewicht des Treibstoffs und das sein erster Offizier, Mr. Spock, gerade die Ankunftszeit wegen eines starken Windes aus Nordosten korrigieren musste. Schließlich endete der Monolog in einem fröhlich dahingenuschelten „Enjoy our charming cabin crew.“; die verteilte kurz darauf jede Menge Getränke. Neidisch beäugte ich, wie ein kleines Mädchen zwei Reihen vor mir die Air-Berlin-Kinderservicetüte bekam: Buntstifte, ein Malbuch mit Rätselspielen und ein zusammensteckbarer Papp-Airbus. Ich hatte mich vor Reiseantritt ausführlich informiert, war aber leider deutlich zu alt für die kostenlose Kindertüte, was ich irgendwie schade fand.
    „Die aktuellen Wetterdaten von Mallorca“, meldete sich Mr. Spock in Vertretung von Captain Markus zu Wort. „15 Grad und eine dichte Wolkendecke bei leichtem Regen.“
    Hilde und die sie umgebenden Planeten verstummten.


    Nach fast zwei Stunden Flugzeit und einer unspektakulären Landung, war der Anblick der Flughafengebäude Mallorcas nüchtern. Hässlich war das zweite Adjektiv, dass mir dabei sofort in den Sinn kam. Wie zu erwarten, ließ ich beim Umsteigen nach Porto Hilde und die anderen Mittfünfziger buchstäblich im Regen stehen. Mit mir hatten sich noch eine handvoll weiterer Passagiere in dem auf einmal recht geräumig wirkenden Airbus eingefunden, was dem Ganzen einen Hauch von Airforce One verlieh. Um dem Präsidentenfeeling etwas mehr Flair zu verschaffen, ließ ich mir ein Kissen reichen und machte es mir in meiner leeren Reihe gemütlich. So gemütlich, dass ich die nächsten eineinhalb Stunden in einem obskuren Traum verbrachte, in dem ich, von Mr. Spock begleitet, auf Kometenjagd ging um die Erde (übersät mit Mallorca-Windrädern), vor der Zerstörung zu retten.


    Apropos, der Flughafen von Porto ist groß, eigentlich riesig. Das futuristische mehrstöckige Gebäude erinnerte mich sehr an dieses famose Raumschiff, dem Richard Dreyfuss in Close Encounters begegnet und zur Begrüßung den Fremden so etwas wie „Alle meine Entchen“ auf einer Bontempi-Orgel vorspielt. Ich wurde ohne musikalische Untermalung von meinem sehr gut Deutsch sprechenden Kollegen empfangen. Die ersten Worte auf portugisischem Boden, die ich von ihm hörte, waren: „Ich muss aufs Klo, einen Moment.“ Dann war er verschwunden. Ich frage mich, wie wohl die Außerirdischen reagiert hätten, wenn Richard, Ring- und Mittelfinger gespreizt, sich mal eben zum pinkeln ins Unterholz geschlagen hätte.


    Ich will an dieser Stelle nicht mit geschäftlichen Details langweilen, also komme ich direkt zu der Sache mit dem Strand. Porto liegt am Meer, am Atlantik sogar, und hat deshalb Strände. Ein vorzeigbares Fleckchen Erde möchte man denken, welches ich mir nach Meinung meines Begleiters nicht entgehen lassen durfte. Ich wurde zu einer kniehohen Mauer chauffiert, zugegeben es war bereits abends, aber vom Atlantik war nichts zu sehen. Vielmehr erfreute ich mich am deutlich hörbaren Meeresrauschen, am salzigen Duft und an einer blickdichten grauen Nebelwand. Ich streckte versuchsweise meinen Arm aus, der von den Schwaden einfach verschluckt wurde. Nach mehrmaliger Versicherung, daß ich den Strand total klasse fand, fuhr mich mein Begleiter ins Hotel.


    Nach dem Einchecken musste ich leider erkennen, daß ich aus der Provinz komme. Ich war noch nie in einem Hotel mit Kartenschlössern an den Zimmertüren. Bisher waren mir nur Standardschlüssel vertraut, an denen mehr oder weniger klobige Nummernschilder (wahlweise in Holz oder Messing) baumelten. Also las ich aufmerksam durch, wie mit Hilfe dieser Karte die Zimmertür geöffnet werden konnte. Bereits beim vierten Versuch klappte das ganz hervorragend. Enttäuscht versuchte ich mich anschließend an allen Lichtschaltern des Zimmers, doch alles blieb dunkel. Im Schein der diffusen Flurbeleuchtung hakte ich per Telefon beunruhigt bei der Rezeption nach.
    „There is no light in my room, aber auch gar keines.“
    “You must put your room card in the little white box near the door”, verriet mir eine amüsiert klingende Stimme.
    “Thank you vielmals, good night.” Ich legte auf und fand die little white box, die ich zuvor bereits als verdächtig blödsinnigen Lichtschalter identifiziert hatte. Geblendet vom Licht aller zuvor eingeschalteten Lampen tastete ich mich nun durch das hell erleuchtete Zimmer zur Nasszelle. Ich musste dringend aufs Klo. Als ich endlich im Bett lag, wurde ich von Richard Dreyfuss auf einer Bontempi-Orgel in den Schlaf begleitet.


    Die Tage vergingen schnell. Wir kamen mit der Arbeit trotz mancher Sprachbarriere gut voran. Das Spannendste war die Wahl des täglichen Mittagmenüs in der Betriebskantine. Ich entschied mich grundsätzlich gegen jene Gerichte, die mir meine portugiesischen Kollegen weder mit ein paar Brocken Deutsch, noch mit Händen und Füßen übersetzen konnten. Meistens wurde ich mit genießbaren Mixturen aus Fleisch, Kartoffeln und Reis von meinen eigenen Entscheidungen überrascht.


    Von Porto nach Mallorca flog ich wieder mit Airforce One und meinem obligatorischen Präsidentenkissen. Ab Mallorca sah die Sache leider ganz anders aus. Von Hilde keine Spur, aber ein belgischer (oder niederländischer) Schrank von Monteur stand mit dreckverschmierten Händen vor 12D, also mir, und wollte auf seinen Platz am Fenster, 12F. Ich stand auf, nickte freundlich und ließ Mr. Schrankwand durch, der, wie ich selbst, sofort seine Armlehne nach hinten klappte um Platz zu schaffen. Zwischen ihm und mir, also Sitz 12E, war in etwa noch der Platz für ein Zwergkaninchen; ein halb verhungertes Zwergkaninchen. Ein paar Minuten später stand Mr. 12E neben mir und starrte auf seinen Platz. Er war kein Zwergkaninchen, sondern eher der gleichen Rasse wie die belgische Schrankwand und ich selbst zuzuordnen: Mutierter Riesenfeldhase. Immer noch auf seinen Platz gaffend, ließ er sich zur einzigen Bemerkung hinreissen, die ich überhaupt von ihm hören sollte: „Na sauber!“
    Ich verbrachte also zwei sehr intime Stunden mit den schweigsamen Kollegen von 12E und 12F und war eigentlich froh darüber, dass mir dazu einfach keine passende Filmszene einfallen wollte.


    Meine Reise nach Portugal war übrigens so erfolgreich, daß mein Chef bereits weitere Besuche von mir dort angekündigt hat. Für das nächste Mal habe ich mir vorgenommen gleich beim ersten Anlauf die richtigen Toiletten zu benutzen (Senhoras sah für mich wirklich wie Senores aus) und mir eines dieser Air-Berlin-Kinderservice-Sets unter den Nagel zu reissen. Ich möchte unbedingt eines dieser Pappflugzeuge gegen Flugangst.


    (c) 2006, Doc

  • Echt genial! Die Hilde nehme ich dir ja noch ab, aber dass die Damen in Dechsendorf kegeln, na ja. Wenn doch, dann auf jeden Fall in Jumbos Kneipe. :lache


    An dieser Stelle möchte ich dir ein Tässchen Hühnerblut spendieren, damit du damit rechtzeitig vor der nächsten Tour die Küchenfliesen verzieren kannst. Angesichts deiner Flugzeugeangst hat Miss Doc dafür totsicher großes Verständnis.


    Ach, es gibt nicht ganz zufällig ein Foto der Herren 12D - 12F? *unschuldig frag*

  • Zitat

    Original von Idgie
    Die Hilde nehme ich dir ja noch ab, aber dass die Damen in Dechsendorf kegeln, na ja.


    Verbuchen wir dieses winzige Detail unter künstlerischer Freiheit und einem kleinem Insiderwink für jahrelange Stammleser. :-)


    Zitat


    Ach, es gibt nicht ganz zufällig ein Foto der Herren 12D - 12F?


    Leider nein, ich habe nicht gewagt aufzustehen und den Foto rauszukramen. Am Ende hätte ich dann den Platz des Zwergkaninchens innegehabt.


    Gruss,


    Doc, sich nach günstigen Hühnern umschauend

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood


    Verbuchen wir dieses winzige Detail unter künstlerischer Freiheit und einem kleinem Insiderwink für jahrelange Stammleser. :-)


    Aha! Also doch! Herr Ronja und ich haben uns gerade gefragt, ob dieses Detail auch "eine wahre Geschichte" ist. :lache


    Ansonsten haben wir uns gerade köstlich amüsiert! Herr Ronja hat beim Geschirr abwaschen schon lange nicht mehr so gelacht!

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Verbuchen wir dieses winzige Detail unter künstlerischer Freiheit und einem kleinem Insiderwink für jahrelange Stammleser. :-)


    Wenn du mich weiter so zum lachen bringst, darfst du dir jede dichterische Freiheit rausnehmen, Hase. Es hat auch prima funktioniert, denn ich sah die Hildeflotte schon polonaisend durch das Jumbos ziehen. :grin

  • Zitat

    Original von bogart
    dechsendorf, dechsendorf? kommt da das beste bier her aus eurer gegend?


    bo



    Das Bier ist (wie Idgie schon richtig bemerkte) aus Zirndorf.




    Erlangen-Dechsendorf hat in diesem Forum bereits eine wechselhafte Geschichte hinter sich. Unter anderem ist dieser Ort berühmt-berüchtigt für Jumbos, eine Kneipe, die den finstersten Hafenkaschemmen dieser Welt in nichts nachsteht (und Dechsendorf hat nicht mal einen Hafen!). Desweiteren war Dechsendorf Schauplatz des wohl spektakulärsten Entführungsversuchs zweier namhafter deutscher Autoren (siehe Bericht über die Lesung von Iris in Frauenaurach irgendwo in den Tiefen des Forumarchivs).


    :-)


    Gruss,


    Doc

  • Herlich! Köstlich! Wunderbar! :rofl
    Hat mir gerade eine Pause versüßt ... :anbet


    Ich würde allerdings empfehlen, Schuhlöffel anstelle des Korkenziehers zu verwenden -- bei letzterem wäre das Risiko zu groß, daß der teure Sitz mit aus der Verankerung gerissen wird ...


    Der besagte Bericht, in dem die Legende von Dechsendorf begründet wart, stammt übrigens von Tom, und ihr findet ihn hier: Iris Kammerer in Frauenaurach oder Dechsendorf sehen und sterben :lache

  • :lache Ich wollte schon immer Mal alleine im Wohnzimmer sitzen und meinen Bildschirm anlachen :grin


    Und das mit den Karten für's Licht ist gemein, nicht wahr? :grin Ich war vor ein paar Wochen in einem Hotel und wollte genau die gleiche Beschwerde einreichen, plus nicht vorhandener Decken (Schrank!) und fehlendem dritten Bett (the chair is the bed!) aber glücklicherweise wurde ich früh genug davon abgehalten..


    Gern gelesen :anbet