Der Abschied oder wie mich eines Tages die Ironie in den Arsch biss!
Ich sehe dich, jeden Tag, wenn ich die Augen schließe;
Sehe alles von dir
Ich denke an dich, jeden Tag, bist teil eines jeden Gedankens;
Bist alles in mir
Ich spüre dich, jeden Tag, wage es dich in Träumen zu berühren;
Meine Seele verschreib ich dir
Ich erkenne es, jeden Tag, wie Angst, Sehnsucht und Hoffnung rebellieren;
…ich erkenne es, jeden Tag, ich werde dich verlieren…
Ich hechtete um die Ecke, während ich versuchte einen Blick auf die Uhr zu werfen. Ich war noch gut in der Zeit, wollte aber auf keinen Fall zu spät kommen. Nicht heute. Heute hatte niemand Geburtstag und es war auch kein Feiertag. Vielmehr wurde es für mich immer mehr zu einem Tag der Trauer. Obwohl ich lange Zeit hatte mich auf diesen Tag vorzubereiten, kam er so unglaublich schnell und unaufhaltsam. Ich wollte diesen Tag nicht, ich mochte diesen Tag nicht, ich begann sogar ihn zu hassen. Heute fand ihre Party statt. Ihre Abschiedsparty.
Nun ich leugne nicht, dass ich sie liebe. Genauso wenig wie ich es erwähne, aber die Tatsache, das ich sie liebe und sie die Liebe meines Lebens darstellt ist auch nicht so einfach in eine Ecke zu schieben. Und wie das mit so unentschlossenen und leider feigen Typen wie mir ist, habe ich kein Wort gesagt. Ich habe die vergangenen anderthalb Jahre einfach die Schnauze gehalten. Voller Hemmungen und Angst meine mir wertvolle Freundschaft mit ihr nicht zu verderben, habe ich gelitten. Nein, im Ernst habe ich wirklich. Jeden Tag muss ich an sie denken und dabei doch erkennen das ich nicht das bin was sie sucht.
Mit diesen bitteren Gedanken kam ich endlich, wenn auch schweren Atems, vor ihrer Haustür an, die mir so bekannt war. Wie so oft nach einem gemeinsamen Abend, von denen es seltsamerweise sehr viele gab, stand ich davor und seufzte. Wie man sich vorstellen kann habe ich in letzter Zeit sehr oft geseufzt. Ich zögerte zu klingeln, ich war nicht oft in ihrer Wohnung gewesen aber heute waren noch andere Leute da. Mit diesem Gedanken beruhigt, klingelte ich dreimal. Ich hörte das dumpfe Schellen oben im dritten Stock. Sekunden später wurde mir geöffnet und durch das Treppenhaus erschallte ihre Stimme.
„Erschreck einen doch nicht so!“
„Entschuldigung!“, nuschelte ich und bezweifelte das sie mich gehört hatte. Ich ging langsam die Treppen hoch und mit jedem Schritt den ich mich ihr näherte wurde ich wehmutiger, trauriger und auch aufgeregter. Vor der Tür standen schon ein paar Schuhe und ich stellte meine ausgelatschten Turnschuhe daneben. Ich hatte zwar mein bequemstes Hemd an aber ich hatte trotzdem das Gefühl nicht nur unpassend gekleidet zu sein, sonder selbst nicht hierhin zu passen. Langsam beschlich mich das Gefühl ob es richtig war hierher zu kommen. Ich fragte mich ob ich es aushalten würde ein Fest zu feiern, voller Ironie, um ihren Abschied zu huldigen.
Ich betrat die Wohnung, trat durch den kleinen Flur in das Wohnzimmer und blickte in die Gesichter von einem halben Dutzend Menschen. Freunde, wirkliche und vermeintliche saßen beisammen, unterhielten sich, beachteten mich erst gar nicht. Aber daran war ich längst gewöhnt. Diejenigen die über meine Gefühle zu unserer Gastgeberin bescheid wussten, sahen mich teils aufmunternd, teils voller Mitleid und zum großen Teil auffordernd an. Ich fühlte mich wenigsten zum teil verstanden und wusste das sie meine Stütze am heutigen Abend sein würden.
„Hallo!“, erschallte es hinter mir, und ich erkannte die eine Stimme die sich auf ewig in meinen Kopf eingebrannt hatte und die ich auch unter Millionen anderen Stimmen erkennen würde. Ich drehte mich um, sah sofort in ihre Augen und rang augenblicklich nach Luft.
Nun, das war keine neue Erfahrung für mich, sondern halt das was passiert wenn ich sie ansehe. Gerade deshalb gelang es mir, wie immer, dies nicht so nach außen zu zeigen. Ich beruhigte mich innerhalb einer hundertstel Sekunde innerlich und zwang mich, wie geplant, zu einem leicht künstlichen Lächeln welches ich den ganzen Abend tragen wollte. Dies hatte nichts mit ihr zu tun, denn wie gesagt, sind meine Gefühle für sie nicht von dieser Welt, sondern eher mit der Tatsache dass ich einfach verdammt schlecht gelaunt war und dazu neige das auch mal nach außen zu zeigen. Aber natürlich nicht in ihrer Gegenwart.
„Guten Abend!“, sagte ich fröhlich übertrieben und freute mich als sie mich wie ein Wesen von einem anderen Stern anlächelte.
„Komm rein, setz dich!“, forderte sie mich auf und ich tat entsprechendes.
Ich will jetzt nicht den ganzen Abend schildern, der voll war von sozialgesellschaftlichen Gesten und banalem Gerede an dem jeder Psychologiestudent seine wahre Freude gehabt hätte. Im Grunde habe ich immer zu allem und allen, vor allem zu ihr, gelächelt und meine innere Wut und Traurigkeit mit mehreren Gläsern von Saft und Tee(Kein Alkohol auf ihren Parties) hinuntergespült. Ich blieb bis zum Schluss ohne das ich ein persönliches Gespräch mit ihr führen konnte, wenngleich ich die Stimmung mit einigen gezielten Kommentaren und Sprüchen doch steigern konnte. (Entgegen allen Gerüchten bin ich doch irgendwo ein witziges Kerlchen)
Ich verabschiedete mich als vor-vorletzter, weil ich es nicht mehr länger ertragen konnte wie sie sich, ganz amüsiert, mit so einem Idioten unterhielt. Nach etlichen Hin und Her und überlangen Versprechen das man in Kontakt bleiben würde und sich eventuell, möglicherweise, wenn es die Zeit und die Verpflichtungen erlauben werden, mal doch irgendwann zu gegebener Zeit vielleicht mal besuchen kommen können würde, verließ ich ihre Wohnung und dann traf es mich noch mal mit der ganzen Munition die dieser, Windeltragende, geflügelte Idiot namens Amor hatte.
Ich stand draußen und der kalte Nachtwind blies mir heftig ins Gesicht. Er wirkte wie eine kalte Dusche, so dass ich nun realisieren konnte was gerade geschehen war.
Nichts.
Rein gar nichts. War das denn nicht der Abend den ich so sehr gefürchtet habe? Habe ich mich gerade nicht von der Liebe meines Lebens verabschiedet? Leicht benommen griff ich in meine Jackentasche und fand den schon arg zerknitterten Abschiedsbrief, den ich ihr eigentlich geben wollte, oder wenigstens unterschieben. Ich las ihn noch mal und fand dass er im Grunde ziemlich gut geschrieben war. Dennoch machte er mich traurig und ich wurde wütend auf mich selbst, weil ich es wieder nicht geschafft habe mich selbst zu besiegen. Ich hatte gerade das verloren was mir auf der Welt am wichtigsten war. Die Trauer wurde größer als ich wieder mal erkannte, dass sie nichts verloren hatte. Sie tat das was sie wollte, was sie glücklich macht. Ich gehöre nicht dazu.
Da es anfing zu langsam aber beständig zu regnen, beschloss ich zu Fuß nach Hause zu gehen. An den zwei Brücken die ich überqueren musste, blieb ich jeweils runde 10 Minuten stehen und überdachte den Vorschlag meines Unterbewusstseins mich hinunter zu stürzen. Seltsamerweise kam ich doch noch lebend zu Hause an und legte mich schlafen. Ihre Abfahrt war für morgen früh vorgesehen. Eine Chance hatte ich noch.
Meine innere Stimme trat meinem inneren Schweinehund dermaßen feste in die Eier das ich mit Übelkeit und Kopfschmerzen(wohl zu viel Saft, gestern) aufwachte. Mein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich es noch schaffen könnte.
Fünf Minuten später war ich 150km/h schnell und bretterte Richtung Hauptbahnhof. In 15 Minuten fuhr ihr Zug los. Als noch vier übrig blieben, klaute ich einer entrüsteten Oma den Parkplatz und rannte Richtung Gleis…Mist! Die Suche nach dem richtigen Gleis kostete eine wertvolle Minute und die Ansage dass der Zug bald in den Bahnhof einfahren würde, steigerte meine Laune nicht besonders. Ich nahm drei Stufen auf einmal und erreichte, noch mit Schlaf in den Augen mein Ziel.
Meine Zielperson stand gute drei Meter vor mir und sah mich zwar verblüfft, aber mit einem Lächeln für das ich töten würde, an. Langsam ging ich auf sie zu, den Abschiedsbrief in der komischerweise immer stärker zitternden Hand.
„Was machst du denn hier?“, fragte sie mich neugierig und wie immer leicht argwöhnisch.
„Ich…ähmm, wollte dir noch was sagen, bevor du abreist!“, sagte ich in dem gleichen Augenblick als mir etwas klar wurde.
„So? Was denn?“, fragte sie leise und ihre Augen bekamen einen leichten Schimmer, wie ihn manchmal Tränen als Vorboten schicken.
Hier stand ich nun. Die Frau die ich über alles liebte, vor mir. Der Zug der sie mir für vielleicht immer nehmen würde einfahrend zu meiner Rechten. Menschen um uns herum, von denen einige sogar die Dramatik der Situation erkannten und stehen blieben, voller Erwartung das was sie sonst im Fernsehen sahen, jetzt live zu erleben. Ich stand nur da.
Für mich existierte in diesen Sekunden nur sie. Die Welt wurde zu einem Gedicht, einer Ode der Sehnsucht, einem Lied dem das Universum verpflichtet war zuzuhören.
Ich stand nur da und sah in ihre matt-grünen Augen. Das was ich darin sah, ließ meine Worte verblassen, verhinderte ihre Geburt. Sie wusste es. Ich sah es in ihren Augen, las es von der kleinen Träne ab, die ihre Wange hinunterlief. (Eines der Bilder die sich für immer in mein Herz einbrannten)
„…Ich wünsche dir alles Gute, und …werd glücklich! Einfach nur glücklich, bitte!“, war das einzige was ich sagte. Sie nickte nur, drehte sich zum Zug um, wischte sich die Träne weg und verschwand.
Ich ging die Treppe runter, langsam ohne Hast.
Das Papierknäuel, das mal mein Abschiedsbrief war, entsorgte ich an einer namenlosen Mülltonne. Die Blicke der Menschen nahm ich nicht mehr wahr. Die Welt verschwamm, wurde zum Chaos, zur Gleichgültigkeit erklärt.
Alles was sie sahen, war ein Mann der hemmungslos weinte.