Nollops Vermächtnis - Mark Dunn

  • Es ist ein tolles Buch.
    Es ist eine echter Wurf und ich bin richtig froh, daß es noch Schriftsteller gibt, die sich trauen, so etwas zu schreiben.
    Null Zeitgeist. Wunderbar.


    Ein Sprachspiel ins Extrem getrieben. Es macht Spaß, und man muß gleichzeitig ordentlich mitdenken. Es ist vor allem nach der ersten Hälfte, als immer mehr Buchstaben vom Gedenkstein herunterfallen, ungeheuer komisch, mitzuverfolgen, wie die armen Nollopianer mit ihrer sprachlichen Bedrängnis kämpfen und - das ist das Irre daran - zunächst zurande kommen.
    es gibt hinreißende und geniale Wortschöpfungen, besser gesagt: Buchstabenkombinationen, die eine richtige Bedeutung haben. :lache


    Der Verlust an Menschlichkeit aber ist größer und ich war wirklich froh, als Ella endlich eingriff.


    Ein wirklich umwerfendes Buch. Wer sich für Sprache interessiert, sollte es lesen.
    Ein Gewinn.


    Dennoch war mir in letzter Konsequenz die Konstruktion zu künstlich. Es ist ein intellektuelles Spiel.
    Fabel, das Wort fiel hier, trifft es ganz gut.


    Sehr wichtiges Buch, aber das letzte Quentchen Herzblut, um das Buch wirklich zu lieben, hat bei mir dann gefehlt. Allein über Sprachregelung funktionieren Dikaturen nicht.


    Der Appell zu mehr Respekt für die Sprache verhallte natürlich nicht ungehört. Das schreie ich auch immer. :lache


    Empfehlenswert vor allem für Leserinnen und Leser, die Gedankenexperimente in Form von Sprachspielen lieben.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ich hab's nun auch durch. (Danke der edlen Spenderin. ;-) :knuddel1 )


    Witzig fand ich das Buch aber wirklich an keiner Stelle. :yikes Ich empfand es als beklemmend, und es hinterlässt einen schalen Nachgeschmack bei mir, wie alle vergleichbaren Bücher, sei es "Animal Farm", "1984" oder - siehe unten - "Visa for Avalon".


    Gerade weil es so absurd ist, dass Buchstaben verboten werden, wird es so gut nachvollziehbar, wie derartige Regime funktionieren.


    Mir fehlte allerdings auch ein bisschen das Beseelte an dem Ganzen, ein bisschen mehr Handlung/Entwicklung hätte mir besser gefallen. So war ich nicht böse, dass es dem Ende entgegen ging; über viel mehr Seiten hätte das Prinzip allein das Buch für mich nicht gerettet. Es sind nur wenige Figuren für mich wirklich lebendig geworden - am meisten vielleicht sogar eine Nebenfigur, nämlich Georgeanne Towgate, die Mutter des kleinen Timmy.


    Die Idee des Sprachspiels ist natürlich genial, und ich wäre nun sehr neugierig, mal einen Blick auf die deutsche Version zu werfen. Euren Postings entnehme ich, dass die Buchstaben in derselben Reihenfolge wegfallen wie im Englischen, zumindest wird zuerst das Z verboten, obwohl die relative Bedeutung der einzelnen Buchstaben in den beiden Sprachen teilweise ziemlich unterschiedlich sein dürfte.


    Wer das Buch auf Englisch lesen möchte, sollte schon recht gut Englisch können, meine ich. Am Anfang, als noch (fast) alles erlaubt ist, ist der Stil recht elaboriert, es kommen viele wenig gebräuchliche Wörter vor. In der Mitte, als allmählich Kreativität angesagt ist, werden zunächst Ersatzwörter gefunden, die zum Teil auch eher ungewöhnlich sind, und dann Wortkombinationen verwendet, die man zunächst entschlüsseln muss. Hier fiel auf, dass der gepflegte Stil über lange Zeit beibehalten wird - ich habe gestaunt, mit wie vielen "Löchern" im Alphabet das noch zu bewerkstelligen war. Gegen Schluss wird es dann wieder einfacher, weil so vieles verboten ist, aber dafür muss man sich durch die lautsprachliche und selbst da noch ziemlich verfremdete Schreibweise durchkämpfen.


    Nicht unbedingt ein Roman zum Schmökern und Abschalten, aber ein interessantes und kurzweilig zu lesendes Sprach-Experiment zu einem bedrückenden Thema...

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Ella Minnow Pea
    Mark Dunn, 2001

    Meine Rezension bezieht sich auf die Augabe:
    Anchor, ISBN: 0-385-722435


    Es existiert eine dt. Übersetzung des Buches unter dem Titel "Nollops Vermächtnis", die bei marebuch und Piper vorliegt.


    Mark Dunns Briefroman "Ella Minnow Pea" ist ein Buch, das auf sprachlicher Ebene ungemein faszinierend ist.
    Wir befinden uns auf einer nahezu totalitär regierten Insel Nollop vor der Küste South Carolinas, die ihren Namensgeber Nevin Nollop glühend verehrt - aufgrund des Pangramms "The quick brown fox jumps over the lazy dog", das für die Inselbewohner ein Grund gewesen wäre, ihm den Nobelpreis zu verleihen. Da die Außenwelt dies allerdings anders sah, kapselte sich das kleine Eiland immer mehr ab Es verabsolutierte Sprache, verteufelte die moderne Technik und setzte Nollop ein riesiges Denkmal, an dem das Pangramm in all seinen Lettern prangte.


    Prangte. Denn nach und nach verlieren die Buchstaben ihren Halt und purzeln hinab. Anstatt sie jedoch wieder zu befestigen, wird ihr Abfallen vom Inselrat als Wink des göttlichen Nollop gesehen, die Bequemlichkeit der Sprache zu überwinden und sie nicht mehr zu benutzen. Ihr Benutzen wird bestraft, beim dritten Verfehlen wird der straftätige Nollopianer von der Insel verbannt. Und so verschwinden sie, Nollopianer wie Buchstaben. Aus der Sprache, aus dem Roman.


    Was als belächelte Idee anfängt, verkommt zu einer Buchstabendiktatur. Nollopianer werden ausgewiesen, Briefe überwacht, die Ratsmitglieder scheinen den Verstand zu verlieren oder sich an der Situation zu bereichern - die Bevölkerung, die einst so elaboriert die Sprache pflegte, traut sich teilweise nicht mehr, den Mund zu öffnen.Doch es regt sich langsam Widerstand ...


    So versucht das Buch gleichermaßen Sprachspielerei und Parabel auf totalitäre Systeme zu sein, was es auf seinen 200 großbedruckten (und bereits durch viele Zwischenseiten mit dem aktuellen Stand des Pangramms gestreckten) Seiten auch durchaus hinbekommt. Leider bleiben dabei nur die Personen auf der Strecke. Ich habe bisher nicht einmal die titelgebende Hauptperson, Miss Ella Minnow Pea erwähnen müssen.
    Die Einzelpersonen nehmen nämlich leider kaum Gestalt an, ich habe regelmäßig die Namen der Briefeschreiberinnen durcheinandergeworfen, die Idee steht im Vordergrund. Die Personen werden nur irgendwie gebraucht, damit man jemanden hat, der die Briefe schreibt.


    Nun ja, diese Funktion und die Rolle, die ihnen zugedacht wurde, ob sie sich fügen oder Widerständler werden, füllen sie aus. Sie sind geistreich, sie können Gefühle auslösen, aber richtig tief gehen diese nie. Auf diese Weise kann man den Bezug zur Handlung verloren - die Hingabe des Autors an die Technik (die Sprache) ist zu spüren, die an die Handlung und Personen nur bedingt. Und so bleibt man distanzierter Beobachter, der den Kopf schüttelt, der ein etwas flaues Gefühl bei der Diktatur bekommt, der sich an den Sprachspielereien erfreut


    Denn die sind wirklich herausragend gelungen, englische Redewendungen wie "to mind our p's and q's" kriegen einen neuen Nebensinn, neue Wörter (sun-to-sun) werden kreiert, extravagante Wörter ausgebuddelt, es ist ein Schmaus - und auf Englisch nich unbedingt als Einstiegslektüre zu empfehlen, da es am Ende nach Einlenken des Inselrates auch lautmalerisch zugeht und ein wenig Entzifferungsarbeit für den Nicht-Muttersprachler gefragt sein könnte (wenn auch nicht in schwierigem Rahmen). Und man merkt, dass die Bürger Nollops, die die Buchstaben vermeiden müssen, sehr viel mehr leisten als ihr verehrter Nevin Nollop, der einen Satz hinschleuderte, den man durch das bloße ersetzen eines der "the"s durch ein "a" gleich um zwei Buchstaben kürzen könnte ... Eine bewundernswerte Leistung des Autors - und in der deutschen Übersetzung wohl auch des Übersetzers!


    Von diesem Standpunkt würde ich dem Buch gerne die 10 Punkte geben, die Idee der Buchstabendiktatur und die Ausführung hätten es verdient. Wären da nicht die blassen Figuren und das wenig emotionale Dahinplätschern der Handlung. So reicht es immerhin noch für


    8/10 Pkt.


    :wave bartimaeus


    PS: Danke fürs Wandernlassen, Sunlight