Sind Kritik am Text und Kritik an der Person trennbar?

  • Eine Kleinigkeit noch: bei den Büchereulen (bzw. überhaupt in Foren) gibt es ja nicht nur *eine* Kritik, sondern eine Vielzahl von Stimmen. Ein pures Loben ("gefällt mir") kann ein schöner Unterbau sein, um den Finger auf die Wunde des Textes zu legen, ohne dass es zu sehr schmerzt. Anders gesagt: die Kritik ergibt sich hier aus dem Zusammenspiel. Vom Doc und Tom erwartet man eine schonungslosere Kritik, die abseits des Wohlwollens den Text auch in einen literarischen Zusammenhang stellt. Das ist für ein Forum ungeheuer wichtig, ansonsten driftet man schnell in eine Kuschelrunde, die nun keinem "wollenden" Autor in irgendeiner Form weiterhilft.


    Grüße
    Marcel

  • Sind Kritik am Text und Kritik an der Person trennbar?


    Ich mag Fäkalsprache in sachlichen Debatten nicht, daher danke ich doc zunächst für die Änderung des Thread-Titels. ;-)


    Kritik an einem Text korrespondiert für mich nicht mit der Kritik an der Person.


    Ich löse die Debatte für mich von den hier eingestellten Kurzgeschichten und betrachte das aus Sicht eines Lesers.


    Oft ist es mir schon passiert, daß ich in bestimmten Lebensphasen bestimmten Büchern rein gar nichts abgewinnen konnte. Wenn ich diesen Werken später eine zweite Chance gab, konnte ich sie neu entdecken und daraus einen Nutzen für mich ziehen.


    Als Leser entwickle ich mich weiter, so daß meine vormalige Kritik am Werk nicht mit der Kritik an der Person des Autors verknüpft sein kann.


    Ich las auch schon oft, daß Autoren auf ihre literarischen Erstlinge nicht gerade stolz sind, sie mitunter auch selbst kritisieren. Deswegen stellen sie sich aber nicht als Person in Frage.


    Ein Text muß Leser m.E. auch ohne genaue Kenntnis der Person des Autors, dessen Einstellungen und Geschichte überzeugen können. Ich bin nicht vorrangig am Autor, sondern an dessen Werk interessiert.


    Erst wenn mich ein Werk wirklich anspricht, mich erreicht und großartige Gedanken bewegt oder aber eine besondere sprachliche Finessen beinhaltet, fange ich an, mich für den Autor und dessen Leben zu interessieren.


    Denn dann möchte ich wissen, aus welchem Kontext dieses lesenswerte Werk entstanden ist.


    Die Person des Autors für mich zweitklassiger Texte interessiert mich nicht.


    Lieben Gruß,


    die Fride. :wave


  • Ein sehr gutes Argument, wie ich finde, zumal man i.d.R. die meisten Autoren eh nie besser kennenlernt - von diesem Forum vielleicht mal abgesehen. Die meisten Biografien, die man über Autoren findet, kann man ja wohl kaum als gutes Kennenlernen bezeichnen Und auch in den Leserunden ist es wohl eher fraglich, ob man als Leser soviel mehr vom Autor kennenlernt.


    Zitat

    Ein Text muß Leser m.E. auch ohne genaue Kenntnis der Person des Autors, dessen Einstellungen und Geschichte überzeugen können. Ich bin nicht vorrangig am Autor, sondern an dessen Werk interessiert.


    Ebenfalls Zustimmung. Man stelle sich vor, ein Zuhörer einer Musikaufführung ginge vor Konzertbeginn zum ersten Geiger und fragt diesen erstmal aus über seine Vorgeschichte, seine Ansichten usw. :wow


    Zitat

    Erst wenn mich ein Werk wirklich anspricht, mich erreicht und großartige Gedanken bewegt oder aber eine besondere sprachliche Finessen beinhaltet, fange ich an, mich für den Autor und dessen Leben zu interessieren.


    Denn dann möchte ich wissen, aus welchem Kontext dieses lesenswerte Werk entstanden ist.


    Sehr schön formuliert.


    Zitat

    Die Person des Autors für mich zweitklassiger Texte interessiert mich nicht.


    Nuja, vielleicht auch...eventuell interessieren ja genau die Ursachen für ledigliche Zweitklassigkeit :grin


    :wave
    Ikarus

  • Das würde mich auch mal interessieren?
    Wie fühlt ihr euch wenn jemand sagt, Dein Buch gefällt mir überhaupt nicht!
    Oder: Na ja da hättest du noch mehr dran machen können?
    Interessante Frage!

  • Die Kritik in den Leserunden wird - zumindest bei mir - immer sehr sachlich und freundlich vorgetragen. Bei manchen Anmerkungen (hallo, Sisi) schlage ich mir schlicht mit der flachen Hand vor die Stirn und denke: Mist, sie/er hat Recht.
    Es gibt in jedem Buch Fehler. Und wenn eine Leseeule diese findet, tja, dann ist das ein wenig peinlich, aber wegen der Nettigkeit der Eulen nicht gar so sehr.


    Dann gibt es verschiedene Meinungsäußerungen. Manche stimmen mit der persönlichen Meinung überein, andere nicht. Diese anderen Meinung sind für mich ganz besonders interessant. Aus ihnen versuche ich zu lernen.


    Die Büchereulenkritik ist für mich etwas anderes als die Rezensionen. Im Forum hat man den Eindruck, man redet mit Bekannten, mit Leuten, die einem letztlich wohlgesonnen sind. Das erleichtert es, die Kritik zu ertragen.

  • Hallo, Doc.


    Eine Buchveröffentlichung in einem namhaften Verlag ist - aus meiner ganz persönlichen Sicht - sowas wie der Ritterschlag zum Schriftsteller, was natürlich prinzipiell das Selbstbewußtsein stärkt. Aber, um ganz persönlich zu bleiben: Es ändert wenig an der Kritikfähigkeit und der Rezeption von Kritik. Schlimmer noch, ich habe ständig das Gefühl, jemand könnte mich als Schwindler, Blender und Betrüger entlarven. :grin Dieses Gefühl begleitet mich aber auch in anderen Bereichen ständig, und ich habe es inzwischen als Ursache dafür, immer noch stärker an mir zu arbeiten, ausgemacht, ausgegrenzt und akzeptiert.


    Tatsächlich sind die Leserunden - bis auf wenige Ausnahmen - sehr komfortabel für die Autoren; wir hatten diese Diskussion bei Selims Leserunde. Andererseits glaube ich, daß man dadurch, daß man für einen "Profi" gehalten wird, auch mehr leisten und zeigen muß, daß die Hemmschwelle für negative Kritik deutlich niedriger liegt. Das ist auch gut so (obwohl es, wie gesagt, nicht für die Leserunden gilt). Ein Text in Arbeit oder ein Schriftsteller im Werden wird, was die Wahrnehmung durch Leser/Kritiker anbetrifft, anders angesehen, als jemand, der mit Büchern Geld verdient, in irgendeiner Form in der Öffentlichkeit steht und den o.g. Adelsschlag erhalten hat.


    Ich bin aber generell sehr zufrieden damit, wie Menschen meine Schreibe aufnehmen. Das gilt für die Eulen wie für die sonstige Öffentlichkeit, die es ja gerüchteweise geben soll. :grin Und, um nochmal zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Tatsächlich bin ich sorgenvoller, was meine Kinder (also die Bücher) anbetrifft, aber gleichzeitig weiß ich jetzt auch (mehr als vorher), daß ich diese Arbeit in gewisser Hinsicht beherrsche, was die Kritik auch immer ein wenig relativiert. Das geht mit dem gewachsenen Selbstbewußtsein einher. Aber im Vergleich zu Selim beispielsweise, der da eine ganz andere Herangehensweise hat, nehme ich jede Kritik zur Kenntnis und mache mir sehr intensive Gedanken darüber.

  • Hallo, Calla.


    Ja. :grin


    Meistens sind es positive Nachrichten. Leser, die sich gefreut haben, darüber erzählen, was die Geschichten in ihnen ausgelöst haben, wie sie sich beim Lesen gefühlt haben. Viele stellen auch Fragen - natürlich die Generalfrage, die immer wieder kommt - "Wie autobiografisch ist es?" -, aber auch andere. Manche schreiben ausführliche Besprechungen. Oft sind es Leute, die selbst schreiben - dreißig Prozent, würde ich sagen. Die den Leserbrief dann auch gleich mit einer Art Erfahrungsaustausch verbinden. In seltenen Fällen wird auf diesem Weg versucht, Kontakt zu Verlagen herzustellen.


    Selten(er) habe ich bisher negative Leserbriefe bekommen, eigentlich nur drei oder vier, wenn ich's aus dem Gedächtnis aufzählen müßte. Die waren kurz und knapp, in der Kategorie "Mönsch, hab ich mich gelangweilt" oder "Daß man für so eine Scheiße auch noch Geld bekommt, ist eigentlich kaum zu fassen". Da grinst man kurz und legt es dann ab, irgendwo.


    Womit ich noch nicht so gut umgehen kann, daß sind ambivalente Leserbriefe. Nicht, weil mich stört, daß der Leser teilweise unzufrieden war, sondern weil ich einfach nicht weiß, wie ich auf sowas antworten soll. Das ist bei ausschließlich positiven oder negativen Briefen leichter. Aber ich antworte immer.

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Wie empfinden Autoren, die z. B. eine Eulen-Leserunde begleiten, die dort geäusserte Kritik an Ihrem Roman?


    Auf jeden Fall als interessant. Gheron und ich diskutieren die Meinung unserer LeserInnen - und würden ungern auf Leserunden verzichten. Zeigen sie uns doch, ob und in welchen teilen wir erreicht haben, was wir uns vorgenommen hatten. Bisher sieht die Bilanz gut aus.


    Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Oder ist es einfach so, daß man mit einem Verkaufserfolg (wie immer der jetzt mal definiert sein mag) im Rücken einfach "souveräner" mit Kritik umgeht?


    Das spielt bei uns jetzt sicher auch eine Rolle. Mit weit über 600.000 verkauften Büchern und Hörbüchern allein von 'Die Wanderhure' gewinnt man eine gewisse Souveränitat.
    Aber: Beim nächsten Buch machen wir uns trotzdem wieder all die Gedanken, die die jetzt schon veröffentlichten Bücher begleitet haben. Man kann nicht gezielt einen Besteller schreiben. Daher versuchen wir, unser Bestes zu geben.


    Gruß Sysai

  • Ganz offen: Wenn jemandem meine Romane überhaupt nicht gefallen, wenn Sentenzen kommen, die mit ernsthaft "Trivialität" oder "schwülstige Schreibe" unterstellen, dann nehme ich das zur Kenntnis und Punkt. Man kann nicht jedermenschs Geschmack treffen.


    Bei sachlichen Fehlern hau ich mich an die Stirn! Das ist allerdings bei beiden Romanen nicht vorgekommen -- abgesehen davon, daß es beim vorangestellten Ovid-Zitat zu einer dummen Panne gekommen ist! Im Original stehen die Wörter anders, so wie es dasteht, ist es durch eine Verwechsler mit dem Titel eines Caravaggio-Gemäldes verhunzt. Es hatte vorher ewig Streitigkeiten im Lektorat, damit Zitat und Widmung auf Lateinisch im Buch stehen durften ... :grin


    Mit negativen Meinungen, z.B. wenn Leser bestimmte Figuren nicht mögen und ihnen das das Lesen vergällt, muß man ebenfalls lesen.


    Eine Leserunde zeigt deutlich, ob und bei wem die eigene Erzählabsicht gelungen bzw. mißlungen ist. Wenn ich z.B. merke, daß ich meine eigentliche Zielgruppe tatsächlich verpretllt haben sollte und aus der Leserunde auch noch erfahre, warum und wodurch das passiert ist, dann hilft mir das tatsächlich weiter -- übrigens hilft es andererseits auch darin, mich in meiner Arbeit zu bestätigen und zu bestärlen, wenn es andersherum bei der eigentlichen Zielgruppe und vielleicht sogar darüber hinaus, geklappt hat. :-)


    Ansonsten sehe ich mich bei Leserunden nicht so sehr als "Schülerin" :grin, sondern als die Autorin, die sich im Metier des Buches sehr gut auskennt und deshalb aufkommende Fragen beantworten und bei Interesse weiterführende Infos liefern kann. Das Baby ist nun mal bereits auf die Reise geschickt, und heute werden weitere Auflagen einfach nur noch vom Original nachgedruckt; Korrekturen finden leider nicht statt (sowas gibt es nur noch bei Sach- und Fachbüchern).

  • Nun, ich bin zwar eine Anfängerin, aber mal sehen: Die Kritik in der Leserunde habe ich als sachlich und freundlich empfunden. Ich habe mich zwar immer für ein ziemliches Mimöschen gehalten, was Kritik angeht, aber bei mir kommt es stark darauf an, wie die Kritik geübt wird. Wenn ich den Eindruck habe, dass sich jemand mit meiner Schreibe auseinandersetzt und mir Schwachpunkte aufzeigt, ist das völlig o.k. Ich lerne gerne. Wenn es eine Kritik nach dem Motto ist: schreibt nicht wie XY, oder wie ich es erwartet habe und ist deshalb blöd, habe ich meine Schwierigkeiten (wobei ich mich jetzt nicht auf die Leserunde beziehe). Seltsamerweise trifft mich so etwas härter als andere Kritik.
    Ansonsten macht der Ton die Musik. Mir ist Ehrlichkeit wichtig, aber sie muss nicht schonungslos sein, um bei mir anzukommen. ;-)
    Als Schwindler (Nichtskönner?) entlarvt zu werden, dieses Gefühl begleitet mich auch.


    Liebe Grüße
    Solas :write

  • Zitat

    Original von Tom
    Schlimmer noch, ich habe ständig das Gefühl, jemand könnte mich als Schwindler, Blender und Betrüger entlarven. :grin Dieses Gefühl begleitet mich aber auch in anderen Bereichen ständig, und ich habe es inzwischen als Ursache dafür, immer noch stärker an mir zu arbeiten, ausgemacht, ausgegrenzt und akzeptiert.


    Hi Tom,


    darf ich da bei Dir und Solas mal interessiert nachfragen?


    Wie meint ihr das denn? In welcher Hinsicht - wegen was fühlt ihr Euch denn da als Schwindler, Blender oder Betrüger?


    Das versteh ich nicht :-(


    :wave
    Ikarus

  • Hallo, Ikarus.


    Mir fällt das Schreiben sehr leicht, geht also locker von der Hand, und ich habe nie Autorenakademien besucht, auch nicht Germanistik studiert oder derlei. Es gibt bezogen auf Literatur auch keine allgemeingültigen Meßlatten, weshalb ich nicht sagen kann: Ich bin ein Zehner-, Neuner-, wenigstens Sechser-Autor nach Graf Schreibmaschin von Füllerhausen. Okay, ich habe ein paar Wettbewerbe gewonnen (auch bei den Eulen, worauf ich sehr stolz bin!), aber letztlich koche ich auch nur mit Wasser. Vielleicht sogar mit destilliertem. Und ich bin sehr selbstkritisch. Viele schreiben besser. Vielleicht schreiben sogar sehr viele sehr viel besser. <schulterzuck> Das ist eigentlich alles. Ich bin kein Schwindler, Blender oder Betrüger. Aber die Leistung, die mir eigentlich überhaupt nicht so großartig vorkommt, wird von anderen zuweilen so gesehen. Diese Diskrepanz habe ich immer noch nicht ganz verknust.

  • Zitat

    Original von TomAber die Leistung, die mir eigentlich überhaupt nicht so großartig vorkommt, wird von anderen zuweilen so gesehen. Diese Diskrepanz habe ich immer noch nicht ganz verknust.


    anders rum wär's schlimmer!


    bo ;-)

  • Zitat

    anders rum wär's schlimmer!


    Vielleicht noch ergänzend: Ich habe viel mit anderen Autoren zu tun, nicht nur hier, und viele andere - vor allem angehende - Autoren strengen sich irre an, um erfolgreich zu sein. Sie schicken tonnenweise Manuskripte durch die Welt, nehmen an jedem Wettbewerb und an jeder Ausschreibung teil, machen Eigenwerbung mit aufwendigen Websites, sind in jedem Forum zugange, belegen Kurse bei sogenannten "Autorenakademien", veröffentlichen Sachen im Eigenverlag oder per BoD, rennen auf jede Buchmesse, sitzen bei jedem Open Mike in der ersten Reihe, und, und, und. Trotzdem schaffen es nur wenige, einen größeren Verlag von sich zu überzeugen. Diesen ganzen Hustle mußte ich mir in dieser Form nie geben. Vielleicht habe ich einfach enormes Glück gehabt. Oder man ist einfach auf mich reingefallen. Den Gedanken wollte ich eigentlich zum Ausdruck bringen. :grin

  • Achso, jetzt verstehe ich Dich, Tom. :-)


    Halte ich aber für völlig normal und meine, dass das im Prinzip wohl jedem Maler, Komponist usw. auch so ähnlich geht?


    Wenn man gefragt wird zum Beispiel: "Woher hattest Du bloß die Idee?" ... und man eigentlich antworten möchte: "Keine Ahnung, das kam einfach so."


    Ich denke, erst wenn Du dieses Staunen und die Hochachtung auch vor Glücksfällen, Zufällen, den elektrischen Zufallskurzschlüssen ;-) Deines eigenen Gehirns verlierst, dann dürftest Du ein Problem haben?


    :wave
    Ikarus


  • Nee, ich zweifele einfach generell an mir. Nicht, weil ich keinen Schreibkurs belegt habe, oder weil mir das Schreiben eher leicht fällt, oder weil ich nicht lange "Klinken geputzt" habe, sondern recht schnell einen Vertrag hatte. Einfach generell, aber natürlich nicht immer. Wenn dann noch so etwas wie Geld hinzukommt, kommen die Erwartungen hinzu, denen ich meine gerecht werden zu müssen bzw. das Gefühl, nicht enttäuschen zu dürfen. Mir ist immer ziemlich viel leicht gefallen und trotzdem habe ich immer diesen kleinen Teufel im Hinterkopf, der sagt, dass sich alle, die an mein Können glauben, irren müssen.
    So, genug gelabert.


    Liebe Grüße
    Kirsten :wave