Diesen Text habe ich vor ca vier Jahren geschrieben. Jetzt bei, bei der Wegbeschreibung für die Lesung voon Nudelsuppe (siehe dort) kam mir die Idee, diesen Text hier hereinzustellen. Müßte sicher überarbeitet werden, bin jedoch gespannt auf Eure Meinungen
andermann
Hatte zu Beginn den Prot keinen Namen gegeben (nur SIE und ER) das ist jetzt geändert
Im Original sind es 45 Buchseiten - ich lese so etwas immer "auf Papier", also ausgedruckt, Der 2. von insgesamt 4 Teilen steht weiter unten
Es begann im Buchladen
Missmutig trat Inga aus dem Bahnhof heraus. Auch das noch! Nur weil sie sich nicht entscheiden konnte, ob sie das Geschenk für Herrmann nun kaufen sollte oder nicht, hatte sie den Zug verpasst. Oder hatte sie vielleicht doch vorhin an dem Laden, vor dem sie immer stehen bleibt, sich die Auslagen sehr genau und - zugegeben - ein wenig begehrlich anschaut, in den sie aber noch nie hinein gegangen war, hatte sie dort zu lange in die Auslage geschaut? Sonst hatte der Zug ganz oft Verspätung, aber heute? Ausnahmsweise war er pünktlich abgefahren.
Was nun? Wie sollte sie die Zeit bis zum nächsten Zug vertreiben? Dann dieses Wetter! Immer das gleiche Wetter, jedes Jahr die gleiche Stimmung in dieser Woche nach dem ersten Advent: Die feuchtgrau grieselige, schwermütig hängende Negativstimmung des Novembers kämpfte gegen die aufgepfropfte mit den Jahren immer grellbunter fröhlich gemachte Einkaufs-Geldausgebstimmung der Tage nach dem ersten Advent. Und jetzt noch auf den nächsten Zug warten.
Vor dem Bahnhof hatte man ein paar Buden aufgestellt: Wiener Mandeln, Schmalzkuchen, Bratwurst, Kartoffelpuffer und natürlich Glühwein! Hinten an der Ecke ein Karussell - liebenswert altmodisch, aber trotzdem - hier würde sie sich die Zeit nicht vertreiben können. Dazu war das Wetter noch zu sehr nach ungemütlich feuchtkaltem November und nicht nach klirrend-kalter Schneeriesel-Vorweihnachtszeit.
Dazu die ersten Glühweinleichen, aufgesperrte Mäuler, die bestimmt schon alle ihr Mittagessen hinuntergeschlungen hatten und jetzt - sozusagen als Zwischenmahlzeit - die ungesunden Extra-Weihnachtsportionen in sich hinein stopften: Am Karussell die „noch mal, noch mal“ quengelnden Kinder mit ihren Müttern, die entgegen jedem Erziehungsvorsatz Münze für Münze aus ihrer Börse zogen, nur um der Ruhe willen.
Nein, hier wollte sie sich die Zeit nicht vertreiben und schon gar nicht totschlagen. Dort vorne, rechts in der Hauptstraße, dort war doch das schon beinahe historisch zu nennende Cafe, in dem sie damals in den beiden letzten Schuljahren oft mit ihren Freundinnen gesessen hatte, stundenlang mit einem Kaffee, vielleicht ein Wasser oder eine Cola. Ihr letzter Besuch lag sicher zehn, vielleicht fünfzehn Jahre zurück, als sie damals mit Herrmann den Heimweg gemeinsam machen wollte und er aufgehalten war. Termine! Termine!
Inga lenkte ihre Schritte in die Hauptstraße. Eigenartig, in all den Jahren war ihr nicht aufgefallen, dass die Bäume, die nach dem Kriege neu gepflanzt worden waren und damals in ihrer Schulzeit bereits eine beträchtliche Größe hatten, offensichtlich dem Bau der U-Bahn zum Opfer gefallen waren. Wo war dieses Cafe? Dort neben dem Kaufhaus, ungefähr auf der Mitte bis zur nächsten Kreuzung, da war es. Sie wusste es ganz genau, denn einmal hatte sie damals - eines der wenigen Male, dass sie das Auto vom Vater ausleihen durfte - dort hatte sie damals einen Parkplatz gefunden, genau vor der Tür. Sie ging einige Schritte weiter: Das chrom- und glasglänzende SB-Terminal einer Bank, einige Schritte zurück: Die Verkaufstheke einer Bäckereikette.
„Entschuldigung, können Sie mir sagen, wo das Cafe K. ist“ fragte INGA eine der Verkäuferinnen. „Bittää?“, war die Antwort. Hier war also auch keine Antwort zu erwarten. Inga drehte sich um und wurde von einer älteren Dame angesprochen: „Cafe K? das ist doch schon vor Jaahren abgerissen worden! Stand hier! Genau hier! All diese schönen alten Erinnerungen! Wo sind sie hin?“
Genervt, beunruhigt von der Situation gingen ihre Augen die Straße auf und ab. Fünfzehn Minuten waren schon vorbei. Zehn Minuten bis zum Bahnsteig! Für ein gemütliches Sitzen in einem Cafe blieb keine ausreichende Zeit mehr. Da! Eine Stelltafel auf dem Pflaster: „Espresso, Cappuccino, Cafe au lait, Milchkaffee“, dazu der Name einer italienischen Espressomarke und weiter: „Buchhandlung Schmock, 2. Etage.
Einen Moment hielt sie inne: Buchhandlung Schmock! Beinahe das ganze Leben war sie ein-, zwei- oder auch mehrmals im Jahr in dieser Buchhandlung gewesen. In ihrer Schulzeit kaufte „man“ die Schulbücher hier, ihre Oma hatte damals nach dem Krieg die Trotzkopfbücher hier bezogen, sie selbst später die Courths-Mahler, die sie heimlich lesen musste, dann noch später Francoise Sagan - wie hieß dieses Buch doch noch? -, der junge Deutschlehrer in ihrer Abiturklasse hatte es hinter vorgehaltener Hand empfohlen - dann, in den Jahren in denen ihre eigenen Kinder aufwuchsen all die Kinderbücher, die jetzt gut verpackt auf dem Boden lagerten und auf die Enkelkinder warteten. Vielleicht?
Bis vor einigen Jahren hatte sie noch regelmäßig ein Buch für Herrmann erstanden. Aber der sah sich diese Bücher gerade noch Weihnachten an, dann standen sie im Bücherregal. Weitgehend ungelesen. Deshalb war sie lange nicht mehr in dieser Buchhandlung gewesen. Ja, jetzt hatte sie Lust! Lust auf einen Cappuccino im Cafe „Buchhandlung Schock, 2. Stock.
Öde dieser Nachmittag! So nutzlos vertan! Dabei hatte Wolf sich extra einen Nachmittag frei genommen, um in Ruhe nach einem Geschenk für Magdalena zu suchen. Es war aber auch wirklich schwierig! Zum einen ihre streng ökologisch, beinahe puristisch gewordene Lebenseinstellung und dann: Immer sagte sie, sie brauche nichts. Aber als er das einmal ernst genommen hatte, war es auch nicht recht. Einige Tage hatte sie damals geschmollt.
Und jetzt irrte er ziellos in der um diese Jahreszeit immer so öden Stadt umher. Zwar war der erste Advent gewesen, überall war die Weihnachtsdekoration und -Beleuchtung angebracht, aber es war ungemütlich, nasskalt und... überhaupt. Er war unzufrieden, unzufrieden mit sich selbst, unzufrieden mit seinem Leben, unzufrieden mit... eben unzufrieden mit allem.
Missmutig durchstreifte er die Straßen, auf der Suche nach irgendetwas. Nur er wusste nicht, was er suchte. Somit war es auch höchst unwahrscheinlich, dass er es finden würde. Eine Bratwurstbude: seine Augen sagten ja, sein Magen nein. Ein Glühweinstand: sein Magen sagte ja, schön warm, sein Führerschein warnte, du musst noch fahren. Eine Schmalzkuchenbäckerei: seine Augen sagten ja, sein Magen auch aber seine Hände warnten, pass auf, der Puderzucker auf deinem Anzug. Diese Fress- und Saufbuden in der ganzen Stadt - eigentlich war das nicht sein Fall!
Einzig die Dame vorhin - oder konnte er in diesem Falle sagen: die Frau? - die Dame, die vorhin gleichzeitig mit ihm die Auslagen in einem Geschäft betrachtet hatte, so in sich gekehrt, wie sie dort gestanden hatte, sie war eine wahre Augenweide. Wolf hatte sie so über die Ecke aus dem Geschäftseingang durch die Scheiben betrachtet, wie sie begehrlich die ausgestellten Sachen betrachtete, aber dann doch, offensichtlich schweren Herzens weiter bummelte.
Nein, er würde unverrichteterdinge nach hause fahren, würde abwarten müssen, bis Magdalena irgendeine Bemerkung fallen lassen würde, ob und welchen Gegenstand er ihr zu Weihnachten schenken sollte. Nein er war nichtzufrieden!
Er blickte auf die Uhr. Wenn er jetzt nach hause fahren würde, käme er zu früh. Es gäbe Erklärungsbedarf. Magdalena würde genau fragen, was er wo gemacht habe, warum er heute das Büro früher verlassen konnte, warum er nicht dies auch noch erledigt habe und jenes auch noch, sie hätte schließlich auch noch Besorgungen, die hätte er doch auch erledigen können! Immer die gleiche Litanei! Jetzt noch in Ruhe einen Kaffee oder besser einen Cappuccino, eine Zeitung dazu - dann würde der Tag schon etwas besser aussehen und der Abend würde verträglich eingeleitet werden.
Aber wo? Wolf blieb stehen, drehte sich um, blickte die Straße zurück, ging aber trotzdem rückwärts in die bisherige Richtung weiter. Ein Stoß durchfuhr ihn, ein schepperndes Metallgeräusch. Da! Vor ihm: Eine Stelltafel auf dem Pflaster: „Espresso, Cappuccino, Cafe au lait, Milchkaffee“, dazu der Name einer italienischen Espressomarke und weiter:
„Buchhandlung Schmock, 2. Etage. Beinahe hatte er das Schild umgeworfen. Na das war doch genau das, was er suchte, in Ruhe Kaffee schlürfen und dazu ungestört Zeitung lesen. Wie schnell die Welt doch freundlich aussehen konnte!
Inga trat in den Laden ein. Schwer musste sie die Pendeltür aufdrücken. Wie oft war dieser Eingang in den letzten Jahrzehnten schon umgebaut worden? Geräuschlos schloss sich die Tür hinter ihr. Ganz schnell tauchte sie ein in diese wunderbunte Welt, deren eigentliches Wesen nur aus Schwarz und Weiß bestand, aber sich so bunt darstellte, wie es weder Kino noch Fernsehen schafften. Diese Vielfalt, die doch geordnet war und doch wieder in der Ordnung Raum ließ für viele Gedanken, für Erinnerungen, für Träume und auch für Sehnsüchte.
Gleich vorn links, die Großbildbände. Inga lächelte. Etwas für die Leute, die Last Minute Geschenke brauchten. Oft teuer, aber wie oft hatte sie gesehen, dass diese Bücher zu den anderen im Bücherschrank gestellt worden waren, ungelesen. Auch bei Herrmann war das so, wenn sie dann nicht gewusst hatte was sie ihm schenken sollte.
Daneben, die Bücher über die Stadt: ein ganzes Kaleidoskop. Da war der alte Fotograf der Zeitung - schwarzweiße und bunte, wichtige und überflüssige, heitere und traurige, rührende und beschreibende Bilder aus fünf Jahrzehnten. Der Lokalpolitiker, der so groß herauskommen wollte und jetzt hier seine Geschichte verkaufen wollte, der Geschichtenerzähler, der bei allen lokalen Festen versuchte ein Engagement zu bekommen. Dann wieder die Bildbände: Die Stadtentwicklung im Mittelalter, die Residenzstadt, die Stadt im Kaiserreich, Stadtentwicklung nach den Trümmern des Krieges, die Messestadt, die gesamte Palette.
Hier die Bilderbücher für die Kleinsten. Oder für die Ältesten? Auffällig viele Kunden im Rentenalter blätterten sich durch das Regal - Geschenk für die Enkel? Oder besser für sich selbst? Vorlesestunde mit dem Enkelkind? Ja, diese Generation kann das noch! Ob sie es selber können würde? Die Frage brauchte im Moment nicht beantwortet zu werden. Enkelkinder waren nicht in Sicht.
In der Mitte um einen Pfeiler all die Koch-, Back- und Cocktailbücher -Rezepte aus aller Herren Länder. Ein wenig hochmütig konnte sie schon lächeln. So etwas brauchte sie nicht! Hatte sie tatsächlich einmal eine Idee nötig, fand sie ausreichend Anregungen in der wohlgeordneten Rezeptsammlung, die sie sich aus Zeitungen, Zeitschriften oder aus mitgeschriebenen Rezepten, die im Radio oder Fernsehen angeboten wurden, angelegt hatte.
Ein paar Schritte weiter: fremdsprachige Bücher - englisch, französisch, spanisch. Einige Jahre hatte sie diese Mode auch mitgemacht: Texte im Original lesen! Aber dann hatte sie aufgegeben, zu schwierig! Aber hier! Russisch, Polnisch, wer kauft so was?
Noch ein paar Schritte weiter! Was war hier? Aber war sie nicht eigentlich wegen eines Kaffees gekommen? Zwei Panoramalifte führten nach oben. Sie stieg ein: Cappuccino im Cafe Schmock, 2. Etage. Lautlos rauschte der Aufzug nach oben.
Wolf trat auf die Tür zu. Geisterhände öffneten sie. Die gleichen Hände schlossen sie hinter ihm, um sie sofort wieder zu öffnen: der nächste Kunde. Ein Blick nach links: Bildbände, Lokales, Bilder- und Kochbücher, Fremdsprachen - all das interessierte ihn nicht. Im Souterrain: früher konnte man dort Schallplatten anhören, erst die78er, dann die 45er, später die LPs - stundenlang hatte er sich Platten auflegen lassen, Jazz, die Greco, später die Beatles.
Seit ungefähr zehn Jahren gab es dort unten CDs und seit kurzer Zeit DVDs. Selbstbedienung, nicht mehr die freundliche Verkäuferin mit dem süßen Lächeln. Nein, da war es nicht mehr so gemütlich, wie damals.
Er lenkte seine Schritte geradeaus - Technik und IT. Die technische Fachliteratur! Damals, Ende der fünfziger, damals war er noch auf der Höhe der Technik. Tonbandgeräte und elektromechanische Schaltungen, das hatte er noch verstanden. Aber heutzutage? Die Sachen waren viel zu kompliziert geworden. Einführung in Computerprogramme, das würde er ja noch verstehen, wenn er sich dahinter klemmen würde, aber dieser ganze CD und DVD Kram: Wer konnte sich da auskennen?
Wolf lenkte seine Schritte über eine Treppe in die erste Etage. Hier in einem hinteren Raum: das interessierte ihn schon mehr! Science Fiction und Fantasy! Obwohl? Science Fiction? Da musste man auch eine Menge technischen Sachverstand haben, den hatte er nicht. Dann doch lieber Fantasy! Harry Potter - alle Ausgaben. Wenn er doch nur Zeit zum Lesen hätte! Herr der Ringe! Er blieb stehen, griff eines der vielen gleichen Bücher, blätterte darin, las sich fest, der Kaffee war vergessen!
1. Etage: der Aufzug hielt, die Tür öffnete sich. Warum? Inga wusste es nicht. Sie trat hinaus. Warum? Sie wusste es nicht. Dort hinten! Reclam! All die Mühen der Schulzeit. Ein Lächeln: Königs Erläuterungen! Damit war der Deutschunterricht im Gymnasium doch erträglicher geworden! Ein paar Schritte weiter: Liebesromane. Sie blieb stehen. Warum? Sie wusste es nicht. Wahllos griff sie nach einem der bunten Buchrücken. Warum? Sie wusste es nicht. Jahrelang - oder waren es Jahrzehnte - hatte sie solche Bücher nicht mehr in die Hand genommen. Warum nicht? Sie wusste es! Wollte es sich aber nicht eingestehen!
Sie blätterte, las hier einige Zeilen, dort einen Absatz, setzte die Tasche und die Plastiktüten ab, las weiter, eine ganze Seite, eine weitere, der Stoff hatte sie gefangen. Warum? Sie wusste es! Einsamkeit, Sehnsüchte, unerfüllte Sehnsüchte! Trotzdem! Unbewusst vollzog ihre freie Hand das nach, was ihre Augen gerade aufnahmen, dem Gehirn meldeten, was dort in ihrem Kopf umgesetzt wurde.
[I]Leider läßt das Forum nur 15000 Zeichen zu (Ist auch i O) Besteht Int, die Geschichte weiter zu lesen?[ dann würde ich hier 4 Stücke -insgesamt 56000 Zeichen- einstellen. Oder gibt es eine andere Möglichkeit? andermann/I]