A. L. Kennedy: Paradies

  • Sollte ich irgendwann eine Liste meiner Lieblingsbücher zusammenstellen, wäre der 2004 erschienene Roman „Alles was du brauchst“ von A. L. Kennedy auf jeden Fall dabei. Und ebenso sicher wäre es dieser hier nicht.


    Hannah ist vierzig, Hannah ist Alkoholikerin. Die Fixpunkte ihres Lebens sind das Pub und Robert, ihr Freund. Hannah hat zwar einen Job, den sie im Lauf des Romans verliert, um ausgerechnet als Barfrau anzufangen. Sie hat auch Familie, etwa Simon, den Bruder, der einem völlig konträren Lebensparadigma folgt, und gelegentlich als Retter einspringt. Oder die Eltern, die in Erwartung immer neuer Hannah-Katastrophen zuhause zu hocken scheinen. Aber sonst funktioniert in ihrem Leben nichts, jedenfalls, wenn sie nicht besoffen ist. Therapieversuche scheitern, und am Ende steht eine Art Delirium – auch literarischer Art.


    Ich habe wirklich versucht, diesem Buch eine Chance zu geben, nicht zuletzt, weil mich „Alles was du brauchst“ so begeistert, vereinnahmt, berührt hatte. Es ist mir nicht gelungen. Hannah wirkt gekünstelt, unsauber skizziert, überintellektuell, dann wieder zu lyrisch. Ihre Probleme kommen nicht nahe, weil sie in Formulierungen ertrinken. Es ist, als hätte Kennedy einfach nicht gewußt, über wen sie da schreibt. Schlimm, daß sogar Langeweile aufkommt. Es ist mir nicht bekannt, ob diese Geschichte authentische oder autobiografische Züge hat, jedenfalls wirkt es nicht so – ganz im Gegenteil. Unauthentisch, unecht: „So stelle ich mir eine Alkoholikerin vor.“ Hannahs Reflexionen aber passen da nicht hinein, obwohl einige von ihnen durchaus spannend, interessant und lesenswert sind. Die Geschichte insgesamt ist es nicht.

  • Mir hat es dagegen ganz wunderbar gefallen! :-]
    Ich habe allerdings einen 2. Anlauf gebraucht, nachdem ich es beim 1. Mal nach wenigen Seiten weggelegt hatte. Es war mir zu jenem Zeitpunkt zu kompliziert, und ich musste mit klarerem Kopf ans Lesen gehen.
    Dann hat es mich aber nicht mehr losgelassen!


    Es ist nicht einfach zu lesen, das auf keinen Fall. Mich irritierten anfangs die Brüche, die losen Enden, und der "Schluss" war eigentlich meinem Empfinden nach keiner, der wirklich greifbar einen Endpunkt setzte.


    Doch genau darum geht es in dem Buch: es stellt m.E. einen fragmentierten Bewußtseinszustand dar, ein loses Gefüge aus Vergangenem und Gegenwärtigem, in dem sich Heute und Gestern vermischen, Realität und Traumebenen (oder durch Alkohol verzerrte Wahrnehmungen).


    Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, langjährige Alkoholikerin zu sein wie Hannah - aber nach diesem Buch könnte ich mir vorstellen, dass es genau so sein KÖNNTE.


    Es ging mir sehr lange nach, und ich war hin- und hergerissen, weil ich eigentlich lose Enden in einem Roman nicht mag, weil es mich unruhig machte, dass so viele Fragen offen blieben und weil ich nicht wußte, wie ich die letzten zwei Kapitel verstehen sollte. Erst ein paar Tage später, nach einigem Reflektieren und Nachspüren, vervollständigte sich für mich das Bild. Mit dem ganz klaren Vorbehalt, dass dieses Bild rein subjektiv ist - und auch das passt ganz wunderbar zu diesem Roman, genau DAS so klar zu spüren!


    "Paradies" war für mich bedrückend zu lesen, ging es mir doch an vielen Passagen sehr unter die Haut. Teilweise habe ich mit Hannah gehofft und gebangt, dass sie es schafft, trocken zu werden; teilweise hätte ich sie ohrfeigen können, an den Stellen nämlich, an denen sie rückfällig wird. Am meisten zu schaffen machte mir, dass für mich das Gefühl spürbar war, sich wie Hannah in einem Sog zu befinden, der einen immer weiter hinabzieht, der immer stärker zu sein scheint als man selbst. Und ebenso spürbar war das Gefühl der Fremdheit, das Hannah ihrer Umwelt gegenüber hat, ihrer Familie und nicht zuletzt sich selbst.


    Wenn ich das Buch beschreiben sollte, so würde ich es als "wenig gefällig", "sperrig" und "mit Widerhaken" bezeichnen - aber ich glaube, das ist so gewollt, und ich hätte es mir nicht anders wünschen können. Denn SO ein Buch, über DAS Thema - ich glaube, das KANN nur so sein!


    Meine Ausgabe war übrigens diese hier: