Sprache: Deutsch
Hardcover - 317 Seiten - Beck
Erscheinungsdatum: Juli 2004
Kurzbeschrieb
Am 30. August 1978 zwingen zwei Bürger der DDR den Piloten einer polnischen Linienmaschine von Danzig nach Berlin-Schönefeld (Ost) in Berlin-Tempelhof (West, amerikanischer Sektor) zu landen.
Die Autorin geht der Frage nach, wie es dazu kam, wie es weiter ging und ob überhaupt verlässliche Angaben gemacht werden können.
Tupolew 134 ist alles andere als ein Tatsachenroman oder die belletristische Aufbereitung von Gerichtsakten. Der Fakt jener Landung in Tempelhof ist der Ausgangspunkt – schon die Namen der beiden Hauptpersonen sind verändert, sie haben neue Biographien und sind in eine Szenerie eingeflochten, die mit den Fakten nur allgemein gültig Scheinendes über das Leben in Ost und West gemeinsam haben.
Das Lesen verläuft naturgemäß linear – die Geschichte hingegen wird mit Sprüngen und Brüchen erzählt. Zunächst erscheinen die unter den Ortsbeschreibungen oben, unten und ganz unten abgelegten Abschnitte willkürlich aneinander gereiht, doch nach und nach ergibt sich eine sehr sorgfältig geschichtete Ordnung. Das Bild eines Schachts mit drei Etagen taucht bereits früh im Text auf – die Autorin hält die Metapher bis zum Schluss durch.
Ebenso konsequent ist sie, was die Erzählhaltung betrifft:
Glauben Sie nicht, daß ich mir das ausgedacht habe.
Glauben Sie noch weniger, daß es so passiert ist.
Wir erfahren, dass die beiden Flugzeugentführer eine Reise nach Danzig gebucht haben, mit Rückflug, zur Tarnung. Doch in Polen taucht der Fluchthelfer nicht auf. Es besteht der Verdacht, dass in Schönefeld die Stasi wartet. Die Entführung scheint der einzige Ausweg für beide. Doch schon die Frage, warum der Fluchthelfer nicht kommt, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Wer hat ihn verraten? Gelegenheiten dazu gab es in Ost wie in West. Und über dem Spiel mit den Möglichkeiten entsteht ein vielfältiges, durchaus widersprüchliches Bild der Ereignisse wie der beteiligten Personen – und nicht zuletzt ein Roman über das Erzählen. „Eine Geschichte hat viele Schlupflöcher“, lautet das Fazit.
Angaben über die Autorin
Antje Strubel, 1974 in Potsdam geboren. Rávic ist ein Kunstname, mit dem sie in ihr Schreiben eintaucht.
Eine Homepage biete weitere Informationen über die Autorin, ihre bisher vier Romane, ihr weiteres Schaffen sowie einige der Preise und Auszeichnungen, die sie bisher erhalten hat (u. a. Förderpreis des Bremer Literaturpreises, 2005; Marburger Literaturpreis, 2005; Heinrich-Heine-Stipendium in Lüneburg, 2003; Roswitha-von-Gandersheim-Preis, 2003; Kritikerpreis für Literatur, 2003; Förderpreis für Literatur der Akademie der Künste, 2002; Ernst-Willner-Preis, Klagenfurt, 2001).
Eigene Meinung
Ja. „Tupolew 134 ist anzumerken, dass es sich um Literatur handelt.
Ja. Die Schachtmetapher kann konstruiert wirken – und doch ist sie unverzichtbar, damit der Sog der „historischen“ Geschichte mich nicht vorbeiträgt an der Geschichte über das Erzählen an sich.
Ja. Ich muss schon ein bisschen mitarbeiten, wenn es darum geht, in der Fülle der Möglichkeiten den Überblick über „mein“ Buch zu bewahren.
Ich bin hingerissen von diesem Buch. Drei gute Gründe:
- Die sorgfältige Sprache, die federleicht scheint und doch eindringliche Bilder schafft.
- Die atmosphärisch dichte Erzählweise, die offen bleibt für eigenes Denken der Lesenden.
- Der lakonische Witz, der immer wieder aufblitzt. Meine derzeitige Lieblingsstelle ist die, in der Bundeskanzler Helmut Schmidt sich nachts Sorgen macht (und von Loki beruhigt wird).
Kurzfazit:
Selber lesen. Selber in den Schacht steigen. Glück auf!