Seid ihr schon mal als "Nazi" beschimpft worden?

  • Ist es euch schon mal passiert oder ist es eine Situation, ueber die ihr euch ueberhaupt Gedanken macht?


    Ich selber bin schon viel im Ausland gewesen und war mir immer dessen bewusst, dass mich Leute u.U. erstmal als Deutsche sehen und dann erst als die Person. Hab ein Jahr in Frankreich gelebt und druchaus Befuerchtungen gehabt, dass ich mal "sal boche" hoeren wuerde. Oder "Nazi" in anderen Laendern. Letztlich ist es mir nur ein einziges Mal passiert, dass mich ein Ami "Nazi" schimpft, wirklich nur um mich zu beschimpfen ohne damit in irgendeiner Weise auf meine politischen Ansichten anzuspielen.


    Ich weiss, dass diese Angst unterschwellig immer bei mir drin ist. Und mein taegliches Leben mehr oder weniger beeinflusst. Und sei es nur, dass ich beim juedischen Baecker hier in der wohl juedischsten Nachbarschaft in Calgary (nahe der groessten Synagoge und des Jewish Family Centre) mich sehr zusammenreisse um nicht in Gegenwart anderer Kunden mit meinen Kindern deutsch zu reden.


    Irgendwie fand ich dieses unterschwellige Angstgefuehl (oder wie immer man es nennen mag) auch durchaus geeignet meinem kanadischen Mann zu erklaeren, warum ich schon hin und wieder Buecher zur Nazizeit lese - auch wenn ich jetzt nicht mehr im gleichen Masse davon fasziniert bin wie noch als Teenager, als das ganze Thema noch mehr oder weniger neu fuer mich war. Aber fuer ihn hat es ueberhaupt keine Faszination, er hat nicht das geringste Interesse z.B. "Der Vorleser" von Schlink zu lesen.


    Und wie sieht es fuer euch aus? Ist es einfach so, dass man in Deutschland lebend wohl nicht im gleichen Masse sensibilisiert ist als wir Auslandsdeutschen? Frag mich naemlich auch, ob das vielleicht auch mit erklaeren koennte, wieso auf meine letzte Rezension zu Ursula Hegi Die Andere so gar keine Reaktion kam.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Zitat

    Original von Beatrix
    Ich selber bin schon viel im Ausland gewesen und war mir immer dessen bewusst, dass mich Leute u.U. erstmal als Deutsche sehen und dann erst als die Person.


    So erlebe ich es ebenfalls. Meine Sprache weist mich sofort als Deutsche aus, und damit verbunden sind alle hier gängigen Vorurteile - "die Deutschen" gelten als arrogant, überheblich, humorlos. Erst beim zweiten Hinschauen werde ich als Person wahrgenommen, und selbst dann bleibt bei manchen die Sprachbarriere lange Zeit bestehen, weil ich nun auch noch "richtiges" Hochdeutsch spreche, was bei vielen Berührungsängste auslöst.


    Als "Nazi" bin ich erst einmal bezeichnet worden - allerdings nicht von Schweizern, sondern von einer hier lebenden Engländerin, und es war wohl eher grob-scherzhaft als ernst gemeint. Witzigerweise waren die Schweizerinnen, die es mitbekommen haben, fast noch mehr davon geschockt als ich. (Das waren allerdings Schweizerinnen, bei denen ich die Hürde "die Deutsche" zu dem Zeitpunkt bereits genommen hatte.)


    Mich veranlasst all das eigentlich nicht, mich vom Kopf her intensiver mit meinem "Deutschsein" oder der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen. Ich geniesse es aber ganz besonders und bewusst, wenn ich in Deutschland einfach "eine von vielen" bin, die nicht automatisch komisch angeguckt wird, wenn sie den Mund aufmacht. Und hier in der Schweiz verbiege ich mich tendenziell. Ich merke aber, dass mich dieses ständige "Fremdsein" einengt, und ich muss ehrlich sagen, dass mich das derzeit sehr ermüdet :-(.


    Zum Glück habe ich aber auch noch ein "echt internationales" Umfeld, in dem ich lebe - da bin ich auch "die Deutsche", aber genauso sind andere da "die Franzosen" oder "die Engländer", und dann ist das Miteinander wieder ein ganz anderes, ausgeglicheneres, (meistens) entspannteres. Vielleicht auch weil da alle eben jenes "Ausländerdasein" kennen. Ich denke, wenn man immer in seinem eigenen Land lebt, kann man sich schlechter in diese Situation hineinversetzen. Heilsam ist sie auf alle Fälle, auch was das Verhalten gegenüber "Ausländern" im eigenen Land betrifft.

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)


  • Also ich kann mich nicht erinnern,
    schon mal als Nazi beschimpft worden zu sein.
    Weder hier in D., noch sonst irgendwie im Ausland.
    Und ich hatte bisher (zum Glück) auch noch nie das Gefühl,
    mein 'Deutschsein' verstecken zu müssen...
    oder ungern gesehen zu sein.
    Letzteres vielleicht auch, weil ich (wenn auch sehr stockend stellenweise)
    immer versuche mich in der Landessprache zu artikulieren...
    Das bringt mir zwar schon mal das ein oder andere schadenfrohe
    Grinsen ein, aber meist mögen die Leute es, wenn man
    zumindest versucht, ihre Sprache zu sprechen,
    statt von ihnen irgendwas zu erwarten.


    Vielleicht ist man, wenn man im Ausland lebt auch etwas
    sensibler oder vorsichtiger als hier... ?
    Zumal vielleicht im Ausland mit dem Begriff 'Nazi' anders umgegangen wird.
    Könnte mir vorstellen, dass manch einer ihn gebraucht, ohne
    sich richtig Gedanken zu machen.
    Oder ohne richtigen Hintergrund zu haben...
    Leichtferiger halt und unvorsichtiger?

  • Ich persönlich habe diese Erfahrung nicht gemacht.
    Aber eine Bekannte von mir , die ihren Sohn 1 Jahr lang nach Amerika geschickt hat dem ist es passiert. Sein "Spitzname" war Hitler.
    Komisch fand ich das nicht.


  • Sprache ist natuerlich schon mal ein wichtiger Ausgangspunkt. Darin hab ich mich auch immer bemueht. Und das hat man mir zumindest in Frankreich durchaus zu Gute gehalten, so dass aus meinen Befuerchtungen nie Wirklichkeit wurde.


    In der einen Situation, wo mich ein Amerikaner "Nazi" beschimpfte, war es wirklich aus Boshaftigkeit gemeint. Er wollte mich verletzen und hat es geschafft. Und er hat das Schimpfwort gewaehlt und kein anderes NUR weil ich Deutsche bin. Schon merkwuerdig: das ist ein paar Jaehrchen her (hmmm, 4-5 Jahre vielleicht) und wird mir sicherlich nicht aus dem Kopf gehen.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Die Welt ist voller Vorurteile, und wenn mir irgendwann mal jemand begegnen sollte, der von sich behauptet, keine zu haben, würde ich demjenigen das nicht glauben (Vorurteil :grin). Deutsche sind Nazis und (Sauer-)Krautfresser, Briten sind Säufer, Franzosen sind Weißbrotfresser, Griechen stinken nach Knoblauch, Amis sind Rednecks, Holländer wollen alles billig-billig, Italiener graben alles an, was mehr als 50% weiblicher Hormone hat, Kanadier interessieren sich nicht für die Welt, Chinesen kupfern alles ab, Japaner haben keine Freizeit, Polen klauen einem das Auto unterm Hintern weg, Palästinenser sind Selbstmordattentäter, Russen sind allesamt in der Mafia, ... die Liste ließe sich stundenlang und für fast jedes Volk fortsetzen. Wann immer sich Menschen begegnen, greifen - manchmal unbewußt - solche Fehlurteile, was viele Gründe haben kann, Dummheit ist einer davon. So ist die Welt, so ist das Leben. Es stört mich nicht, wenn mir ein fremder Mensch begegnet und - mehr oder weniger subtil - derlei vorträgt. Soll er doch. Er weiß nichts über mich. Im günstigsten Fall argumentiere ich freundlich, aber ansonsten wende ich mich einfach anderen zu. Das ist ja auch nichts Persönliches. Nicht wirklich.

  • Ich bin in Amsterdam mal von nem Wildfremden mit "Heil Hitler" begrüßt worden. :wow


    In New York hab ich ja in einer Investmentbank gearbeitet, wo bestimmt ein Drittel meiner Kollegen jüdisch war und ebenso viele Kunden und da war es eher so, dass da öfters mal Juden-Witze gerissen wurden und wenn ich betreten zu Boden geschaut habe, haben sie gesagt, ich soll mich mal entspannen, ich sei damals ja noch nicht mal geboren gewesen.
    Selbst im wildesten Gefecht - und wenn der Teufel los war, dann haben wir uns schon mal über alle Tische hinweg angebrüllt - hat mich überhaupt nie jemand mit Nazi beschimpft oder auch nur irgendwelche Andeutungen in die Richtung gemacht.

  • Zitat

    Original von Tom
    Es stört mich nicht, wenn mir ein fremder Mensch begegnet und - mehr oder weniger subtil - derlei vorträgt. Soll er doch. Er weiß nichts über mich. Im günstigsten Fall argumentiere ich freundlich, aber ansonsten wende ich mich einfach anderen zu. Das ist ja auch nichts Persönliches. Nicht wirklich.


    Wenn mir ein solcher fremder Mensch begegnet, ist das kein Problem, aber tagtäglich damit konfrontiert zu werden, ist anstrengend... und dann finde ich es irgendwann schwer, mich "persönlich" davon abzugrenzen.


    Übrigens ist an diesen Vorurteilen, die du da gerade genannt hast, natürlich durchaus was dran. Es gibt nun mal tendenziell unterschiedliche Mentalitäten und Herangehensweisen - "die Italiener" lösen Probleme eher pragmatisch, während "die Deutschen" objektive Regeln bevorzugen (Buchempfehlung zum Thema siehe unten), und schon sind Missverständnisse und Konflikte vorprogrammiert. Dabei ist eins nicht "besser" als das andere, nur wird's ein Italiener in einem Land voller Deutscher schwer haben, und ein Deutscher in einem Land voller Italiener genauso...

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  • Ich bin bisher im Ausland auch nie als Nazi beschimpft worden, passt wohl -optisch- nicht so ins Klischee des Deutschen. Dafür bin ich in Deutschland schon gelegentlich als Judens** bezeichnet worden, das gibt dann immer mehr zu denken. Und so richtig entspannt kann man damit nicht umgehen, weil es eben nie scherzhaft gemeint ist. Es lebe das Klischee!

  • Hallo, MaryRead.


    Zitat

    Es gibt nun mal tendenziell unterschiedliche Mentalitäten und Herangehensweisen


    Tendentiell, statistisch. Und genau deshalb tut man vielen Menschen unrecht, die eben nicht dem Gros entsprechen. Es scheint mir sinnvoller, jedem Menschen offen und weitgehend vorurteilsfrei zu begegnen - oder es wenigstens zu versuchen.

  • Ersteinmal muss ich Tom mit den Vorurteilen voll zustimmen - das geht schon aber auf kommunaler Ebene los. Hier gehen diese "Voreingenommenheiten" los, wenn man auf Leute aus dem Nachbarort trifft ;-) - Mehr oder weniger (so ganz blicke ich da auch nach 14 Jahren noch nicht durch) scherzhaft.


    Meine Humorschwelle hatte sich aber in dem Bezug auf "Nazi" deutlich gesenkt, als meine Tochter von ebensolchen Angriffen auf ihre Person erzählte. Das ging sogar soweit, dass sie von Mitschülern als "Nazi-Sau" beschimpft wurde. Um die Österreicher jetzt nicht in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen, muss ich wohl erwähnen, dass es sich bei dem Mitschüler, der dies äusserte, um einen Slowenen handelte. *seufz* - Meine Tochter war als 14jährige schwer getroffen und hat sich wochenlang gefragt, was sie diesem Jungen getan hätte. Es stellte sich heraus, dass sie seinen Avancen ausgewichen war und er "nur" beleidigt war.
    Dies trübte aber schwerst ihr Verhältnis zu den anderen Mitschülern, welche noch grinsend und zustimmend die Partei des Jungen einnahmen.


    Mein Mann und ich sind hier die "Marmeladinger" - oder auch "Piefkes". Die Marmeladinger ergeben sich aus dem Streit zwischen Österreich und Deutschland, wo Deutschland darauf bestand, dass Marmelade in Zukunft "Konfitüre" zu heissen hat und Ö das Wort Marmelade von den Etiketten zu entfernen hatte. Das nehmen die immer noch übel. ;-)


    Ein - zugegebener Maßen sehr betütelter- Gast hat mal mit dem Hitlergruß stramm vor uns gestanden, als wir das Lokal betraten. Fand der sehr witzisch - wir allerdings überhaupt nicht. Dieses Verhalten löste eine Lawine von Entschuldigungen seitens der anderen Gäste aus. Die waren genauso fassungslos wie wir. Wäre das nicht gewesen, wäre ich auf dem Absatz umgekehrt und hätte das Établissiment verlassen.


    Durch den Beruf meines Mannes haben wir viel Kontakt zu allen möglichen Ausländern. Wenn man sich etwas "näher" gekommen ist, dann kommt bei allen - wie auf Kommando - die Sprache auf das 1000jährige Reich und Hitler.
    Mttlerweile sehen wir das gelassener als früher. Es scheint sozusagen eine Manie zu sein, wenn man auf Deutsche trifft. ;-)


    Vor langer langer Zeit ist mein Mann als Tramper in Dänemark unterwegs gewesen. Er hat mit dem Dänen Englisch geredet. Als der nette Herr dann erfuhr, dass mein Mann mitnichten Engländer ist, sondern Deutscher, trat er sofort auf die Bremse und schmiss meinen Mann mitten in der Pampa auf die Landstraße. ;-)

  • Tom - "man hat ja keine Vorurteile, aber sie bestätigen sich immer wieder". ;-)
    Ich sprech da aus Erfahrung - so sehr ich meine MitarbeiterInnen liebe. :grin


    Im Ernst - es kann durchaus helfen, sich dieser "tendenziellen statistischen Häufigkeiten" bewusst zu sein, weil es eben Missverständnisse vermeiden hilft. Ich habe mich vor ein paar Wochen tierisch über einen indischen Kollegen aufgeregt, weil sein ständiges pseudohöfliches Geeiere einfach mehr geschadet als genützt hat - bis mir jemand erklärt hat, dass es für Inder kulturell extrem schwierig ist, sich mit jemandem anzulegen und ein klares "Nein" auszusprechen. Nun nervt mich das Geeiere zwar immer noch, aber ich weiss zumindest, dass er es nicht tut, um uns das Leben schwer zu machen, sondern weil es einfach zu seiner Kultur gehört, so mit anderen umzugehen, und ich kann durch die Oberfläche des Verhaltens durchgucken und mir überlegen, was dahintersteckt und wie ich damit umgehe. Hätte ich das von Anfang an gewusst, hätte ich mir manchen Frust und unserer Zusammenarbeit manche Spannung erspart.

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  • Beatrix : Nazi ist doch in Nordamerika ein Synonym für einen "who imposes his will on others" und keine Gegenmeinungen zulässt, sondern sagt "Basta, das wird jetzt so gemacht".
    Ich habe das auch schon mal zu hören bekommen als ich mal etwas gegen den Willen der Anderen durchgedrückt habe. So what?

  • ...nicht beschimpft direkt, aber ich wurde und werde schon mal zu Äußerungen und Diskussionen versucht zu provozieren, verleiten usw.....was ich auch schon nicht schön finde.


    Wenn man meine Meinung hören will, soll man mich bitteschön geradeaus und offen und aufrichtig fragen! Sonst sage ich jedenfalls in Zukunft gar nichts mehr, weder über politische Ansichten noch sonstwas! ... *mirfestvorgenommenhab*


    Zitat

    Original von Tom
    Es scheint mir sinnvoller, jedem Menschen offen und weitgehend vorurteilsfrei zu begegnen - oder es wenigstens zu versuchen.


    :write :write :write


    :wave
    Ikarus


    P.S.: ... Beatrix , ich hab mir Dein vorgestelltes Buch allerdings auf meine Amazon-Wunschliste gepackt und "Adressat unbekannt" u.ä. ... Auch wenn ich nicht unbedingt immer zu jeder Buchvorstellung etwas schreibe, die mich interessiert, nehm ich sie doch wahr.


    Große Glocken sind nicht mehr mein Ding :-)

  • Glücklicherweise habe ich so etwas noch nie erlebt. Aber oft schon habe ich gehört, dass im Ausland die Deutschen immer noch mit den Taten Hilters in Verbindung gebracht werden. Und leider gibt es ein paar Leute in Deutschland, Deutsche wohlgemerkt, die seinen Taten frönen. Als ob die wüssten, was damals los war. Genau solche Leute machen es möglich, dass diese Vorurteile immer bleiben. Das ist schon schlimm genug.
    Vor allem begegnen mir hier so viele verschiedene Kulturen, dass ich beispielsweise einen Teufel tun würde und hier irgendwie Ausländerfeindlich zu reagieren. Nicht, weil ich Angst habe vor den vielen Ausländischen Mitbürgern. Sondern weil ich es eigentlich ganz toll fände, wenn sich so viele Kulturen untereinander verstehen.

    Auch aus Steinen,
    die dir in den Weg gelegt werden,
    kannst du etwas Schönes bauen

    Erich Kästner

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  • Als "Nazi" beschimpft? Einmal in London, als ich Briefmarken für Postkarten nach Hause gekauft hab. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, aber es hat mich nur beschäftigt, nicht wirklich berührt. Mit so pauschalen Sachen kann ich umgehen. Allerdings ist es mir wirklich lieber, als pingeliger und humorloser Sauerkrautfresser abgestempelt zu werden, denn als Nazi.


    Mit dem Deutschsein und Deutschfühlen ist das schon schwierig. Lebt man im Land, hat man oft das Gefühl, die Menschen sind zu wenig patriotisch, sind nicht stolz auf sich und ihr Land, aus Gründen die eben in der Vergangenheit liegen. Mir selbst wird oft mangelnder Patriotismus vorgeworfen. An dem mangelts bei mir aber nicht aufgrund der dt. Geschichte, sondern weil mir derzeit selten was ins Bewusstsein kommt, auf das man stolz sein könnte. Das ist eben so, da finde ich auch nix Schlimmes dran.


    Stelle es mir da viel schwieriger vor, im Ausland zu leben. Wo man sich zwar anpasst, sein Anderssein/Deutschsein aber auch bis zu einem gewissen Punkt leben, seine Wurzeln nicht verleugnen oder verlieren möchte. Da würde ich auf Vorurteile sicher empfindlicher reagieren. Gerade die beschriebenen Situation:


    Zitat

    Original von Beatrix
    Ich weiss, dass diese Angst unterschwellig immer bei mir drin ist. Und mein taegliches Leben mehr oder weniger beeinflusst. Und sei es nur, dass ich beim juedischen Baecker hier in der wohl juedischsten Nachbarschaft in Calgary (nahe der groessten Synagoge und des Jewish Family Centre) mich sehr zusammenreisse um nicht in Gegenwart anderer Kunden mit meinen Kindern deutsch zu reden.


    kann ich mich gut reinversetzen. Würde ich wahrscheinlich ähnlich unsicher reagieren.

  • Oje. Ich erinnere mich dunkel an einen Schüleraustausch mit Polen vor etwa 12 Jahren.
    Direkt als Nazi wurde ich nicht beschimpft, aber ich hatte tierische Angst durch die Straßen zu laufen. Wir wurden von unseren Gastfamilien dazu angehalten, öffentlich kein Deutsch zu sprechen, da es für uns sehr gefährlich werden könnte. :wow


    Ich glaube schon, dass es mich beschäftigen würde, wenn mich jemand als Nazi betiteln würde. Egal, ob er mich als Person kennt (was natürlich wesentlich verletztender wäre) oder ob er mich einfach nur beleidigen möchte.


    Zitat

    Als "Nazi" beschimpft? Einmal in London, als ich Briefmarken für Postkarten nach Hause gekauft hab. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, aber es hat mich nur beschäftigt, nicht wirklich berührt.


    Das z.B. könnte ich nicht so einfach verdauen und hätte in diesem Moment wahrscheinlich vor lauter Kloß im Hals kein Wort rausgebracht.


    Momo

    Momo


    Alles Wissen und alle Vermehrung unseres Wissens endet nicht mit einem Schlusspunkt, sondern mit einem Fragezeichen.
    -Hermann Hesse-

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Momo ()

  • Klar, ständig.
    Ist aber wohl berufsbedingt.
    Am kreativsten war da noch ein Russe, der nannte mich "Schweinehitler" und im gleichen Atemzug dann "Kommunistenhure"... sehr spaßig.
    Das Problem ist halt, daß die feinen Herrschaften immer der Meinung sind, wir sperren sie wegen ihrer Nationalität ein, ob sie grade Kiloweise Drogen von A nach B gefahren haben, ihre Frau zu Brei verarbeiten oder ca. 20 Portemonnaies in der Tasche haben, die definitiv nicht von ihnen sind. Spielt dabei keine Rolle.


    Anfangs reagiert man noch gereizt. Irgendwann lacht man sie dann aus. Mittlerweile nehme ich es hin und wieder schon gar nicht mehr wahr.


    Besonders lustig ist das Ganze, wenn man meinen kulturellen Hintergrung kennt. (Mutter Belgierin / Vater aus Ex-Jugoslawien).


    Meine Mutter war irgendwann als junges Mädchen mal in Brüssel und rempelte beim Einkaufen aus Versehen eine ältere Dame an. Sofort entschuldigte sie sich, dummerweise auf Deutsch. Die Beschimpfungen, die sie als deutschsprachige Belgierin, da über sich ergehen lassen mußte, will ich hier nicht wiederholen. Allerdings ist das auch schon gut 40 Jahre her.


    Ich denke, daß das alles stark nachläßt und wohl oft auch lediglich als einfache Beschimpfung zum Luft machen gebraucht wird, ohne daß die eigentliche Bedeutung des Wortes Nazi gemeint ist. (Nicht immer, aber oft.)


    Wie war das, wir werden Hitler erst verarbeitet haben, wenn man seine Kinder wieder Adolf nennen kann ohne sich zu schämen. (Mir fällt jetzt grad nicht ein, von wem dieses Zitat ist, stand in irgendeinem Buch der SZ-Bibliothek glaub ich.)


    Wenn ich ehrlich bin, berührt mich eine solche Beschimpfung weniger, als wenn mich jemand als dumme Kuh, Sau, Arschloch oder ähnliches bezeichnet. Eben weil ich damals nicht dabei war und meine politische Gesinnung eine vollkommen andere ist.

  • Mir sind einige recht unterschiedliche Dinge in fremden Ländern passiert. 1980 war ich mit meiner damaligen Freundin auf Tour durch die Niederlande. Wir hatten uns in Amsterdam in ein nett aussehendes Straßencafé gesetzt, und während wir auf den Ober warteten, uns unterhalten. Auf Deutsch. Nach etwa zwanzig Minuten kam der Ober und sagte uns in akzentfreiem Deutsch: "Nazis werden hier nicht bedient." Wir sind beide esr mehr as ein Jahrzehnt nach dem Krieg geboren, aber das störte desen Mann nicht.
    Ein Jahr später haben wir eine Tour durch Frankreich gemacht, Normandie und Bretagne. Klar, daß man auch die Stellen besucht, an denen die Invasion begann. Nahe Caen, am Pont Pégase, steht heute noch die Kneipe, die als erstes befreites Haus Europas gilt. Wir sind gewarnt worden, daß man, solange die alte Wirtin noch das Regiment führt, dort besser nicht Deutsch spricht. Meine Freundin spricht kein Französisch, so war die Unterhaltung recht einsilbig.
    Am Abend haben wir dann in der Nähe von Honfleur ein Quartier für die Nacht gesucht und sind in einer alten Ferme gelandet. Ein wildromantisches Bauernhaus, idyllisch gelegen und sehr gut gepflegt. Ich träume heute noch manchmal von den großen Rosenbüschen. Es war schon recht spät, aber wir wurden gerne aufgenommen. Den Betrieb leitete eine Dame, die den Krieg noch als Kind miterlebt hatte. Sie fand es lustig, daß wir mit einer klapprigen 2CV4 vorfuhren. Mit dem Kennzeichen konnte sie nicht viel anfagen, aber das "D" im Oval brachte sie zu der Frage, ob wir den ganzen Weg von Dänemark bis hierher in dieser bagnole gefahren seien. Ich habe ihr geantwortet, non, non, nous ne sommes pas des Danois, nous sommes des boches d'Allemagne - worauf sie sich mit uns kaputtgelacht hat.
    Sie hat uns dann noch ein denkwürdiges Abendessen zubereitet. Als hors d'oeuvre stand sie auf und entschuldigte sich in aller Form für den Fall, daß ihre Landsleute uns irgendwie beleidigt hätten. Ihr sei klar, daß dieser Krieg bittere Ressentiments hinterlassen haben muß und daß diese nicht von allein verschwinden könnten, aber die Art, wie Deutsche immer noch behandelt würden, fande sie unverschämt. Sie und ihre Familie hatten schwer unter der Besatzung zu leiden gehabt, aber irgendwann sei mit dem Krieg auch mal Schluß. Selbst wenn man Ressentiments habe, sei es ganz bestimmt unangebracht, sie an Leuten auszulassen, die mit dem Krieg nichts zu tun haben konnten, weil sie erst nachher geboren worden seien.
    1997, in Fort Worth, Texas, habe ich einen alten Knaben von 95 Jahren kennengelert, der 1935 aus Deutschland geflohen ist. Er lud mich ein, de Shobat zu feiern. Er erzählte mir, daß er, seine Frau und sein Bruder als einzige ihrer recht großen Familie überlebt hatten, weil sie rechtzeitig geflohen seien. Er hatte in den USA als nicht sehr begüterter Einwanderer sich eine Existenz aufgebaut und es im Laufe der Zeit zu einigem Wohlstand gebracht. Die Entwicklung in Deutschland hat er nie aus den Augen gelassen, ganz davon überzeugt, daß er sich als Jude in seiner Heimat wieder wohlfühlen könne, war er nie. Er sah sich als Deutschamerikaner (ohne Bindestrich, darauf legte er wert), der deutsche Kultur liebte und achtete, aber die amerikanische ebenfalls.
    Er machte mich auf ein Phänomen aufmerksam: in den USA wird Nazi als Bezeichnung für Leute verwendet, die unter die Rubrik "anal-retentive Kontrollfreaks" fallen, insbesondere wenn sie für Bundesagenturen wie FBI (Federan Bureau of Investigation), DEA (Drug Enforcement Administration), NSA (Nationa Security Ageny), BATF (Bureau of Acohol, Tobacco and Firearms), EPA (Environmental Protection Agency), Finanzamt oder Secret Service arbeiten. Diese Herrschaften machen sich in der Bevölkerung durch sebstherrliche und machtgeile Verhatensweise zunehmend unbeliebt. Dementsprechend werden sie als "Jackbootet thugs" (Ganoven in Springerstiefeln) oder eben als Nazis bezeichnet.
    font

    Every normal man must be tempted, at times, to spit on his hands, hoist the black flag and start slitting throats. H. L. Mencken

  • Das interessante an der Frage ist für mich, daß ich lediglich in den 60ern mal in Nordfrankreich so von Jugendlichen tituliert wurde, die auf Krakeel aus waren. Ansonsten hab ich im Ausland nie diese Erfahrung machen "dürfen". Dafür aber im Inland um so häufiger. Jede Einlassung, daß mit der unbeschränkten Öffnung des Landes für Ausländer unsere Probleme steigen werden oder die Forderung, daß straffällig gewordene Ausländer umgehend in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden sollten, von der Forderung nach der Anpassung an unsere Kultur ganz zu schweigen, löste bei vielen Gesprächspartner diesen Vergleich sofort aus. Man hörte förmlich den "Klick", mit dem ich in der entsprechenden Schublade landete. Ich bin der Meinung, daß die deutsche Bevölkerung durch einen völlig falschen Umgang mit diesem Teil unserer Geschichte einen kollektiven Minderwertigkeitskomplex entwickelt hat, der bis heute nicht behoben wurde.

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.