Kurzbeschreibung
Überraschend erhält Zippi die Nachricht, daß ihre kürzlich verstorbene Tante Halina ihr ein altes Fischbesteck vererbt hat. Sie reist nach Tel Aviv, um ihr Erbe selbst in Empfang zu nehmen. Kaum angekommen, da klopft es an der Tür ihres Hotelzimmers: Eine freundliche, ältere, vor allem sehr dicke Dame bittet darum, eingelassen zu werden. Bella Kugelmann, so stellt sie sich vor. Zippis ungeduldiger Versuch, sie abzuwimmeln, schlägt fehl. Aber dann beginnt Frau Kugelmann zu erzählen: von ihrer Jugend im polnischen Bendzin, von Eltern und Verwandten, Schulfreunden, dem schönen Adam und der stolzen Polin, von Fettauge, von Gonna und Kotek, dem Kätzchen, vom noblen jüdischen Fürstenberg-Gymnasium, von dem trickreichen Mantelverkäufer Teitelbaum, den starken Bachmanns. Es herrscht ein pulsierendes, sorgloses, scheinbar völlig unbeschwertes und fröhliches Leben in dieser Kleinstadt, so kurz bevor die Deutschen Polen überfielen und das Grauen begann. Frau Kugelmann erzählt wunderbare Geschichten von einer längst vergangenen Zeit, denen sich die junge Deutsche nicht entziehen kann. Und als Frau Kugelmann plötzlich ein altes Fischbesteck erwähnt, begreift Zippi, daß es sich hier um ihre eigene Familiengeschichte handelt.
Minka Pradelski, selbst Kind Überlebender, hat einen anrührenden, aber auch humorvollen Roman über eine fast vergessene Zeit und über das Schweigen zwischen den Generationen geschrieben: der Generation, die den Holocaust überlebt hat, und der ihrer Kinder, denen man nichts erzählt, auch nicht von der friedlichen Zeit »davor«, um sie mit Gedanken an Tod und Krieg nicht zu belasten.
Über die Autorin
Minka Pradelski, selbst Kind Überlebender, arbeitete am Projekt »Nachwirkungen massiver Traumatisierungen bei jüdischen Überlebenden der NS-Zeit« und war viele Jahre ehrenamtlich für die Steven-Spielberg-Shoa-Foundation und für diverse Sozialkommissionen der jüdischen Gemeinde Frankfurt/Main tätig, wo sie heute lebt. Veröffentlichungen u.a.: »Ghetto Theresienstadt. Fürsorge zwischen Leben und Tod« und »Eine durchaus glaubwürdige Familie. So einfach war das. Jüdische Kindheit und Jugend in Deutschland seit 1945.« "Und da kam Frau Kugelmann" ist der erste Roman der Soziologin und Dokumentarfilmerin.
Klappentext
"Als ich Frau Kugelmann das erste Mal sah, dachte ich, sie könnte gar nicht anders als Frau Kegel oder Frau Kugelmann heißen. Alles an ihr war rund, kugelrund, Augen und Ohren, Kopf, Hüfte, Beine, Bauch. Gerade so, als hätte man Kugeln aneinandergesetzt, kleine und große für Kopf und Körper und ein paar langgezogene für Arme und Beine. Einzig die Falten in Frau Kugelmanns Gesicht rebellieren gegen die rundliche Ordnung. Sie gehen eigene Wege und graben tiefe Furchen, wo immer sie wollen. Ja, und ihre Schuhe haben auch eine andere Form, es sind große ovale Schalen mit Riemchen, orthopädische Sandalen, die aus irgendeiner deutschen Schuhfabrik stammen, weil ältere Damen in Israel auf orthopädische Schuhe aus Deutschland schwören."
Meine Meinung
Ein wunderschöner Roman, mal sanft, mal heiter, gelegentlich grotesk! Geschichten von jüdischen Kindern, deren Eltern, Verwandte, Nachbarn und Freunde in Polen vor der großen Vernichtung. Absolut empfehlenswert.
Leseprobe:
Ich öffnete Halinas Koffer, nehme den alten braunen Besteckkasten heraus, breite das Besteck auf meinem Bett aus. Vielleicht gibt die Gravur mir einen Hinweis. Die Perlmuttgriffe sind stark verschmutzt, die Silberfassung ist schwarz angelaufen. Ich wasche das Besteck vorsichtig unter fließendem warmen Wasser, trockne es ab, erfreue mich an dem irisierenden Schimmer der Perlmuttgriffe, entdecke plötzlich zierlich eingravierte Fische an der silbernen Manschette. Was für ein wunderschönes altes Fischbesteck! Wo aber sind die restlichen vier Fischgabeln geblieben? Wo sind die drei fehlenden Fischmesser? Ist das der Fingerzweig? Gehören sie der Familie meines zukünftigen Mannes? Soll ich eine Anzeige aufgeben, ein Treffen all derjenigen organisieren, die ein unvollkommenes Fischbesteck besitzen? Oder kommen vielmehr nur Männer in Frage, die Goldfisch, Wildfisch, Krummfisch, Stockfisch oder Fischmich heißen? Soll es der Name eines biblischen Fisches sein, den meine Urahnen aßen, oder ein Fisch, der die Arche Noah begleitete?
Ich werde die erste ausgefallene Wimper, die ich unter meinem Lid entdecke, zu Rate ziehen. Ich lege sie vorsichtig auf die Fingerkuppe meines Zeigefingers, so halb über die Fingerspitze ragend, dennoch gut anhaftend, zum Abflug bereit. Während ich kräftig puste, beginne ich alle Fischnamen, die mir einfallen, aufzuzählen. Fliegt die Wimper bei einem einzigen Namen davon, werde ich mich sofort auf die Suche nach dem Namensträger begeben. Wahrscheinlich verliere ich zu meinem Unglück keine einzige Wimper. Ich sehe mich schon tagelang vor dem Spiegel stehen, ziehend und zerrend, aber keine Wimper erbarmt sich und löst sich vom Lidrand ab, im Gegenteil, sie sind wie festgepappt. Mehr noch, die Wimpern verlieren ihren seidigen Glanz, verdicken sich, verhärten sich, wachsen unaufhaltsam zu gräulichen stählernen Stäben heran, die langsam meine Wangen und das Kinn bedecken, Stahlwimpern, hinter denen mein Gesicht wie unter einem heruntergelassenem Visier verschwindet. Wer soll sich da noch in mich verlieben?
Nein, ich gebe die Hoffnung nicht auf. Wenn mir ein Mann mit einem Fischnamen vorbestimmt ist, werde ich ihn finden. Ich muss mich konzentrieren, jeder Spur, jeder Frage, die mir in den Sinn kommt, nachgehen. Wer legte Wert auf so schönes Fischbesteck? Hat Halina das Besteck noch aus Polen mitgebracht, aus Kalisz? War Kalisz dafür bekannt, dass die Einwohner ihren Karpfen mit besonders schönen Bestecken aßen? Wollte Halina, dass ich nach Kalisz blicke? Wie sah die kleine Stadt überhaupt aus? Mir ist nichts über sie bekannt, außer dass sie sich ebenso wie Bendzin in der Nähe der deutschen Grenze befindet.