Seid ihr schon mal als "Nazi" beschimpft worden?

  • Bisweilen passiert es in anderen (internationalen) Foren: Wenn der Streit nicht mehr argumentativ bedient werden kann, kommt ziemlich schnell der Vorwurf in Richtung derjenigen, die noch komplette Sätze bauen können.
    Je nun.
    Damit kann ich gut umgehen. Staunen macht es mich, wenn ich zu hören bekomme "Ihr Deutschen, ihr seid ja alle so ... (beliebiges, meist jedoch negativ gemeintes Adjektiv)".
    Ist das nicht auch eine - notabene milde - Form von Rassismus?
    Aber wehe, ich ventiliere das als Antwort.


    Schöne Grüße von blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • @ blaustrumpf
    ist das nicht immer so?
    Wenn die eigenen Argumente nicht mehr greifen, versucht man eben anders auf sich aufmerksam zu machen.
    Das funktioniert auch andersrum sehr gut. :-(

  • Strix Bubo


    Was für ein schönes französisches Erlebnis. Ich nehme an, ihr habt euch bei der alten Dame wirklich wohl gefühlt. In Frankreich ist mir nur im Süden vereinzelt so etwas wie Ausländerfeindlichkeit aufgefallen. Bei einem Schüleraustausch Mitte der 70er Jahre wurden wir deutschen Schüler in der Champagne sehr freundlich aufgenommen. In den südlichen Provinzen hält sich offenbar bis heute eine ausgeprägtere Antipathie gegen Ausländer und das nicht nur bezogen auf Deutsche.


    Eine Freundin von mir, die etliche Jahre in USA gelebt hat, hat dagegen häufiger mal mit Beschimpfungen als Nazi leben müssen. Richtig schlimm war es, als Mitschüler ihre Tochter im Teenageralter als Nazihure beschimpft haben. Das Mädchen war zu Recht geschockt. Dummerweise hatten die Lehrer auch nicht gerade sehr viel Feingefühl, denn die Forderungen meiner Freundin, soetwas zu beenden und mit den Übeltätern zu reden, sind auf taube Ohren gestoßen. Allerdings gab es auch in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft das gegenteilige Bild. Sie ist von den überwiegend jüdischen Nachbarn nicht nur herzlich aufgenommen worden, sondern erhielt auch Einladungen, an einigen jüdischen Feierlichkeiten teilzunehmen.


    Generell denke ich, ist es viel einfacher als Deutscher in Deutschland locker mit derartigen Vorurteilen oder Beschimpfungen fertig zu werden. Während man im eigenen Land noch sehr viel souveräner damit umgehen kann, ist es als Ausländer schon viel schwieriger. Man wird viel leichter in eine defensive Position hineingedrängt. Ignorieren hilft auch nicht, es bringt einem Auslandsdeutschen im besten Fall das Bild eines arroganten Menschen ein, im schlimmsten Fall wird keine Reaktion als Beweis für die Richtigkeit der Beschimpfung gedeutet. Mal abgesehen von den Fällen, in denen man Unterstützung durch die Zeugen einer solchen Beschimpfung findet.

  • Klar bin ich schonmal als Nazi beschimpft worden (das ist ganz beliebt um Deutsche zu beschimpfen), da gaben sich jungen Türken in Hanau die Klinke in die Hand mit Jusos auf Parteitagen...wer´s braucht.




    Zitat

    Original von Beatrix
    Und sei es nur, dass ich beim juedischen Baecker hier in der wohl juedischsten Nachbarschaft in Calgary (nahe der groessten Synagoge und des Jewish Family Centre) mich sehr zusammenreisse um nicht in Gegenwart anderer Kunden mit meinen Kindern deutsch zu reden.


    Wie bitte ?

  • Zitat

    Original von GastRedner


    Wie bitte ?


    Genau die Reaktion auf meine Bemerkung bekam ich vor einiger Zeit auch von einer amerikanischen email Bekanntschaft. Eine Juedin, Mitte 30, die nicht verstand warum ich mich in einem juedischen Geschaeft nicht unbedingt als Deutsche erkennen lassen moechte. In der gleichen email nur 2 Zeilen tiefer erklaerte sie aber auch sehr deutlich, dass sie niemals nach Deutschland reisen moechte, selbst wenn ihr jemand die Reise als Geschenk geben wuerde ... und damit war mein typisch deutscher Minderwertigkeitskomplex wieder bestaetigt ...

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Idgie,


    in einem Land, wo sich deutsche Truppen und hinter ihnen das GeStaPA breitgemacht haben,kann ich Ressentiments ja noch verstehen. Würde mich eher wundern, wenn es keine gäbe. Daß ich in Deutschland, im Rahmen des innerbetrieblichen Mobbings (Großbetrieb der Pharmabranche) von Vorgesetzten as "Saujude" bezeichnet wurde, gibt mir allerdings zu denken. Bin selbst übrigens Goyischer.

    Every normal man must be tempted, at times, to spit on his hands, hoist the black flag and start slitting throats. H. L. Mencken

  • Ich bin nur einmal als Nazi beschimpft worden.
    Tatort: Frankfurt Mitte, vor einer Strassenbahn im Winter. Ich wollte mit meiner Frau ins Kino. Wir setzten uns neben zwei etwa zehnjährige Jungs (vermutlich türkischer Abstammung)
    Meine Frau lächelte, wie sie immer lächelt. Die Jungs frech, wie Jungs in Städten eben sind. An einer Haltestelle sprangen die beiden aus der Bahn.


    Der eine Bengel bückte sich, machte einen Schneeball startklar, was mir -ich bin nicht ganz so nett- nicht verborgen blieb. Der Junge schrie was in der Art: "Da hast du Schlampe" in den Zug und will den Schneeball auf meine Frau werfen.
    Zu dem Zeitpunkt stand ich schon in der Tür, fegte seine Hand weg und sprang aus dem Wagon um ihm ein paar freundliche Worte zu sagen. (Nicht um ihn zu schlagen) Folge: ein cirka zwanzigjähriger Bursche (dunkelhaarig, vermutlich...) steht plötzlich hinter mir beschimpft mich, als Nazi, drohte mir Schläge an, was ich ihm dann auch in Aussicht stellte.
    Ich stieg dann aber lieber in die Bahn, der Herr der Ringe gucken!



    Luc

  • Vorweg:
    Bin eigentlich über meine Großvater der sich im Krieg vor den Nazis verstecken mußte, als Sozialist aufgewachsen.
    Weiter:
    Bin seit fast 30 Jahren mit einer Holländerin verheiratet, meine Kinder sind zweisprachig aufgewachsen (gottseidank).


    Ich bin an dieser Stelle (Nazi) äußerst empfindlich.


    Zunächst das positive Erlebnis - in der Bretagne.
    Ich hatte eigentlich mein ganzes Leben vorbehalte, nach Frankreich zu fahren. Bis es sich irgendwann einmal, so ca. 1988 ergab - Urlaub in der Bretagne.


    Vor einer der vielen schönen Kirchen stand ein älterer Mann - deutlich mit Amputationen - aus dem Krieg? Meine Frau spricht gutes Französisch, ich verstehe es leidlich - er hatte den Schlüssel, um die Kirche zu öffnen und zu zeigen.


    Woher seit ihr? war seine Frage. Meine Frau antwortete wahrheitsgemäß! Er blieb stehen: "Wir haben eine schwere Zeit mit euch erlebt. Wir wollen hoffen, daß diese Zeit nie wieder zurück kommt. Schön dass ihr hier seit!"


    Trinkgeld wollte er nicht haben. Aber ganz sicher haben wir in diesem Moment eine ganze Menge für die Verständigung getan.


    Nun die negativen Erlebnisse - leider zwei von einer ganzen Reihe.


    Meine Tochter (Jahrgang 1980) spricht akzentfreies Holländisch - sagt meine Frau.
    Studium in Holland: "Papa, wenn es um Diskussionen über Deutschland geht, gebe ich mich nicht mehr als Deutsch zu erkennen. Ich habe keine Lust mehr dazu, mich für etwas zu verantworten, was die Eltern deiner Großeltern zu vertreten haben!


    Recht hat sie!


    Das nächste Erlebnis:


    Ich habe 25 Jahre als Vermittler im Arbeitsamt gearbeitet (Beamter)


    Ein Türke, deutlich Schwarzarbeit, die ich ihm nach endlosen Gesprächen nachweisen kann.
    "Du Nazischwein" Dann rammte er mir den Besucherstuhl an den Kopf (nur eine kleine Schramme, hätte aber schlimm ausgehen können) und stieß mit voller Kraft seinen Ellenbogen in meine Rippen (tat schon weh)


    Am meisten geschmerzt hat mich das Nazischwein.


    Strafantrag - immerhin Beamter im Dienst (hab mir sonst absolut nichts darauf eingebildet).


    Jetzt kommts: Nach ca drei Monaten erhielt ich ein Schreiben von der Staatsanwaltschaft. Wegen des geringen zu erwartenden Strafmaßes ist das Verfahren eingestellt worden.


    Die Sache ist jetzt ca 7 Jahre her. Die deutsche Justiz hat es nicht nötig, das Opfer zu schützen. Der Täter geht in dem Bewußtsein davon, daß er so etwas straffrei machen darf. Noch heute steigen die Wuttränen in mir auf.


    andermann

    Alles kann, nichts muß
    Ein Lächeln kommt immer zurück

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  • Zitat

    Original von Strix Bubo
    Daß ich in Deutschland, im Rahmen des innerbetrieblichen Mobbings (Großbetrieb der Pharmabranche) von Vorgesetzten as "Saujude" bezeichnet wurde, gibt mir allerdings zu denken. Bin selbst übrigens Goyischer.


    Rassissten halten sich wohl hartnäckig in jeder Nation. :-( Ich hoffe wenigstens, dieser Vorgesetzte ist dafür zur Verantwortung gezogen worden. Führungsqualitäten darf man bei solch einem Verhalten ja wohl ernsthaft in Frage stellen.

  • Nein, Idgie, es gab so eine kleine Yom-Kippur - Feier, bei der ich als Sündenbock in die Wüste geschickt wurde...

    Every normal man must be tempted, at times, to spit on his hands, hoist the black flag and start slitting throats. H. L. Mencken

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Strix Bubo ()

  • Ich bin Russlanddeutsche und in Sibirien aufgewachsen. Dort bezeichnet man die Deutschen als Faschisten (hier sind wir übrigens Russen, was ich auch als nicht besonders nett empfinde).
    Ich persönlich bin noch nicht derart beschimpft worden, aber Leute aus meiner Familie und aus dem Bekanntenkreis schon. Meine Eltern haben sogar noch ein paar Jahre lang unter der sogenannten "Kommendatur" gelebt; damals musste man sich als Deutscher regelmäßig beim Amt melden, denn man war ja soooo gefährlich...


    ***
    Aeria

  • Zitat

    Original von Beatrix
    Genau die Reaktion auf meine Bemerkung bekam ich vor einiger Zeit auch von einer amerikanischen email Bekanntschaft. Eine Juedin, Mitte 30, die nicht verstand warum ich mich in einem juedischen Geschaeft nicht unbedingt als Deutsche erkennen lassen moechte. In der gleichen email nur 2 Zeilen tiefer erklaerte sie aber auch sehr deutlich, dass sie niemals nach Deutschland reisen moechte, selbst wenn ihr jemand die Reise als Geschenk geben wuerde ... und damit war mein typisch deutscher Minderwertigkeitskomplex wieder bestaetigt ...



    Ich tu mir gerade schwer damit das zu verstehen, vielleicht muß ich da nochmal in Ruhe drüber nachdenken.


    Grüße nach Kanada
    :wave