Untertitel: Meine kleine deutsche Revolution
Klappentext:
Lenin kam nur bis Lüdenscheid. Bis Solingen ist er nie gekommen. Aber in den Zeltlagern der DKP in Lüdenscheid war die Weltrevolution schon geglückt. Liedermacher sangen von der großen Solidarität zwischen Kindern und Erwachsenen, man feierte den „Internationalen Tag des Kindes“, und die Schauspieler des Jugendtheaters „Rote Grütze“ trugen Unterhemden mit aufgemalten Brüsten und redeten über Pipi.
Geboren 1964 als Kind westdeutscher Linker im provinziellen Solingen, lernt Richard David Precht schon früh, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, zwischen Sozialismus und Faschismus. Und er wächst auf mit einem klaren Feindbild: den USA. Coca-Cola ist zu Hause ebenso verpönt wie Ketchup, „Flipper“, „Daktari“ oder „Raumschiff Enterprise“, dafür gibt es aber GRIPS Theater und Lieder von Degenhardt und Süverkrüp. Seine Eltern sind noch engagierter als viele ihrer Zeitgenossen – sie adoptieren zwei Kinder aus Vietnam und schicken ihren Nachwuchs ins Jugendkulturzentrum der SDAJ.
Prechts Kindheit- und Jugenderinnerungen sind eine durchaus liebevolle Rückschau auf ein politisches Elternhaus, die bei allen Altersgenossen vertraute Erinnerungen an die Leidenschaften eines vergangenen Jahrhunderts wachrufen wird. Amüsant, nachdenklich und mit dem Gespür für die prägenden Details erzählt er das Gegenstück zur bürgerlichen Jugend der „Generation Golf“.
Der Autor:
Richard David Precht, geboren 1964, lebt als Schriftsteller und Publizist in Köln. Für seine journalistische Arbeit erhielt er mehrere Auszeichnungen. 1997 veröffentlichte er „Noahs Erbe“, ein essayistisches Sachbuch, 1999 zusammen mit seinem Bruder Georg den Roman „Das Schiff im Noor“ und 2003 den Roman „Die Kosmonauten“.
Meine Meinung:
Ich hatte eine 70er Jahre-Kindheit, die in „Generation Golf“ wesentlich treffender beschrieben wird als in diesem Buch: Meine Eltern zählten zum bürgerlichen Mittelstand und waren sehr konservativ. Lange Haare, alte Autos, Demonstranten und antiautoritäre Erziehung passten nicht in ihr Weltbild. Ich selbst war immer ein wenig neidisch auf vereinzelte Mitschüler, die zu Hause Frederik Vahle und Schallplatten vom GRIPS Theater hörten (ich hatte zwei geschenkt bekommen und hütete sie wie einen Schatz). Meist quollen die Häuser dieser Familien über von Büchern und Grünpflanzen. Hier wurden Instrumente gespielt und Hermann van Veen-Konzerte besucht und ab Anfang der 80er nur noch vollwertig gekocht. Das sind meine Erinnerungen an einen Zeitgeist, von dem ich gern mehr mitbekommen hätte.
Mit vergangenheitsverliebter Träumerei à la „Generation Golf“ hat Richard David Prechts autobiografischer Roman allerdings wenig zu tun. Auch eine unkonventionelle, linksorientierte Familie hatte mitunter einen schwierigen und ernüchternden Alltag, und über die Jahre mussten eine Menge Ideale über Bord geworfen werden.
„Lenin kam nur bis Lüdenscheid“ hat vieles zu bieten: einen Abschnitt deutscher Politik-Geschichte, Einblicke in Zeitgeist und Lebensgefühl der 60er und 70er Jahre, eine Familiengeschichte und die Geschichte einer Kindheit. Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Es ist informativ und anspruchsvoll, unterhaltsam und schön geschrieben.