Dieses Buch ist eine Überraschung. Vorn vorne bis hinten, von oben nach unten und wieder zurück. Es ist eigenartig, unerhört, originell, verblüffend. An einem ganz normalen Wochentag lugte es aus meinem Briefkasten, ein unerwartetes Geschenk. Kann gar nicht anders sein mit diesem Ding, schließlich ist es ein Märchen, eine phantastische Geschichte in bester phantastischer Tradition.
Der Name der Autorin ließ mich innerlich gleich mal in ‚Hab-Acht-Stellung’ gehen, schließlich hat sie 1998 den Bachmann-Preis bekommen, ist also zuständig für Literatur im ehrfurchtgebietenden Sinn. Kunst mit Engelschören untermalt, sozusagen.
Aus dieser Feder dann ein Jahr später, 1999, eine Geschichte von einem kleinen Jungen, den die Mutter aus dem Haus wirft mit den Worten: „Kinder müssen rechtzeitig fort. Da hilft nichts.“ und „Laß dich hier erst wieder blicken, wenn du ein Held geworden bist.“ ?
Ich staunte und fing an zu blättern. Da entdeckte ich noch etwas. Das Buch hat Bilder. Eigenartige, holzschnittartige Bilder, in Schwarz, Weiß, in Grau- und Rottönen, von der Autorin selbst für diese Geschichte entworfen. So schaute ich und las und las und schaute, von Zwirnegg übers Mare Caldaunium mit Käpt’n Drago und drei irren Mäusen, durch die Große Gardine hindurch zu den drei Inseln, dem Rattenkönig, der Bergbahn, der Grille und den Wissenschaftlern, bis zu Schoumou, dem Chamäleon. ‚Raus aus der Suppe rein in die Familie’, die Familie des Froschs nämlich, denn Helden brauchen auch eine Braut. Hübsch ist sie nicht, alles andere als das. Überhaupt ist die ganze Geschichte nicht ‚hübsch’, sondern eher gruselig, wenn auch hin und wieder zum Lachen, weil die Einfälle der Autorin so arg verrückt sind. Vieles aber bleibt rätselhaft und beunruhigend.
Die Geschichte ist voll Wortwitz und mit nicht wenigen Sprachspielereien ausgestattet, mit manchen Sprüchen und Liedern, wie sich das für ein Märchen gehört. Dennoch, was hier rast und hüpft, schreitet oder tanzt, stillehält, nur um plötzlich loszugaloppieren und dabei Haken schlägt wie Lewis Carrolls verrückter Märzhase es nicht wilder tun könnte, ist nicht die Sprache, sondern der Handlungsfaden. Die Geschichte ist so lebendig, daß das Buch über Seiten hinweg regelrecht vibriert. Der Höhepunkt sind die Hochzeitsfeierlichkeiten, deren Wirbeligkeit in einem wahren Höllentanz endet.
Das alles ist von der Autorin ganz bewußt komponiert, denn es geht hier um etwas, das ganz irdisch–banal und überirdisch–märchenhaft zugleich ist: das Erzählen. Wird Harald ein Held? Schwer zu sagen, eigentlich. Er lernt, wie wichtig es ist, ordentliche Geschichten zu erzählen. Auch wenn der Schluß des Buchs nicht ganz zufriedenstellend ausfällt, wie ich finde, so ist die Grundaussage deutlich und überzeugend:
Wir mögen nicht Herrinnen und Herren unseres Schicksals sein, aber wir sind es allemal über unsere Geschichten.
Wenn das keine Moral ist!
Ein Märchen für Kinder wie für Erwachsene, sagen Verlagswerbung und KritikerInnen. Ein Märchen für all die, denen Erzählen wichtig ist, sage ich.