'Oliver Twist' - Kapitel 11 - 21

  • Nur FYI


    und weil es mich so amüsiert, daß hier eine alte Meyrink-Übersetzung aufgetaucht ist:


    Meyrink läßt die Juden tatsächlich ' jüdeln-jiddeln'. Dsa war zum Einen natürlich die Sprache der zu seiner Zeit in Österreich wie Deutschland bei weitem häufiger anzutreffenden (Ost)Juden. Will sagen, vor allem der ärmeren jüdischen Bevölkerung, denn je wohlhabender sie waren, desto 'assimilierter' waren sie und sprachen zumindest nach außen hin dann halt auch möglichst 'gutes' Deutsch.


    Zum zweiten war es überaus beliebt, einfach so zum Spaß, wie man heute z.B. Anglizismen verwendet oder Jugendsprache. Komische Figuren auf der Bühne, in Büchern etc. 'Jiddeln'. Das geht bis in die frühen Dreißiger Jahre. Das war nicht unbedingt antisemitisch, sondern einfach Reaktion auf das Vorhandensein einer weiteren 'Sprache'.


    Zum dritten waren bestimmte jiddische Ausdrücke einfach verbreiteter. Massel, Maloche und hunderte mehr hatten Eingang gefunden in den täglichen Sprachgebrauch aller. Erst Nationalismus und Antisemitismus hatten dann eine 'Sprachreinigung' zur Folge. Heute sind die Ausdrücke weitgehend vergesen, weil eben diese ganze Kultur fast verschwunden ist.



    Das '-leben' ist tatsächlich eine Koseform, stammt urprünglich von 'Leben': im Sinn von: mein Liebes.
    Also: Otto, mein Leben oder Anna, mein Leben.... War ja bei usn auch verbreitet.


    Der Teil, der einfach nur Zuneigung ausdrückt, ist dann übriggeblieben, bzw. ein Form, wie sie Ältere zu Jüngeren oder Männer zu Frauen sagen.
    Also: Herzchen, Süße, Kleines....



    Zum Rechtswesen noch ein Wort:


    ja, auch im Strafrecht herrscht Common Law.
    Das, was wir hierzulande unter 'richterliche Unabhängigkeit' verstehen basierend auf dem römischen Recht zusammen mit seinen kontinentalen Traditionen und Weiterentwicklungen über die Jahrhunderte, kann in England nicht greifen, weil die Rolle des Richters dort eine andere ist.
    Der englische Richter ist nicht derjenige, der urteilt. Er ist nicht für Feststellung des Strafbestands, Festsetzung des Strafmaßes etc. zuständig.
    Das ist Aufgabe der Jury.


    Der Richter in England ist während des Prozesses so eine Art Diskussionsleiter. Und derjenige, der das Urteil der Jury der Öffentlichkeit verkündet.
    Einfluß hat er dahingehend, daß er am Ende des Verfahrens, bevor die Jury zur Beratung geht, eine Zusammenfassung des gesamten Falls gibt, einschließlich der Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidiger.
    Das ist das sogenannte Summing up.
    DAS soll natürlich neutral, objektiv und sachlich sein. Denn es soll die Fakten schildern. Dem Angeklagten jede Chance geben.
    Darin besteht die Kunst englischer Richter und das funktioniert ebenso gut und schlecht wie andere Rechtssysteme auch.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Hallo Magali,


    danke für die Ausführungen, das macht doch einiges klarer. :-)


    Was mich noch interessiert, ob es in England auch so eine Art Strafrahmen gibt, also für Diebstahl z.B. drei Monate bis drei Jahre oder Geldstrafe. Oder ist die Jury ganz frei in ihren Urteilen?


    Zitat

    Original von magali
    ...und weil es mich so amüsiert, daß hier eine alte Meyrink-Übersetzung aufgetaucht ist...


    Hm, das Buch ist zumindest neu, aber es steht darin, daß die Übersetzung von vor 1920 ist. Wahrscheinlich sind die anderen Ausgaben mehr auf die aktuelle deutsche Sprache angepaßt.


    Nochmal danke,
    lieben Gruß,


    die Fride. :wave

  • @ magali
    Danke für die Infos! Ich wusste gar nicht, dass das englische dem amerikanischen Rechtswesen so ähnlich ist (obwohl es ja naheliegt...) und es dort auch eine Jury gibt. Ich muss bei englischem Gericht immer an diese lustigen Perücken denken, die in manchen Filmen getragen werden *g*

  • @Fride


    klar gibt es einen Strafrahmen, es ist Aufgabe der Verteidigung wie des Staatsanwaltes den der Jury klar zu machen und der Richter vertieft das dann noch mal in seiner Zusammenfassung (da kann er dann halt auch Einfluß nehmen, einfach durch Formulierungen werten. Soll er nicht, aber ... Diese Summing Ups sind große rhetorische Kunst ;-) )
    Es kann aber nicht jeder einfach irgendwas entscheiden.


    Du mußt Dir das einfach so vorstellen, daß halt nicht mit 'Paragraph soundso und soundso' begründet wird, sondern mit 'nach Fall soundso und soundso'.
    Das funktioniert genauso. Die Praxis ist nicht so unterschiedlich. Ist ja auch eine Entwicklung über Jahrhunderte hinweg mit zig Reformen.


    Die USA sind seit den 50er Jahren mehr und mehr vom Common Law abgerückt und haben ein eigenes Paragraphenwerk entwickelt, nach dem inzwischen viel entschieden wird im Strafrecht. Modal Penal Law, heißt das, glaube ich.


    milla


    Na, hör mal. Miss Marple sitzt doch immer wieder in Juries!


    Klar tragen die Juristen Perücken, das gehört zur Amtstracht. Wie der Talar. Perückenmacher für Juristen vor Gericht gibt es bis heute in England wie den USA. Auch Richter in den afrikanischen Ländern, Ghana z. B., die englisches Rechtssystem haben (als koloniales Erbe) stülpen sich Perücken über, auch wenn es 40°C und 90% Luftfeuchtigkeit hat. :grin


    Die Typen, die Oliver verknacken, darf man sich auch schön mit Perücke vorstellen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • An Miss Marple in einer Jury kann ich mich nicht erinnern, aber ich bevorzuge ja auch Hercule Poirot :grin und habe deshalb noch nicht viele MMs gelesen - kommt aber noch ;-)


    Die Vorstellung von Perückenrichtern in Afrika hat was... :lache

  • Halleluja, wieder einen Abschnitt geschafft :-]



    Ich mag ja immer gar nicht solche Szenen lesen, bei denen ich schon weiß, dass es gleich unfair wird. :-( Da juckte es doch schon gewaltig in meinem Zwerchfell, als der alte Griesgram bei dem netten Mann meinte, Oliver würde nicht zurück kommen.



    Eine Frage an euch: Findet ihr Olivers Sprache nicht auch seltsam? -Er spricht so gewählt und hoch gegriffen, ich kenne keinen 10jähirgen, der sich in solchen Sätzen ausdrücken könnte.



    Hm, von der Disney-Verfilmung her hatte ich Dogder, Fagin und Nancy für netter gehalten -Aber ein einziger Egoistenverein.



    JAss :keks

  • Zitat

    Original von JASS
    Eine Frage an euch: Findet ihr Olivers Sprache nicht auch seltsam? -Er spricht so gewählt und hoch gegriffen, ich kenne keinen 10jähirgen, der sich in solchen Sätzen ausdrücken könnte.


    Hm also in der englischen Ausgabe ist mir das gar nicht aufgefallen, da habe ich keinen Unterschied zwischen Oliver und den nicht-kriminellen Erwachsenen gemerkt. Nur dass Oliver insgesamt sehr wenig spricht für ein Kind oder? :gruebel

  • Zitat

    Original von milla


    Hm also in der englischen Ausgabe ist mir das gar nicht aufgefallen, da habe ich keinen Unterschied zwischen Oliver und den nicht-kriminellen Erwachsenen gemerkt. Nur dass Oliver insgesamt sehr wenig spricht für ein Kind oder? :gruebel



    Genau das meine ich -Oliver spricht mit den Worten eines Erwachsenen, mit sehr üppigen Worten, die mich bei einem Kind überraschen.


    Dass er wenig spricht, wundert mich nicht. Wenn er spricht, wird es ihm ja ständig als Frechheit unterstellt...



    JAss :keks