Der 14-jährige Wolfgang Obermeier entdeckt in einer Psychologiezeitschrift einen Artikel darüber, dass Kinder, die ausschließlich von Frauen aufgezogen werden, angeblich einen niedrigeren IQ haben als andere. Das erklärt für ihn seine in der letzten Zeit rapide sinkenden Schulleistungen und er tapeziert mit den Kopien des Artikels das Haus, in dem er zusammen mit seiner Mutter, seiner Oma, deren Schwester, zwei Tanten und zwei Schwestern wohnt - ganz klar der Overkill für die positive Entwicklung seiner Intelligenz!
Als er dann noch ein ihn betreffendes Gespräch seiner beiden Schwestern belauscht, in dem von einem "nicht abgearbeiteten Ödipus" und einer "drohenden Homosexualität" die Rede ist, reift in Olfi der Entschluss, seinen Vater ausfindig zu machen, dessen Identität über 14 Jahre vor ihm geheim gehalten wurde.
Im Laufe seiner Recherchen lernt er im Café Muxeneder die gleichaltrige Joschi kennen, was zu einem Beziehungschaos erster Güte führt; denn durch unglückliche Umstände ist Wolfgang, genannt Olfi, mit Ulli Ullermann, genannt "die Erbswurstsuppe", verbandelt. Die Eifersüchteleien lassen nicht lange auf sich warten und als eines Tages Joschi vor Olfis Tür steht und diesem berichtet, dass sie es aus Angst vor ihrem gewalttätigen Vater nicht mehr wage, nach Hause zu gehen, und als auch Olfis Mutter, Rechstanwältin, keine Hilfe ist, da fasst Olfi den Entschluss, sein Vater müsse helfen, und macht sich gemeinsam mit Joschi auf die Suche nach ihm.
Zu Christine Nöstlinger muss ich wahrscheinlich nichts sagen, sie gehört zu den weltweit erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautorinnen und hat für ihr Gesamtwerk sowohl die Hans-Christian-Andersen-Medaille als auch den Astrid-Lindgren-Gedächtnispreis zuerkannt bekommen. Ihre Bücher sind vielfach prämiert und weltweite Bestseller.
Nöstlingers Erfolgsrezept ist bestechend einfach. Ihre pubertierenden Hauptfiguren sind unheimlich sympathisch und bieten großartiges Identifikationspotenzial. Nöstlinger verzichtet auf jede Form der Moralisierung. In ihren Büchern wird selbstverständlich geraucht und gekifft und die Schule geschwänzt, es findet weder eine Glorifizierung noch eine Verdammung dieser Sachverhalte statt. Nöstlingers Figuren machen sich Gedanken, sie wissen nicht alles besser.
Christine Nöstlingers Sprache ist originell, lakonisch, witzig, flapsig, mit wohldosiertem Einsatz von Schimpfworten und all das ohne anbiedernd zu wirken.
Der Umgang mit den Themen, die für die Pubertät relevant sind (zB Liebe, Sexualität, Identitätssuche, Eltern-Kind-Verhältnis), ist stets unangestrengt, ohne kitschig, plakativ oder vereinfachend zu sein, die Nöte und Zwänge der Eltern werden genauso ernstgenommen wie die der Jugend. Die Figuren Nöstlingers haben Ecken und Kanten, sie machen auch mal Unsinn, sie sind feige oder ungerecht, verharren auch mal in ihrem Irrtum. Es wird nicht alles in Friede, Freude, Eierkuchen aufgelöst.
Das Thema der Gewalt gegen Kinder erscheint in "Olfi Obermeier und der Ödipus" etwas unvermittelt, wirkt dadurch jedoch nicht weniger eindrücklich. Mit zwei, drei klaren Strichen skizziert Nöstlinger das Problem und die Hindernisse, die zu seiner Lösung zu überwinden sind; da wird weder auf die Tränendrüse gedrückt, noch einen auf übermäßigen Heroismus gemacht.
Was soll ich sagen: Christine Nöstlinger ist Literatur, wie man sie sich für Kinder und Jugendliche nur wünschen kann, und auch mir, der ich erst vor kurzem aus beruflichen Gründen begonnen habe, mich mit Jugendliteratur eingehender zu beschäftigen, bereitet sie ein ungeheures Lesevergnügen!
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