Das Buch
Die unscheinbare Gloria Wehling hat sich längst daran gewöhnt, von allen übersehen zu werden. Tagsüber arbeitet sie als Rezeptionistin in einem Wiener Großbüro, abends schreibt sie an ihrer Diplomarbeit in Sinologie. Sie hat eine erträgliche Balance zwischen dem Job, ihrer Forschungsarbeit und langen, heißen Entspannungsbädern gefunden, die ins Wanken gerät, als es Frühling wird. Eine seltsame Unruhe erfaßt sie, die bald darauf durch die Entdeckung eines Nachbarn einen konkreten Anlaß bekommt: Ein Spanner beobachtet sie vom Haus gegenüber. Kurze Zeit später zischt bei einem Spaziergang ein Projektil an ihrem Kopf vorbei. In Glorias Büro geht eine Bombe hoch. Nur durch Zufall entgeht sie einem Attentat. Jetzt muß sie die Ereignisse wohl oder übel auf sich beziehen.
Ein Roman voll subtiler Spannung mit einem eiskalten Ende.
Die Autorin
Maria Benedickt, geboren 1958, lebt in Wien. Sie hat Sinologie studiert und mehrere Jahre in Ostasien gelebt. Sie arbeitet als Redakteurin einer Fachzeitschrift für Tourismus.
Meine Meinung
Ich hatte seit längerer Zeit kein "Gänsehaut-Buch" mehr gelesen; daher hat mich dieses Buch wohl mehr angefasst, als es bei abgebrühten Thriller-LeserInnen der Fall wäre. Doch auch denen dürfte der subtile Horror zwischen den Zeilen nicht entgehen.
Wie die Autorin lebt auch die Heldin eine Zeitlang in Asien, genauer gesagt in China, in einem internationalen Studentenmilieu, das seine ganz eigenen Verhaltensweisen und Konventionen hat. Einer ihrer Kommilitonen begeht Selbstmord, weil er aussichtslos in sie verliebt ist - so hat es zumindest den Anschein. Die Geschichte verfolgt sie bis zurück nach Wien - eine Briefbombe im Büro, ein geheimnisvoller Schuss bei einem Spaziergang im Park. Das sind alles ziemlich "grosse" Ereignisse, doch für Gloria sind sie genauso wichtig oder unwichtig wie die alltäglichen - der nervige alte Mann, der sie vor einem Spanner warnen will, der alleinstehende (?) Nachbar mit der kleinen Tochter und dem rätselhaften Vornamen, ihre heisse Badewanne, nach der sie geradezu süchtig ist.
Die Zartheit der chinesischen Kultur durchdringt das Buch - mit Gedichtbeispielen aus Glorias Diplomarbeit oder den Gerichten und Gesprächen im Restaurant "Pflaumenblüte". Diese Exotik gibt ihm eine besondere Note, die wohl auch der Grund ist, weshalb man Gloria manch merkwürdiges Verhalten verzeiht - es passt zu ihr, es gehört dazu, und das Buch ist im besten Sinne "un-realistisch" genug.
Hm. Ich könnte hier noch ewig weiterschreiben und käme dem Buch doch nicht näher, scheint mir. Ich bin dazu gekommen wie die Jungfrau zum Kind, nicht weil ich mich in diesem Genre auskennen würde. Deshalb kann ich auch keine Vergleiche anstellen. Ich würde es als "feinsinniger Horror" beschreiben, was man da zu lesen bekommt, der einen selbst in eine ganz besondere Atmosphäre versetzt. Doch es ist nicht nur Horror (und für die Hartgesottenen ist es garantiert nicht mal das), es enthält auch eine Liebesgeschichte, die mich dank der zarten, liebevollen Beschreibung genauso gefesselt hat wie die Gänsehaut-Passagen. Ich empfehle es sehr!