OT: Her Life as an American Madame by Herself
Über die Autorin
Nell Kimball lebte von 1854 bis 1934. Ihre Memoiren sind das Werk einer geborenen Erzählerin, die obendrein über ein interessantes Leben zu berichten weiß.
Inhalt
"Jedes Mädchen sitzt auf seinem Reichtum" pflegte Tante Letty zu sagen und als Nell größer wird und begreift, daß ihre alte Tante für kurze Zeit eine erstklassige Hure gewesen war, begreift sie auch, was sie damit meint.
Viele Alternativen gibt es für Nell nicht: entweder wie ihre Mutter jedes Jahr schwanger sein und sich auf der Farm zu Tode schuften oder sich als Hausmädchen verdingen und hin und wieder vergewaltigt zu werden.
Mit vierzehn nimmt Nell ihr Schicksal selbst in die Hand und flieht nach Saint Louis.
Eine sehr ungewöhnliche Lebensgeschichte entspinnt sich. Nell wird Edelnutte in einem vornehmen Bordell, ausgehaltene Geliebte eines betuchten Familienvaters, Frau eines berühmten Bankräubers und Madame von drei Freudenhäusern. Sie ist dreiundsechzig, als 1917 alle Bordelle im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen schließen müssen.
Danach versucht sie es im Immobiliengeschäft und hofft, mit der Veröffentlichung ihrer Lebensgeschichte Geld zu verdienen. Achtzig Jahre dauert dieses verrückte Leben, doch Nell soll ihre Niederschriften in Buchform nicht mehr in die Hände bekommen. Kein Wunder! So einige Jahrzehnte mußten ins Land ziehen, ehe die Welt für einen derartig freizügigen, schonungslos direkten und vor Leben strotzenden Schreibstil bereit war. Nell war keine gebildete Frau, keine Intellektuelle, aber sie war eine Lebenskünstlerin, die aus ihren ungewöhnlichen Erfahrungen viel Weisheit zog und eine spät zu Tage getretene Begabung dafür besaß, ihr Leben in Literatur zu verwandeln.
Wie sah der Alltag in einem Bordell um die Jahrhundertwende aus? Wie denkt, fühlt und lebt man als Nutte? Wie funktioniert dieser ganze Rotlichtbetrieb und welche Phantasien, Wünsche, Beweggründe treibt die Kundschaft dorthin? Was Nell Kimball darüber schreibt, was sich zwischen Mann und Frau immer und immer wieder abspielt, ist immer noch aktuell, auch hundert Jahre später. Und wer könnte erfrischender, freimütiger und natürlicher über Sex plaudern, als ein unintellektuelles und lebensbejahendes Freudenmädchen?
Meine Meinung
Ein wahrhaft interessantes Buch – ein opulentes Sittengemälde seiner Zeit. Ich fand das Buch sehr, sehr interessant und habe es in wenigen Tagen verschlungen.
Auch wenn die Schilderung des Erlebten natürlich sehr subjektiv eingefärbt aus der Sicht von Nell beschrieben wurde, war es doch sehr interessant zu erfahren, wie die Gesellschaft damals durch Protektion und Schmiergelder „funktionierte“.
Das Buch selbst ist sehr flüssig geschrieben, man kommt leicht rein und es macht auch Spaß, es zu lesen. Zwischenzeitlich hat es manchmal ein paar Längen, aber das hat dem Lesespaß im Großen und Ganzen keinen Abbruch getan.
Das Buch ist in einer direkten, „fleischlichen“ Sprache geschrieben und nennt die Dinge(r) schon beim Namen, ohne aber einen vulgären Gesamteindruck zu hinterlassen. Sensible Gemüter, die aber bei der bloßen Nennung z.B. des Wortes Schw... einen roten Kopf bekommen, sollten lieber zu einem anderen Buch greifen.
Was ich sehr schade finde ist allerdings, daß man so gut wie nichts über den Werdegang von Nell Kimball erfährt, nachdem sie ihre Laufbahn als Bordellwirtin beendet hat. Da hätte ich gerne mehr gewusst. Vielleicht fand die Autorin das Leben "danach" aber so unspektakulär, daß sie es nicht weiter der Erwähnung wert fand.
Alles in allem ist das Buch die interessante Chronik einer längst untergegangenen Zeit. Mein Fazit: Lesenswert!