Wohnraumlesungsballade

  • Wohnraumlesungsballade


    Berlin – die deutsche Metropole,
    die Stadt des Trubels und der Lichter:
    Fahr nach Berlin und deine Kohle
    subventioniert geniale Dichter.


    Sie bieten dir intime Szenen
    aus ihren Büchern und dem Leben.
    Du brauchst dich nur zurückzulehnen,
    um so ihr Ego anzuheben.


    Erfahre, wo die Dichter wohnen,
    und wie sie trinken, was sie essen.
    Der Trip soll sich für alle lohnen –
    die Lesung wirst du nie vergessen.


    Ein Flammkuchen wird ausgegeben.
    Die U-Bahn darfst du extra blechen
    und über Werke und das Leben
    der Dichter ganz persönlich sprechen.


    Kannst 30 Bier auf Tempo trinken,
    musst echte Nudelsuppe schlürfen,
    glückselig dann zu Boden sinken
    und tief in den Gedanken schürfen,


    die unsere Dichter formulieren.
    Doch eins sollst du gar gut bedenken:
    Sie werden Texte präsentieren,
    nie aber Dir sich selber schenken.


    Nur ihre Seelen sind zu mieten,
    Schlafzimmerblicke bloß Reklame.
    Wer mehr will, muss schon höher bieten.
    Ab Tausend springt vielleicht der Lahme...


    Auf nach Berlin – es wird sich lohnen,
    am Fuß der Dichter geil zu schlecken.
    Mach’s wie die Katzen, die da wohnen –
    dann wirst den Mythos du entdecken.


    Vertrau den sanften Dichteraugen,
    die dich in ihre Stuben locken.
    Sie sind bereit, dich auszusaugen,
    unwiderstehlich abzuzocken.


    Und fährst du dann gen Heimat wieder,
    fühlst du dich frei und neu geboren.
    Du singst Mitsus und Henrys Lieder
    und lebst fortan in Bücherforen...

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

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  • Anfangs dachte ich ja noch, der Churchill will sich ganz schlau ein Stückchen vom Wohnraumlesungsruhm reservieren, indem er ein paar Verslein schreibt, die dort zur allgemeinen Erheiterung vorgetragen werden. Aber mit den letzten Strophen hat er diese Chance verspielt...


    Hübsch gedichtet und irgendwie trifft's ja auch - die Veranstaltung bedient unsere voyeuristischen Bedürfnisse...

  • Zitat

    Original von Waldfee
    Hübsch gedichtet und irgendwie trifft's ja auch - die Veranstaltung bedient unsere voyeuristischen Bedürfnisse...


    Nur die, oder vielleicht ein bißchen
    auch die exhibitionistischen? :lache


    Mir gefällts! :-)

  • Churchill,


    alle Achtung!


    Sowohl Vers - als auch Augenmaß vollendet bewahrt.


    Ich sehe, Du bist das perfekte Exemplar einer wunderbar-wunderlichen und seltenen Eulenart:
    der echten Spotteule (Strix satirica extraordinaria) !


    :anbet :anbet


    magali (hab ich gelacht!)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus