April in Paris - Michael Wallner

  • Es muß etwas Besonderes sein am April, das gerade diesen Monat für Schriftstellerinnen und Schriftsteller so anziehend macht. Frühlingshoffen, Westwind, feuchtwarm wie Tränen, Krokusse und Narzissen, die neues Leben verkünden und so schnell verblühen. Wechselhaft, trügerisch in seinem ersten Glanz für Shakespeare. Grausam für T.S Eliot, bezaubernd für Elisabeth von Arnim, Monat der Liebenden und der Narren, was doch nur ein und dieselbe Geisteshaltung ist.
    Paris nicht minder die Stadt der Liebenden (warum eigentlich?), April in Paris singt Billie Holiday, What have you done to my heart?.
    Der April ein Versprechen, das nicht eingehalten werden kann. Avril prochain, je reviens singt Maurice Chevalier in diesem Roman von Michael Wallner. Ebenso wie der April keine Versprechen hält, wird auch im zukünftigen April keiner mehr zurückkommen.


    Doch zunächst singt Chevalier noch Ma Pomme. Stunde um Stunde dreht sich die Schallplatte mit dem immergleichen Schlager vom unbekümmerten jungen Mann, der sein Bistro liebt und völlig ohne Ambitionen vor sich hinlebt, auf dem Plattenspieler ein Stockwerk über dem Zimmer, in dem Roth wohnt, Obergefreiter Roth aus München. Wir sind im Frühling des Jahrs 1943, Paris ist von den Deutschen besetzt. Roth ist 22, eigentlich wollte er Jura studieren, der Krieg kam dazwischen. Nun sitzt er in Paris bei der Wehrmacht als Übersetzer. Die Front ist irgendwo im Osten und dort ist der Tod, weit weg. In Paris geht es eher locker zu, fast langweilig, ein wenig Dienst, ein wenig dienstfrei. Das Leben ist irgendwo da draußen, nein, Roth hat keine Ambitionen.
    Doch eines Tages wird er versetzt, vorübergehend, heißt es, in die Rue des Saussaies, ins Hauptquartier der Gestapo. Übersetzen muß er nun die Geständnisse, die von der SS aus französischen Gefangenen herausgeprügelt werden. Roth versucht sich zu entziehen, er verdrängt. Er flieht, doch nur stellvertretend, indem er abends in Zivil durch Paris spaziert, unter falschen Namen, als Franzose unter Franzosen, ein hilfloser Versuch, ein anderer zu sein. Als Antoine trifft er Chantal, die Buchhändlerstochter. Eine Liebe beginnt, im vermeintlichen Nirgendwo zweier Liebender und doch in einer besetzten Stadt, zwischen Ausgangsperre und Soldatenamüsements, Widerstand und Verfolgung, Glücksmomenten und den Folterkellern der SS. Denn seine neuen Dienstgeber kommen Roths Maskerade auf die Spur und auch Chantal ist nicht nur eine einfache Friseuse.
    Es ist eine bewegende Geschichte, eine Liebesgeschichte mitten ins Herz. Sie liest sich wunderbar.


    Einwände? Ja. Einmal sprachlich. Vor allem im ersten Drittel ist der Text durchsetzt mit französischen Sätzen. Sie sind nicht unbedingt notwendig, man weiß doch, daß man in Frankreich ist, sie sind nicht mal pariserisch, die Wörter haben allesamt die ordnungsgemäße Anzahl der Buchstaben. Sie wirken eher wie eine Grammatikübung und können LeserInnen, die gar kein Französisch könne, abschrecken. Das wäre schade.
    Ein ähnliches Problem sind die vielen kursiv gesetzten Wörter, die nur Betonung bedeuten. Zu einem solchen Mittel sollte ein Autor nicht greifen müssen, dieser Autor hier schon gar nicht, April in Paris ist schließlich sein vierter Roman.
    Andere sprachliche Eigenheiten mögen der österreichischen Herkunft des Autors geschuldet sein. Sein eigentlicher Beruf als Schauspieler und Regisseur wird auch spürbar bei der Lektüre und das wiederum ist gut.


    Ein zweiter Einwand ist für mich gewichtiger. Warum spielen solche Liebesgeschichten so oft unter den Nazis? Warum nicht in Irland, Südafrika, Algerien, dem Kossovo? Die Frage muß man vor allem stellen, wenn man bedenkt, wie sehr die Zahl an Büchern und Filmen, die sich fiktional mit diesen Jahren auseinandersetzen, seit 1990 gewachsen ist. Wir haben es in solchen Geschichten schon mit der Erinnerung an die Erinnerung zu tun. Was ist ‚echt’, was sind längst vertraute Stereotypen, die wir nicht mehr missen wollen? Die Frage nach der Verkaufsträchtigkeit des Themas wurde auch in den Feuilletons schon gestellt.
    Sie kam mir hier vor allem deshalb, weil es Stereotypen gibt, den schwulen SS-Offizier ebenso wie die sexbessene Walküre. Vom Bordell gar nicht zu reden.
    Sie kam mir, weil der zweite Teil des Buchs mehr der SS als der Liebe gewidmet ist. Der seelische Schmerz der unerfüllbaren Liebe findet dort einen sehr direkten Ausdruck in körperlichem Schmerz, den der Protagonist ertragen muß. Ein wenig zu aufgesetzt heldenhaft für meinen Geschmack und zu blutig, da bleibt einem kein Hautfetzen erspart.


    Dennoch stimmen die Bilder, die Anlage und der wunderschöne Erzählton (obwohl die Perspektive gelegentlich leidet. Dafür gibt es kaum Adjektive :grin )
    Und der Schluß ist stimmig, wenn auch mit sehr dicken Pinsel gemalt wird.


    Ein Buch zum Lesen, zum Genießen und zum Diskutieren also, ja, nein, schön, ‚gemacht’, gelungen, sentimental, ja, nein, trügerisch, wechselhaft, bezaubernd, grausam.
    Wie der April eben.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ich habe das Buch nicht bis zum Ende gelesen, sondern mir das letzte Drittel erzählen lassen. Deshalb ist meine Meinung auch nur eine 2/3 Meinung.


    Der Plot an sich ist nicht neu. Ich habe schon mehrfach Liebesgeschichten dieser Art gelesen. Und natürlich - Magali, du hast Recht - spielten diese Geschichten meist in der Nazizeit.
    Eine wunderbare Ausnahme - off topic und als Lesetipp - ist das Buch "Ein Sonntag am Pool in Kigali".


    Die Liebesgeschichte zwischen Antoine und Chantal erschien mir blass, leidenschaftslos, eher ideologisch richtig als von Emotionen getragen.
    Die Sprache holperte zum Teil, die Beschreibungen der Folterszenen müssten mit dem Aufkleber "ab 18 Jahre" versehen werden.


    Für mich ein Buch, das man lesen kann, aber nicht lesen muss.

  • Meine Meinung:
    Eine ungewöhnliche und unmögliche Liebesgeschichte in den Wirren des Zweiten Weltkriegs mitten in Paris. Nüchtern erzählt und vielleicht deshalb so nachhaltig auf mich wirkend, es bleibt Raum für die Schrecken, die neben den Folterszenen unausgesprochen bleiben. Diese Liebe kostet Kraft und Menschenleben und ist doch das einzige was am Leben erhält. Ein sehr schönes Buch, bei dem ich nur deswegen keine Träne vergossen habe, weil ich es in der Öffentlichkeit (Zug) gelesen habe, mich aber sehr berührt hat. Einziger Kritikpunkt: Als Leserin ohne weitere Französisch-Kenntnisse haben mich die nicht-übersetzten französischen Sätze schon sehr gestört.


    :bruell Danke Wolke für den Tipp! :knuddel

  • Ich hab es heute beendet und bin ein wenig enttäuscht. Ich hatte mehr Liebesgeschichte erwartet. Tränen gab es bei mir keine.


    Für mich stand im Vordergrund der Geschichte die Grausamkeit der Nazis, die auch oder gerade zu eigenen Leuten grausam sind, um unter Folter die "Wahrheit" zu erfahren.


    Die Liebesgeschichte nimmt weniger Raum ein, es passiert nicht so viel, das meiste geschieht in den Gedanken des Mannes. Seine Gefühle und Gedanken werden sehr ausführlich geschildert. Die Gedanken an Chantal helfen ihm über die Schmerzen hinweg, lassen ihn überleben.


    Die Sprache hat mich teilweise auch gestört, manche Abschnitte waren so "wurschtelig" geschrieben, doch das ist Geschmackssache, ich brauchte eine Weile, bis ich drin war.


    Beim Lesen dachte ich immer wieder an "Die Liebenden des Lichts", was mir erzähltechnisch und von der Liebesgeschichte wesentlich besser gefallen hat. Die Geschehnisse im besetzten Paris hat "April in Paris" jedoch sehr gut geschildert.

  • Zitat

    Original von magali


    Einwände? Ja. Einmal sprachlich. Vor allem im ersten Drittel ist der Text durchsetzt mit französischen Sätzen. Sie sind nicht unbedingt notwendig, man weiß doch, daß man in Frankreich ist, sie sind nicht mal pariserisch, die Wörter haben allesamt die ordnungsgemäße Anzahl der Buchstaben. Sie wirken eher wie eine Grammatikübung und können LeserInnen, die gar kein Französisch könne, abschrecken.


    :write


    Französisch mit abnehmender Übersetzung. Anfänglich werden die Sätze noch übersetzt, dann immer seltener. Habe kein System darin entdeckt.


    Ein kleines Detail am Rande, das mich sprachlich allerdings wahnsinnig gemacht hat, ist die Verwendung des bestimmten Artikels vor Madame.
    Das liest sich dann fast so, als würde man mit Fingernägeln über eine Schiefertafel kratzen: "die" Madame :yikes


    Die story ist irgendwie clean, äh ....pardon, propre biensure! :lache

  • Zitat

    Original von Eli
    Ein kleines Detail am Rande, das mich sprachlich allerdings wahnsinnig gemacht hat, ist die Verwendung des bestimmten Artikels vor Madame.
    Das liest sich dann fast so, als würde man mit Fingernägeln über eine Schiefertafel kratzen: "die" Madame :yikes


    In diesem Fall ist die Verwendung des Artikels vor Madame aber schon korrekt. Es geht da ja nicht um den Titel "Frau Soundso" sondern um die Berufsbezeichnung Madame - die Vorsteherin eines Bordells.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Eine schoen erzaehlte Liebesgeschichte, aber auch ein Thriller und ein historischer Roman - all das bekommt man mit diesem Erstlingsroman von Michael Wallner geliefert. Dabei truegt das Cover ein wenig, denn so romantisch wie das tanzende Paar auf den Strassen von Paris ist diese Liebe nicht. 1943 in Paris ist keine einfache Zeit, weder fuer die Franzosen noch fuer die deutschen Besatzer. Und das spuert man sehr wohl beim Lesen.


    Fuer mich war die Sprache durchaus gelungen. Die franzoesischen Textstellen waren fuer mich kein Problem, auch fuer meine eher angerosteten Sprachkenntnisse. Ob es dem Buch etwas besonderes gebracht hat, bleibt aber fraglich. Ich mochte einfach die Ich-Perspektive hier und die fluessige Erzaehlung. Da war auch durchaus Spannung dabei, nicht nur die Spannung der Ereignisse sondern auch die Spannung, die sich aus den widerspruechlichen Gefuehlen und Gedanken des Protagonisten ergeben. Er will sich seiner eigenen Verantwortung in diesem Krieg entziehen, aber kann er das wirklich? Nicht wirklich neue Gedanken, aber durchaus gut beschrieben.


    Mein groesstes Problem war eher mit der Glaubwuerdigkeit der Geschichte. Ich find es einfach schwierig mir vorzustellen, dass so eine Liebesgeschichte, so eine Verwandlung wirklich moeglich waren. Der Schluss hat mich allerdings wieder versoehnt. Sehr stimmig und beeindruckend geschrieben.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Anfang der 40er Jahre: Der 23jährige Obergefreite Roth sitzt als Dolmetscher den SS-Verhören im besetzten Paris bei. Die Brutalität seiner Vorgesetzten schockiert ihn, dennoch erhebt er nicht das Wort dagegen – anders als Chantal. Sie ist eine junge Französin, die sich im Untergrund gegen die Besetzung der Deutschen wehrt.
    Die beiden begegnen sich zum ersten Mal vor einer Buchhandlung in Paris. Roth, der das Mädchen auf einem seiner Streifzüge in zivil, entdeckt, ist sofort verzaubert. Doch wie kann er ihr nahe kommen, ohne seine Herkunft und Arbeit Preis zu geben? Die Lösung scheint ein Doppelleben zu sein: Tagsüber ist Roth der Obergefreite aus Deutschland, abends ist er Antoine, der Franzose vom Land, der langsam Zugang zu Chantals Leben findet – ein gefährliches Unterfangen für alle Beteiligten…



    Vorweg: Dieses Buch hat von mir 10 Punkte bekommen. Warum?
    Zunächst einmal versteht es Wallner mit einer sehr klaren, prägnanten Sprache Bilder zu erzeugen, die die Geschehnisse nahezu wie einen Film im Kopf ablaufen lassen. Auf bedeutungsschwangere Metaphern wird verzichtet, trotzdem wirkt das Geschriebene sehr lebendig. Das Tempo ist dabei recht schnell und die Ereignisse überschlagen sich, wodurch der Leser in einen Strudel aus Emotionen gezogen wird. Brutalität, Melancholie, Romantik und Verzweiflung sind die großen Themen des Romans. Dabei wird es nie kitschig oder abartig. Trotzdem bleibt die Wirkung nicht aus: Die Verhöre schockieren, die Liebesgeschichte berührt und das Versteckspiel erzeugt eine mitreißende Spannung. Ein grandioser Facettenreichtum, der mich überzeugen konnte!