Die Mansarde! Flöt und Jane lesen!

  • Zitat

    Original von Batcat
    @ flöt


    Wie gut, daß ich so ein Siebhirn habe. Wenn ich beschließe, das Buch interessiert mich und es mir auf meine Liste setze... bis ich es dann tatsächlich habe, habe ich längst schon wieder alles, was ihr hier schrubt, vergessen.


    Sehr praktisch, ein Siebhirn :grin
    Außerdem kannst du es ja solange immer wieder im SUB nach unten schieben, bis es dir eines Tages in die Finger kommt und du denkst: Meine Güte, was ist das denn? Hört sich spannend an, sollte ich mal lesen :-)

  • Ich bin wieder ein Stückchen weiter und muß sagen, es gefällt mir immer besser.


    Gestern habe ich den wohl tollsten Absatz des Buches gelesen:


    Ich bin ein Ungeheuer, ein Ungeheuer, das frei und einsam durch die Wälder streifen will und nicht einmal die Berührung einer Ranke auf der Stirn erträgt. aber von Zeit zu Zeit wünscht dieses Ungeheuer, geliebt und gestreichelt zu werden, und kriecht winselnd zurück zu den Menschen.


    Ich erkenne mich in diesem Satz so wieder, das es mir einen eiskalten Schauer über den Rücken jagt.

  • Habe das Buch jetzt durch und werd mich sicher nochmal ausführlicher äußern. Erst einmal soviel:


    Die Auflösung war wie bisher immer bei Haushofer eher unspektakulär. Die Heldin ist ausgelöst durch ein Geräusch taub geworden, nicht durch ein konkretes Ereignis, wie ich vermutet hatte. Hier waren es wohl dann die Lebensumstände allgemein (das Leben unter dem Dach der Schwiegermutter), und das Sirenengeräusch war eben der Auslöser.


    So simpel die Auflösung auch sein mag - sie macht einem doch allzu deutlich, wie tragisch das Ganze dann gelaufen ist. Sie ist einfach nur taub - keiner kann damit umgehen, am wenigsten sie selbst - und sie wird aufgegeben, zwei Jahre lang abgeschoben. Die Hilflosigkeit ihres Mannes... Ihre eigene Hilflosigkeit, das Sich-Fügen, das Mutieren fast schon zum Tier, das durch die Wälder streift. Die Hoffnung, mit der sie sich an einen Psychopathen klammert, weil der sie eben braucht... Das alles wird einem am Ende erschreckend deutlich.


    Ausgelassen wird bewusst die Zeit dazwischen, sie scheint irgendwann einfach wieder gekommen zu sein. Zurück in das Leben ihres Mannes, der mit allem nicht umgehen konnte und sich ganz offensichtlich schon mit einer anderen zusammen getan hatte (und vielleicht auch noch hat - von wo kommt er Mittwochs immer so aufgeräumt nach Hause?). Der Eingliederungsprozess entfällt, es gibt keinen. Sie ist wieder da, nichts wird aufgearbeit, keiner erfährt von X. Das Leben läuft in festen Bahnen, und damit es so bleibt, hält sich jeder fest an die Rituale und Regeln.


    Ich war am Ende des Buches schockiert und traurig. Und habe viel drüber nachgedacht, wie es wohl sein mag, wenn zwei Menschen so nebeneinander herleben. Wird keine Seltenheit sein.


    Etwas zu knapp kam mir ihr Verhältnis zu Ferdinand weg. Er hat zwei Jahre lang seine Mutter nicht gehabt. Dafür haben sie noch ein recht gutes Verhältnis, irgendwie. Wie sieht er das? Oder sieht er das gar nicht und spielt das Spiel mit?


    Alles in allem bin ich sehr beeindruckt. Vieles muss ich mir noch durch den Kopf lassen. Die ein oder andere Sache ist mir noch etwas unklar, da gibts sicher noch Diskussionsbedarf, wenn Jane wieder im Lande ist.

  • Puh ich hab es immer noch nicht durch, bin nicht so viel zum Lesen gekommen wie erwartet... schade.


    Melde mich, wenn ich wieder ein Stück weiter bin. :grin

  • So, ich bin nun auch durch und muß sagen, daß ich mit solch einem unspektakulären Ende ja irgendwie gerechnet habe. Es paßte einfach.


    Taubheit:
    Tragisch und schrecklich. Noch schlimmer fand ich jedoch ihre Rückkehr in die ihr bekannten Kreise. Ihr Kind, das sie kaum noch kennt. Der Lippenstift einer anderen in ihrem Badezimmer. Sehr heftige Gefühle haben diese kleinen Dinge in mir ausgelöst und sie unterstreichen nur noch mehr, die Tragik in der ganzen Geschichte.


    Mittwochs:
    Den Verdacht, daß Dr. Melichar eine Frau ist, habe ich direkt zu Anfang gehabt. Vorallem, weil sie so betont sagt, daß es sie nichts angeht, was er mit Dr. Melichar treibt. Aufgelöst wird das ja leider nicht. Aber so ist es halt die Art der Haushofer.... Ideen schüren und einen dann seinen eigenen Überlgungen überlassen. Eigentlich mag ich das nicht so. In diesem Buch war es schön.


    Ende:
    Tja, am Ende zeichnet sie endlich etwas, das ihre Zufriedenheit hervorruft, einen Drachen mit gelben Augen..... ich bin noch nicht ganz sicher, was genau sie damit ausdrücken will, aber ich spüre es fast greifbar.

  • Zitat

    Original von Babyjane
    Noch schlimmer fand ich jedoch ihre Rückkehr in die ihr bekannten Kreise. Ihr Kind, das sie kaum noch kennt. Der Lippenstift einer anderen in ihrem Badezimmer. Sehr heftige Gefühle haben diese kleinen Dinge in mir ausgelöst


    In mir auch. Und wie gleichmütig die Erzählerin des beschreibt - das hat mir gleich noch eins draufgegeben. War so schockiert...


    Wo hast du was zu ihr und ihrem Sohn nach ihrer Rückkehr gelesen? Das meinte ich nämlich, das war mir irgendwie zu dünn. Dass er sie kaum noch kennt usw., das Ganze hat mir gefehlt, hab ich wahrscheinlich überlesen.


    Mit dem Drachen, ja, da muss ich noch nachdenken. Wenn du es greifbar hast, gib mir nen Hinweis. Passt momentan noch nicht so ganz.


    Übrigens fällt mir gerade der Frisörbesuch ein. Eine der wenigen Sachen, wo man die Leere spürt, die sie in sich trägt. Ihre SEhnsucht nach Berührungen...

  • Zitat

    Original von Flöt


    In mir auch. Und wie gleichmütig die Erzählerin des beschreibt - das hat mir gleich noch eins draufgegeben. War so schockiert......


    Ja genau, das macht einen noch betroffener, irgendwie....


    Zitat

    Original von Flöt
    Wo hast du was zu ihr und ihrem Sohn nach ihrer Rückkehr gelesen? Das meinte ich nämlich, das war mir irgendwie zu dünn. Dass er sie kaum noch kennt usw., das Ganze hat mir gefehlt, hab ich wahrscheinlich überlesen....


    Das wurde glaub ich nur in einem Nebensatz erwähnt. Finde es gerade nicht, aber es war wohl so, daß sie (in etwa)schrieb, "mein mir entfremdetes Kind wieder zu sehen, schmerzte so sehr." Also nur ganz knapp, aber es drückte alles aus. Wie so oft in diesem Buch kam sie auch da mit wenigen Worten für starke Emotionen aus.


    Zitat

    Original von Flöt
    Mit dem Drachen, ja, da muss ich noch nachdenken. Wenn du es greifbar hast, gib mir nen Hinweis. Passt momentan noch nicht so ganz....


    Ich kann es nicht ganz fassen, es entwischt mir immer, aber es beschäftigt mich dennoch weiterhin... mal sehen ob ich nicht irgendwo im Netz eine Interpretation finde.


    Zitat

    Original von Flöt
    Übrigens fällt mir gerade der Frisörbesuch ein. Eine der wenigen Sachen, wo man die Leere spürt, die sie in sich trägt. Ihre SEhnsucht nach Berührungen...


    Stimmt, der ist mir auch ganz bitter auf gestoßen, irgendwie war das alles sehr seltsam.

  • Finde leider keine Interpretation der Mansarde im Netz, zur Wand jede Menge aber die Mansarde scheint nicht so Rezi beliebt zu sein, dabei fand ich sie viel besser.....

  • Wenn ich nicht vergesse, kann ich euch nächste Woche eine Interpretation liefern (hatte mein Spezialgebiet über Marlen Haushofer, die meisten Interpretationen hab ich aus einer FBA, die ich im Internet gefunden habe, "Die Mandarde" musste ich mir selbst zusammen suchen :wow ).
    Ich hab die Interperation halt nicht hier auf dem PC, sondern leider daheim und deswegen dauert es noch ein bisschen...

  • Es dauert leider noch ein bisschen länger, da meine Schwester den Laptop mit in die Türkei genommen hat, wo ich das gespeichert hab...


    Aber in der Zwischenzeit kann ich die Biographie zu Marlen Haushofer empfehlen - wenn ihr euch für sie interessiert!


    Liebe Grüße!

  • Hehe... wenn es einen nicht lernen freut, macht man ja sooo viele andere Sachen und irgendwie hab ich am PC das da gefunden...
    Konnte mich ja erinnern, mal versprochen zu haben, es zu posten :-]


    Entnommen aus meinem Spezialgebiet zu Marlen Haushofer für die Deutschmatura, für diese entnommen aus der oben genannten Biographie:


    6. DIE MANSARDE


    „Die Mansarde“ ist eines von Marlen Haushofer autobiographischsten Werken und in gewisser Weise eine Fortsetzung der Novelle „Wir töten Stella“.
    Dem Roman muss insofern eine besondere Bedeutung zugemessen werden, als Marlen Haushofer ihn noch kurz vor ihrem Tod vollendete.
    Dem Roman fehlt es an gravitätischem Ernst, um Marlen Haushofers literarisches Vermächtnis zu sein, doch viele Grundthemen ihres Gesamtwerkes sind darin in einer souveränen Dichte gebündelt.
    Der Stil scheint völlig unangestrengt und über jeden Drang zur Selbstdarstellung erhaben. Das Erzählen bürgt aus der Ich-Perspektive für Glaubwürdigkeit.


    6.1. DER INHALT


    Die Geschichte spielt in einer Familie, der Vater ist Anwalt, die Mutter ist Hausfrau, die Kinder studieren oder gehen zur Schule. Diese Familie lebt ein ganz „normales“ Leben, das keine Aufregendheiten zu bieten hat.
    Eines Tages bekommt die Erzählerin Post von einem anonymen Absender: Das Kuvert enthält Aufzeichnungen, die sie selbst siebzehn Jahre zuvor während einer großen persönlichen Krise verfasst hat. Damals wurde sie plötzlich taub, als sie eine Feuerwehrsirene hörte. Um dem Mann beim Aufbau einer Existenz kein Laster zu sein, stimmt sie zu, zur Genesung in dem Forsthaus des verstorbenen Vaters zu wohnen. Allmählich fängt sie sich wieder. Sie lernt einen Ortsfremden kennen, den sie in ihren Aufzeichnungen X nennt. Zu ihm entwickelt sich eine sonderbare Beziehung: Er sehnt sich nach ihren Besuchen, da er sich von ihr, die taub ist, hemmungslos aussprechen und ausweinen kann. Als er in einem Gefühlsausbruch ein Glas zerdrückt, kann die Frau auf einmal wieder hören und kehrt zu ihrer Familie zurück.
    Die Erzählerin trennt ihr Alltagsleben und die Erinnerungen strikt von einander: Die Briefe lesen, darf sie nur abends in der Mansarde und keiner soll merken, dass sie sie überhaupt bekommen hat. Einmal mehr arbeitet Marlen Haushofer also mit einer Rückblende, die sie mit Tagebuchnotizen montiert.
    Und so vergeht eine Woche – jeden Tag bekommt sie ein neues Paket und jeden Tag vernichtet sie das Paket, nachdem sie es gelesen hat. Für die Frau gibt es doch so etwas wie ein Happyend: Über Jahre hinweg hat sie vergeblich versucht, einen Vogel zu zeichnen, der nicht so aussieht, als wäre er der einzige auf der Welt. Nun, da sie an ihre Vergangenheit erinnert worden ist und diese symbolisch vernichtet hat, gelingt es ihr, doch was sie zeichnet ist kein Vogel, sondern ein Drache, ein Wesen, „das einsam aussehen darf“.


    6.2 DER WEG ZUM ROMAN


    1967 erkrankte Marlen Haushofer an Knochenkrebs, doch sie gibt ihr literarisches Projekt nicht auf. Das Schreiben wird gleichsam zum Anschreiben gegen den Tod, so als müsste sie nicht sterben, solange sie schreibt.
    Im September 1969 erschien „Die Mansarde“. Die Kritik war wieder einmal uneinig: Etliche Kritiker empfahlen das Buch als Lektüre für Damen, manche lobten die Darstellung der nur scheinbar harmlosen Häuslichkeit und der durch Abgründe getrennten Innenwelt von Mann und Frau, anderer hielten den Roman für pädagogisch schädlich.
    Gottfried von Einem bescheinigte dem Roman, er stelle und beantworte die „ewige Frage, wie denn der Mensch dieses Leben überhaupt auszuhalten vermag“. Und deshalb sei das Buch von „allüberdauernder“ Aktualität.



    6.3 AUTOBIOGRAPHISCHE SPUREN


    Wie in „Wir töten Stella“ beschreibt Marlen Haushofer hier eine Familie, deren Mitglieder nebeneinander herleben, im Umgang auf eine freundliche Distanz bedacht sind, weil sie zuviel von einander wissen. In „Die Mansarde“ hat Marlen Haushofer ihre eigenen Lebensumstände so unverdeckt nachgedichtet wie nirgends sonst:
    Die Hauptfigur ist eine Hausfrau und Mutter, deren künstlerische Begabung zum Lebens-Mittel wird. Gleich zwei Möglichkeiten, aus dieser Realität hat Marlen Haushofer hier durchgespielt. Zum einen die Flucht in die Taubheit, die allerdings in ein Gefängnis mit den Bergen als „Kerkermeister“ führt. Diese Flucht ist aber Vergangenheit, sie ist gescheitert. Der zweite Zufluchtsort ist die Mansarde. Marlen Haushofer hat sich wohl damit abgefunden, dass ihre Existenz durch die vier Wände eines bürgerlichen Hauses begrenzt ist und es bleibt ihr nur noch eine Fluchtmöglichkeit – die nach oben, in den virtuellen Raum.
    Als Roman einer ehe beleuchtet „Die Mansarde“ eine erstarrte, aber freundliche Alltäglichkeit, in der sich gelegentlich Abgründe auftun. („Der Kristallaschenbecher stand auf dem Tisch und sah sehr schwer aus. Ich hätte Hubert ganz leicht damit erschlagen können, aber ich spürte nicht das geringstes Verlangen, es zu tun.“) Für die Vorstellung, etwas könnte die Erstarrung dieser Ehe aufbrechen, ist kein Raum, es führt kein Weg zurück in die Wesentlichkeit, in das eigentliche Leben, in die Unschuld des Begehrens. Die äußerste Form der Zuneigung besteht für die Ich-Erzählerin, dass sie Hubert (ihren Mann) „wirklich sehr gern“ hat. Was sie am Schluss des Buches denkt, bevor sie wieder zu ihrem Drachen in die Mansarde hinaufsteigt, kann als sehr persönliche Anmerkung Marlen Haushofers aufgefasst werden: „Wenn ich eines Tages nicht mehr da sein sollte, und das könnte ja immerhin geschehen, wird er mich sehr vermissen, auch wenn er jetzt keine Zeit für mich hat.“
    X, der Unbekannte, verkörpert auch die Figur eines bösen, hässlichen, kranken Zerstörers, wie sie Marlen Haushofer stets fasziniert hat, er ist der Ich-Erzählerin nur auf der Basis einer gestörten Kommunikation erträglich.
    Von der Taubheit der Protagonistin heißt es im Roman ausdrücklich, dass sie nicht organisch bedingt sei. Die Frau habe die Krankheit selbst bewirkt und nur sie könne sie wieder aufheben. Sie habe nur vergessen zu hören. Marlen Haushofer deutet im Buch immer wieder auf die Ursache der Erkrankung an („Warum will ich oder jenes fremde Wesen n mir nicht mehr hören? Und warum zu einer Zeit, in der ich endlich das hatte, was ich immer wollte, eine Familie ganz für mich allein?“) Die Antwort ist nahe liegend, nämlich, dass sie das alles eigentlich gar nicht wollte, denn so muss sie ihre erotische und künstlerische Selbstbestimmung aufgeben.
    Die triviale und jedenfalls zutreffende Erklärung für die Taubheit der Heldin ist, dass sie seit jeher Lärm hasst; sie selbst erinnert sich später sehnsüchtig an jene „absolute Stille, in der ich einmal gelebt hatte“, und sie erschrickt über ihre Sehnsucht: „Vielleicht war das nur eine Schutzmaßnahme gewesen, und ich hatte es nicht begriffen.“ Marlen Haushofer hat sich in diese Figur gleich doppelt eingebracht: Sie selbst war höchst lärmempfindlich, auf Reisen führte sie stets eine Schachte Ohropax mit sich. Doch auch die Taubheit ist nicht frei erfunden: Nach einer Krankheit ertaubte Marlen Haushofer für einige Zeit völlig. Nur mit einem Ohr konnte sie später wieder hören, das andere blieb taub.
    Weitere autobiographische Hinweise sind in „Die Mansarde“ dich gesät: Da gibt es den Baum vor dem Schlafzimmerfenster, über dessen korrekte Bestimmung das Ehepaar rituelle Diskussionen abhält und der auch im Garten der Haushofers stand.
    Die beiden pilgern jeden Sonntag ins Arsenal, in das Wiener Heeresgeschichtliche Museum, wohin es auch Manfred und Marlen Haushofer immer wieder zog.
    Eine besondere authentische Note vermittelt nicht zuletzt die Beschreibung des Hausfrauenalltags der Erzählerin: Das auf den einzelnen Wochentag fußende Gerüst einer durchschnittlichen Woche, zwischen Zahnarztbesuch, Bedienerin und Schneiderin, zwischen Konditorei und familiärer Bridge-Runde ähnelt dem Wochenablauf Marlen Haushofers.
    Die Putzarbeit erlegt sich die Erzählerin als eine Art Strafe auf, sie verordnet sie sich als Mittel gegen Selbstmitleid und ungesundes Grübeln, das sich auf diese Weise aber nur selten abstellen lässt.
    In den Büchern Marlen Haushofers äußert sich ein regelrechter Bedienerinnen-Komplex: Die Putzfrauen, die ja als Fremde in die privateste Häuslichkeit eindringen, üben den Frauenfiguren gegenüber eine subtile Tyrannei aus. Die Erzählerin in „Die Mansarde“ bezeichnet sich als „nicht menschenfreundlich genug, um eine Bedienerin ertragen zu können“, weshalb es ihr recht geschehe, sich plagen zu müssen.
    Dem Tod kommt neben all diesen Alltäglichkeiten in Marlen Haushofers letztem Buch keine größere Bedeutung zu als in ihren anderen Werken auch. Die Erzählerin fürchtet ihn, doch nur nachts und auch da nicht immer. Im „Zwischenspiel“ in der Jagdhütte sehnt sich die ertaubte Erzählerin sogar nach dem Tod.
    Die Sehnsucht, eine Art Nirwana zu erlangen, durchzieht Marlen Haushofers gesamte Prosa. Dies Gefühl ist auch der Lohn für die Erzählerin in „Die Mansarde“, als ihr endlich die Zeichnung des Drachen glückt („Endlich einmal dachte ich an gar nichts. In meinem Kopf war eine wunderbare Leere und Stille. So stelle ich mir den Himmel vor.“)
    Charakteristischerweise ist die Erzählerin verwaist, Vater und Mutter werden als Teil der Vergangenheit abgehandelt. Marlen Haushofer zieht als Roman-Ich eine selbstkritische Bilanz: „Niemand und nichts sollte jemals Ersatz für irgendeinen oder irgend etwas sein.“
    Trotz diesem offenkundigen Bemühen um Gerechtigkeit lässt sich „Die Mansarde“ nicht als Beispiel einer neuen Objektivität feiern, zu der Marlen Haushofer sich endlich durchgerungen hätte. Auch ihr letzter Roman ist nicht objektiv, bei allem Selbsthinterfragen bleibt der Mann, Hubert, doch immer der Verräter, der sich seinen Verrat ebenso wenig verzeihen kann wie seine Frau.
    In diesem Roman huldigt die Autorin einem sanft daherkommenden, hintersinnigen Sarkasmus, der sich bisweilen in pure Satire verwandelt. („Es ist mir nicht gegeben, mit Tellern zu werfen, aber ich möchte auch nicht gehässig oder ironisch werden, und dazu besitze ich eine leichte Neigung). Zum Unterschied zur Frau in „Die Wand“ verfügt die Protagonistin hier entschieden über Humor, über Galgenhumor. In ihrem letzten Werk hat Marlen Haushofer so mit resignativem Witz und geradezu boshafter Abgeklärtheit alle Klippen des Sentimentalen umschifft.