Kati Naumann
"Was denkst du?"
Rowohlt, Reinbek
Ein Frauenroman? Schon wieder? Haben Frauenromane eigentlich jemals länger als 5 Minuten nach der letzten Seite in mir nachgeklungen? Hmm, da fällt mir keiner ein, weil keiner aus der Rolle fiel.
Und nun dieser hier: quietschgrünes Cover im Mondscheintariflook.
Der Titel "Was denkst du?" so oft gehört und banal wie ein Blondinnenwitz.
Doch schon auf der ersten Seite kommt Lisa, die Protaginistin, einfach so daher, packt mich am Kragen - und schon vergesse ich, dass ich eigentlich zum Arbeiten in der Schreibstube bin. Vier Stunden später schlage ich die letzte Seite um - und stelle fest, dass ich atemlos bin. Ich japse nach Luft, grinse wie blöd - und bin hingerissen. Ich liebe Lisa - sie ist seit vier Stunden meine beste Freundin - und fühle mich ganz allein gelassen, jetzt, wo das Buch ausgelesen ist.
Die Story: Ein Ehepaar, über zwanzig Jahre zusammen, die Kinder gerade aus dem Haus, der Mann hat die jüngere Geliebte, die Ehefrau denkt über ihr Leben nach und beschließt, den Mann zurück zu gewinnen.
So weit, so bekannt.
Doch diese Frau, diese Lisa, nein, das ist keine von denen, die sich ein Designerkostüm kaufen, den Ärger mit Prosecco herunterspülen und auf Manolo-Schuhen die Karriereleiter hinaufklettern, an dessen Ende der Traummann schon mit Sabber in den Mundwinkeln auf sie wartet.
Nein! Lisa, das bin ich. Und das bist du und du und du...
Lisa hat keine Ahnung von Manolo-Schuhen. Sie arbeitet halbtags in einer Leipziger Bibliothek, ebenfalls seit zwanzig Jahren. Sie hat auch keine Ahnung von Prosecco und weiß nicht, was ein Egotripp ist. Sie liebt ihren Mann auf unaufgeregte Weise - und er ist ihr bester Freund. Als sie herausfindet, dass er sie betrügt...Achtung, jetzt kommt das Besondere an diesen Buch...keift sie nicht und geht nicht zum Friseur, sondern verändert sich. Ganz langsam, ganz still, dafür um so nachhaltiger. Sie verliert ihren Job und sucht sich einen neuen. Nein, sie schreibt kein Buch und gründet keine Firma. Sie jammert nicht einmal oder heult sich bei ihrem schwulen besten Freund aus. Sie hat keine Freunde, keine Freundin. Nur ihren Mann Tom. Stundenweise arbeitet sie als Stadtführerin - und als bessere Putzfrau im Friseursalon, den die andere besucht.
Und Tom, der Mann, ....Achtung, die zweite Besonderheit ....kommt in jedem zweiten Kapitel zu Wort. Er, früher Musiker in einer Tanzcombo, findet sich plötzlich als Versicherungsvertreter wieder.
Beide stellen zu ihrer eigenen Verblüffung fest, dass sie älter geworden sind. Während Tom versucht, mit der jüngeren Geliebten und der Gitarre den Beweis anzutreten, dass Falten und Bäuche immer nur die anderen haben, wird Lisa langsam erwachsen. Sie hat Verantwortung, begreift sie, Verantwortung für sich selbst und für das, was das Leben für sie bereit halten soll. Und sie liebt Tom.
Und Tom liebt Lisa. Es braucht eine Weile, bis er es begreift, aber das Ende gestaltet sich trotzdem nicht happy, sondern als Anfang von etwas Neuem.
Mit stillen, unaufgeregten Worten gelingt Kati Naumann etwas, das es in der Literatur viel zu wenig gibt, aber sie letztendlich ausmacht: Authentizität. Sie braucht keine großen Worte, keine Klischees, keine Traumfrauen. Sie schreibt einfach über das Leben. Über ein Leben, das die meisten von uns führen. Sie zeigt uns, dass es genau dieses Leben, dieser Alltag ist, der uns ausmacht, uns beschreibt, uns auf unspektakuläre Weise zufrieden sein lässt. Sie erinnert uns an unser kleines Glück, das wir manchmal viel zu wenig schätzen. Und sie knüpft mit diesem Roman an die Tradition eines Franz Fühmann, einer Brigitte Reimann, eines Jurek Becker an und bleibt dabei ganz und gar unverwechselbar, nämlich echt.
Jedes Wort, das sie schreibt, ist vollkommen glaubhaft. Ihre Personen sind liebenswert trotz aller Schwächen. Sie sind menschlich. Und menschlich ist dieser kleine, feine Roman.
Und gleich werde ich ihn in die Hand nehmen wie eine kleine Kostbarkeit und auf das Brett meines Regals stellen, in dem meine Lieblingsbücher zu Hause sind.