Schloß Gripsholm - Kurt Tucholsky

  • Inhalt:
    Schloss Gripsholm beginnt mit einem fiktiven Briefwechsel, in dem der Verleger Ernst Rowohlt seinem Autor nahe legt, eine kleine Liebes- oder Sommergeschichte zu schreiben, welche die Leute »ihrer Freundin schenken können«. Danach setzt die eigentliche Handlung ein – der Schweden-Urlaub des Ich-Erzählers Peter und seiner Freundin, der Sekretärin Lydia. Die beiden mieten sich in einem Anbau von Schloss Gripsholm ein. Dort verleben sie heiter verliebte Tage, mokieren sich über konservative Touristen und lassen die Seele baumeln. Zwischenzeitlich bekommen sie Besuch, zunächst von Peters Freund Karlchen, dann von Lydias Freundin Billie, woraus sich eine Nacht zu dritt entwickelt. Auf einem ihrer Spaziergänge lernen Peter und Lydia die kleine, tief verstörte Ada kennen, die im nahen Kinderheim wohnt und unter der tyrannischen Direktorin leidet. Die beiden setzen sich dafür ein, dass die Kleine wieder zu ihrer Mutter nach Zürich zurückkehren kann, und nehmen sie bei ihrer Abreise mit.
    Aufbau: Tucholsky erzählt seine Urlaubsgeschichte mit großer Leichtigkeit, unterläuft jedoch vielfach das Genre des unterhaltsamen Reise- bzw. Liebesromans. Die eingestreuten Reflexionen über das Wesen der Liebe oder die Unmöglichkeit, einer Urlaubsidylle Dauer zu geben, verleihen dem Roman melancholische Züge. Auch die mit verschiedenen niederdeutschen Dialekten versetzte oder aus einem Privatidiom bestehende Sprache der Figuren trägt nicht allein zum Bild einer privaten Idylle bei; der Dialekt als eine Form authentischer Sprache unterstreicht darüber hinaus den Anspruch der Personen, angesichts eines uniformer werdenden Alltags ihre Individualität zu wahren.
    Das Gegenbild zu der von Zwängen freien Liebesbeziehung und den liberalen, demokratischen Auffassungen des Liebespaars erscheint im zweiten Handlungsstrang des Romans, der Geschichte der kleinen Ada. Die Leiterin des Kinderheims, die machthungrige und brutale Frau Adriani, eine Deutsche, wird als autoritärer Charakter geschildert, der Angst verbreitet und an dem humane Vorstellungen abprallen. Diese Figur verweist auf die antidemokratischen Kräfte, welche die Weimarer Republik zunehmend zersetzten. Ihre Welt, Sinnbild einer Gesellschaft, die nur Herrscher und Beherrschte kennt, löst im Ich-Erzähler die Vision eines Gladiatorenkampfs aus, die – mit prophetischem Blick – deutlich macht, dass es von der Unterdrückung der Schwachen bis zu nackter Gewalt nur ein kleiner Schritt ist.
    Wirkung: Die Sommergeschichte wurde rasch ein großer Publikumserfolg. Ihre anhaltende Beliebtheit führte zu mehreren Verfilmungen, zuletzt durch Xavier Koller, der in Gripsholm (2000) die zentralen Motive des Romans mit in Berlin spielenden Szenen verband. P. G.
    Copyright: Aus Das Buch der 1000 Bücher (Harenberg Verlag)


    Autor
    Der am 9. Januar 1890 in Berlin geborene Kurt Tucholsky war einer der bedeutendsten deutschen Satiriker und Gesellschaftskritiker im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts. Nach dem Absturz Deutschlands in die Barberei nahm er sich am 21. Dezember 1935 in seiner letzten Exilstation Hindas/Schweden das Leben. Sein Grab liegt auf dem Friedhof Mariefred-Gripsholm.


    Eine Sommerliebe in Schweden. Unnachahmlich graziös und amüsant erzählt; schwebend wie ein Schmetterling und sonnendurchflutet wie der Sommer selbst.

  • Ich brauchte ein paar Anläufe und bin schon fast an mir verzweifelt, dass ich es nicht schaffte, über die ersten Seiten dieser "leichten Sommergeschichte" hinauszukommen. :wow Ich fand den Schreibstil merkwürdig und unzugänglich, die Art, wie der Erzähler über seine Freundin berichtete, so es denn seine Freundin war - ich kapierte am Anfang einfach nix.


    Naja, aber irgendwann war dann der richtige Zeitpunkt gekommen, ich habe die Hürde der ersten paar Seiten genommen und war dann wirklich begeistert über den trocken-humorvollen Ton und trotzdem den Ernst, mit dem das Ganze erzählt wird. Ich möchte nun gern bei Gelegenheit den Film sehen (zumal ich den Soundtrack schon habe, weil ich Kol Simcha liebe).

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Hallo,
    ich habe das Buch schon mehrfach gelesen, hatte sogar mal den Reprint der ersten Auflage als Rotationsroman (daher ja RoRoRo), der aber leider meinem Papagei zum Opfer fiel.


    Jedenfalls ist das Buch entzückend, sehr modern.
    Unbedingt empfehlenswert.
    LG doctrix

  • Na, wenn ein Papgei es zum Fressen fand, was soll man dann sagen? :grin


    Det Buch is jut!


    Es ist 1931 zum erstenmal erschienen - als Fortsetzungsroman - und wurde gleich ein Erfolg.
    Die Sprache ist ganz anders, es ist nicht das Deutsch, das wir gewöhnt sind. Es ist alles andere als locker-flott.
    Die Beziehung des Liebespaares ist fremdartig für uns Heutige, da liegen eben nicht zwei Generationen Hollywood - Kitsch dazwischen. Da ist nichts glatt, da muß eine beim Lesen eine Menge Fremdheiten zwischen Männern und Frauen akzeptieren. Nicht zuletzt die 'Privatsprache' zwischen Liebenden, auch wenn sie hier längst nicht mehr so krass auftritt wie in 'Rheinsberg'.


    Es ist ein Ausflug in eine fremde Welt, deutsch hin oder her.
    Wunderbare Geschichte, von einem sehr eigenartigen Autor. Will sagen, daß er eine höchst eigene Art hatte.


    Magali (die Whiskey-trinkende Frauen einfach klasse findet ;-) )

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Ich hatte am Anfang die gleichen Probleme wie BJ. Aus irgendeinem Grund fand ich den Zugang eine ganze Weile nicht. Aber dann war es doch eine amüsante Geschichte mit Tiefgang. Ich möchte sogar sagen, daß die Anspielungen irgendwo zeitlos sind und auch auf unsere heutige Zeit durchaus passen.

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.

  • Zitat

    Original von Batcat
    Ich habe das Buch schon seit Unzeiten im RUB liegen und wollte es eigentlich schon längst gelesen haben. *seufz*


    Genau das wollte ich auch gerade schreiben...

  • Batty,


    ich halte eben ein liebendes Auge auf Katzen!
    :lache


    Und solange Du Dein RUB immer fleißig entstaubst, so wie da
    Entstauben
    ist es ja kein Problem.


    Meines ist auch, nun, hoch?:gruebel
    Ja, doch, ich glaube, hoch trifft es.
    :lache :lache :lache

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von Mariegod
    Die Sommergeschichte wurde rasch ein großer Publikumserfolg. Ihre anhaltende Beliebtheit führte zu mehreren Verfilmungen, zuletzt durch Xavier Koller, der in Gripsholm (2000) die zentralen Motive des Romans mit in Berlin spielenden Szenen verband. P. G.


    Ich mochte diesen Film mit Ulrich Noethen und Heike Makatsch so sehr, dass ich auch den Roman gelesen habe, obwohl ich annahm, er wäre altmodisch, aber was Ironie und Witz angeht, übetrifft er viele moderne Romane.

  • Zitat

    Original von magali
    Batty,


    ich halte eben ein liebendes Auge auf Katzen!


    Ja, das habe ich bemerkt. :-) Dafür habe ich aber schon ganz viele tolle andere Bücher gelesen - und rezensiert.


    Abstauben? Meine Bücher? Öhm. Ja. Klar. Mache ich. Ganz bestimmt. Sobald ich sie alle gelesen habe, werde ich sie auch alle abstauben. Versprochen. :grin

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Nur für magali!!! :grin


    Nachdem ich ja nun wiederholt auf die Lektüre dieses Buches angespielt wurde, habe ich es halt gelesen.


    Den fiktiven Briefwechsel zum Einstieg fand ich eigentlich gleich erheiternd, aber die Sprache des Buches ist eine ganz eigene.... und die zwischen Kurt und Lydia ist ja dann noch mal ganz anders. Alles in allem eine eigentümliche, altmodische und ein wenig umständliche Sprache - für die heutige Generation manchmal etwas sperrig zu lesen.


    Auch die Beziehung der beiden ist für uns ungewohnt, aber dennoch sehr schön beschrieben.


    Diese Sommergeschichte ist einerseits leicht und, ja, sommerlich halt und auf der anderen Seite doch wieder schwerfälliger, wobei Karlchens Besuch ja wieder Leichtigkeit ins Geschehen bringt, der parallele Handlungsstrang um Ada dagegen Ernst und Tiefe.


    Und Billie... die ist ein ganz eigenes Kaliber von Frau... :-)


    Das Büchlein hat mir gut gefallen, ich habe es auch locker heute nachmittag an einem Stück (nur von einem kleinen sonntäglichen Nickerchen unterbrochen *ggg*) weggeschmökert.


    Ob ich den Film mögen würde, weiß ich nicht. Im Anhang ist bei mir noch einiges über den Film zu lesen, der wohl doch recht "frei nach den Motiven" des Buches verfilmt wurde und in dem einige Punkte der Handlung wohl auch ganz anders umgesetzt wurden.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Ein schönes Büchlein :-). Ich mag die Stilschwankungen zwischen fröhlich beschwingt und sehr ernst. Tucholsky spielt auf diesen wenigen Seiten wunderbar mit der deutschen Sprache, lässt Dialekte einfließen, verwandelt Sprichwörter nach eigenen Gutdünken ... Ich mag das. Man merkt auch ganz deutlich, wann das Buch geschrieben wurde, der Stil erinnert mich teilweise doch tatsächlich an Erich Kästner.


    Tucholsky lässt seine Figuren lebhaft erscheinen, man kann sich von jedem Charakter ein Bild machen. Das verängstigte Kind, der Teufelsbraten, die Prinzessin, Karlchen und vor allem Billie ... Sehr gut herausgearbeitet und das, ohne mehr Worte zu verwenden, als notwendig gewesen wäre. Anfangs hatte ich leichte Schwierigkeiten, Lydias Dialekt zu verstehen, aber je mehr ich davon las, desto toller fand ich es. Vor allem auch Lydias Vorliebe für den Genitiv, den sie immer dort anbringt, wo er nichts zu suchen hat. Im echten Leben würde mir das auf die Nerven gehen, im Buch fand ich es niedlich.


    Meinen Lieblingssatz musste ich übrigens mehrmals laut lesen, um ihn richtig genießen zu können: "Wir lagen auf der Wiese und baumelten mit der Seele." So schön! :-)

  • Zitat

    Original von Nikana
    Meinen Lieblingssatz musste ich übrigens mehrmals laut lesen, um ihn richtig genießen zu können: "Wir lagen auf der Wiese und baumelten mit der Seele." So schön! :-)


    Der hat mir auch gefallen. Sowas sollte man sich gleich notieren. :-)

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • ich mochte den Kontrast zwischen "leichter Sommergeschichte" und der darin verankerten ernsten Thematik (die Kinder im Heim).


    Eine Gegenüberstellung von Glück und Unglück...


    Trotz dieses schwierigen Themas wird es nie düster/schwer, sondern die Geschichte behält weiterhin eine Art Urlaubsstimmung - was gut die Ironie transportiert. Garnicht einfach, so eine Kurve zu kriegen, schätz ich, ist ihm aber gut gelungen. Hat mir gefallen :-)