Die vergessenen Tiere von Eld - Patricia A. McKillip

  • Leseprobe
    "Als Myk still im Mondenschein seinem Leib den Geist für immer entzog, führte sein Sohn Ogam seine Sammlung fort.
    Er lockte aus den Südwüsten jenseits des Eldbergs den Löwen Gules, der mit seinem Fell von der Farbe eines Königsschatzes so manchen Unvorsichtigen zu unüberlegten Abenteuern verführt hatte. Vom kosigwarmen Herdplatz einer Hexe außerhalb Eldwold stahl er die große schwarze Katze Moriah, deren Kenntnisse an Zaubersprüchen und Beschwörungen einst in ganz Eldwold berühmt gewesen waren. Der blauäugige Falke Ter, der die sieben Mörder des Zauberers Aer in Stücke gerissen hatte, schoss wie ein Blitz aus dem Himmel auf Ogams Schulter hinab. Nach einem kurzen, aber heftigen Geisteskampf, da blaue in schwarze Augen starrten, lockkerten sich die schmerzhaften Krallen. Der Falke nannte seinen Namen und beugte sich Ogams überlegener Macht.
    Mit einem schiefen, harten Lächeln, einem Erbteil seines Vaters Myk, rief er eines Tages auch die älteste Tochter des Lords Horst von Hilt zu sich, als sie zu nahe am Berg vorbeiritt. Sie war eine kindhafte, zarte Frau von großem Liebreiz, die sich vor dem Schweigen und den wundersamen Tieren fürchtete, die sie an die Bilder auf den Gobelins in ihres Vaters Haus erinnerten. Auch vor Ogam mit seiner verborgenen stillen Macht und seinen rätselvollen Augen fürchtete sie sich. Sie gebar ihm ein Kind - und starb. Unerklärlicherweise war das Kind ein Mädchen. Es dauerte eine beachtliche Weile, bis Ogam sich von diesem Schock erholte und seiner Tochter den Namen Sybel gab."


    Die Zauberin Sybel hätte wohl einfach familiäre Tradition des Sammelns magischer Tiere fortgesetzt, wäre nicht eines Tages der jüngste Sohn des Hauses Sirle vorbeigekommen, um ihr ihren Neffen Tamlorn aufzudrängen, den Erben des Königs von Eldwold. So wird Sybel in den Kampf um die Macht in Eldwold einbezogen, und sie lernt Tamlorn lieben wie ein eigenes Kind, und sie verliebt sich in Coren, doch der will Tamlorns Vater um jeden Preis töten.
    Sie muss erkennen, dass ihre Verbindungen zu anderen sie angreifbar machen, so verletzbar, dass sie fast sich selbst verliert. Das lässt sie auf Rache sinnen, und Rache braucht weltliche Macht, und so spielt sie die Parteien gegeneinander aus, bis sie am Ende ganz knapp davor steht, alles zu verlieren, ihre Tiere, Coren, Tamlorn, und sich selbst.


    "The Forgotten Beasts of Eld" erschien 1974 und gewann den gerade aus der Taufe gehobenen World Fantasy Award (gut, das ist typisch amerikanisch, sich für die ganze Welt zu halten. Aber die können auch über den Tellerrand gucken, in den 80ern wurde Patrick Süsskinds Roman "Das Parfüm" mit dieser jährlich vergebenen Auszeichnung bedacht).
    Ich habe McKillip immer dafür geliebt, wie märchenhaft ihre Geschichten daherkommen. So ist Coren von Sirle natürlich nicht nur ein Prinz, sondern auch der siebte Sohn eines siebten Sohnes - natürlich sieht so einer die Welt anders als seine prosaischen Brüder, die bloß die Macht in Eldwold erringen wollen. Und der erweckt ein magisches Dornröschen für die Welt - nur sind weder Sybel noch die Welt darauf vorbereitet. Weshalb am Ende alles auf dem Spiel steht. Aber in einer überraschenden Weise gut ausgeht - schließlich sind wir hier im Märchen!
    Vorsicht: Diese Geschichte hat eine Moral! :nono

    Ein Buch zu öffnen, meint auch zu verreisen.
    Heißt mehr noch: sich auf Neuland vorzuwagen.
    Ob seine Worte brechen oder tragen,
    muss sich beim Lesen Satz für Satz erweisen.

    (Robert Gernhardt)

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  • Das ist ja ein Einstand - für mich eines der schönsten Fantasy-Bücher.


    Schon lange her, dass ich es gelesen habe, aber die Büchergilde-Ausgabe steht immer noch im Regal. Sollte ich vielleicht doch wieder einmal hervorholen ??


    Danke Schön für's vorstellen und erinnern an den "Oldie"


    sagt Dyke

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

  • Ganz tolles Buch, wenn es auch ein wenig weh tut.


    Was mich wirklich mal interessiert, ist, warum McKillip so auf männliche Leser wirkt.
    Winterrose wurde auch schon einem Eulerich vorgestellt und nicht von einer Eulin.


    Ich bewundere sie ungemein in sprachlicher wie erzählerischer Hinsicht, habe fast alles von ihr im Regal, sehe sie aber als ausgeprägt 'romantische' Autorin.
    Es geht doch immer bloß um Liebe!
    Natürlich auf ihre höchst spezielle Art.


    Ich wäre aber nie auf die Idee gekommen, einem männlichen Bekannten ihre Bücher zu empfehlen.
    Faszinierende Sache.
    :gruebel

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus


  • Ja, wer hat den die Romantik erfunden? Wer war's? Wer war's?


    Genau !!


    Für einen Rosamunde Pilger-Sonnen-Untergang im TV lege ich sogar ein Buch auf die Seite (wohlgemerkt für den Sonnenuntergang).
    Nur muss man darüber reden??


    Erinnert mich an eine kleine Geschichte: Abends vor einer Gipfelhütte, mehrere Menschen stehen schweigend da und schauen der Sonne bei der Annäherung an den Horizont zu. Da plötzlich durchläuft alle ein Schaudern: "Gucke emol do, Männe, ist det net schee?" (Groß und Fett hat doch im www etwas mit der Lautstärke zu tun, oder?)


    Und was soll ein Mann gegen Liebe haben??
    Es sei denn, er wird alle 60 Sekunden danach gefragt.


    Den April habe ich für mich zum Fantasy-Lesemoant ausersehen. Patricia ist auf jeden Fall dabei.


    LG Dyke

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von dyke ()

  • dyke


    ja, hm. Ja, schon.
    Es geht natürlich nicht allein um Liebe resp. Romantik, sondern auch um die Verpackung. McKillip hat ja einen poetischen, einen ausgeprägten, ornamentalen Märchenstil beim Erzählen.


    Vielleicht habe ich falsches Männerbild.
    Oder ich bin falsch. Denn, weißt Du was?
    Ich hatte mein Lebtag noch keine Pilcher in der Hand. Noch verspüre ich die geringste Lust dazu.
    Ich grüble weiter!
    :wave

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Ich wäre aber nie auf die Idee gekommen, einem männlichen Bekannten ihre Bücher zu empfehlen.
    Faszinierende Sache.
    :gruebel


    Vielleicht einfach mal vorsichtig die Bekannten darauf abklopfen, was sie sonst so lesen? Manchmal liest unsereins ja auch Märchen und Gedichte; die Sachbuch-, Thriller- und Western-Leser brauchst du aber mit McKillip nicht zu behelligen.


    Für mich persönlich ist bei Fantasy-Romanen der Schreibstil ein ganz wesentlicher Bestandteil des Ganzen.


    Da mag die fantastische Welt erstaunlich originell sein, die Handlung stimmig und mitreißend, die Figuren hervorragend zum Identifizieren geeignet sein - wenn es geschrieben ist wie meine Tageszeitung (oder gar wie die BILD), und die Leute reden wie bei mir auf der Gasse oder in der Bank, dann geht der Zauber ziemlich flöten.
    Entwickelt man diesen Gedanken weiter, landet man im Nu bei Pratchetts Scheibenwelt, und natürlich kann ich dieser Parodie nichts abgewinnen.


    Aber McKillips Stil ist wunderbar poetisch und weit entfernt vom Alltag.


    Zitat

    Original von dyke


    Erinnert mich an eine kleine Geschichte: Abends vor einer Gipfelhütte, mehrere Menschen stehen schweigend da und schauen der Sonne bei der Annäherung an den Horizont zu. Da plötzlich durchläuft alle ein Schaudern: "Gucke emol do, Männe, ist det net schee?" (Groß und Fett hat doch im www etwas mit der Lautstärke zu tun, oder?)


    Klasse Anekdote! Da bringe ich doch zwanglos mal meinen Lieblingsdichter ein ...


    WENN DICHTER EINEN AUSFLUG MACHEN (Robert Gernhardt)
    Ein Couplet


    Steigen und Schauen landab und landauf,
    Folgend der Sonne herrlichem Lauf,
    Grillen hinschmelzen, wenn Phoebus dir lacht - :


    Was hätte ein Goethe daraus gemacht!


    Mittagsstunde auf felsigem Stein.
    Mensch mit dem Blau und dem Adler allein.
    Ringsum September in südlichster Pracht - :


    Was hätte ein Nietzsche daraus gemacht!


    Sieh all das Rot. Dann sieh deine Hand.
    Spüre in allem den nämlichen Brand
    sehr großen Flammens: Es sei vollbracht - :


    Was hätte ein Rilke daraus gemacht!


    Abstieg und Einkehr im schlichten Lokal.
    »Prego, die carta! Dann gucken wir mal:
    Ist das nun billig? Was hab ich gesacht?!«


    Das hätte ein Piefke daraus gemacht.

    Ein Buch zu öffnen, meint auch zu verreisen.
    Heißt mehr noch: sich auf Neuland vorzuwagen.
    Ob seine Worte brechen oder tragen,
    muss sich beim Lesen Satz für Satz erweisen.

    (Robert Gernhardt)

  • Rezension:
    Dies ist eines der vielen Bücher, mit denen ich aufgewachsen bin und die ich an die 100 mal gelesen habe, als ich noch ein Kind war. Nun habe ich mich dazu entschlossen, viele Jahre später, diesen Roman noch einmal zu lesen, mit dem Ergebnis, dass sich meine Meinung leider etwas geändert hat.


    Was ich früher noch spannend und fabelhaft empfand, war heute für mich langatmig und altbacken. Noch immer bewundere ich Sybel, die Zaubererin um ihre Gabe, längst vergessene Tiere zu rufen um mit ihnen zu leben. Ich finde ihre Gabe faszinierend und würde mir wünschen, dass meine Rufe ebenso erhört werden würden. Allerdings wird das Buch etwas fad, sobald Sybel heiratet und beginnt unter Menschen zu leben. Der Schluss war wiederum überraschend und gut. Das Geheimnis um den Vogel Liralen hatte ich vergessen und war somit erneut überwältigt, als es gelüftet wurde. Allem zum Trotz ein sehr schönes Buch, von dem ich heute gar nicht mehr weiß, wie es überhaupt zu mir gefunden hat.