Ich gebe zu, daß ich das Buch nicht lesen wollte, als ich hörte: Lies das! Nun ist es so, daß, wann immer die Betreffende ‚Lies das’ sagt, also in diesem Ton, die Buchstaben 4,50m groß in der Landschaft stehen und in einem Magentarot, das den Mann im Mond blinzeln läßt.
Trotzdem leistete ich Widerstand, ich meine: ein Frauenroman. Also, wirklich.
Lies das!
Ich nahm es in die Hand. Ich hatte es doch geahnt, rote Herzchen auf dem Cover. Aber etwas war falsch. Da war auch eine Schere, leicht aufgeklappt und ja, einige der Herzchen waren zerschnitten. Sah gut aus, nicht daß ich es zu dem Zeitpunkt zugegeben hätte, aber doch, gut.
Dora Heldt las ich dann (nie gehört) und schließlich den Titel: Ausgeliebt. Das Wort gefiel mir, eigenartig, neu-schräg. Hatte was.
Immer noch grummelnd – ich lege Vorurteile nicht leichtfertig ab, schließlich habe ich sie mir eigenhändig erworben – fing ich an zu lesen. Nach drei Sätzen war ich in der Geschichte.
Sie ist einfach genug. Christine, so um die 40, erhält einen Anruf ihres Mannes, es ist ein kurzes Gespräch. Er will die Trennung.
Schock, Entsetzen, Angst. Keine Wut, noch lange nicht. Denn noch ist kein Begreifen da. Die zehn Jahre Ehe, das gemeinsame Haus in einem stillen Dorf an der Küste, ein vertrautes Leben. Alles zuende.
Die Schwester, Freundinnen, Familie, sie stützen und helfen bei der Abwicklung. Eine Abwicklung, die Christine überhaupt nicht will, der sie sich ergibt aus einer Notwendigkeit, die sie zunächst nicht versteht.
Das neue Leben in Hamburg läßt sich gut an, Christine ist in der Buchbranche, interessanter Beruf, Geld ist kein Problem. Wohnung, Ausstattung, neue Frisur, neues Outfit. Kein Problem. Und doch...
Spaß mit den Freundinnen und dann die plötzlichen Tränen über das Verlorene. Neue Männer und urplötzlich, mitten in der Nacht, ein seliger Traum vom einstig Geliebten. Die Hoffnung, ihn zurückzubekommen, gegen alle Tatsachen. Sich alleine fühlen, das Gefühl, als Einzige in einer Wohnung zu sein. Das langsame Begreifen, der eigentliche Betrug. Die Wut, endlich und zugleich nutzlos. Leben schließlich im neuen Leben nicht mehr nur eine Notwendigkeit, sondern mit Überzeugung. Ein Phase ist zuende. Man muß immer mal neu anfangen. Das ist einfach das Leben. Es geht allen so.
Das ist hier recht locker, flauschig, ja, fluffig (die Autorin verwendet das Wort gern) erzählt, es liest sich gut. Sicher gibt es hier und da Kitsch und Sentimentalitäten. Die Leute, die auftreten, verdienen alle ausgezeichnet, haben alle irgendwie mit Kunst und Kultur zu tun, trinken den unvermeidlichen Prosecco und haben den unvermeidlichen Hang zu Designer-Labeln. Es gibt auch die üblichen AnfängerInnen-Fehler, zuviele Details, zuviele Personen und viel zu viel Geschwätz.
Trotzdem gibt es in diesem Roman etwas, das ein wenig anders ist als im Gewohnten. Da sind die Charakterskizzen der Freundinnen, der alten wie der neuen, bei denen mit wenigen Worten eine Lebendigkeit geschaffen wird, die Klischees aufsprengt. Eine Geste, ein Eindruck, beiläufig mitgeteilt und die Szene lebt. Man ist beim Lesen mitten drin. Selbst die viel zu häufig aufgeführten Tränen (beim Lachen wie beim Weinen) haben letztlich etwas Überzeugendes. Luise, Nina - ich liebe die winzige keksgekrönte Szene, als sie sich mit Christine zum Squash verabredet – , die Idee mit den beiden widerstreitenden Stimmen in Christines Kopf, Bemerkungen wie die auf Seite 133: Mir fiel das Sofa im Haus ein, Holz mit roten Polstern, 380 €... Bernd fand den Kauf vernünftig, ich dachte damals, wir würden uns später was Schöneres kaufen. Später war jetzt und XY saß drauf.
Selbst die Prosecco – und Einkaufsorgien-Szenen sind immer wieder gebrochen, weil kurz darauf ein Absturz folgt, emotional-sentimental zuweilen, aber nicht selten unangenehm lebensecht.
Eine ‚rosa’ Geschichte mit Widerhaken, mit einem überraschend ‚echten’ Ton, fesselnd. Eine neue Autorin, die eine neue Stimme werden könnte. Die drei, vier Stunden, die frau mit dem Buch zubringt, braucht frau nicht zu bereuen.