Empfindungen zur Dämmerstunde
Der Tag neigt sich seiner Vollendung entgegen. Eine graue Wolkenherde hetzt über den dämmrigen Himmel gejagt vom eisigen Nordwind. Die untergehende Sonne säumt ihre Ränder zyklamrosa.
Die Geräusche des Tages verstummen. Die der Nacht erheben vereinzelt, zögernd ihre Stimmen. Die Natur befindet sich im Einklang mit ihren Geschöpfen.
Ich mag sie diese Spanne der Wachablöse – ich mag sie sogar sehr!
Sie bietet sich mir dar als Reservoir unerschöpflicher Energien. Sie gebietet meinen rastlosen Gedanken, meiner rastlosen Seele, meinem rastlosen Suchen, meinem rastlosen Forschen nach dem Sinn des Lebens und auch speziell meines Lebens, meinen rastlosen Händen – Einhalt!
Sie vermag es, mich in dieser stillen Stunde mit Frieden zu erfüllen. Ihre kundigen Finger gleiten über meine Stirne – wischen alles Störende in unerreichbare Fernen - , streifen mir den Mantel der Geborgenheit über.
Geborgenheit! Geborgenheit! Geborgenheit! Sie ist für mich eminent wichtig – eine elementare Sehnsucht nach ihr wohnt stets in mir!
Sie erscheint mir in dieser stillen Stunde in der ich dem Rest der Welt adieu sage indem ich die Haustüre verschließe, die Vorhänge sorgfältig vor den Fenstern drapiere um mich dadurch vor allen Unbilden zu schützen die mich drohend umgaukeln und um mich ein zu weben wie eine Raupe in ihren Kokon.
Sobald dies geschieht erscheint sie bei mir. Leistet mir Gesellschaft. Umfängt mich mit ihren Armen. Nun lasse ich los, lasse ich mich fallen, öffne mich........
Wir verschmelzen. Ihre Kraft rollt wie flüssiges Quecksilber durch meine Adern. Jetzt geht es mir gut. Gemeinsam verbringen wir die Nacht. Sie und ich und ihr Gefolge, bestehend aus Behaglichkeit, Zufriedenheit, Dankbarkeit, Ruhe, Freude, Liebe mit einem Schimmer Glück.
Kaum wahrnehmbar, wie der letzte gehauchte Atemzug eines Sterbenden, entflieht sie am Morgen ins Nirgendwo. Ihren Platz besetzt sie meist mit einer ihrer Schwestern aus dem Familienzweig : Hoffnung.
Die winzige Hoffnung, die schwache Hoffnung, die selbstbewußte Hoffnung, die zaghafte Hoffnung, die siegessichere Hoffnung, die freudige Hoffnung, die „mit einer Träne im Augenwinkel“ Hoffnung, die glückstrahlende Hoffnung, die sehnsuchtsvolle Hoffnung, die verzweifelte Hoffnung, die enttäuschte Hoffnung, die „Alles bewältigende“ Hoffnung, die niederschmetternde Hoffnung, die „mir nichts anhaben könnende“ Hoffnung, die armselige Hoffnung, die gleichförmige Hoffnung, die jubelnde Hoffnung, die zertretene Hoffnung, die aufkeimende Hoffnung, die wilde Hoffnung, die aussichtslose Hoffnung, die erwartungsvolle Hoffnung, die „nach Erlösung lechzende“ Hoffnung, die sündige Hoffnung, die verlorene Hoffnung, die „Gewißheit versprechende“ Hoffnung, die zerbrochene Hoffnung, die „auf Hoffnung hoffende“ um „Hoffnung bittende“ Hoffnung, die zerstörerische Hoffnung......
Zuweilen spenden sie mir Trost – zuweilen bewirken sie das Gegenteil. Doch eines bleibt mir stets von ihr : die „ich komme wieder“ Hoffnung.....
Und diese erfüllt sie, bei fast jedem Sonnenuntergang.......
So auch heute. Sie erschien pünktlich. Ich spüre ihre Anwesenheit. Sie plaziert sich hinter mir. Beugt sich über meine rechte Schulter. Schmiegt ihre linke Wange an meine rechte Wange. Meine Lider klappen zu. Der Vereinigungsprozeß beginnt.
Sie sickert in mich wie ein erquickendes Serum. Sanft entwindet sie mir das Zepter. Schwingt sich auf zur Herrscherin. Regiert mit einem Zauberstab. Meine Gefühle tanzen wie Marionetten zu ihrem Takt. Sie führt sie in das Land in dem Milch und Honig fließt.
Wohlbehagen breitet sich aus und drängt die Angespanntheit in die Defensive. Fast ohnmächtig vor Wut kapituliert diese. Zornbebend sucht sie das Weite. Sie zieht sich in den dunkelsten Winkel ihrer Behausung zurück. Frustriert leckt sie sich ihre Wunden. Sinnend nach Rache.
Geborgenheit &Wohlbehagen
Unzertrennlich! Unbeschreiblich schön! Ausschlaggebend für meine Existenz!
Was wäre mein Dasein ohne sie und ihre Schwestern den unzähligen Hoffnungen?!?!?!
Sie halten Einkehr in mir. Jetzt und in diesem Augenblick.
Sie huschen durch meinen Körper. Elfengleich. Ausgedörrtes Land verwandeln sie in einen Blütenteppich. Knospe für Knospe öffnet eilig ihre Blätter und legt leuchtende Kelche frei.
Trunken vom Nektar taumeln meine Gedanken angenehm ermüdet umher. Entspannt sinken sie auf kosigen Grund – und entschlafen.......
Mein Körper, mein Bewußtsein, mein Herz, meine Seele folgen ihnen.....