Das Evangelium nach Pilatus - Eric-Emmanuel Schmitt

  • Inhalt (von amazon.de)


    Ein Mann im Garten am Ölberg, allein, am Vorabend seiner Verhaftung. Die Worte der Mutter klingen ihm noch im Ohr: "Jemand, der liebt wie du, wird leiden müssen." Ein schlechter Jude, ein schlechter Zimmermann. Er wartet auf die Soldaten, die ihn holen und abführen werden. Er wartet auf seine Hinrichtung. Ein anderer Mann, ein anderer Ort. Vielleicht fünfzehn Verhaftungen, nur drei Kreuzigungen, es hätten geruhsame Feiertage für ihn werden können. Doch dann verschwindet die Leiche eines der gekreuzigten Männer. Ganz Jerusalem ist erschüttert, die Menschen sprechen von Wunder und Auferstehung, manche sagen, der Gekreuzigte sei ihnen erschienen, oder man habe zumindest davon gehört. Pilatus hat wenig Verständnis für die jüdischen Verrücktheiten, die Lage muß beruhigt, der Tote muß gefunden werden, die Ermittlungen beginnen. Judas, der Verräter, Pilatus, der Henker, und Jesus das Opferlamm? - vergessen wir diese Rollenfestschreibung. Schmitt befreit die Protagonisten der Passionsgeschichte von jeder Überhöhung oder Vorverurteilung, haucht ihnen mit frischer Feder neues Leben ein und erzählt uns eine sehr vertraute Geschichte so spannend und neu, als hörten wir sie zum ersten Mal.


    Meine Meinung


    Ein ganz wundervolles Buch! Wird der erste Teil des Buches der Leidensweg bis zum Tod aus der Sicht eines (sehr menschlichen) Jesus dargestellt, so erzählt im zweiten Teil Pilatus die Geschehnisse nach der Kreuzigung in Form von Briefen an seinen Bruder in Rom.


    Angehängt ist ein sogeanntes "Arbeitstagebuch", in dem Schmitt über die Entstehung des Romanes und seine eigene Haltung zum Christentum schreibt.
    Es ist wohl - so stellt es E.E. Schmitt auch in seinem "Arbeitstagebuch" dar - ein sehr persönliches Buch. Ich möchte folgende Textstelle aus dem Buch - genauer gesagt aus dem angehängten Arbeitstagebuch zitieren:


    Zitat

    Meine Rechtfertigung ist der Zweck meines Buches: Ich will diesen Jesus lebendig, nah, intim wiederaufleben lassen, weil seine Gestalt im Lauf der Jahrhunderte hinter den Bildern verblasst ist, weil seine Worte nach unzähligen mechanischen Wiederholungen nur noch wie ein abgedroschener Refrain klingen, weil seine Taten in so vielen berühmten Gemälden erstarrt sind, dass sie nicht mehr gesehen werden, und weil die Kirchen, die zur Erbauung des Volkes einen beruhigenden, selbstsicheren, seiner Bestimmung bewussten Gott präsentieren wollten, seine Schreie, seine Zweifel und seinen Mut ignoriert und erstickt haben.



    Und das ist ihm gelungen! Es werden die "Menschen" gezeigt, nicht der abgehobene, unerreichbare Sohn Gottes, und nicht der "Mörder" Pilatus. Auch für Judas bietet er eine durchaus menschliche Rehabilitation an


    Es wird das Christentum in seinen ureigensten Ideen dargestellt, die sich leider im Laufe der Zeit in Dogmen, Zwängen und zwischenkirchlichen Glaubensstreitereien verloren haben.

  • Liebe Jersey,
    auch ich bin von Schmitts " Evangelium des Pilatus " sehr beeindruckt.Schon seit längerer Zeit hat mich kein Buch so beschäftigt und innerlich bewegt wie dieses.
    Zum einen ist es die intensive Schilderung von Entwicklungen und Ereignissen, die uns eigentlich alle bekannt sind und trotzdem hier in einer ganz neuen Intensität beschrieben werden. Darüber hinaus finde ich auch die sprachliche Ausführung des Romans ganz exzellent; Schmitt schreibt voller Zärtlichkeit und emotionaler Bewegtheit. Die Übersetzung hat einen Preis verdient!!! :anbet
    Deine Ansicht, dass die Strahlkraft des Christentums verloren gegangen sei, kann ich nicht teilen. Ich verstehe, was du meinst, aber ich denke wirklich, dass die Kraft der Lehre Jesu auch heute ungebrochen ist; nur müssen wir in unserer Zeit uns mit seiner Botschaft auseinandersetzen und sie in unser Leben integrieren. Der von Menschen inszenierte amtliche und theoretische " Überbau " bricht vielleicht eines Tages ein, die Wahrheit Jesu Christi hat Bestand für alle Zeit!
    Auch wenn deine Rezi schon einige Zeit zurückliegt, würde ich mich über einen etwas erweiterten Austausch über dieses wunderbare Buch sehr freuen. Herzliche Grüße von Bärchen :wave

  • das reizt mich jetzt wirklich, das Buch zu lesen. Es steht schon seit ca. einem Jahr bei mir unbeachtet im Regal.
    Danke

    ... Liebe, die, weil sie nie genung bekommt,
    stets schon im Augenblick lebt, der noch kommen wird.
    Marcel Proust

  • Hallo Bärchen!
    Ich freue mich, dass du auch dieses Buch gelesen hast, und dass es dir auch eben so gut gefallen hat! Das Buch ist mir noch sehr präsent.


    Zitat

    Original von baerchen
    Deine Ansicht, dass die Strahlkraft des Christentums verloren gegangen sei, kann ich nicht teilen.


    Ich habe hier eigentlich nur die Worte des E.-E. Schmitt angeführt. Und ich bin eigentlich seiner Meinung, dass die Kirche doch mehr zu ihren Wurzeln zurückkehren sollte. Denn was heute alles so "im Namen Christi" aufgeführt wird, das kann ich eigentlich nicht wirklich gut heißen.
    Und ich denke, dass ist es auch, was E.-E. Schmitt meint.


    Würden alle nach den Grundsätzen des Christentums leben, gäbe es auf der Welt eine Menge Probleme weniger, davon bin ich überzeugt!

  • Hallo Jersey,
    ich habe leider noch nicht herausgefunden, wie man ein Zitat in so einen gelben Balken kriegt, aber deine Antwort zeigt mir, dass wir uns doch richtig verstanden haben. Das mit " den Wurzeln " in der Urkirche sehe ich genauso. Leider wird es wahrscheinlich noch ein langer Weg dahin sein, aber ich denke, dass jeder , dem es wichtig ist, in seinem Umfeld daran arbeiten kann.
    In diesem Sinn sende ich dir optimistische Grüße und wünsche dir ganz bewußt " Frohe Pfingsten "!
    Bärchen :wave