"Lolita lesen in Teheran" -Azar Nafisi

  • Titel der Originalausgabe: “Reading Lolita in Tehran”
    Aus dem Englischen übersetzt von Maja Ueberle-Pfaff.


    Ich hab es mal in die Kategorie „Autobiographie/Biographie“ gesteckt, weil die englische Ausgabe den Untertitel „A memoir in books“ hat und es autobiographische Erinnerungen der Autorin sind.


    Zum Buch


    Als die iranische Literaturprofessorin Azar Nafisi den Schleier nicht länger tragen will, wird sie von der Universität Teheran verwiesen - und erfüllt sich einen Traum. Zwei Jahre lang kommen sie und sieben ihrer besten Studentinnen jeden Donnerstag morgen heimlich zusammen, um verbotene Klassiker der westlichen Literatur zu lesen. Mit der Lektüre von Nabokov, Austen, James und Fitzgerald schaffen sie sich Freiräume in der ihnen aufgezwungenen Enge der Islamischen Republik Iran. Aus verstohlen in ihr Haus huschenden schwarz verschleierten Schatten werden junge Frauen in Jeans und bunten Kleidern. Sie öffnen sich in der Diskussion über die literarischen Werke und beginnen die eigene Realität, der gegenüber sie sich lange sprachlos und ohnmächtig fühlten, zu hinterfragen und zu verändern.


    Zur Autorin


    Azar Nafisi, wahrscheinlich 1955 in Teheran geboren, ist die Tochter des ehemaligen Bürgermeisters von Teheran. 17 Jahre lang lebte sie in den Vereinigten Staaten, bevor sie 1979 in den Iran zurückkehrte. 1997 verließ sie den Iran erneut und wanderte in die USA aus. Heute ist sie Professorin für englische Literatur an der Johns Hopkins University in Washington, D.C. Sie schreibt für die New York Times, die Washington Post, das Wall Street Journal und den New Republic. Sie lebt mit ihrem Eheman Bijan und ihren beiden Kindern Negar und Dara in Washington, D.C.


    Meine Meinung


    …und ein Mann war auch Mitglied der Gruppe. Allerdings konnte er meist nicht an den Treffen teilnehmen, weil gemischte Treffen zu riskant gewesen wären. Aber das Buch ist keines von denen, in denen Frauen erzählen, wie sie von bösen iranischen (Ehe-)Männern unterdrückt wurden.


    Der Klappentext ist schon mal falsch. Die Autorin wurde nicht in den 90er Jahren aus der Universität verwiesen, weil sie keinen Schleier tragen wollte, sondern da hat sie von sich aus gekündigt. Rausgeflogen ist sie während der Islamischen Revolution (1979) und sie hat sich dann später doch wieder entschieden zu unterrichten und den Schleier dafür in Kauf zu nehmen, weil sie den Studenten nicht die Möglichkeit nehmen wollte, etwas zu lernen.


    Das Buch ist insgesamt anders als ich es vom Klappentext her erwartet hatte. Es steht weniger die Lesegruppe im Vordergrund, sondern das Buch ist in vier Teile unterteilt, die jeweils mit einem Titel oder dem Namen eines Autors überschrieben sind und die Bücher sind passend zur jeweiligen Thematik des Abschnitts ausgewählt. Nur in zwei der vier Abschnitte geht es tatsächlich um die Donnerstagsgruppe, wobei einige der Mitgleider aber auch in anderen Abschnitten auftauchen.


    Im ersten Teil – „Lolita“ – wird die Gruppe vorgestellt, die sich ab etwa 1995 regelmäßig jeden Donnerstag bei der Autorin trifft, um englischsprachige Literatur zu besprechen. Donnerstag ist praktisch der Islamische Sonnabend, also der Beginn des Wochenendes. Besprochen wird hauptsächlich Nabukovs “Lolita“, aber auch seine „Einladung zur Enthauptung“, ein Buch das in einem totalitären System spielt und in dem der Hauptfigur nichts Handfestes vorgeworfen werden kann, außer nicht mit den Marionetten mitgejubelt zu haben.


    Im zweiten Teil – „Gatsby“ – geht es um Zeit vor und während der Islamischen Revolution (1977-79), um Antiamerikanismus, um Moral und dem großen Gatsby wird der Prozess gemacht.


    Im dritten Teil – „James” - geht es um den Iran-Iraq-Krieg (1980-88.) bis hin zu Khomeinis Tod. Besprochen werden die Werke von Henry James, insbesondere “Daisy Miller“. Ein Zitat, das mir aus diesem Abschnitt und vielleicht auch aus dem ganzen Buch besonders im Gedächtnis geblieben ist, und das vielleicht auch zur heutigen Situation passt, also zur Frage: Wieso leisten die nicht mehr Widerstand?, ist:


    Those groups and individuals without a sense of loyality to the regime’s brand of Islam were excluded from the war effort. They could be killed or sent to the front, but they could not voice their political or social preferences.”


    Im vierten Teil – „Austen“ - sind wir wieder in den 90er Jahren angekommen. Der Abschnitt behandelt die Jahre 1995 bis 1997, bis die Autorin den Iran verlässt. Es geht um Liebe und arrangierte Ehen und um die Frage „bleiben oder gehen“.


    Das Buch ist keins, das man mal so eben runterlesen kann, aber eins, das mich sehr beeindruckt hat. Ich hab sogar wichtige Stellen mit Fähnchen markiert, was ich ja sonst eigentlich nur mit Leserunden-Büchern mache. Interessant fand ich weniger die Literaturinterpretationen der Autorin, sondern, wenn sie über das Leben im Iran berichtet hat und die Schwierigkeiten, sich in einem totalitären System Nischen zu schaffen, zu überleben und nicht zu resignieren. Es gibt einen Spruch, ich glaub aus dem Talmud, dass man niemanden verurteilen soll, solange man nicht in seiner Situation gesteckt hat. Das Buch hat mir die Möglichkeit gegeben, mich in die Menschen im Iran hineinzuversetzen und dadurch wurden manche Entscheidungen oder Verhalten für mich besser nachvollziehbar. Ich kann es sehr empfehlen zum Über-den-Tellerrand-schauen.“


    Ich hab die englischsprachige Ausgabe gelesen, deshalb kann ich nichts zur Übersetzung sagen. Ich fand die Sprache sehr schön, die Autorin schreibt sehr wortgewandt und blumig und auch gern mal lange verschlungene Sätze. Als allererstes englischsprachiges Buch würde ich es nicht empfehlen.
    .

  • Liebe Delphin,


    vielen Dank für die Rezi :knuddel1, ich war schon ganz gespannt, wie du das Buch findest, da ich schon seit Wochen ständig um dies Buch herum schleiche. Jetzt weiß ich aber, dass ich es am 1.3. (wenn ich wieder Bücher kaufen darf *lach*) sofort käuflich erwerben werde. Zumal es auch um arrangierte Ehen geht, das is doch genau MEIN Thema :grin


    Danke auch für die Bemerkung zur englischen Ausgabe, ich denke mal, dass ich es auch auf Englisch lesen werde, kann ja nicht schaden, das Einrosten zu verhindern :lache


    Alles Liebe, Bianca :wave

  • Hi Bianca,


    Zitat

    Original von bibihexe76
    Zumal es auch um arrangierte Ehen geht, das is doch genau MEIN Thema :grin


    Aber das ist nur auch ein Thema, nicht das Hauptthema und die Autorin selbst hat auch den Mann geheiratet, den sie liebt.


    Zitat

    Danke auch für die Bemerkung zur englischen Ausgabe, ich denke mal, dass ich es auch auf Englisch lesen werde, kann ja nicht schaden, das Einrosten zu verhindern :lache


    Zur englischen Ausgabe sollte ich vielleicht noch sagen, dass ich sie ziemlich winzig gedruckt fand, obwohl das Buch an sich ein ganz normales Format hat.


    Bin ja gespannt, wie es Dir gefällt. :-]


    lg Iris

  • Die Autorin, die iranische Literaturprofessorin Azar Nafisi , schreibt über ihr Leben im Iran und über das Leben ihrer Studenten und Studentinnen. Gleichzeitig werden verschiedene Bücher (z.B. Lolita, Der große Gatsby) besprochen.


    Die Teile über das "wirkliche" Leben im Iran fand ich interessant, wenn auch zum Teil etwas anstrengend zu lesen, da man über manche Personen immer nur bröckchenweise etwas erfährt und oft auch nur kurze Ereignisse oder Gespräche erzählt werden.


    Die Literaturbesprechnungen dagegen fand ich eher langweilig - egal ob ich die besprochenen Bücher kannte oder nicht. Zum Schluß hin hat das dann leider dazu geführt, dass ich die Seiten teilweise nur noch überflogen habe.

  • Zitat

    Original von chiclana
    Die Teile über das "wirkliche" Leben im Iran fand ich interessant, wenn auch zum Teil etwas anstrengend zu lesen, da man über manche Personen immer nur bröckchenweise etwas erfährt und oft auch nur kurze Ereignisse oder Gespräche erzählt werden.


    Die Literaturbesprechnungen dagegen fand ich eher langweilig - egal ob ich die besprochenen Bücher kannte oder nicht. Zum Schluß hin hat das dann leider dazu geführt, dass ich die Seiten teilweise nur noch überflogen habe.


    Das ging mir auch so, dass mir die Teile über das Leben im Iran besser gefallen haben als die Literaturbesprechungen. :wave

  • Das ist das eigenartigste literaturwissenschaftliche Buch, das ich je gelesen habe.


    Die Diskussion der politischen Situation in einem Land direkt mit der Interpretation von Werken der sog. Weltliteratur zu verbinden, ist faszinierend.


    Daß das Land nicht dem westlichen Kulturkreis angehört, macht die Sache noch spannender.
    Es ist aber sicher nichts, was man so weglesen kann, auch nicht die Teile über die Lage im Iran.
    Es zu vermarkten, ohne darauf hinzuweisen, daß es hier um Literaturwissenschaft geht, finde ich nicht fair, ich nehme an, daß es bei vielen LeserInnen zu Enttäuschungen führte.


    Für mich war es höchst spannend - unter anderem, weil ich fachfremd bin ;-) -, ich habe aber noch nicht alles gelesen, weil die Bücher, die besprochen werden, zu verschiedenartig sind und einfach nicht immer alles paßt. Das sind schon große Sprünge, so von 'Daisy Miller' über Lolita zu Elizabeth Bennett! Von Gatsby im Iran gar nicht zu reden!
    Sprachlich es sehr anspruchsvoll (ich rede von Original), die Autorin ist Wissenschaftlerin und hat einen Wotschatz, der Shakespeare blaß werden läßt.
    Es ist toll, aber anstrengend. Und entsprechend anregend. Mal eine ganze andere Stimme zur Literatur.
    Bei mir steht es im Lit.wiss.-Regal.


    Wenn man sich für die Situation von Frauen im Iran interessiert, kann es sich aber durchaus lohnen, einfach nur die Teile zu lesen. Ins 'Frauen'-Regal habe ich es aber trotzdem nicht gestellt.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Selten habe ich für ein Buch so lange gebraucht und anfangs habe ich es erst einmal nach knapp 50 Seiten beiseite gelegt, weil es mir absolut nicht gefallen hat. Jetzt habe ich ihm eine zweite Chance gegeben und immer mal wieder drin geschmökert, bis ich mich am Wochenende ganz und gar diesem Buch gewidmet habe. Ich habe es auch keine Minute bereut und frage mich immer noch, wieso ich das Buch damals beiseite legte?!
    Der Klappentext täuscht mal wieder über das eigentliche Geschehen im Buch hinweg, aber das Problem kennen wir ja bereits ;-)


    Man merkt der Autorin auf jeden Fall an, dass sie die Literatur liebt, Sprache lebt, denn wie sie schreibt, ist wahrhaft großartig.
    Ich war sehr beeindruckt von der Lektüre und habe selten so lang für 420 Seiten gebraucht. Nafisi beschreibt ihr Leben im Iran eindrucksvoll und sehr bildreich, so dass man das Gefühl hat, man sitzt vor ihr in den Vorlesungen oder ist mittendrin in der Lesegruppe.
    Ein tolles Buch, in dem man viel über Interpretationen zu "Lolita", "Stolz und Vorurteil" etc. aus einer völlig anderen Perspektive lernt, nebenbei erfährt der Leser noch sehr viel zum Leben im Iran, was zutiefst bewegend ist. Ein Buch, das sicherlich noch lange nachwirkt!
    Volle Punktzahl!

  • Titel: Lolita lesen in Teheran
    OT: Reading Lolita in Teheran
    Autorin: Azar Nafisi
    Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch: Maja Ueberle-Pfaff
    Verlag: Goldmann
    Erschienen als TB: Februar 2008
    Seitenzahl: 421
    ISBN-10: 3442154820
    ISBN-13: 978-3442154821
    Preis: 9.95 EUR


    Azar Nafisi ist Professorin für englische Literatur und unterrichtet an der Johns Hopkins Universität in Washington DC. 1997 verließ sie den Iran und wanderte in die USA aus. Vorher war Azar Nafisi Hochschullehrerin an der Universität in Teheran. Weil sie sich weigerte den Schleier zu tragen wurde sie mit einem Lehrverbot belegt. Azar Nafisi ist verheiratet und hat zwei Kinder.


    In diesem beeindruckenden Buch schildert die Autorin die Verhältnisse in der Islamischen Republik Iran, einem Land in welchem die Menschenrechte pausenlos mit Füßen getreten werden und Frauen so gut wie keine Rechte haben. Willkür und Terror ist der tägliche Begleiter der Menschen im Iran. Doch Azar Nafisi will sich nicht damit abfinden, dass sie nicht mehr unterrichten darf. Mit sieben ihrer Lieblingsstudentinnen trifft sie sich regelmässig donnerstags um zusammen zu lesen, über das Gelesene zu diskutieren, aber auch um über alles zu reden was die Studentinnen beschäftigt. Natürlich müssen diese Zusammenkünfte mehr oder weniger heimlich stattfinden, denn die Sittenpolizei (eine echte Perversität im Iran) ist allgegenwärtig.


    Die Gruppe beschäftigt sich mit den Werken von Vladimir Nabukov, Jane Austen, Henry James und F. Scott Fitzgerald. Immer wieder zieht die Gruppe aus dem Gelesenen Parallelen zu ihrer eigenen Situation.


    Sigrid Löffler hat Recht, wenn sie sagt, dass „…die islamische Revolution im Iran so noch nie erzählt worden ist….“. Gerade indem uns Azar Nafisi den Alltag der Menschen im Iran schildert, kann man erkennen, wie die Menschen dort unterdrückt werden. Nur wenigen Nischen sind ihnen geblieben, wohin sie sich zurückziehen können.


    Die Autorin zeigt deutlich die Verlogenheit des Regimes und hier insbesondere die Verlogenheit der Ajatollah-Clique und zeigt ihren Lesern auch, wessen Geisteskind der oberste Führer der Revolution war.


    Azar Nafisi liebt ihr Heimatland, das spürt man fast aus jeder Zeile dieses Buches. Umso härter trifft sie radikale gesellschaftliche Rückwärtsentwicklung der iranischen Gesellschaft. Mühsam erkämpfte Rechte werden Makulatur, Frauen sind kaum noch Menschen zweiter Klasse; alles was zählt sind die kruden religiösen Vorstellungen einiger weniger Machthaber. Der Iran ist ein Unrechtsstaat – ein Staat in welchem die elementaren Menschenrechte täglich immer wieder neu vergewaltigt werden.


    Dieses Buch macht einerseits betroffen, andererseits ist es aber auch ein Beleg dafür, dass Literatur wohl mehr ist als einfach nur „Bücher lesen“. Literatur scheint Menschen dafür sensibel zu machen, Lebensumstände anders zu sehen und Dinge anders wahrzunehmen. Ein emotionales Buch, dabei aber nie polemisch oder reißerisch, sondern stets auch um Sachlichkeit bemüht. Literatur kann etwas bewirken; dieses ist wohl die grundlegende Erkenntnis dieses Buches. Und so ganz nebenbei bekommt der Leser – wenigstens ging es mir so – sich einfach mal wieder mit den vorgenannten Autorinnen und Autoren zu beschäftigen; ein sehr angenehmer Nebeneffekt.


    Ein sehr lesenswertes Buch.


    Edit: Zu diesem Buch passt wohl die nachstehende Meldung bei www.n-tv.de
    Frau im Iran soll gesteinigt werden Und die Welt schaut - mal wieder - zu......... :-(

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

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  • Ich hab eigentlich immer gedacht, dass dieses Buch nichts fuer mich sei. Und dann lese ich heute ein Zitat der Autorin, das absolut meine Gefuehle fuer das Lesen von Romanen entspricht - und das wie es scheint wirklich gut das Thema dieses Buches zusammenfasst:


    “Do not, under any circumstances, belittle a work of fiction by trying to turn it into a carbon copy of real life; what we search for in fiction is not so much reality but the epiphany of truth.”


    hmmm, vielleicht wage ich mich ja doch noch dran :gruebel

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

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  • Dieses Buch handelt von wahren Ereignissen, von der verändernden Kraft der Literatur - und es hat viele Vorschusslorbeeren und gute Rezensionen kassiert. Drei gute Gründe für mich, es auch einmal zu versuchen. Nun - fünf Sterne werden es bei mir nicht. Dafür ist das Buch dann doch ein wenig zu sehr von dem abgewichen, was ich erwartet hatte. Wenn man sich allerdings konzentriert, und das Buch als das betrachtet, was es ist, und was es sein will - dann hat es vier Sterne mindestens verdient.


    Das Buch handelt eben nicht (!) hauptsächlich von einer privaten Leserunde, welche die Professorin Azar Nafisi mit ein paar Studentinnen bei sich daheim abhielt. Die Leserunde kommt leider nur am Rande vor; für mich etwas zu wenig. Allerdings muss ich gestehen, dass es wahrscheinlich nötig war, so weit auszuholen - im Iran kann man nichts schildern, ohne den politischen Hintergrund und persönliche Schicksale zu beleuchten. Das halte ich der Autorin zugute, und dies hat sie auch sehr gut umgesetzt.


    Das Buch ist in vier Abschnitte untertelt, die alle etwa ein Viertel des Gesamtumfangs ausmachen. Abschnitt Eins, "Lolita", handelt von der Gründung der Lesegruppe, von der Nabokov-Lektüre, aber auch von den privaten Hintergründen der Mädchen. Abschnitt Zwei, "Gatsby", behandelt das persönliche Vorleben von Azar Nafisi, ihre Rückkehr in den Iran nach langem Auslandsaufenthalt, den Beginn der islamischen Revolution, und viele Studentenunruhen. Abschnitt Drei, "James" (bezogen auf Henry James) behandelt den Iran-/Irak-Krieg, und die vielen Repressalien, denen Azar Nafisi und andere Lehrende in dieser Zeit ausgesetzt waren. Abschnitt Vier schließlich, "Austen", erzählt von der langsamen Auflösung der Lesegruppe, von Ausreisewünschen und Hoffnungen.


    Jeder Abschnitt ist also einem Schriftsteller oder einem Werk zugeordnet. Dabei ist diese Zuordnung eher lose, wie auch die ganze Erzählweise von Azar Nafisi eher "rhapsodisch" ist. Ich habe das aber als sehr stimmungsvoll empfunden. Der Stil ist eben sehr "orientalisch", mal abschweifend, mal ausführend, dann wieder zum Hauptthema zurückkehrend.


    Rückblickend kann ich nur sagen, dass das Buch wesentlich (!) politischer war, als erwartet. Es wurde von der Autorin sehr viel Wissen vorausgesetzt, was die Zustände im Iran betrifft. Besonders im zweiten und dritten Abschnitt fiel mir dies auf, und hat auch meine Lektüre eher verlangsamt. Sie erklärt nichts, schildert nur Vorgänge, Leidenswege, und Wirren aller Art. Das war schon recht herausfordernd. Mich hat es aber als privilegierten Westler auch ein wenig beschämt, weil hierzulande ein solch ausgeprägtes politisches Bewusstsein, zumal unter Studenten und jungen Leuten, eher selten geworden ist. Uns geht es doch viel zu gut!


    Ferner hat mich tief beeindruckt, mit welcher Hingabe im Iran mit Literatur umgegangen wurde. Ich war auch einmal Studentin, und muss zu meiner und unserer Schande gestehen, dass hier bei uns nicht in solcher Tiefe über Autoren und Werke diskutiert wurde. Man stelle sich nur vor, Azar Nafisi hat, auf Drängen eines besonders eifrigen Studenten, sogar in ihrem Unterricht dem Buch "The great Gatsby" den Prozess machen lassen, komplett mit Ankläger, Staatsanwalt und Geschworenen (mit verteilten Rollen!). Die Diskussionen waren nach den Vorlesungen auch beileibe nicht zu Ende. In Cafés, auf Fluren und auf der Straße wurde die Autorin von ihren Studenten umzingelt und eingeholt, um noch offene Fragen zu besprechen. Das nenne ich Einsatz!


    Mich hat das Buch auf jeden Fall sehr zum Nachdenken angeregt. Leicht konsumierbar war es ganz gewiss nicht, eher verschlungen und komplex. Aber möglicherweise liegt genau darin sein Wert. Die Autorin, und ihre heimlichen Studentinnen sind sehr für ihren Mut und ihre Hingabe zu bewundern.

  • An dem Buch kam ich nicht vorbei, nachdem so unterschiedliche Lesetypen wie Magali, Voltaire und Delphin das Lesen empfehlen. Mich hat es beeindruckt, gerade die Insidersicht einer Frau im Iran, die erzählt, wie ihre Mutter dafür gekämpft hat das Kopftuch tragen zu dürfen, als Schah Reza es verbot und die von ihrem Kampf berichtet, es tragen zu müssen, egal ob sie wollte oder nicht. Auch die ganze Entwicklung der Islamischen Revolution wieder ins Gedächtnis gerufen zu bekommen fand ich faszinierend. Wir haben uns als Europäer damals nicht genug um die Menschen im Iran gekümmert, ihnen nicht geholfen, keinen Einfluss genommen- uns hat nur die Botschaftsbesetzung interessiert, dass da noch ganz andere Mechanismen am Laufen waren kam zumindest nicht in die veröffentlichte Meinung und damit nicht ins Bewusstsein. Die Autorin beschreibt ihre Sicht der Dinge höchst subjektiv, als Beobachterin und Teilnehmerin der Geschichte und als Literaturwissenschaftlerin an ihrer Arbeit. Das ist teilweise verstörend, meint man doch die Dinge anders zu erinnern, aber es ist andererseits sehr erhellend, mit welcher Naivität sie z.B. vom ersten Iran/Irakkrieg berichtet. Ein anstrengendes Buch sicherlich, liest sich nicht weg wie nichts, ein manchmal sperriger, steiniger, aber ein lohnenswerter Weg.